Ausgekocht.

Roland Koch tritt also zurück.
Politik sei nicht sein Leben, läßt er verlauten. Das mag man nun glauben, was schwer fällt, bei jemandem, der seit seinem 14. Lebensjahr politisch tätig ist, oder auch nicht.
Roland Koch war sicher einer der übelsten Figuren im Ensemble der deutschen Politik. Er hat offen gelogen, er hat offen gehetzt und so offen gegen Parteichefin Merkel agiert, wie es eine Intrige nur zuließ.
Ist das aber wirklich so?
Zu dieser Einschätzung kann doch nur gelangen, wer annimmt, in der Politik ginge es um Werte, Überzeugungen oder gar das Wohl des Staates, vielleicht sogar der Gesellschaft. Das halte ich aber für eine Illusion.
Die Karriere eines Politikers ist nur eine der Optionen, die zur Auswahl stehen. Und genau das ist das Problem.
Ich halte es für eine fatale Entwicklung, daß “Politiker sein” ein Beruf geworden ist. Die ursprüngliche Idee eines Parlamentariers ist die eines Staatsbürgers, der Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen möchte und sich deshalb ehrenamtlich engagiert. Da der Umfang dieses Amtes aber die Ausübung einer anderen Tätigkeit geradezu unmöglich macht, haben die Entschädigungen Höhen erreicht, die in der Tat Anreiz sind.
Das wäre vielleicht noch nicht einmal das Schlechteste. Warum auch nicht? Wieso sollten wir es nicht begrüßen, wenn sich Bürger dieses Staates von Anfang dazu entschließen, ihre ganze Kraft dem Amt des Parlamentariers zu widmen?
Aus einem ganz einfachen Grund: In dem Moment, in dem ein politisches Amt zu einer Option unter vielen wird, zu einer reinen Karriereentscheidung, fällt es auch unter die Bewertungskategorien einer Berufsentscheidung. Es werden also Dinge entscheidend wie Höhe des Gehalts, Aufstiegsmöglichkeiten, persönlicher Aufwand und Gestaltungsmöglichkeiten. Und, mal ganz ehrlich: Besonders gut schneidet die politische Laufbahn bei einem solchen Vergleich nicht ab. Wir dürfen also getrost davon ausgehen, daß nicht die tatkräftigsten, klügsten oder originellsten Köpfe “in die Politik gehen”. Im Gegensatz zur Boulevard-Meinung ist das nämlich keineswegs ein reines Vergnügen. Warum für jede Äußerung in der Öffentlichkeit stehen, wenn man ein Vielfaches des Geldes auch im Stillen erarbeiten kann? Wozu sich auf Kaninchenschauen blicken lassen, wenn man sein Wochenende auch auf La Rochelle verbringen kann? Nein, wer wirklich etwas drauf hat, für den ist die politische Laufbahn wahrlich keine lukrative Option.
Das wäre aber ja noch kein Problem, wenn es eine ausreichende Menge junger Menschen gäbe, die andere Kriterien ansetzten. Die vielleicht wirklich etwas verändern wollen, die die welt nicht so hinnehmen wollen, wie sie ist und denen es um mehr geht als für sich selbst einen angenehm scheinenden Platz zu finden. Nun, die gibt es. Und nicht wenige von ihnen versuchen es tatsächlich, getreu dem Motto: “Rin ins System und von innen uffmischen!“. Die aber kommen entweder nicht durch, geben nach kürzer oder längerer Zeit frustriert vom Kampf gegen Stumpfsinn, kleingeistiger Intrigen und armseligen Machtspielchen auf oder aber übernehmen die Denkkategorien des Apparats. Eines Apparates, der Minister nach Landesverbänden auswählt, eines Apparates, der nur noch als selbstreflexiv zu bezeichnen ist, eines Apparetes, der sich selbst klont.
Wer das nicht glaub, weil ihm die Anschauungsmöglichkeiten fehlen: Ganz ähnliches vollbringt die Lehrerausbildung. Geht mal in die Uni, schaut euch die Erstsemester bei Lehramtsstudiengängen an. Da sind eine Menge wirklich interessanter Typen dabei*, Menschen, von denen man sich gut vorstellen kann, daß sie in Kindern und Jugendlichen wirklich etwas bewegen könnten, Menschen, die mit Elan und Willen dabei sind.
Und dann schaut euch an, wer in den Klassenzimmern am Lehrertisch sitzt.
Zum Glück dauert die Lehrerausbildung nur wenige Jahre, so daß es immer noch einige wirklich gute Leute schaffen, durchzuhalten, aber die, die auf der Strekce geblieben sind, das sind die, die eigene Ideen hatten, die aneckten, die in keine Schublade paßten, die nicht einzuordnen waren. Deren Methoden und Ansätze von intellektuell überforderten Staatsangestellten (euphemistisch: “Fachdidaktiker”) gar nicht erfaßt werden, weil sie in ihren jahrzehntealten Aufzeichnungen nicht als Schaubild aufgezeichnet sind und die deshalb systematisch rausgemobbt werden.
Und eben solche engagierten Menschen kommen im Fegefeuer von 20 Jahren Parteiapparat um. Weil sie nicht in Lager einzusortieren sind, damit nicht abzuschätzen ist, ob man sich mit ihnen gut stellen sollte oder nicht – reinstes Höflingsdenken. Nur wer dazu fähig ist, kommt durch.
Geradezu symptomatisch dafür ist die Wahl Horst Köhlers. Ich weiß nicht, welche Kriterien das Dreigeleucht** angesetzt hat, die der persönlichen Eignung waren es nicht. Köhler war nicht nur aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur vollkommen ungeeignet, ihm fehlte auch jegliche Akzeptanz im politischen Spektrum. Die ist aber wichtig, wenn man dieses Amt ausfüllen möchte. Nicht zuletzt dieser fehlende Rückhalt war es schließlich, der ihn zum Rücktritt bewogen haben dürfte. Schon für seine Wiederwahl mußte er ja quasi selbst sorgen. Ein von Weizsäcker oder ein Rau wurden zwar durchaus ebenso von der jeweiligen Mehrheit bestimmt, aber wenigstens suchte man nach Personen, die, wie man so schön sagt, über den Parteigrenzen standen. Köhler stand aber nicht drüber – er stand draußen. Das macht ihn nicht zu einem unfähigen oder schlechten Menschen. Keineswegs. Das wären die falschen Kategorien. Er war nur für ein politisches Amt, zuumindest aber ganz offensichtlich für dieses, ungeeignet.
Jedenfalls steht für mich die Wahl Horst Köhlers für das endgültige Entfremden des politischen Systems von der Gesellschaft. Und das hat diese schon lange bemerkt. Das Stammtischdiktum, die Politiker würden nur an sich selbst denken, trifft vollkommen zu. Sehr lehrreich sind da Fernsehnterviews, sehr schön zu sehen jeden Morgen im Morgenmagazin. Wie dort inhaltsleere Phrasen aneinandergereiht werden, nur um den Parteifreunden keine Möglichkeit zu geben, Kapital daraus zu schlagen, das ist höchst bemerkenswert.

