Nachgereicht: Das Buch zum Sonntag (96)

Für die heute beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Walter Moers: Die Stadt der träumenden Bücher

Bei dem bemerkenswerten Projekt „Fünf Bücher“ ist Walter Moers nach heutigem Stand der meist genannter Autor. Das überrascht wenig, gibt es kaum jemanden, der derartig leidenschaftliche Plädoyers fürs Lesen in seine Werke schreibt wie Moers. Das verfängt naturgemäß bei Leuten, die mit Literatur zu tun haben, sehr gut.
»Die Stadt der Träumenden Bücher« ist noch weit mehr als das. Es ist eine Liebeserklärung an die Literatur und das Buch – versteckt in einer atemberaubenden Abenteuergeschichte, gespickt mit skurrilen Figuren, ingeniösem Wortwitz und literaturhistorischen Anspielungen. Ein Plädoyer für die Literatur, das vollkommen unplädoyerhaft geschrieben ist und gerade dadurch um so stärker wirkt.
Kurz: Das Buch ist eine wahre Freude und in meinen Augen das bisher beste, was ich von Moers gelesen habe. Weiterlesen „Nachgereicht: Das Buch zum Sonntag (96)“

Eine Branche schafft sich ab.

Der Kölner Kartäuser Werner Rovelinck begründete in der Einleitung zu einer Predigt, warum er sie habe drucken lassen: „Weil sie auf keinem anderen Wege schneller und leichter möglichst vielen Personen mitgeteilt werden konnte, habe ich dafür gesorgt, sie durch die Kunst des Drcuks der Bücher zu einer großen Zahl zu vervielfältigen.“

*

Dieses Zitat verdeutlicht ganz stark, was in den zahlreichen Spekulationen zur Zukunft der Buchbranche gerne vergessen wird: Der Buchdruck ist nicht geboren worden aus einem Wunsch nach metaphysischen Erlebnissen, nach Haptik, nach dem Geruch, nach schöner Gestaltung – neine, einzig und allein aus Pragmatismus. Es war leicht, effektiv und billig, etwas drucken zu lassen, um es zu verbreiten. Nichts anderes. Ich finde es erstaunlich, wie selten diese Erkenntnis in den Überlegungen der Branche eine Rolle spielt.
Schöner, Repräsentativer, Qualitätsvoller produzierten die Mönche, die im Übrigen auch über ein weitverzweigtes und gut funktionierendes Vertriebsnetz verfügten. Das interessierte aber seinerzeit niemanden mehr und innerhalb weniger Jahrzehnte wurde diese jahrhundertealte Kunst, die es zu erstaunlicher Präzision und Spezialisierung brachte, hinweggefegt und spielte fürderhin keine Rolle mehr:
Weiterlesen „Eine Branche schafft sich ab.“

Die schönen Feindbilder

Meine Kindheitssozialisation fand in der DDR statt, deren Ende ziemlich genau mit dem Ende jener Entwicklungsphase zusammenfiel. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem existierenden Arbeiter- und Bauernstaat fand für mich daher nicht statt. Was aber nicht weiter dramatisch ist, ich hätte wohl kaum historische Wissenschaften studiert, wäre ich davon überzeugt, man könne nur aus dem eigenen (Er-)Leben wichtige Erkenntnisse ziehen.
Sehr wohl aber wirken einige Dinge nach, wie das bei Kindheitserlebnissen ja häufiger der Fall ist. So habe ich zum Beispiel einen durchaus romantischen Hang zu revolutionären Bewegungen. Wer gegen das System ist (egal welches, Hauptsache System, ein reiner Tyrannenmord umd Kalif anstelle des Kalifen zu werden, langweilt nur und entbehrt außerdem jeglichen revolutionären Flairs), hat erstmal meine Sympathien.
Unglücklicherweise aber scheinen nur wenige Revolutionäre sich intensiv mit den Erkenntnissen der historischen Disziplinen zu beschäftigen – was verständlich ist, so ein Revolutionärsalltag ist ja reichlich gefüllt mit Gedanken über die künftige Ordnung der Welt und wie diese zu erreichen sei, da bleibt kaum Zeit, sich mit längst überwundenen Systemen zu beschäftigen (siehe hierzu das maßgebliche Werk zum Thema) – so wiederholen sich denn auch immer wieder dieselben Muster. Und am Ende ist dann doch meist einfach nur jemand Kalif anstelle des Kalifen. Aber darüber wollte ich gar nicht schreiben, die Revolutionsmetapher kam mir wahrscheinlich auch eher wegen aktueller Ereignisse anderswo in den Sinn. Denn Revoluzzer sind die Kollegen von Anonymous ja wohl kaum, die es für eine gute Idee hielten, Herrn Uhls Website zu übernehmen.
Jean-Paul Sartre wird der Satz Wer die Dummköpfe gegen sich hat, verdient Vertrauen. zugeschrieben* und dem stimme ich durchaus zu. Allein, ich frage mich doch ernsthaft: Kinners, was soll das? Weiterlesen „Die schönen Feindbilder“

