Das Buch zum Sonntag (13)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Wolfgang Hildesheimer: Lieblose Legenden

Die Erzählungen dieses Sammelbandes erschienen ursprünglich im Zeitraum zwischen 1952 und 1963, allerdings stammt die erste vollständige Ausgabe erst aus dem Jahre 1983.
Hildesheimers (1916-1991) Arbeitsschwerpunkt lag eher bei Dramen und Hörspielen (er gilt als ein wichtiger Vertreter des Absurden Theaters), aber er schrieb neben Erzählungen und Romanen auch eine viel beachtete Mozart-Biographie. Zudem tat er sich auch mit Collagen hervor.
Kurz: Die Bandbreite des kulturellen Schaffens war ihm bestens vertraut.

Und genau da setzen die “Lieblosen Legenden” an.
Das Personal setzt sich zusammen aus allem, was das (Schein)Bildungsbürgertum so zu bieten hat. Künstler, Literaten, Mäzene etc. Zielscheibe scheinen mir dabei vor allem all jene zu sein, die eben gerne dazugehören und klug daherreden können.

Alles aber mit feiner Ironie und durchaus einem Hang zum Bizarren. Da versinken Festgesellschaften im Meer, wird eine Eule (korrekterweise ja ein Steinkauz, aber lest selbst) nach Athen getragen, offenbart sich ein Starpianist als verhinderter Versicherungsvertreter (die Eltern waren dagegen), da werden Vorträge ohne geringste Sachkenntnis gehalten (weniger bizaar, als man glauben mag) und verwandelt sich jemand in eine Nachtigall, um endlich Ruhe vor den Menschen zu haben und Dachwohnungen ohne zugehöriges Haus gebaut.
Gerade dieses feine ironische Webnetz macht es mir schwer, eine angemessen kurze Stelle zu zitieren, schließlich möchte ich ja dem Lesegnuß, zu dem natürlich immer auch der Handlungsverlauf gehört, nicht vorgreifen.
Ich versuche es daher mit einer Stelle, die bei mir mehr als nur ein Schmunzeln hervorrief:

“Aha”, sagte Golch, wobei er mit der letzten Silbe dieses Ausrufs ein leichtes Glissando nach oben vollführte, dem ich wohl entnehmen durfte, daß er mich als Nachwuchs für die Elite der Kulturträger in Betracht zog, obleich es wohl noch manche Prüfung zu bestehen gäbe. Ich hakte sofort ein, indem ich ihn fragte, wie ihm die Ausstellung zeitgenössischer Malerei im Luxembourg gefallen habe. Golch hob die Augen, als suche er ein Wort im Raum und sagte: “Passé” (Er gebrauchte die damals übliche englische Betonung des Wortes. Auch die Wörter “cliché” und “pastiche” wurden damals englisch ausgesprochen. Wie man es jetzt tut, weiß ich nicht, und es scheint mir auch nicht wichtig zu sein. Denn schließlich war in diesen Dingen die Insel der Marchesa tonangebend. Sie ist versunken und hat die Richlinien mit sich gezogen.) “Passé”, sagte er, und ich pflichtete ihm bei, hätte es – daß ich es gestehe! – auch dann getan, wenn seine Äußerung gegenteilig ausgefallen wäre, denn es war immerhin Golch, dem ich gegenüberstand.

Was für jeden Erzählungsband (also natürlich auch für diesen und jenen) gilt, gilt für diesen hier ganz besonders. Der geneigte Leser sollte der einzelnen Erzählung Zeit geben, zu wirken, ehe er die nächste beginnt. Widrigenfalls stellt sich unter umständen ein Pralinenschachtel-Effekt ein. Während die einzelne Praline höchsten Genuß verspricht, wird eine ganze Schachtel, auf einmal genossen, schnell zur Belastung.

Ich persönlich zum Beispiel pflege allerdings beispielsweise Halloren-Kugeln-Schachteln (tut mir Leid, praliniger wirds bei mir nicht) stets komplett zu verspeisen und lese sowohl Erzählungssammlungen wie auch Werkausgaben immer am Stück. Mich würde interessieren, ob es bereits Studien über diesbezügliche Zusammenhänge gibt…

Nunja,

wie üblich, hier noch die

lieferbaren Ausgaben.

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