Nachgereicht: Das Buch zum Sonntag (90)

Prolog: Es gab in den letzten Tagen eine erstaunliche Häufung familiärer Klein- und Großereignisse, die von dem pünktlichen Beginn des Schreibens dieser Empfehlung nicht viel übrig ließen. Ähem.

Für die laufende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Mark Twain: Die schreckliche deutsche Sprache

Mark Twain gehört vielleicht zum Besten, was die US-amerikanische Literaturgeschichte zu bieten hat. Auch wenn ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß zu dieser Erkenntnis besonders gelangt, wer die USA kennt. So manches scheint mir doch sehr typisch, sehr aus der kulturellen Seele* dieses eigenartigen Landes geschrieben. Was andererseits aber natürlich Gelegenheit gibt, einen tiefen Blick in eben diese Seele zu werfen.
Es lohnt sich also durchaus, Mark Twain auch einmal jenseits der Jugendabenteurromantik, mit der 12jährige “Tom Sawyer” verschlingen, zu lesen.
Das heute empfohlene Werk allerdings hat von alldem wenig. Aber es ist großartig gegrantelt. Ein frustrierte Deutschlerner haut den Deutschsprechenden (und vor allem: -schreibenden) ihre Sprache mal gehörig um die Ohren. Neben dem diebischen Vergnügen, das man dabei als Lesender hat, eröffnen sich hier durchaus einige Perspektiven. Zum einen darauf, wie Nicht-Muttersprachler die deutsche Sprache mit ihren, nunja, Eigenheiten warnehmen und zum anderen auch, wie sich die deutsche Sprache vor 130 Jahren präsentierte. Oder auch heute noch präsentiert:

Dieser Abschnitt liefert den Stoff für ein paar Bemerkungen über eine der seltsamsten und merkwürdigsten Besonderheiten meines Themas – die Länge der deutschen Wörter. Einige deutsche Wörter sind so lang, daß sie eine Perspektive aufweisen. Man beachte folgende Beispiele:

Freundschaftsbezeigungen.
Dilettantenaufdringlichkeiten.
Stadtverordnetenversammlungen.

Diese Dinger sind keine Wörter, sie sind alphabetische Prozessionen. Und sie sind nicht selten; man kann jederzeit eine deutsche Zeitung aufschlagen und sie majestätisch quer über die Seite marschieren sehen – und wenn man nur einen Funken Phantasie besitzt, kann man auch die Banner sehen und die Musik hören.

(S. 49)**

Noch viel verwirrender als die kaum zu entwirrenden Komposita muß aber auf einen dem englischen Sprachraum entstammenden Menschen das große Thema “Genus” erscheinen. Es ist ja schon für Muttersprachler kaum zu durchschauen und eher intuitiv als rational zu erfassen – wie absurd das ganze Thema aber im Deutschen ist, zeigt sich vielleicht wirklich erst durch den Blickwinkel eines Außenstehenden. Und auch wenn der gute Herr Twain das Spiel mit den Unterschieden zwischen grammatikalischem und natürlichem Geschlecht sehr ausführlich und sehr auf die Spitze treibt – es ist ja nicht so, daß er Unrecht hätte. 😉

Jedes Substantiv hat ein Geschlecht, und in dessen Verteilung liegt kein Sinn und kein System; deshalb muß das Geschlecht jedes einzelnen Hauptwortes für sich auswendig gelernt werden. Es gibt keinen anderen Weg. Zu diesem Zwecke muß man das Gedächtnis eines Notizbuches haben. Im Deutschen hat ein Fräulein kein Geschlecht, während eine weiße Rübes eines hat. Man denke nur, auf welch übertriebene Verehrung der Rübe das deutet und auf welch dickfellige Respektlosigkeit dem Fräulein gegenüber.

