Das Ende einer Liebe

Zunächst sei gesagt: Mit gebrochenem Herzen formuliert es sich schlecht, ich bitte also um Vergebung, sollte dieser Beitrag der gewohnten Brillanz und des üblichen Ésprit entbehren.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann es begann, nach meiner Erinnerung muß es irgendwann 1997 oder 1998 gewesen sein, als ich mich zu meinem ersten Zeitungsabonnement entschloß.
Eine Tageszeitung gehörte meiner Überzeugung nach einfach dazu, wenn man sich als politisch denkender Mensch, noch dazu mit dem einen oder anderen Ideal im Kopf, Ernst nehmen möchte.
Nach Durchsicht diverser verfügbarer Zeitungen (so ein Unizeitschriftenlesesaal ist eine feine Sache) samt frustrierender Leserlebnisse, die ich auf einer Geburtstagsfeier mitteilte, wurde ich auf “die tageszeitung” aufmerksam gemacht.
Nun, was soll ich sagen, es war Liebe auf den ersten Blick.
Ich vermag heute natürlich nicht mehr genau zu eruieren, was mich seinerzeit so faszinierte (ihr Äußeres war es jedenfalls nicht 😉 ), aber die taz sprach Themen an, die anderswo unausgesprochen blieben, die taz widmete gerne auch mal mehrere Seiten einem Thema, wenn es ihr wichtig schien (und zwar vollkommen unabhängig davon, ob das Thema auch in anderen Medien grade wichtig war), sie hatte einen journalistischen Stil, der Freude beim Lesen machte. Und ich hatte immer das Gefühl,
die Autoren hatten wirklich etwas zu sagen und sie kannten sich auch aus, wenn sie sich äußerten. Es gab sogar Plattformen für Leute, die ganz eindeutig anderer Meinung als die Redakteure und erst Recht der LeserInnen waren (sehr schön dazu).
Außerdem habe ich, und das gilt bis heute, noch keine besseren Satireseiten einer Tageszeitung gelesen, als in der taz (gibt es überhaupt Tageszeitungen mit mehr als einer Seite, mit überhaupt einer ganzen Seite?).
Kurz: Es war eine ganz andere Art, Zeitung zu machen. Und irgendwie war es auch mehr, als einfach eine Zeitung zu lesen (sehr schön dazu)
Nun, zugegeben, die taz war immer eine recht kostspielige Geliebte, mehr als 3 Jahresabonnements habe ich mir im Laufe der Jahre nicht leisten können, aber Unabhängigkeit und Anspruch haben ihren Preis.

Doch ich habe im Laufe der Jahre nie mehr eine andere Zeitung gekauft, wenn es keine taz gab, kaufte ich lieber keine Zeitung (wär ja noch schöner, Holtzbrinck und Springer verdienen auch ohne mich genug Geld).
Aber, wie das so ist, wir alle verändern uns. Und auch die taz hat sich allmählich vom linksalternativen Projekt zum mittelständischen Medienunternehmen entwickelt.
Das ging natürlich schleichend und über viele Jahre hinweg blieben die meisten der Dinge, die ich an dieser Zeitung geschätzt habe, erhalten.
Als es dann im Zuge des 30. Geburtstages der taz hieß, man wolle sich ganz anders präsentieren, schwante mir nichts Gutes und die Äußerungen Peter Unfrieds auf einer Leipziger Veranstaltung machten mich noch unruhiger. Und, was soll ich sagen?
Das neue Layout zum Geburtstag übertraf alles, was ich befürchtet habe. Man feierte sich dort allen Ernstes für ein Layout, daß die MZ schon vor 10 Jahren hatte und das derartig nichtssagend ist, daß ich zum allerersten Mal die taz am Kiosk SUCHEN mußte. Ich mußte die noch nie suchen, die stach immer heraus.
Die Antwoert, die dann irgendwann einmal aus Herrn Unfrieds Feder auf die durchaus kontroversen Reaktionen kam, war ein derart enttäuschendes Mainstream-Manager-Geschreibsel(Veränderungen irritieren oft, man muß sich dran gewöhnen, dann wird das schon und überhaupt die meisten finden das sehr schön – was man eben so sagt), die Artikel wurden immer seichter, immer oberflächlicher, immer mehr neon-like, daß ich sogar Langeweile empfand.
Nun, und endgültig das Aus war dann der Weggang Bascha Mikas, die durch eine Dame ersetzt wird, die genauso gut bei der Financial Times oder der Welt oder sonst irgendeinem Blatt schrieben könnte – und die auch genau solches unverbindliches, oberflächlich-anbiedernders Zeug schreibt.

