Das Buch zum Sonntag (26)

Dieses Mal krankheitsbedingt verspätet, empfehle ich der geneigten Leserschaft für die heute beginnende Woche zur Lektüre:

Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

Die Bekenntnisse Felix Krulls sind Fragment geblieben. Und auch wenn es den Lesenden schon interessieren mag, welche Abenteuer Felix Krull noch erlebt haben mag – wesentlich ist das gar nicht.
Meine Sympathie für diesen Roman begründet sich in dem Vergnügen, das es macht, ihn zu lesen. Dem ein oder anderen in der geneigten Leserschaft ist Thomas Mann vielleicht vorrangig als bedeutungsschwerer Autor des Bildungsbürgertums vertraut. Und ja, Werke wie der Zauberberg oder Doktor Fautus sind mit ihren zahlreichen Bezügen ohne umfangreiches Hintergrundwissen kaum verständlich.
In Felix Krull aber zeigt sich Mann von einer anderen Seite. Wollte man eine Genreeinordnung vornehmen, so handelt es sich hier um einen Schelmenroman. Und diese machen vor allem eines: Vergnügen.
Es ist eine wahre Freude, den distinguiert vorgetragenen Rechtfertigungen des Sektfabrikantensohnes Krull zu folgen. Mit welcher Selbstverständlichkeit er sich für ein höheres Wesen hält und noch die niedrigsten Taten (seien es nun Diebstahl oder Zuhälterei) als moralisch integre Handlungen eines Berufenen darstellt – großartig.
Mir macht es jedenfalls immer wieder aufs neue Freude, einem Künstler der deutschen Sprache (und was auch immer, und wohl auch zu Recht, über Thomas Mann zu sagen ist: Mit Worten konnte er umgehen) beim Scherzen zuzusehen.
Der Einfachheit halber zitiere ich mal gleich vom Anfang, in der Hoffnung, daß er der geneigten Leserschaft ebenso zum Schmunzeln Anlaß gebe wie mir:

Indem ich die Feder ergreife, um in völliger Muße und Zurückgezogenheit – gesund übrigens, wenn auch müde, sehr müde (so daß ich wohl nur in kleinen Etappen und unter häufigem Ausruhen werde vorwärtsschreiten können), indem ich mich also anschicke, meine Geständnisse in der sauberen und gefälligen Handschrift, die mir eigen ist, dem geduldigen Papier anzuvertrauen, beschleicht mich das flüchtige Bedenken, ob ich diesem gesitigen Unternehmen nach Vorbildung und Schule denn auch gewachsen bin. Allein, da alles, was ich mitzuteilen habe, sich aus meinen eigensten und unmittelbarsten Erfahrungen, Irrtümern und Leidenschaften zusammensetzt und ich also meinen Stoff vollkommen beherrsche, so könnte jener Zweifel höchstens den mir zu Gebote stehenden Takt und Anstand des Ausdrucks betreffen, und in diesen Dingen geben regelmäßige und wohlbeendete Studien nach meiner Meinung weit weniger den Ausschlag, als natürliche Begabung und eine gute Kinderstube. An dieser hat es mir nicht gefehlt, denn ich stamme aus feinbürgerlichem, wenn auch liederlichem Hause; mehrere Monate lang standen meine Schwester Olympia und ich unter der Obhut eines Fräuleins aus Vevey, das dann freilich, da sich ein Verhältnis weiblicher Rivalität zwischen ihr und meiner Mutter – und zwar in Beziehung auf meinen Vater – gebildtet hatte, das Feld räumen mußte; mein Pate Schimmelpreester, mit dem ich auf sehr innigem Fuße stand, war ein vielfach geschätzter Künstler, den jedermann im Städtchen „Herr Professor“ nannte, obgleich ihm dieser schöne, begehrenswerte Titel von Amts wegen vielleicht nicht einmal zukam; und mein Vater, wiewohl dick und fett, besaß viel persönliche Grazie und legte stets Gewicht auf eine gewählte auf eine gewählte und durchsichtige Ausdrucksweise.

(S.7)*

Und die Zauberberg-Leser können zusätzliche Freude darin suchen, herauszufinden, wie Mann seinen Helden immer wieder an sprachlichen Kleinigkeiten, an gelegentlich falsch gesetzten Worten, an immer mal wieder eine Nuance zu hoch geschraubten Formulierungen, selbst entlarvt.

Einer der wenigen Romane Manns, bei dem getrost Intertextualitäten ignoriert werden können – ein wunderbarer Spaß eben.

Zum Abschluß noch der gewohnte Hinweis auf die

lieferbaren Ausgaben

*zitiert nach: Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil. Frankfurt/Main 1997. ISBN: 3-10-048407-X

Das Buch zum Sonntag (25)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Banana Yoshimoto: Tsugumi

