De Amore.

Zum intellektuellen Duktus gehört unbedingt das sich als Bescheidenheit tarnende Selbstlob.
Schreibt ein Autor also einen “Versuch über die zweckmäßige Einrichtung des Gemeinwesens”, so meint er eigentlich: “Ich habe den Stein der Weisen gefunden und lasse mich nun herab, euch mal zu erklären, wie das mit dem Staate zu laufen hat, damit das funktioniert. Aber auf mich hört ja keiner.”
Zu großer Meisterschaft brachte dies übrigens olle Cicero, dessen Reden derart von Egomanie strotzen, daß es ein Wunder bleibt, wie Rom ohne ihn nur je existieren konnte. Allerdings verwendet er derart geschickte rhetorische Kniffe, daß es schon geübte Zuhörer braucht, um nicht von ihm eingenommen zu sein.*
Den Titel einer eigenen Publikation also defensiv zu wählen, in dem man Begriffe wie “Versuch über…”, “Einige Gedanken über…”, “Überlegungen zu…” oder eben einfach lateinisch “De …” verwendet, soll also die Bescheidenheit des Autors gegenüber seinem Gegenstand zum Ausdruck bringen und ihn natürlich vor böser Kritik schützen (warn ja nur so ein paar Gedanken). Das bedeutet aber eben nicht zwangsläufig, daß der Autor auch tatsächlich seinen Beitrag zur Geistesgeschichte so niedrig einschätzt. 😉
Wie in diesem Lichte also Header des Blogs und Titel des heutigen Beitrages einzuschätzen sind, überlasse ich der geneigten Leserschaft.

Soweit die Kulturgeschichte zurückreicht, scheint das mit der Liebe immer so eine Sache gewesen zu sein.
Einerseits stets das hehre Ideal der reinen Emotion, andererseits immer wieder ein Anbieten wie auf dem Fischmarkt (Meine Tochter kann supertoll nähen und kochen/Heirate und Du erhältst das halbe Königreich etc.)
Insofern sind natürlich auch die heutigen DatingPlattformen keine wirklich neue Entwicklung. Wir haben hier nur ein neues Gewand. Erstaunlicherweise aber hat sich bis heute der Mythos gehalten, die Frage, ob eine Beziehung zwischen zwei Menschen funktioniere, hänge davon ab, ob sie dieselbe Kekssorte mögen oder ihre Badezimmer in harmonisch zueinander passenden Farben dekorieren, ja selbst die Frage, unter welchem Stern man geboren wurde, erfreut sich bleibender Beliebtheit.

Nun ist das aber alles Unsinn.
Schon der Volksmund ist sich der Unwägbarkeit dieser Frage bewußt, in dem er sowohl behauptet, gleich und gleich geselle sich gern, als auch der Meinung ist, Gegensätze zögen sich an. Nein, die Frage, ob zwei Menschen miteinander leben, hängt davon nicht ab. Es gibt ein einziges Kriterium, das immer gilt: Beide wollen es so. Alles andere ist zweitrangig. Die einzige Frage, die gilt, ist die, ob es dieser Mensch dort ist, mit dem man es jeden Tag den ganzen Tag aushalten möchte. Wenn ich nach Hause komme, möchte ich dann dieses Gesicht sehen, ist es jene, die ich um mich haben möchte – und zwar nicht, weil sie dieselbe Musik hört oder die passende Handtasche zur Haarfarbe trägt, sondern, weil ich es mag. Weil es gut tut.
Manche Dinge sind derart komplex, daß es vieler Fragen und vieler Untersuchungen bedarf, um sie zu durchschauen. Irreführend ist es aber, eine Lösung, einen Ausweg zu postulieren, wo nur die Illusion von Erkenntnis herrscht. Zu behaupten, man müsse nur ein paar Daten eingeben und eine helige Matrix würde dann jemanden finden, der “zu einem paßt”, ist Kokolores. Zum einen, weil die Datenbank natürlich nur jemanden findet, der übereinstimmende Angaben gemacht hat, was etwas völlig anderes ist und zum anderen, weil das alles gar nicht wichtig ist.

