Das Buch zum Sonntag (37)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Ambrose Bierce: Das Wörterbuch des Teufels

Durch einen Hinweis aus der geneigten Leserschaft erinnerte ich mich jüngst wieder dieses großartigen Satirikers des 19. Jahrhunderts. Die englischsprachige Literatur dieser Zeit, also zumindest die, die ich wahrnehme, ist in hohem Grade “sophisticated” (ein Wort, für das ich keine befriedigende deutsche Entsprechung kenne, Hinweise sind gern gesehen). Selbst eine Jane Austen, deren Romane nun nicht gerade von intellektueller Weitläufigkeit geprägt sind, schrieb Dialoge und Charakterbeschreibungen, die zu lesen einfach nur ein Genuß sind.
Freilich gilt dies weit mehr für die britische Literatur als für die US-amerikanische und Bierce´ Erzählungen, nicht selten myteriös, fantastisch, gruselig, stellen ihn auch eher an die Seite E. A. Poes als, sagen wir mal, Dickens´, der wiederum weit weniger sophisticated ist. Am ehesten ließe er sich wohl mit Oscar Wilde vergleichen.
Ich schweife ab.
Das Wörterbuch jedenfalls ist eine Zusammenstellung vorher lose in Zeitungen erschienener Begriffsdefinitionen, die an Treffsicherheit, Witz und Ésprit keine Wünsche offen lassen. Ein Buch, das heitere Stunden an einer Heizquelle der Wahl ermöglicht (und das Wetter scheint ja dieses Jahr sehr buchaffin zu sein), genauso gut aber als kurzes Intermezzo die Gedanken von einem Gegenstand auf einen anderen zu lenken vermag.
Kurz: Wahrlich ein reines Vergnügen.
Daher fiel es mir dieses Mal nicht schwer, passende Stellen zum Zitieren zu finden, an welcher Stelle man diesen schmalen Band auch öffnet, es findet sich immer etwas:

Reim subst. masc.
Gleichklingende und meistens unangenehme Laute am Ende von Versen. Die Verse selbst sind meistens langweilig.

Rekrut subst. masc.
Jemand, der sich von einem Zivilisten durch seine Uniform und von einem Soldaten durch seinen Gang unterscheidet.

Religion subst. fem.
Eine Tochter der Furcht und der Hoffnung, die der Unwissenheit die Natur des Unbegreiflichen erklärt.

(S. 91)

Bierce galt der US-amerikanischen Öffentlichkeit als Misanthrop, was bei seinen zynischen Einwürfen zum Stande der menschlichen Entwicklung wohl kaum verwundert dürfte. Es kommt allerdings nicht selten vor, daß es gerade die mitfühlendsten Menschen sind, die die schärfsten Pfeile verschießen. Aber ich bin wahrlich kein Bierce-Biograph, mögen dazu Berufene sich dazu äußern.
Stattdessen streue ich mal noch ein paar Lieblinge in die Runde:

Abstand subst. masc.
Das einzige, was die Reichen den Armen zugestehen.

Anders adv.
Auch nicht besser.

Armenrecht subst. neutr.
Eine Methode, mittels derer einem Rechtssuchenden, der kein Geld für Anwälte hat, gnädig erlaubt wird, seinen Prozeß zu verlieren.

Ausdauer subst. fem.
Eine niedere Tugend, die der Mittelmäßigkeit zu unrühmlichem Erfolg verhilft.

Bettler subst. masc.
Jemand, der sich auf die Hilfe seiner Freunde verlassen hat.

Ich muß aufhören, sonst schreibe ich hier noch das halbe Buch ab.
Daher nur noch einen, wunderbaren Beitrag, problemlos jederzeit anwendbar – und zudem Bierce´ geistige Verwandschaft zu Oscar Wilde (“Sich selbst zu lieben ist der Beginn einer lebenslangen Romanze.”) aufzeigend:

Ich pron.
Das erste Personalpronomen, das erste Wort der Sprache, der erste Gedanke des Geistes, der erste Gegenstand der Zuneigung. Sein Plural soll “wir” lauten, aber wie es mich mehr als einmal geben kann, ist den Grammatikern zweifellos klarer als dem verfasser dieses unvergleichlichen Diktionärs. Mich mir selbst in der Zweizahl vorzustellen, ist schwer, aber schön. Der freimütige und dabei anmutige Gebrauch von “ich” unterscheidet den guten Schriftsteller vom schlechten; dieser trägt das Wort wie ein Dieb, der seine Beute zu verbergen sucht.

Es gibt leider keine vollständige lieferbare Ausgabe des Wörterbuches, wenn man dem Herausgeber der hier zitierten Ausgabe* jedoch Glauben schenken mag, so ist dies kein dramatischer Verlust, da aufgrund der ursprünglichen Publikationsform viele Redundanzen auftreten. Dies wiederum könnte tatsächlich den Lesegenuß schmälern.

Sei es wie es sei, hier die

lieferbaren Ausgaben.

*verwendete Ausgabe: Bierce: Aus dem Wörterbuch des Teufels. Ausgewählt, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Dieter E. Zimmer. Insel. Frankfurt/M. und Leipzig. 1980
P.S. Einer geht noch, einer geht noch rein:

Heiliger subst. masc.
Ein toter Sünder, überarbeitet und neu herausgegeben.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.