Eine Ahnung davon bekommt ihr vielleicht, wenn ihr einfach das Interview mit Bascha Mika lest und im Vergleich dazu den Antrittsartikel ihrer Nachfolgerin.

Das ist nicht die Zeitung, für die ich immer und überall geworben habe, das ich nicht die Zeitung, die ich immer und überall verteidigt habe, das ist nicht die Zeitung, die ich immer und überall mit Stolz gelesen habe. Das ist eine Zeitung wie alle anderen auch. Und so werde ich sie wohl auch in Zukunft behandeln, wie eine unter vielen.

Wahrscheinlich ist die taz deswegen noch immer keine schlechte Zeitung, aber kann man so etwas lieben?
Und mit leisem Bedauern trete ich aus dieser Genossenschaft, zu deren Mitgliedschaft in meinen Augen immer Herz gehört, aus.

Das Buch zum Sonntag (5)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft:

Gregor Hens: Matta verläßt seine Kinder

Hens, geboren 1965, ist studierter Germanist und Anglist, seit 2001 ordentlicher Professor an der Ohio State University, legte vor diesem Roman bereits zwei andere vor, die mich aber nicht überzeugten (ich las sie auch erst nach “Matta”, durch den ich auf ihn aufmerksam wurde).

Karsten Matta, 40, verheiratet, zwei Kinder, ist Gutachter für einen exlusiven Londoner ThinkTank, der für Regierungen und, vor allem, Wirtschaftsunternehmen, Krisenregionen bewertet. Er bereist also Orte wie Serbien, Ruanda, Pakistan etc, um herauszufinden, ob und wenn ja mit welchen Bedingungen sich Investitionen dort lohnen.
Eines Tages, während einer sinn- und schier endlosen Warterei in einem Konsulat (er ist einziger Besucher und benötigt schlicht ein Visum – sowas kann ja schon mal einen halben Tag dauern…), platzt ein Äderchen in seinem Auge und er beschließt in diesem Moment, dies alles nicht mehr mitzumachen.
Und “alles” meint in diesem Falle “alles”.

Hens verzichtet vollkommen auf die Trennung zwischen Erzählung, mündlicher Rede, innerem Dialog, alternativen Handlungssträngen oder Rückblenden. Das gibt dem Buch eine Atemlosigkeit, die ich bis dahin nicht kannte und schafft eine verwirrend-beklemmende Athmosphäre. Eben diese scheint mir allerdings auch vollkommen angemessen zu sein, geradezu perfekt zum Ausbruch und dem folgenden Handlungsverlauf zu passen.

Zum Schluß sei noch eine Stelle zitiert, die mich dazu bewogen hat, seit dem jedes Mal, wenn ich in einem Hotel o.ä. übernachte, ein Buch zurückzulassen:

Und jedes Mal nahm er ein Einziges mit, las dreißig oder fünfzig Seiten im Flugzeug und ließ das Buch im ersten Hotel liegen. Zu schwer. Er reiste mit einer einzigen Tasche aus Segeltuch. In Bamako im stolzen, immer frisch geweißten Royal Mama Pleasant Suites standen mehrere dieser Hinterlassenschaften in einem Regal in der Lobby. Rebeccas Leihbibliothek im Herzen von Mali, das hatte ihn immer gefreut, wenn er dort ankam und wenn er die Bücher sah, fein säuberlich aufgereiht, richtiggehend präsentiert, während er in bar im Voraus bezahlte, dollars mon ami, dollars, und seinen Schlüssel in Empfang nahm. Manchmal traf er einen Kollegen, der erzählte, ich war im Royal Mama oder im Aurora Inn oder im Millenio II in Bahia und hing da fest, wochenlang, und konnte nichts machen, musste mir die Zeit totschlagen, und da lagen zum Glück auf meinem Nachttisch ein paar deutsche Bücher, eine dicke Magellan-Biografie mit dem Titel Die Toten behalten Unrecht, etwas von Richard Kaschinski und die Goa-Skizzen von C.Kraft. Die haben mir das Leben gerettet.