(S. 31)

Es ist wirklich eine vergnügliche Stunde, die man mit diesem Essay verbringen kann (wer kann, sollte es auf Englisch lesen), nicht zuletzt eben auch, weil Twain nie verachtend, billig, abwertend wird – er scheint diese Sprache, die sich seinem Verständnis so konsequent verweigert, wirklich und wahrhaftig unfaßbar zu finden. Dieses Erstaunen darüber, daß man sich etwas so Elementares wir die Sprache so unglaublich schwer machen kann, schwingt immer mit.
Freilich, er läßt die armen Deutschsprechenden nicht ohne Hoffnung und Trost zurück:

Es gibt in der Welt Leute, die sich ziemlich viel Mühe geben, die Mängel an einer Religion oder Sprache aufzuzeigen, und dann gelassen ihrer Wege gehen, ohne Abhilfe vorzuschlagen. Ich bin kein Mensch dieser Art. Ich habe bewiesen, daß die deutsche Sprache reformbedürftig ist. Nun gut, ich bin bereit, sie zu reformieren. Zumindest bin ich bereit, die geeigneten Vorschläge zu machen. Ein solches Vorgehen wäre bei jemand anderem unbescheiden; aber ich habe alles in allem mehr als neun Wochen einem gewissenhaften und kritischen Studium dieser Sprache gewidmet und daraus ein Zutrauen zu meiner Fähigkeit gewonnen, sie zu reformieren, das mir eine bloß oberflächliche Bildung nicht hätte verleihen können.

(S. 67)

Diese Begründung ist derart großartig, daß ich ernsthaft überlege, sie als Handlungsmuster zu übernehmen. Wobei, wenn ich es mir so recht überlege, scheint es bereits ein gängiges Muster zu sein, daß Menschen mit Aufgaben betraut werden, einzig weil sie behaupten, diese auch zu beherrschen. Im Übrigen sollt eman ja auch nie unterschätzen, welchen Erkenntnisgewinn neuneinhalb Wochen so mit sich bringen können.

Ursprünglich als Anhang zu seinem “Bummel durch Europa” erschienen, ist das Werk inzwischen auch mehrfach separat erschienen, derzeit ist es in diesen

lieferbaren Ausgaben

erhältlich.


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*Da die französische Geschichtsschreibung so freundlich war, die “Mentalitätsgeschichte” als Beitrag der Historiker zur allumfassenden Superdisziplin “Kulturwissenschaften” einzubringen, darf man sowas ja schreiben ohne sich sofort intellektuell zu disqualifizieren. 😉
**zitiert nach: Twain, Mark: The awful German Language / Die schreckliche deutsche Sprache. übersetzt von Ana Maria Brock. Nikol Hamburg 2010.

Nachgereicht: Das Buch zum Sonntag (89)

Für die gestern begonnene Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Niccolò Machiavelli: Der Fürst

Ist nicht alles schon gesagt zu diesem Werk? Haben wir in den letzten 500 Jahren nicht bereits jede Ecke seines Denkgebäudes ausgeleuchtet und können ihn nunmehr ad acta legen?
Nein, natürlich nicht. Auch wenn ich in der Tat mit keiner bahnbrechenden Neuinterpretation mehr rechne und auch wenn in der Tat nach Machiavelli-Lektüren für “Frauen, Manager, Streithammel und Zeitgenossen, um mal nur einige zu nennen, kaum noch Zielgruppen bleiben, die in die Verlegenheit kämen, Machiavelli selbst lesen zu müssen, weil ihnen das noch kein origineller Lektor abgenommen hat – ich halte es für wichtig und richtig, gerade den “Fürsten” zu lesen.
Was Machiavelli in seinem Handbuch für Leonardo de Medici nämlich unübertroffen gelingt, ist die Entlarvung aller, wirklich aller, ideologischen Grundlagen von Politik als reines Mittel zum Zweck. Die Moralkeule wird immer dann geschwungen, wenn es den eigenen Zielen dient, ansonsten bleibt die mal schön in der Ecke versteckt. Sonst findet die noch wer und stellt Unfug damit an.
Indem er eben gerade kein theoretisches Werk darüber, wie ein Staat idealerweise verfaßt sein sollte oder wie das Verhalten eines Herrschers aussehen sollte, um hehren Prinzipien Genüge zu tun, sondern stattdessen einen Ratgeber dafür, wie man in der Welt, wie sie nunmal ist, möglichst gut und geschickt Macht erwirbt und erhält, zeigt er auf, wie Politik tatsächlich funktioniert. Und das macht er so scharfsinnig und ohne Rücksicht auf Dinge, die man so vielleicht nicht sagen sollte, daß beim Lesen nicht selten ein durch seine Heftigkeit die Unversehrtheit von Tischplatten gefährdendes Kopfnicken ausgelöst werden kann.
Im Kapitel 5 referiert Machiavelli darüber, wie eroberte Staaten, die bereits ein funktionierendes Herrschaftssystem besaßen, zu regieren sind. Er unterscheidet dabei drei Wege: Zerstörung, zur Residenz erheben oder nach ihren eigenen Gesetzen weiterleben lassen.