Weihnachtszeit ist Kaminzeit ist Lieblingsbuchzeit. Morgen ist bereits der vierte Advent, mithin handelt es sich heute um die letzte Buchempfehlung vor HeiligAbend. Und in meinen Augen ist Tsugumi ein würdiges Buch dafür. Der geneigten Leserschaft ist Frau Yoshimoto ja bereits bekannt. In diesem Büchlein nun erzählt eine Geschichte, die banal und rührend zugleich ist, passend also zu 10 Grad unter Null (im Flachland!), Schneefall, Glühwein und einem warmen Ofen. Die Ich-Erzählerin Maria erzählt eine Geschichte, die auf einer der zahllosen Urlaubsinseln, die Japan zu bieten hat, spielt und auf der sie aufgewachsen ist. Es ist der „letzte Sommer ihrer Jugend.“ Dort scheint die Welt der Ryokan noch in Ordnung, alles geht familiär und traditionell zu. Jedoch soll eine Hotelanlage gebaut werden, die eben dieses Idyll zerstören könnte. Vor diesem Hintergrund entspinnt sich nun eine Liebesgeschichte zwischen dem Sohn des Hotelbauers und der Tochter der Besitzer des Ryokan, in dem Maria wohnt. So weit, so Email-für-Dich. Doch meine Schwäche für Frau Yoshimoto liegt nicht in ihren Kompositionskünsten für aufregende oder tiefgründige Plots begründet, sondern in den Charakteren, die sie schafft, in den Bildern, die sie zeichnet. Und Tsugumi ist mir von den zahlreichen Figuren, die sie geschaffen hat, die liebste. Der geneigte Leser kann hier eine junge Frau erleben, deren Charme erfrischend, weil unbekümmert scheinend ist, die eine Lebensfreude, eine Energie ausstrahlt, der sich zu entziehen schwer fällt. Hinter Tsugumi bleiben in Yoshimotos bisherigem Gesamtwerk (soweit es auf Deutsch erschienen ist, mein Japanisch ist, um mal mit Winnie-the-Pooh zu sprechen, etwas wacklig), erst Recht freilich in diesem Buch, alle anderen Charaktere weit zurück.

Ich bin jemand… also, ich würde einer Blume mutwillig sämtliche Blätter ausreißen, aber ihre Schönheit würde ich nie vergessen.

(S. 77)

Banana Yoshimoto läßt ihre jungen Charaktere sehr häufig die Erfahrung machen, daß das Leben endlich ist. Die permanente Anwesenheit des Todes gehört zu den Elementen der typischen Melancholie ihrer Literatur. Tsugumi selbst ist seit ihrer Geburt von höchst fragiler Gesundheit, ihr Leben scheint permanent an einem dünnen Faden zu hängen. Verhätschelt und verwöhnt aufgezogen, versucht sie nun, dem Trotzkindalter entwachsen, eine Fassade der Eigensinnigkeit, der Schroffheit, der Hinterhältigkeit aufrecht zu erhalten (und das gelingt ihr ganz hervorragend, sie spielt ihrer Umgebung durchaus perfide Streiche, die weit weniger an Michel von Lönneberga als viel mehr an Eric Cartman denken lassen – manipulativ und gerne mal emotional verheerend) – aber verliebt in sie habe ich mich wegen Szenen wie dieser, was auch immer das über mich aussagen mag:

„Zum Beispiel, stell Dir vor, eine Hungersnot bricht über die Erde herein.“ „Hungersnot…? Wenn du plötzlich so überspanntes Zeug redest, versteh ich überhaupt nichts mehr.“ „Schnauze! Halt´s Maul, und hör zu: Also, ich will ´n Typ werden, der Pünktchen ohne mit der Wimper zu zucken schlachten und auffressen kann, wenn es wirklich nichts mehr zu fressen gibt. Und natürlich nicht so ´n inkonsequenter Blödmann, der sich nachher im stillen die Augen ausheult, der ‚Pünktchen, danke für alles‘ und ‚Tut mir furchtbar leid‘ sabbert, ein Grab für den Köter schaufelt und sich aus einem seiner Knöchelchen ein Medaillon machen läßt, das er dann immer um den Hals trägt. Wenn schon, dann will ich einer werden, der nicht bereut und auch kein schlechtes Gewissen kriegt, sondern wirklich ganz cool mit einem Grinsen sagt: ‚Hast ganz vorzüglich geschmeckt, Pünktchen!‘ – Ganz theoretisch gesprochen jetzt, nur, falls eine Hungersnot kommt…“ Wie sie so dasaß, die dünnen Ärmchen um die Knie geschlungen, träumerisch den Kopf zur Kopf zur Seite gelegt, das absolute Gegenteil ihrer Rede, bekam ich irgendwie den seltsamen Eindruck, ein Wesen von einem anderen Stern zu betrachten. „Für mich hört sich das ja eher nach einem Bekloppten als nach einem Fiesling an“, sagte ich. „Genau – einer, der nichts rafft. Einer, der nirgendwo heimisch ist, niemandem vertraut, der sich nicht einmal selbst kennt und den trotzdem nichts aufhalten kann, obwohl er gar nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Und der trotzdem daraus pocht, richtig zu liegen. Toll wär das!“

(S. 61f.)

Ich wünsche der geneigten Leserschaft einen besinnlichen vierten Advent und verbleibe nicht ohne den üblichen Hinweis auf die

lieferbaren Ausgaben

Kein Buch zum Sonntag (1-3)

Wie aufmerksamen Mitgliedern der geneigten Leserschaft bereits auffiel, gab es in der letzten Woche keine Buchempfehlung.
Nun, es wird leider auch in dieser und der nächsten Woche keinen weiteren Beitrag in der Reihe „Das Buch zum Sonntag“ geben.
Der Grund ist ein Spiel, das ich bereits seit vielen Jahren sehr häufig spiele und in dem ich gerade einige Special Quests absolvieren muß, die sehr zeitintensiv sind. Dafür erwarten mich aber etliche Bonus-EP´s, ich erlerne einige neue Skills und werde alles in allem weit weniger Credits für meine lebensnotwendigen Items brauchen als bisher.
Ihr seht, es ist unumgänglich und lohnt sich auf jeden Fall.

Aber, hier möge die geneigte Leserschaft die Hoffnung nicht fahren lassen, es wird noch vor dem Weihnachtsfest der gewohnte Rhythmus wieder aufgenommen werden.

Übrigens scheint das Spiel ein hohes Suchtpotential zu haben, schon bei einigen Online-Plattformen habe ich Menschen verschwinden sehen, mit der Begründung, ihr „RL“ ließe ihnen keine Zeit dafür.