In der Dekade der sozialen Netzwerke wird es immer wichtiger, die Fremdwahrnehmung der eigenen Person zu steuern. Die Frage, wie man sich selbst darstellt, wem und wo man was von sich preisgibt, wird entscheidender. Brauchten wir diese Frage stets immer nur in konkreten Zusammenhängen bedenken, muß sie im Netz der Netze nach allen denkbaren Varianten abgeklopft werden. Wo auch immer man sich präsentiert, stets sollte doch im Hinterkopf das Wissen präsent sein, daß jeder, wirklich jeder, sehen, lesen, hören kann, was wir tun oder lassen. Es gilt also ganz genau abzuwägen, wie das gewünschte Bild erzeugt wird, bzw. das Bild, von dem man annimmt, das es gewünscht ist, mögliche Interpretationen einzukalkulieren, kurz: Exakt zu berechnen, was man tut.
Und in diesem Umfeld also soll ausgerechnet eine eben solche Plattform (und nichts anderes sind ja neu.de, elitepartner und wie sie alle heißen) helfen, jemanden zu finden, bei dem wir ganz wir selbst sein können? Finde nur ich das absurd? Denn ist es nicht das, worum es geht? Den Maskenball draußen und sich selbst fallen zu lassen? Nicht interpretieren zu müssen, keinem Fremdbild zu entsprechen versuchen, das simple Faustsche Glück: “Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein.”?
Liebe, wahre Liebe entscheidet sich nicht an gemeinsamen Interessen oder ähnlichem Schokoladengeschmack. Solcherlei Übereinstimmungen machen es noch nicht einmal leichter – sie sind schlicht irrelevant.

Wie schon im Beitrag zu Frau Bergs “Der Mann schläft” erwähnt: Liebe hat wenig mit dem Bedürfnis danach, anderen die Klamotten vom Leib zu reißen oder anderen Aufwallungen zu tun. Liebe ist ein Fundament – und Fundamente tragen. Sie tragen ein Haus Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr – unabhängig davon, welche Farbe die Zimmer haben.
Auf einer solchen Basis fällt es denn auch leicht, sich gegenseitig zu stützen und auf den anderen Acht zu geben, ihn zu sehen und zu fühlen – und zu merken, wann die Statik eine Lastenverteilung nötig hat.

Was bleibt mir am Ende noch zu sagen?
Liebe passiert – oder halt nicht. Also, haltet Augen, Ohren und Herzen offen.

Was mich dazu bringt, mal vollkommen zusammenhanglos aus einem meiner Lieblingsbücher zu zitieren. Obwohl, so völlig zusammenhanglos ist es gar nicht. Immerhin kann man erahnen, daß das mit der kalkulierten Fremdwahrnehmung auch nicht immer so einfach ist:

[…]ich hab´ es schon immer zu dir gesagt, du hast bloß nicht zugehört. Jedesmal, wenn du gesagt hast, ‘Stalljunge, mach mir mal dies’, hast du gedacht, ich antworte ‘Wie du wünschst’, aber das war nur, weil du falsch gehört hast. ‘Ich liebe dich’ hab´ ich gesagt, aber du hörtest und hörtest nicht.”

**

*Zum Weiterlesen: Seine Reden gegen Catilina, in denen er eine armselige Verschwörung zur Staatsbedrohung hochstilisiert, die er allein aufgedeckt und damit den Untergang Roms grade mal noch so verhindert hat. Und sein Werk Tusculanae disputationes (in etwa: Gespräche in Tusculum – auch wieder so eine Bescheidenheitsgeste, denn natürlich wird dort nicht einfach geplaudert, sondern vielmehr ein für alle mal geklärt, was die Welt im Innersten zusammenhält 😉 )
Für diejenigen in der geneigten Leserschaft, denen antike Texte wenig vertraut sind, empfehle ich allerdings unbedingt eine kommentierte Ausgabe. Es bliebe sonst zu viel im Unklaren und das Vergnügen wäre doch arg eingeschränkt.
**aus: Goldman, William: Die Brautprinzessin. Klett-Cotta, Stuttgart 10. Aufl. 1997, S. 61

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