Denn eine solche Regierung weiß wohl, dass sie sich nicht ohne Unterstützung ihres Schöpfers halten kann, und muss alles tun, um ihm die Herrschaft zu sichern. […] Und wer sich zum Herrn einer Stadt macht, die gewohnt gewesen ist, in Freiheit zu leben, ohne dass er sie ganz auflöst, mag nur darauf gefasst sein, selbst von ihr zugrunde gerichtet zu werden. Denn der Name der Freiheit dient immer nur zum Vorwande des Aufstandes, und die alte Staatsverfassung wird weder über langer Dauer noch über Wohltaten vergessen. Was man auch immer für Vorkehrungen treffen mag, es kommen, wenn die Einwohner nicht zerstreut und getrennt werden, immer der alte Name und die alte Verfassung wieder zum Vorschein, so wie in Pisa nach einem vollen Jahrhundert, das es unter der Herrschaft von Florenz gestanden hatte. Sind aber Städte oder Länder gewohnt gewesen, unter einem Fürsten zu leben, und dieser ist ihnen genommen und sein Geschlecht erloschen; sind sie also einerseits gewohnt, einen Fürsten zu haben, und haben doch andererseits keinen alten, so fügen sie sich nicht einem, der aus ihrer Mitte erhoben worden ist; und frei leben können sie erst recht nicht. Sie ergreifen also die Waffen nicht so leicht, und ein Fürst bemächtigt sich ihrer ohne Mühe und hält sie auch leicht im Gehorsam fest. Aber die Republiken bergen mehr Hass und das Andenken an die verlorene Freiheit. Man zerstört sie also am sichersten, oder man wählt sie zur Residenz.

(S. 22f.)*

Nicht selten wird Machiavelli Grausamkeit, Kälte, Unmenschlichkeit vorgeworfen. Meiner Meinung nach trifft das so nicht ohne Weiteres zu. Es wäre sehr gewagt, zu behaupten, er fände das alles super und dufte, was er da schreibt und dies sei eine Welt, in der er gerne und glücklich leben würde. Denn er macht ja nur eins: Die Welt beschreiben, die er sieht. Und da stellt sich nun die Frage, wenn ein Portrait häßlich ist, liegt das wirklich zwangsläufig am Maler?
Ich meine, hat er denn wirklich Unrecht, wenn er schreibt:

Denn man kann im Allgemeinen von den Menschen sagen, dass sie undankbar, wankelmütig, heuchlerisch, feig in der Gefahr, begierig auf Gewinn sind: solange du ihnen wohltust, sind sie dir ganz ergeben, wollen Gut und Blut für dich lassen, ihr eignes Leben aufopfern, das Leben ihrer Kinder. […] Die Menschen machen sich weniger daraus, einen zu verletzen, der sich beliebt macht, als einen, der gefürchtet wird; denn die Zuneigung der Menschen beruht auf einem Bande der Dankbarkeit, das bei der Schlechtigkeit der menschlichen Natur reißt, sobald der Eigennutz damit in Streit gerät: Furcht vor Züchtigung aber versagt niemals.

Achtung, jetzt kommt ein Knaller:

Nur muss der Fürst sich auf solche Art gefürchtet machen, dass er nicht verhasst wird; denn es kann recht gut miteinander bestehen, gefürchtet und doch nicht verhasst zu sein. Hierzu ist vornehmlich erforderlich, dass er sich der Eingriffe in das Vermögen seiner Bürger und Untertanen und in ihre Weiber enthalte. […] Vor allen Dingen aber enhalte er sich, das Vermögen der Untertanen anzutasten, denn die Menschen verschmerzen allenfalls noch eher den Tod des Vaters, als den Verlust des Vermögens.

(S. 68)

Es kann nicht schaden, immer mal wieder das Büchlein zur Hand zu nehmen und nachzuschauen, ob man sich wirklich nicht wir die Canaille benimmt, für die Machiavelli die Menschheit zu halten scheint.

Erhältlich ist das Werk in nahezu allen Formen und Farben, man möge sich eine der

lieferbaren Ausgaben

erwählen.


