Man kann ja nicht alles wissen…

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Bestätigt aber nur mein Vorurteil, daß die Idee, Beamte, denen die Interessen ihrer Clique mehr am Herzen liegen als die des Gemeinwesens, sei ein Thema für Gegenden mit höherer Jahresdurchschnittstemperatur oder Kampfschlumpfregenten, reine Selbsttäuschung ist.

Wovon ich rede?
Hiervon:
Abitur ohne Merkel

Und was meint der Hausheilige dazu?

Und entscheidend ist nicht nur der Minister – gerade der
oft nicht – sondern der mittlere, ja selbst der untere
Exekutivbeamte, der sabotieren und warnen, abdrehen
und aufplustern kann – wie es ihm paßt.
[in: Verfassungstag. Werke und Briefe: 1922, S. 346. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 2748 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 3, S. 259-260) (c) Rowohlt Verlag]

Erlebte Demokratie

Die Welt ist bunt.
Dies konnte ich am Sonntag wieder in schönster Weise erleben. Als Stütze unserer Demokratie hatte ich mich bereit erklärt, als Wahlhelfer zu fungieren und wurde der Briefwahlauszählung zugeteilt.
Und das ist schon per se eine bunte Angelegenheit, da die notwendigen Bestandteile einer korrekten Briefwahl, zumal bei zwei gleichzeitig stattfindenden Wahlen, einen Blumenstrauß an Farben bieten.
Ich darf mal memorieren:
Der graue Stimmzettel für die Europawahl steckt in einem blauen Umschlag, zusammen mit dem weißen Wahlschein dann wiederum in einem rosafarbenen (oder war er rot? – man wird nicht jünger…). Der orangene Stimmzettel der Kommunalwahl allerdings gehört in einen gelben Umschlag und nebst gleichfarbigem Wahlschein in einen wiederum organge gefärbten Umschlag.
Es bleibt aber auch bunt, wenn man sich die illustre Gemeinschaft anschaut, die sich in den Wahlkommissionen findet.
Ich hatte reichlich Gelegenheit, mich in der wichtigsten Disziplin des Einzelhändlers zu üben:

Lächeln und winken

Diese überlebenswichtige Fähigkeit hilft nicht nur bei penetranten, arroganten, besserwisserischen, redseligen oder anderweitig enervierenden Kunden, die schamlos ausnutzen, daß der geneigte Lohnarbeiter ja vertraglich auf die Option des schreiend Weglaufens verzichtet hat, sondern auch in anderen Lebenslagen, in denen man Menschen einfach mal aushalten muß.
Besonders zwei Mitglieder der Wahlkommission stellten mich dabei auf eine harte Probe. Zum einen die Renterin, die einen Menschenschlag verkörpert, bei dem die Contenance zu bewahren mir regelmäßig schwer fällt: Von nichts eine Ahnung, aber sobald man etwas erklärt, haben sie es schon immer gewußt (und sind dann doch immer noch überfordert, wenn zum fünften Male der Stimmzettel nicht im gelben Umschlag steckte, sondern lose im organgenen lag…).

Lächeln und winken,

irgendwann sind die Stimmen ja alle mal gezählt.
Mein Schicksal bedauert habe ich jedoch in Anbetracht des Unglücks, neben jemandem zu sitzen, der -ungelogen- die kompletten sechs Stunden hindurch redundant erwähnte, daß er nicht religiös sei, aber Menschen, die sich als Christen bezeichneten, dies jedoch nicht wirklich lebten, nicht ausstehen könne (dies bei jeder CDU-Stimme, und auch gerne mal zwischendurch) und er Schwule überhaupt für Abschaum hielte (dies, gerne auch mehrfach, bei jeder FDP-Stimme). Im Übrigen sei es notwendig, daß es endlich mal wieder krache und überhaupt, die Leute. Achja, und der Klassiker: In der DDR, da ginge es ihm ja nicht schlecht etc. pp.
Leider war das Repertoire nicht größer und auch die Variationen ließen zu wünschen übrig.
So viel aufgestauter Frust. Aber, auch hier hilft nur:

Lächeln und winken.

Denn: Verbohrtheiten wie diese lassen sich sehr schwer ausdiskutieren – erst Recht, da man ja einen Job zu erledigen hat. Und beginnt die Debatte einmal, bricht sich der aufgestaute Zorn einmal Bahn – das nimmt kein Ende…
Einzig auf seinen Kommentar, daß es wohl bald einen dritten Weltkrieg geben würde (dies samt sanften Leuchten in den Augen), ließ ich mich zu einer Antwort hinreißen. Dann wäre wenigstens Ruhe und die Skorpione dürften ran, gab ich zurück. Was aber auch unklug war, denn damit fiel ja dieses Thema weg und die Redundanz der anderen Themen erhöhte sich zwangsläufig.
Doch was dem Buchhändler der Feierabend, ist dem Wahlhelfer die letzte gezählte Stimme und halb zehn ist es ja noch hell.
Im Übrigen: Gerade Kommunalwahlen erfordern ein Höchstmaß an Konzentration von den AuszählerInnen. Man sollte das nicht unterschätzen – insbesondere, da grelles Orange nicht wirklich hilft, einen klaren Kopf zu behalten… 😉

