Dieses Mal krankheitsbedingt verspätet, empfehle ich der geneigten Leserschaft für die heute beginnende Woche zur Lektüre:
Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull
Die Bekenntnisse Felix Krulls sind Fragment geblieben. Und auch wenn es den Lesenden schon interessieren mag, welche Abenteuer Felix Krull noch erlebt haben mag – wesentlich ist das gar nicht.
Meine Sympathie für diesen Roman begründet sich in dem Vergnügen, das es macht, ihn zu lesen. Dem ein oder anderen in der geneigten Leserschaft ist Thomas Mann vielleicht vorrangig als bedeutungsschwerer Autor des Bildungsbürgertums vertraut. Und ja, Werke wie der Zauberberg oder Doktor Fautus sind mit ihren zahlreichen Bezügen ohne umfangreiches Hintergrundwissen kaum verständlich.
In Felix Krull aber zeigt sich Mann von einer anderen Seite. Wollte man eine Genreeinordnung vornehmen, so handelt es sich hier um einen Schelmenroman. Und diese machen vor allem eines: Vergnügen.
Es ist eine wahre Freude, den distinguiert vorgetragenen Rechtfertigungen des Sektfabrikantensohnes Krull zu folgen. Mit welcher Selbstverständlichkeit er sich für ein höheres Wesen hält und noch die niedrigsten Taten (seien es nun Diebstahl oder Zuhälterei) als moralisch integre Handlungen eines Berufenen darstellt – großartig.
Mir macht es jedenfalls immer wieder aufs neue Freude, einem Künstler der deutschen Sprache (und was auch immer, und wohl auch zu Recht, über Thomas Mann zu sagen ist: Mit Worten konnte er umgehen) beim Scherzen zuzusehen.
Der Einfachheit halber zitiere ich mal gleich vom Anfang, in der Hoffnung, daß er der geneigten Leserschaft ebenso zum Schmunzeln Anlaß gebe wie mir:
Indem ich die Feder ergreife, um in völliger Muße und Zurückgezogenheit – gesund übrigens, wenn auch müde, sehr müde (so daß ich wohl nur in kleinen Etappen und unter häufigem Ausruhen werde vorwärtsschreiten können), indem ich mich also anschicke, meine Geständnisse in der sauberen und gefälligen Handschrift, die mir eigen ist, dem geduldigen Papier anzuvertrauen, beschleicht mich das flüchtige Bedenken, ob ich diesem gesitigen Unternehmen nach Vorbildung und Schule denn auch gewachsen bin. Allein, da alles, was ich mitzuteilen habe, sich aus meinen eigensten und unmittelbarsten Erfahrungen, Irrtümern und Leidenschaften zusammensetzt und ich also meinen Stoff vollkommen beherrsche, so könnte jener Zweifel höchstens den mir zu Gebote stehenden Takt und Anstand des Ausdrucks betreffen, und in diesen Dingen geben regelmäßige und wohlbeendete Studien nach meiner Meinung weit weniger den Ausschlag, als natürliche Begabung und eine gute Kinderstube. An dieser hat es mir nicht gefehlt, denn ich stamme aus feinbürgerlichem, wenn auch liederlichem Hause; mehrere Monate lang standen meine Schwester Olympia und ich unter der Obhut eines Fräuleins aus Vevey, das dann freilich, da sich ein Verhältnis weiblicher Rivalität zwischen ihr und meiner Mutter – und zwar in Beziehung auf meinen Vater – gebildtet hatte, das Feld räumen mußte; mein Pate Schimmelpreester, mit dem ich auf sehr innigem Fuße stand, war ein vielfach geschätzter Künstler, den jedermann im Städtchen „Herr Professor“ nannte, obgleich ihm dieser schöne, begehrenswerte Titel von Amts wegen vielleicht nicht einmal zukam; und mein Vater, wiewohl dick und fett, besaß viel persönliche Grazie und legte stets Gewicht auf eine gewählte auf eine gewählte und durchsichtige Ausdrucksweise.
(S.7)*
Und die Zauberberg-Leser können zusätzliche Freude darin suchen, herauszufinden, wie Mann seinen Helden immer wieder an sprachlichen Kleinigkeiten, an gelegentlich falsch gesetzten Worten, an immer mal wieder eine Nuance zu hoch geschraubten Formulierungen, selbst entlarvt.
Einer der wenigen Romane Manns, bei dem getrost Intertextualitäten ignoriert werden können – ein wunderbarer Spaß eben.
Zum Abschluß noch der gewohnte Hinweis auf die
*zitiert nach: Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil. Frankfurt/Main 1997. ISBN: 3-10-048407-X