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*zitiert nach: Machiavelli, Niccolò: Fürst. übersetzt von August Wilhelm Rehberg. Fischer Taschenbuch Frankfurt/M. 2. Auflage 2010

Moralische Überlegenheit

Eines meiner prägendsten Erlebnisse in Bezug darauf, wie unsere Gesellschaft so tickt, hatte ich in einer politikwissenschaftlichen Einführungsveranstaltung. Dort war eine Schautafel zu sehen, die dem Auditorium die Unterschiede zwischen freien und unfreien Staatssystemen erklären sollte. Es ging dabei um den Anteil von Bereichen, Themen, Werten, die gesellschaftlich diskutabel, also diskursfähig seien. “Freie” Systeme sehen dabei nur einen kleinen Teil von Grundwerten vor, die eben als Grundlage des Systems nicht zur Disposition stünden und einen sehr großen Bereich, der gesellschaftlich offen diskutiert und ausgehandelt würde – bei den “Unfreie” dann vice versa. So daß eben in “unfreien” Staatssystemen schnell und hart gegen Bürger vorgegangen wird, die sich aus dem kleinen, erlaubten Bereich herausbewegten und ihnen keinerlei Rechte mehr zubilligten. Neben der Tatsache, daß ich mich fragte, was eine solche simplifizierende Schwarz-Weiß-Malerei in einer universitären Lehrveranstaltung zu suchen habe (und nebenbei meine, sicher voreilige, Skepsis gegen die Disziplin “Politikwissenschaft” begründete) erschütterte mich die Selbstverständlichkeit, mit der das hingenommen und als richtig empfunden wurde.* In der nachfolgenden Diskussion äußerte ich die Anmerkung, daß ich zwischen beiden dargestellten Systemen keinen grundsätzlichen, sondern nur einen graduellen Unterschied ausmachen könne. Was im Übrigen auch leicht zu erkennen sei, denn auch die freien, demokratischen, rechtsstaatlichen Systeme reagierten exakt genauso wie die angeblich so ganz anderen Staaten, sobald eben jemand in den nichtdiskutablen Bereich vordringt. Ich wählte damals als verdeutlichendes Exempel, nicht sehr geschickt, den Umgang der BRD mit RAF-Terroristen, bei denen nämlich auf einmal diverse Rechtsstaatsprinzipien nicht mehr galten. Die genauso außerhalb der Gesellschaft gestellt wurden und denen fundamentale Rechte aberkannt wurden, genauso wie das andere Systeme auch tun.
Und heutzutage freut sich die Kanzlerin dieses Landes darüber, daß es gelungen sei, einen Menschen zu töten. Ohne Anklage, Prozess und trotz der vielbeschworenen Verdammung der Todesstrafe.

“Die Botschaft, die von dem heutigen Tag ausgeht, lautet: Terrorakte bleiben nicht ungesühnt”, sagte Merkel am Montag in Berlin. Dies müsse “allen Gefolgsleuten des Terrorismus” klar werden. Der Tod Bin Ladens sei ein “großer Erfolg” im Kampf gegen den Terrorismus. “Auch wenn es lange dauert, so wird es auch in Zukunft weitere Erfolge geben”, sagte Merkel. “Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.”

So zitiert die Frankfurter Rundschau die Kanzlerin. Das lasse man sich mal auf der Zunge zergehen. Sie hält also die gezielte Tötung eines Menschen, noch dazu ohne juristische Grundlage, für einen großen Erfolg. Und freut sich schon auf weitere Tote. Halali.
Es gibt keine andere Grundlage dafür, als daß der Regierungschef eines Staates entschieden hat, daß dieser Mensch sein Leben verwirkt habe. Worin genau besteht jetzt der elemetare Unterschied zur Fatwah gegen Salman Rushdie, die wir doch ganz schlimm und böse finden? Wohlgemerkt: Zu Recht. Aber eben nur deshalb zu Recht, weil ein solcher Vorgang gegen grundsätzliche Werte und Vorstellungen verstößt. Darauf wirklich berufen kann man sich aber doch nur, wenn man sich selbst daran hält.