Causa Hahn

Der sächsische Landtag hat heute die Immunität von André Hahn, dem Fraktionsvorsitzenden der LINKE, aufgehoben, um den Weg frei zu machen für eine Gerichtsverfahren gegen ihn. Ihm wird vorgeworfen, als Rädelsführer gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben, als er am 13. Februar 2010 an der Blockade des Naziaufmarsches teilnahm.
Mir fielen dazu einige Dinge ein, zum Beispiel ein wohlfeiler und billiger Verweis darauf, daß auch die Montagsdemonstrationen in der DDR gegen geltendes Recht verstießen. Oder ein Exkurs über die Frage, was es eigentlich heißt, wenn zwei Parteien, die ein „D“ für „demokratisch“ im Namen tragen, den Nazis Triumphe bescheren und ihnen willfährig dabei helfen, sich als Hüter von Recht und Ordnung zu inszenieren.
Mir fiele bestimmt auch noch etwas dazu ein, was das wohl für ein Signal ist an all jene BürgerInnen dieses Landes, die bisher annahmen, mit dem „Aufstand der Anständigen“ und dem „Zusammenhalt der Demokraten“ und dem „Nichtwegsehen“ seien tatsächlich Handlungsaufforderungen gemeint.
Aber wie wir ja alle wissen, wurden die Nazis 2010 durch die telekinetischen Kräfte der Menschenkette* am anderen Elbufer aufgehalten und nicht etwa durch die 10.000 Rechtsbrecher in der Neustadt. Hätte der Hahn sich mal lieber da mit eingereiht anstatt sich auf eine Neustädter Straße zu stellen. Das hätte die Nazis nämlich total dolle beeindruckt und die Polizei hätte ihre rechtsstaatliche Aufgabe erfüllen können und die Nazis durch die Neustadt führen.**

Dies könnte ich alles tun. Mache ich aber nicht. Ich verweise lieber auf den Hausheiligen dieses Blogs, Dr. jur. Kurt Tucholsky, der zu diesem Sachverhalt folgendes zu sagen hat:

http://www.blog.de/srv/media/dewplayer.swf?son=http://data7.blog.de/media/632/5938632_f94e907f9b_a.mp3

Rosen auf den Weg gestreut

Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: »Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.

Und schießen sie –: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen . . .
Und verspürt ihr auch
in euerm Bauch
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:
Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!

in: Werke und Briefe: 1931. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 8324-8325 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 162-163) Die Lesung findet sich auf dem Hörbuch Gruß nach vorn


Flattr this

*Die ich allerdings nicht gering schätzen möchte. Es gehört Risikobereitschaft dazu, sich Nazis in den Weg zu stellen. Ich kann verstehen, wenn man das ernsthafte Risiko für Leib und Leben nicht eingehen möchte und sich darauf beschränkt, ein Zeichen zu setzen. Nur ist das eben auch nur ein Symbol, das im Wesentlichen zur Selbstversicherung dient (die notwendig ist, weil das Erlebnis, nicht allein zu sein, kraftspendend sein kann). Und über symbolische Akte auf der anderen Seite des Flusses pflegen Nazis zu lachen. Deshalb ist es gut und richtig und ein Zeichen für eine funktionierende Zivilgesellschaft, wenn sich diesen Menschen ein tausendköpfiger Gandalf entgegenstellt und sagt: „Du kommst nicht vorbei!“
Übrigens: Die Route ausgerechnet durch die Neustadt zu legen stinkt meilenweit nach Provokation. Ich werde das Gefühl nicht los, daß einige Stellen im Dresdner Apparat traurig sind, daß es damals nicht richtig gekracht hat. Nun muß man zu so armseligen Mitteln greifen und wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermitteln. Wofür nebenbei unbedingt das Speichern von Millionen Datensätzen über Handygespräche und Baumarktkäufe notwendig ist. Klaro, ist voll verhältnismäßig. Sinn machen diese Überwachungsmaßnahmen übrigens, wenn man tatsächlich auf einen Krawall gehofft hatte…