(S. 29-30 der Taschenbuchausgabe)

lieferbare Ausgaben

Das Leben als Reise

Das Bestattungsgewerbe gilt als krisensicher. Es gibt schließlich nur wenige Dinge, deren Unabänderlichkeit so unzweifelhaft ist wie das Ende unseres Daseins in dieser Welt. Oder, etwas profaner, dafür pointierter ausgedrückt: Gestorben wird immer.
Genau genommen läge also nichts näher, als ein Bestattungsinstitut zu eröffnen, um finanzmarktsicher Geld zu verdienen.
Aber, wie so viele andere Branchen, hat auch das Bestattungsgewerbe so seine Besonderheiten. Die Besonderheit in diesem Falle sind die Kunden. Die kommen nicht gerne und das trotz der evidenten Notwendigkeit des angebotenen Produktes. Die Menschen werden nicht gerne an ihre Endlichkeit erinnert. Und wenn sie dann einmal daran denken, welches Angebot nehmen sie dann wahr?
Es gibt Anbieter, die versuchen es mit der aus anderen Branchen bekannten Strategie: Der Preis macht´s. Gefällt mir persönlich nicht so. Zum einen wußte der Hausheilige bereits: “Man achte immer auf Qualität. Ein Sarg zum Beispiel
muß fürs Leben halten.”*
Zum anderen wage ich zu bezweifeln, daß eine Beerdigung, bei der nichts so sehr zählt wie der niedrige Preis, so gestaltet wird, daß die Teilnehmer wirklich das Gefühl haben, Abschied von einem für sie wichtigen Menschen zu nehmen.

Ein, aus meiner Sicht, schöneres Beispiel für das Schaufenster eines Beerdigungsinstituts fand ich in Lübeck.
Gelungen finde ich, wie hier in der Schaufenstergestaltung der Focus auf das Leben gerückt wird.
Im ersten Fenster wird, in einer Küstenstadt zugegebenermaßen naheliegend, das Thema der Lebensreise und deren Ende maritim umgesetzt. “Sterben” als “Ankommen” zu interpretieren, mithin positiv zu belegen, ist nicht ganz neu, aber der Slogan “Am Ende der Reise gut ankommen” als Werbung für die Qualität des eigenen Angebots hat mir gefallen.
Im zweiten Fenster, das erkennt man dank meiner eher preiswerten Schnappschußkamera eher schlecht, wird der Tod nicht als zu bewältigender Verlust thematisiert, sondern als Gewinn an Erinnerung.
Zugegeben, die Zitate erzählen das Übliche, aber auch hier interessiert mich gar nicht so sehr die spritzige Originalität, sondern der Ansatz.
Die beiden Schaufenster bringen eine positive Botschaft, ohne dabei der kulturell vorgesehen Pietät, dem Respekt vor der Endlichkeit unseres Seins, der Tatsache, daß Bestattungensunternehmen keine Metzger oder Sockenverkäufer sind, keine Rechnung zu tragen.
Und zwar, und das unterscheidet die Schaufenster von allem, was ich bisher so gesehen habe, ohne dabei einen krampfhaften Spagat zu versuchen.
Leider kann die Website des Unternehmens da nicht mithalten…

Soweit meine unsortierten Gedanken dazu. Zum Abschluß noch ein Kommentar des Hausheiligen zum Thema Menschen und ihr Verhältnis zum Tod:

“Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.”

in: Der Mensch. [Werke und Briefe: 1931, S. 498. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8478 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 231) (c) Rowohlt Verlag]

* in: Schnipsel. [Werke und Briefe: 1932, S. 30. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8746 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 10, S. 20) (c) Rowohlt Verlag]

Das Buch zum Sonntag (4)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich dem geneigten Lesepublikum zur Lektüre:

Martin Suter: Die dunkle Seite des Mondes

Wieder mal ein Quereinsteiger ins Schriftstellerleben. Und wieder einmal ein Autor aus der Schweiz. Martin Suter war zunächst als Werbetexter und Werber tätig – und dies mit einigem Erfolg (Präsident des Art Director Clubs wird auch in der Schweiz nicht jeder ;)). Seit 1992 veröffentlichte er Kolumnen (“Business Class”, “Richtig leben mit Geri Weibel”), in denen er die Welt der ach so wichtigen Manager, Anwälte… kunst- und ich möchte sagen genußvoll vorführt.
“Die dunkle Seite des Mondes”, erschienen im Jahre 2000, ist sein zweiter Roman. Geschildert wird das Leben des Wirtschaftsanwaltes Urs Blank, 45, äußerst erfolgreich und spezialisiert auf Fusionen.
Er hat sein Leben, samt Gefühlsleben, vollkommen im Griff und erfüllt auch sonst alle gängigen Staranwaltskriterien.
Eines Morgens nun entscheidet er sich in Anbetracht des schönen Wetters, nicht mit dem Taxi zur mittäglichen Essensverabredung zu fahren, sondern zu Fuß eine Abkürzung durch einen kleinen Park zu nehmen.
Dort nimmt er an einem Verkaufsstand einen unbestimmt vertrauten Duft war.

“Was riecht so?” fragte er das junge Mädchen hinter dem Stand. Sie trug einen chinesischen Seidenmantel und mehrere der Seidenschals aus ihrem Angebot. Mit einem hatte sie die Überfülle ihrer schwarzen Locken aus dem Gesicht gebunden.
Als sie aufschaute, sah er, daß ihre Stirn mit einem goldenen Kastenzeichen geschmückt und ihre Lider schwarz umrandet waren.
Was ihm einen Moment die Sprache verschlug, war die Farbe ihrer Augen. Sie waren nicht schwarz, wie das von ihrer Aufmachung her zu erwarten war, sondern von einem blassen Blau wie bei einem Huskie. Sie lächelte und schien nicht im geringsten erstaunt über den Mann im Maßanzug an ihrem Stand. “Es sind fünf Dürfte, welchen meinen Sie?”
Das Mädchen fächelte ihm mit beiden Händen die Rauchfäden gegen die Nase, einen nach dem anderen. Schmale Silberreifen klingelten an ihren Armen. “Den hier meine ich.”
Sie schnupperte. “Sandlewood. Vierzehn Franken.”
Urs Blank bezahlte und steckte das Päckchen in die Manteltasche.

(S. 18)

Wirkt belanglos, nicht wahr? Und doch ist dies die entscheidende Stelle des Buches. Was ich an diesem Roman, neben seiner bitterbösen Entlarvung diverser, ich sage mal, aufgeblasener Wichtigtuer, sehr schätze, ist Suters raffinierte Art, Unheil und Katastrophen schleichend, geradezu unmerklich aufzubauen. Jeder kleine Schritt wirkt vollkommen harmlos, natürlich, nachvollziehbar. Und läßt so jederzeit das Gefühl bestehen, wirkliche Gefahr bestünde nicht.

Und nun: Lest selbst.

lieferbare Ausgaben

Die Rede zur aktuellen Krise…

… hält heute der Hausheilige dieses Blogs, Dr. jur. Kurt Tucholsky.

Kapital und Zinsen und Zubehör.
So lassen wir denn unser großes Malheur
nur einen, nur einen entgelten:
Den, der sich nicht mehr wehren kann,
Den Angestellten, den Arbeitsmann;
den Hund, den Moskau verhetzte,
dem nehmen wir nun das Letzte.
Arbeiterblut muß man keltern.
Wir sparen an den Gehältern –
immer runter!

Unsre Inserate sind nur noch ein Hohn.
Was braucht denn auch die deutsche Nation
sich Hemden und Stiefel zu kaufen?
Soll sie doch barfuß laufen!
Wir haben im Schädel nur ein Wort:
Export! Export!

Was braucht ihr eignen Hausstand?
Unsre Kunden wohnen im Ausland!
Für euch gibts keine Waren.
Für euch heißts: sparen! sparen!
Nicht wahr, ein richtiger Kapitalist
hat verdient, als es gut gegangen ist.
Er hat einen guten Magen,
Wir mußten das Risiko tragen . . .
Wir geben das Risiko traurig und schlapp
inzwischen in der Garderobe ab.

Was macht man mit Arbeitermassen?
Entlassen! Entlassen! Entlassen!
Wir haben die Lösung gefunden:
Krieg den eignen Kunden!
Dieweil der deutsche Kapitalist
Gemüt hat und Exportkaufmann ist.
Wußten Sie das nicht schon früher -?
Gott segne die Wirtschaftsverführer!

[Die Lösung. in: Werke und Briefe: 1931, S. 589. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8568-8569 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 269-270) (c) Rowohlt Verlag]