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Sagt Kant. Und dieses Diktum ist die Grundlage für jegliches Gefühl moralischer Überlegenheit. Wenn wir der Meinung sind, daß unsere Art zu denken und zu leben die richtige Art ist, sollten dann nicht wenigstens wir uns auch daran halten, ehe wir es von anderen einfordern? Der “Führer der freien Welt”, wie Obama ernsthaft in einem Kommentar genannt wurde, schaut daheim am Bildschirm zu wie ein schwerbewaffneter Spezialtrupp auf seinen Befehl einen unbewaffneten Menschen tötet. Und wir stehen da und gratulieren. In den USA fanden öffentliche Straßenfeiern statt. Ich weiß nicht, was andere so assoziierten, aber ich konnte hier keinen strukturellen Unterschied zu den Jubelfeiern am 11.9.01 in Palästina erkennen. Einen graduellen sicherlich, Bin Laden hatte mehr auf dem Kerbholz als die Angestellten des WTC. Nur: Davon, daß hier grundsätzlich anders gedacht und gelebt wird, kann keine Rede sein. Alles, was hier bejubelt wurde, war die Genugtuung über eine gelungene, blutige Rache. Nichts anderes. Willkommen in der Steinzeit.
Was ist denn das bitteschön anderes als genau dasselbe Spiel, das die Terroristen spielen? In reiner Selbstherrlichkeit entscheiden, daß irgendjemand nicht mehr zu leben habe – täte ich das, wanderte ich als Mörder in den Knast. Insofern darf bei dem des öfteren aufgetretenen Buchstabendreher in Sachen Obama/Osama gerne von einer Freudschen Fehlleistung ausgegangen werden. Strukturell sind die beiden kaum noch auseinanderzuhalten. Graduell vielleicht noch. Die Art und Weise der Tötung Osama bin Ladens und noch viel mehr die Reaktionen der politischen Eliten darauf sind eine Bankrotterklärung des demokratisch-rechtstaatliche-christlich-abendländischen Lebensmodells. Man muß sich ja schämen, für Demokratie und Rechtsstaat einzutreten, wenn man sich anschaut, was in deren Namen getan wird. Wie diese Prinzipien von ihren angeblichen Protagonisten mit Füßen getreten werden.
Wie hier ganz offiziell und unverhohlen Menschenjagd betrieben und bejubelt wird. Aber CounterStrike ist was ganz schlimmes. Klaro.
Ich hoffe, daß das Nobelpreiskommitee den nächsten Preisträger kahlhäuptig präsentiert. Denn mindestens bis dahin sollten sie aus dem
Haareraufen nicht mehr herauskommen.

Aber hey, He’s Barack Obama – He’s come to save the day.

Es gibt Tage, da verzweifle ich derart an dieser unfaßbaren Welt, daß ich mich frage, ob es nicht gut wäre, wenn diese Maya-Typen Recht hätten und hier 2012 der Reset-Knopf gedrückt wird. Bis dahin versuche ich es nochmal mit ihm hier.


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*Wir reden hier immerhin über unsere “geistige Elite”, also die, am ehesten noch checken sollen, wie der Hase läuft – und sich zumindest auch so gerieren, als würden sie das auch.

Nachgereicht: Das Buch zum Sonntag (88)

Für die gestern begonnene Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Jan-Uwe Fitz: Entschuldigen Sie meine Störung

“Ein Wahnsinnsroman” lautet der Untertitel und setzt damit gelungen die Mehrdeutigkeit des Titels fort.** Es ist dieses Buch für Freunde des Grotesken, zu denen ich mich durchaus zähle, eine Fundgrube ohne Gleichen.
Soweit der absurden Rahmenhandlung zu folgen ist, berichtet der als durchaus gestört zu bezeichnende Ich-Erzähler von Erlebnissen innerhalb und außerhalb einer psychiatrischen Klinik, die eine Trennung dieser beiden Lebensbereiche als mindestens diskutabel erscheinen lassen. Dabei gelingen Jan-Uwe Fitz Handlungsabläufe und Formulierungen, die dem Gehirn des Lesers nur noch den biologisch vorgesehenen Wahnsinnsabwehreflex erlauben: Lachen.

Hoffnung und Vorfreude wurden mir früh im Leben ausgetrieben. Von meinen Eltern.
Wenn sie unter dem Weihnachtsbaum die Geschenke auspackten – und ich ihnen mit großen Augen dabei zusah. Und mit leeren Händen. Obwohl sie mir in der Zeit vor Weihnachten immer wieder versprochen hatten: “Freu dich auf Weihnachten, da gibt es etwas Tolles.”
Stattdessen saß ich Heiligabend etwas verloren unter dem Weihnachtsbaum. Und wenn ich dann fragte: “Duhu, wo ist denn das Tolle, das ihr mir versprochen habt?” antworteten Sie: “Wer hat denn gesagt, dass das Tolle für Dich ist?” Dann zeigten sie mir freudig erregt ihr neues Auto in der Garage. […] Manchmal glaube ich, ich war kein Wunschkind.

