Das Buch zum Sonntag (39)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Arnon Grünberg: Der Vogel ist krank

Auf Arnon Grünberg wurde ich von einer Verlagsvertreterin hingewiesen, als ich zum Ausdruck brachte, daß ich das Programm des Verlages ganz großartig finde, für meine persönliche Lektüre aber nur selten etwas dabei ist.
Nun, lassen wir es uns so sagen: Die Frau versteht etwas von ihrem Job. Grünberg gehört jedenfalls seitdem zu meinen bevorzugten Schriftstellern. Genaugenommen zu den wenigen, bei denen ich kein Werk auslasse. Selbst wenn es dabei mal Täler zu durchschreiten gilt.

“Der Vogel ist krank.” Eines Morgens, es ist noch früh, aber schon drückend schwül, die Hitze von Wochen brütet in der kleinen Wohnung, wird Christian Beck mit diesen Worten seiner Frau geweckt. Sie trägt ihr weißes Nachthemd, das sie mit zwölf auch schon hatte.

(S. 5)

Das ist doch mal ein Beginn. Die tödliche Krankheit seiner langjährigen Freundin, die Beck als seine Frau bezeichnet, wirft in seinem Leben, das gut eingerichtet scheint, seit er seine Ambitionen als Schriftsteller aufgegeben und einen Stelle als Gebrauchsanweisungsübersetzer annahm, einiges über den Haufen.
Mit einer erstaunlichen Demut nimmt er hin, daß sie heiratet (nicht ihn), erträgt Beschimpfungen (die nicht zwangsläufig aus der Luft gegriffen sind), trägt, während allmählich alles aus den Fugen gerät, die Souveränität des überlegenen Intellektuellen zur Schau. Was mich stark beeindruckte an diesem Roman, ist, wie Grünberg geradezu rührend seinen Helden scheitern läßt. Christian Becks permanente Analysearbeit, sein permanenter Versuch, durch Hinterfragen Situationen zu verstehen, zu durchdringen, zu begreifen sind letztlich doch nur ein ohnmächtiger Akt des Intellektuellen, der glaubt, Situationen, deren Struktur er durchschaut, auch beherrschen zu können.
Und doch, man kommt nicht umhin, ihn zu mögen – bei aller Arroganz, mit der auftritt, bei allem Mist, den er macht, Christian Beck ist ein geradezu rührend liebenswerter Charakter.

Was sie teilen, ist nicht ihre Arbeit – sie teilen den Geruch des anderen, seine Vergangenheit, das Bett, die Einsamkeit, letzteres vielleicht noch mehr als alles andere. Einsamkeit teilt man schweigend, ein gewisser Fatalismus kommt über einen, man weiß, daß die eigene Isolation nicht weiter aufgebrochen werden kann als diese paar Risse, man hat die Grenzen des Sich-Begegnens erreicht, näher wird der anderen einem nie kommen; näher ist eine Illusion, näher wäre gefährlich.
Die Menschen erwarten oft – zu Unrecht -, daß ihre Beziehung, der geliebte Mensch, ihrer Einsamkeit ein Ende bereitet. Beck und seine Frau hegen keine diesbezüglichen Erwartungen, eigentlich erwarten sie nur wenig voneinander, auch das teilen sie. Was Beck bei einer Frau sucht, ist Rührung, obwohl er das erst spät gemerkt hat. Keine Befriedigung, keine demonstrativ und übeschwenglich geäußerte Liebe, keine Bestätigung – was sollte auch bestätigt werden, er selbst? Nein, Bestätigung sucht er nicht mehr, und das Myteriöse interessiert ihn auch nur noch mäßig. Das ist alles schön für den Augenblick, doch nur von Rührung kann man länger zehren.

(S. 9)

Es gibt wunderbare Liebeserklärungen in Hollywoodfilmen, diese hier hat aber auch was. Wie gesagt, Vogel heiratet jemand anderen:

“Ich finde es sogar mehr als unlogisch, ich finde es verwerflich. Du verschenkst Kleidung an Menschen, die sie nötiger brauchen als wir, in Ordnung. Du verschenkst Möbel, ich kann damit leben. Du gibst Leuten Geld, um ihnen etwas zu ermöglichen, unser Geld, mein Geld – warum nicht? Sie haben zwar wahrscheinlich gar nichts von den Möglichkeiten, die du ihnen bieten willst, aber okay, es ist mal was anderes, als Schmuck und Kleider kaufen, vielleicht sogar nützlicher, auf jeden Fall amüsanter. Aber jetzt hast du den Punkt erreicht, wo du dich selbst weggibst – verschleuderst! Dich selber, hörst du? Und das tut man nicht, auch nicht für einen guten Zweck, ein Mensch darf sich nicht selbst wegwerfen. Punkt. […] Und ich sag dir, als dein Mann, dein Freund, dein Ratgeber: Es ist Zeit auf Entzug zu gehen. Für den Anfang werden wir den Krüppel, den Du ins Haus geholt ast, wieder vor die Tür setzen. Ganz freundlich natürlich, von mir aus geben wir ihm Kleidung, Geld, Vasen, blumen, Pflanzen, Badahandtücher, was du willst, aber er verschwindet. Wir sind kein Obdachlosenasyl für Krüppel, wir können Krüppeln keine Liebe geben, wir schaffen es ja noch nicht mal füreinander.”
Sie hielt ihm ein Glas Wasser hin.
“Nein, danke.” sagte Beck.
“Bist du fertig?”

(S.123f.)

Was er sagen wollte, war:

Seine Frau war nicht nur seine Frau, sondern auch seine Schwester, seine Mutter, seine Tante, Großmutter, seine beste Freundin, sein Kind. Und so jemanden rührt man nicht an, so jemanden kann man nicht anrühren. Ein Küßchen, ja, eine zärtliche Berührung, eine Umarmung, eine feste Umarmung sogar. Das ist alles möglich, aber man kann sich nicht anrühren wie Mann und Frau. Eines Tages geht es nicht mehr, weil man sich zu nah gekommen ist, und von da an ist es unmöglich.
So war es, doch das konnte er ihr nicht sagen, er konnte es nicht einmal sich selbst eingestehen – es gibt Wahrheiten, die selbst ein Illusionsloser nicht erträgt.

(S. 125)

Es ist keine Zeit, gründlich und ausgiebig an ihrer Beziehung zu arbeiten. Beck muß zusehen, daß er klarkommt. Mit sich, seiner Frau, ihrem Mann und dem sicheren Boden, der ihm unter den Füßen abhanden kommt.

Der Vogel ist krank gehört zu meinen wichtigsten Leseerfahrungen und ich hoffe, ich konnte der geneigten Leserschaft davon etwas vermitteln.

Zum Abschluß noch der gewohnte Verweis auf die

lieferbaren Ausgaben.

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