Zum Schluß noch ein Kommentar meines Hausheiligen zum Thema Wahlen:

Denn winsch ick Sie ooch ne vajniechte Wahl! Halten
Sie die Fahne hoch! Hie alleweje! Un ick wer Sie mal
wat sahrn: Uffjelöst wern wa doch . . . rejiert wern
wa doch . . .
Die Wahl is der Rummelplatz des kleinen Mannes!
Det sacht Ihn ein Mann, der det Lehm kennt! Jute
Nacht -!
[in: Ein älterer, aber leicht besoffener Herr. Werke und Briefe: 1930, S. 478. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 7677 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 8, S. 215) (c) Rowohlt Verlag]

Lieblingsspiel

Nun,

so reihe ich mich denn mit meinem ersten Beitrag in die lange Schlange der Kommentatoren ein, die sich mit der gar schrecklichen Welt der Computerspiele und ihren Auswirkungen auf unsere zarten Kinder und Jugendlichen, mithin also der Zukunft der Gesellschaft, befassen.
Und dies aus gegebenem Anlaß, die Herren Innenminister haben nämlich auch ein Lieblingsspiel, und zwar eines, das ganz hervorragend zu einer offenen, liberalen, pluralistischen Gesellschaft paßt:

Verbieten

Ich diskutiere gerne darüber, ob es gut und förderlich für die geistige und moralische Entwicklung Heranwachsender ist, wenn sie tagtäglich über Stunden Ego-Shooter spielen.
Allerdings möchte ich da doch fragen: Ist das Problem dabei wirklich der Ego-Shooter oder vielleicht doch eher ein Umfeld, daß es geschehen läßt, Heranwachsende stundenlang alleine vor einem Rechner sitzen zu lassen?
Und, als weiterer Aspekt:
Was ist eigentlich mit den Jahrmarktschießbuden? Dem Kriegsspiel Schach? Und PACMAN? Und wieso, zum Henker, ist es besser, Jugendlichen eine Waffe in die Hand zu drücken, als sie an einem Rechner sitzen zu lassen? Im Gegensatz zu einer Schußwaffe ist Software kein Tötungsinstrument.
Es ist mithin geradezu blödsinnig, Spiele zu verbieten und Waffen zu erlauben. Spiele wurden schließlich erfunden, um Waffen überflüssig zu machen.
Spiele sind eine kulturelle Leistung, und zwar eine bemerkenswerte. Ihr Zweck ist es, all die Aggressionen, die sich immer wieder einstellen, zu kanalisieren und in geregelte Bahnen zu lenken. Das spannende am Spiel ist in der Tat, daß es Regeln gibt: Es ist nicht alles möglich – die ganze Geschichte bleibt unter Kontrolle. Das ist, kulturell betrachtet, eine ungeheure Leistung.
Es wäre sehr erfreulich, wenn dieser Aspekt etwas stärker in den Focus gerückt würde.

Im Übrigen jedoch geht diese ganze Debatte um “Killerspiele” vollkommen am Grundproblem vorbei. Das Hauptproblem ist, daß unsere Welt den Heranwachsenden immer weniger Angebote macht. Anstatt fröhlichen Lärm kleiner Kinder als Zeichen von Lebensfreude anzusehen, wird gegen Kinderspielplätze und Nachbarskinder geklagt, anstatt zu überlegen, welche Angebote ihnen zu machen wären, werden Jugendliche aus der Öffentlichkeit vertrieben, nur um sich dann darüber zu mokieren, daß sie nichts anderes mit ihrer Zeit anzufangen wüßten, als vorm Rechner oder der Glotze zu sitzen. Ja, wie denn nu?
Kurz:
Es ist idiotisch, Jugendlichen keinen Raum und keine Perspektiven zu bieten und sich dann zu wundern, daß sie keine Zukunft sehen und ihre Fähigkeiten nicht entfalten.

Soweit meine heutigen unsortierten Gedanken zu dem Thema. Ich bin sicher, es wird darauf noch zurückzukommen sein.
Zum Schluß noch der Kommentar meines Hausheiligen zum Thema Generationen:

Die verschiedenen Altersstufen des Menschen halten einander für verschiedne Rassen: Alte haben gewöhnlich vergessen, daß sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, daß sie alt sind, und Junge begreifen nie, daß sie alt werden können.
[aus: Der Mensch. in: Werke und Briefe: 1931, S. 498. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8478 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 231) (c) Rowohlt Verlag]