Leben und so.

“Das Leben, erzähl mir bloß nichts vom Leben.” So läßt Douglas Adams den stets depressiven Roboter Marvin (“Seht mich an, ein Gehirn von der Größe eines Planeten, und man verlangt von mir, euch in die Kommandozentrale zu bringen. Nennt man das vielleicht berufliche Erfüllung? Ich jedenfalls tu’s nicht.”) Menschen antworten, die ihn über eben dieses etwas belehren wollen. Nun, in der Tat, das Leben als solches ist kein Zuckerschlecken, es gibt unschöne Dinge und wenn man mal ein bißchen darüber nachdenkt, wofür die Krone der Schöpfung ihre bisherigen Leben so verwendet hat, kommen einem durchaus ernsthafte Zweifel, ob es sich bei „Leben“ überhaupt um ein sinnvolles Konzept handelt. Dies ist aber freilich nur die Draufsicht.
Anders stellt sich die Sache nämlich dar, wechselt man die Perspektive. Für denjenigen, der gerade lebt, hat das Leben einen völlig anderen Stellenwert. Genau genommen ist das Leben, das wir haben, wohl das einzige, worauf wir mit Sicherheit bauen können. Was davor war, was danach kommt – dies ist alles höchst ungewiß, ganz egal, was die zahlreichen Propheten so alles behaupten mögen.

Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.

*

So sehr sich die Intensität meiner Begeisterung für „Der Club der toten Dichter“ heute von der in meiner Jugend unterscheidet, eines bleibt doch bestehen: Der unbedingte Wille zur Lebensbejahung. Der Drang, jeden Tag auszukosten, bis zum letzten Tropfen auszuleben, denn mors certa, hora incerta – es könnte jeder Tag der letzte sein. Schon morgen, schon heute, beim nächsten Schritt auf die Straße kann es vorbei sein. Und ganz egal, was danach kommen mag, die Zeit, die uns hienieden beschieden ist, sollten wir nutzen, so gut, so intensiv wir können. Carpe diem.
So richtig klar wird einem das wohl trotzdem immer erst dann, wenn [hier bitte passende höhere Macht einsetzen] sich mal wieder entschließt, jemanden plötzlich und unvorhergesehen aus dem Leben zu reißen. Es sind manchmal nur Momente – gerade eben sprach man noch mit einem lieben Menschen, machte vielleicht Pläne für die nahe und fernere Zukunft und schon im nächsten Augenblick weilt derjenige nicht mehr unter den Lebenden. Bedenkt man, wieviel einen Menschen ausmacht, wieviele Facetten, Gedanken, Gefühle, Erfahrungen dazugehören, wie wenig davon wir kennenlernen, wieviel wir voneinander also entdecken könnten, wirkt es geradezu absurd, wie endgültig, wie vollständig der Tod ist. Mit jedem Menschen geht eine ganze Welt verloren.
Also, liebe geneigte Leserschaft, auch ihr habt nur dieses eine Leben und was auch immer diese Welt euch anzutun bereit ist: Gebt. Gebt, was ihr habt, auf daß ihr nicht vergessen werdet. Nur, was ihr gebt, wird von euch bleiben. Seid euch nicht zu sicher, den nächsten Morgen zu erleben, es könnte schon jetzt das Blutgerinnsel auf dem Weg sein, das euer Gehirn verstopft, der Laster, der euch beim nächsten Spaziergang übersieht, könnte gerade den Motor starten und die SuperböllerSilvesterrakete, die nach oben fliegen irgendwie doof findet, könnte die sein, die ihr gerade entzündet.
Also, ich bitte euch: Macht was draus.

Aus nicht näher zu erörternden persönlichen Gründen fiel meine Wahl zum Abschluß dieses Beitrages auf folgendes Gedicht:

Robert Frost: The Road Not Taken

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I –
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.

übernommen von hier.


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*aus: Der Mensch. in: Werke und Briefe: 1931, S. 498. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8478 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 231) (c) Rowohlt Verlag

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