Causa Hahn

Der sächsische Landtag hat heute die Immunität von André Hahn, dem Fraktionsvorsitzenden der LINKE, aufgehoben, um den Weg frei zu machen für eine Gerichtsverfahren gegen ihn. Ihm wird vorgeworfen, als Rädelsführer gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben, als er am 13. Februar 2010 an der Blockade des Naziaufmarsches teilnahm.
Mir fielen dazu einige Dinge ein, zum Beispiel ein wohlfeiler und billiger Verweis darauf, daß auch die Montagsdemonstrationen in der DDR gegen geltendes Recht verstießen. Oder ein Exkurs über die Frage, was es eigentlich heißt, wenn zwei Parteien, die ein „D“ für „demokratisch“ im Namen tragen, den Nazis Triumphe bescheren und ihnen willfährig dabei helfen, sich als Hüter von Recht und Ordnung zu inszenieren.
Mir fiele bestimmt auch noch etwas dazu ein, was das wohl für ein Signal ist an all jene BürgerInnen dieses Landes, die bisher annahmen, mit dem „Aufstand der Anständigen“ und dem „Zusammenhalt der Demokraten“ und dem „Nichtwegsehen“ seien tatsächlich Handlungsaufforderungen gemeint.
Aber wie wir ja alle wissen, wurden die Nazis 2010 durch die telekinetischen Kräfte der Menschenkette* am anderen Elbufer aufgehalten und nicht etwa durch die 10.000 Rechtsbrecher in der Neustadt. Hätte der Hahn sich mal lieber da mit eingereiht anstatt sich auf eine Neustädter Straße zu stellen. Das hätte die Nazis nämlich total dolle beeindruckt und die Polizei hätte ihre rechtsstaatliche Aufgabe erfüllen können und die Nazis durch die Neustadt führen.**

Dies könnte ich alles tun. Mache ich aber nicht. Ich verweise lieber auf den Hausheiligen dieses Blogs, Dr. jur. Kurt Tucholsky, der zu diesem Sachverhalt folgendes zu sagen hat:

http://www.blog.de/srv/media/dewplayer.swf?son=http://data7.blog.de/media/632/5938632_f94e907f9b_a.mp3

Rosen auf den Weg gestreut

Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: »Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.

Und schießen sie –: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen . . .
Und verspürt ihr auch
in euerm Bauch
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:
Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!

in: Werke und Briefe: 1931. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 8324-8325 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 162-163) Die Lesung findet sich auf dem Hörbuch Gruß nach vorn


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*Die ich allerdings nicht gering schätzen möchte. Es gehört Risikobereitschaft dazu, sich Nazis in den Weg zu stellen. Ich kann verstehen, wenn man das ernsthafte Risiko für Leib und Leben nicht eingehen möchte und sich darauf beschränkt, ein Zeichen zu setzen. Nur ist das eben auch nur ein Symbol, das im Wesentlichen zur Selbstversicherung dient (die notwendig ist, weil das Erlebnis, nicht allein zu sein, kraftspendend sein kann). Und über symbolische Akte auf der anderen Seite des Flusses pflegen Nazis zu lachen. Deshalb ist es gut und richtig und ein Zeichen für eine funktionierende Zivilgesellschaft, wenn sich diesen Menschen ein tausendköpfiger Gandalf entgegenstellt und sagt: „Du kommst nicht vorbei!“
Übrigens: Die Route ausgerechnet durch die Neustadt zu legen stinkt meilenweit nach Provokation. Ich werde das Gefühl nicht los, daß einige Stellen im Dresdner Apparat traurig sind, daß es damals nicht richtig gekracht hat. Nun muß man zu so armseligen Mitteln greifen und wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ermitteln. Wofür nebenbei unbedingt das Speichern von Millionen Datensätzen über Handygespräche und Baumarktkäufe notwendig ist. Klaro, ist voll verhältnismäßig. Sinn machen diese Überwachungsmaßnahmen übrigens, wenn man tatsächlich auf einen Krawall gehofft hatte…

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