(S. 107)*

Es sind nicht zuletzt diese trockenen Abschlüsse, diese das vorhergehende Geschehen konterkarierenden Kommentare, die mich immer wieder aufs Neue erfreuen.
Es gehört zu den besten Effekten einer Groteske, wenn den Lesenden das leichte Gefühl beschleicht, daß der soeben gelesene Text vielleicht weit weniger überzogen ist, als das im ersten Moment schien. Oder auch weit mehr mit dem “wahren Leben” zu tun hat, viel näher dran ist als das einem lieb sein könnte.

Ich werde häufig gefragt: “Herr Fitz, Sie sind doch sozialer Phobiker. Ich auch! Haben Sie nicht ein paar Tipps, wie ich in soziale Situationen meine Störung in den Griff bekomme?” Dann antworte ich: “Zufälle gibt’s: Ich habe tatsächlich ein paar Tipps!”
[…]
Das Problem:Soziale Phobiker glauben, dass Ihnen jeder die Angst ansieht.
Falsch: In dieser Situation kann man nichts falsch mache. Selbst sofortiger Selbstmord, noch vor Ort, ist jetzt eine Option und gesellschaftlich akzeptiert.
Richtig:Suche Sie sich auf Partys Menschen, die ähnlich gestört sind wie Sie, und stellen Sie sich zu ihnen. Dann fallen Sie nicht so auf. Vorsicht vor Spiegeln! Das darin sind oft Sie. Wenn Sie den ganzen Abend vor einem Wandspiegel stehen, hält man Sie vielleicht für eitel. Und negative Bewertung wird Ihnen wohl kaum gefallen.

(S. 49/52)

Ich gebe zu, es bedarf eines Hanges zum Abgedrehten, Merkwürdigen – eine gewisse Bereitschaft, sich auf Absurdes einzulassen. Dann erwartet den geneigten Leser ein unermeßlicher Quell unbändiger Lesefreude. Eine Lesefreude, die sich nicht zuletzt dadurch einstellt, daß hier jemand gaz offenbar gerne schreibt. Und gerne ohne Rücksicht auf logische Abläufe und aristotelische Einheiten. Postmoderne at his best, sozusagen.
Auch wenn ich überzeugt bin, daß in diesem Buch keine Weltformel versteckt ist, es gibt Stellen, die mich durchaus stutzen lassen.

In einer Gruppentherapie erwarte einen Trost, Verständnis, Solidarität und emotionale Unterstützung. Sie nehme einem das Gefühl, mit seinen Problemen allein auf der Welt zu sein.
Haha, Herr Fitz, haha. Bullshit! Glauben Sie kein Wort. Die Welt geht vor die Hund, jeder kämpft für sich, und ausgerechnet in einer Gruppentherapie soll das anders sein? Wohin man auch schaut, überall Arschlöcher, aber in der Gruppentherapie einer Nervenklinik finden Sie ausschließlich reine Seelen? Nirgends Empathie, Verständnis und Solidarität, aber im Gruppenraum 026 in Gebäude B – da denkt jeder an den anderen, hat Mitgefühl für ihn und ein offenes Ohr für seine Probleme?

(S. 237)

Auch diese Woche möchte ich schließen mit dem Hinweis auf die

lieferbare Ausgabe

Und nun gehet dahin und kauft.


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**Trotzdem sei an dieser Stelle mal ein wenig gemeckert, weil es mich ärgert, daß selbst das alles in allem doch ambitionierte Haus Dumont der unsäglichen Mode nicht widerstehen kann, alles und jeden “Roman” zu nennen, aus Angst, der zahlende Kunde wäre mit anderen Genrebezeichnungen hoffnungslos überfordert und würde schreiend vor der Auslage der Buchhandlungen zusammenbrechen. Oder was auch immer die Verlage dazu bringt, dieses Etikett an alles zu kleben, was auch nur entfernt an eine Handlung erinnert. Nun habe ich mein Germanistikstudium nicht beendet, bin also möglicherweise nicht befugt, dies zu beurteilen: Aber das heute empfohlene Werk ist vieles, nur eben kein Roman.

*zitiert aus: Fitz, Jan-Uwe: Entschuldigen Sie meine Störung. Dumont Buchverlag. Köln 2011