Stellt sich die Frage: Besteht noch Hoffnung?
Nein.
Klar, nach langen Marsch der Grünen durch die Institutionen, bei denen ihnen irgendwann zwischendurch die zu Grunde liegende Idee, nämlich die Institutionen zu verändern, abhanden gekommen ist und der Phrasenschwall einer Frau Künast nur noch mühsam von dem eines Herrn Kauder zu unterscheiden ist, wird sich mit Sicherheit wieder eine neue progressive Partei finden. Ich sehe aber keinen Hinweis darauf, daß es ihr besser ergehen könnte.
Ein echtes Problem ist aber, daß der Parteipolitik inzwischen selbst aufzufallen scheint, daß ihnen die Personen ausgehen. Die Auffrischung des Genpools durch die Eingemeindung der DDR ist inzwischen aufgebraucht und es fällt auf, daß es an markanten Personen mangelt. Kein Wunder. Wer auffällt, wird platt gemacht.

Trotzdem aber ist es gut, daß Koch und Köhler ihre jeweiligen Hüte genommen haben.

Anstelle eines Kommentars des Hausheiligen folgt einer von Volker Pispers, der sehr schön illustriert, wie man ohne Ideen und mit reiner Parteitaktik ein Regierungsamt bekleidet.

*besonders der Immatrikulationsjahrgang 1996, ich kann euch sagen… 😉

**ich weigere mich, Herrn Stoiber einen Stern zu nennen. Für die anderen gilt dasselbe.

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