Für die heute beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:
Walter Moers: Die Stadt der träumenden Bücher
Bei dem bemerkenswerten Projekt „Fünf Bücher“ ist Walter Moers nach heutigem Stand der meist genannter Autor. Das überrascht wenig, gibt es kaum jemanden, der derartig leidenschaftliche Plädoyers fürs Lesen in seine Werke schreibt wie Moers. Das verfängt naturgemäß bei Leuten, die mit Literatur zu tun haben, sehr gut.
»Die Stadt der Träumenden Bücher« ist noch weit mehr als das. Es ist eine Liebeserklärung an die Literatur und das Buch – versteckt in einer atemberaubenden Abenteuergeschichte, gespickt mit skurrilen Figuren, ingeniösem Wortwitz und literaturhistorischen Anspielungen. Ein Plädoyer für die Literatur, das vollkommen unplädoyerhaft geschrieben ist und gerade dadurch um so stärker wirkt.
Kurz: Das Buch ist eine wahre Freude und in meinen Augen das bisher beste, was ich von Moers gelesen habe.
Moers stellt uns mit diesem Band, den er mühevoll aus dem Zamonischen übersetzt hat*, zum einen den zamonischen Großschriftsteller Hildegunst von Mythenmetz vor, einem grandios zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn changierenden Bestsellerautor, zum anderen aber auch einen Ort vor, der ganz allein, ausschließlich und komplett dem Buch gewidmet ist: Buchhaim. Sehnsuchts- und Erfüllungsort aller, die mit Literatur und Büchern zu tun haben, erbaut auf kilometertiefen unterirdischen Katakomben, die neben mehr oder weniger gefährlichen Lebewesen vor allem von Büchern bevölkert sind (und »bevölkert« sei hier nicht nur metaphorisch verstanden). Eine Stadt, die von Antiquaren, Buchhändler, Schriftstellern (erfolgreichen und vergessenen), Bücherjägern. Literaturagenten sowie sonstigen Scharlatanen und Glücksrittern bewohnt und behaust wird. Der Roman erzählt eine klassische Abenteuergeschichte, der junge Hildegunst verliert seinen Mentor und muß sich nun also auf den Weg machen, die entscheidenden Lektionen zu lernen, um künftighin allein durchs Leben zu kommen. Was aber dieses Werk am Leben hält, was mich immer wieder gefangen nimmt, ist Moers´ unbändige Fabulierfreude, eine unglaubliche Erzähldichte und ein Einfallsreichtum, der ihn nicht nur eine ganz eigene Welt erschaffen läßt, sondern ganz nebenbei Seitenhiebe und Ehrerbietungen an eine ganze Reihe Schriftsteller (bzw. deren Werk) verteilt, daß es eine wahre Freude ist. Hildegunstens respektvolle Abneigung gegen die Omnipräsenz eines Golgo Ojahnn von Fontheweg oder eines Dölerich Hirnfidlers, seine Anerkennung an das geistreiche Werk eines Orca de Wils lassen den Kundigen leicht schmunzeln (manchmal genügt auch schon der Name – der Autor scheint kein großer Freund der Romantik zu sein, nicht nur Akud Ödreimer kommt eher schlecht weg…)
Und da waren sie, die Träumenden Bücher. So nannte man in dieser Stadt die antiquarischen Bestände, weil sie aus der Sicht der Händler nicht mehr richtig lebendig und noch nicht richtig tot waren, sondern sich in einem Zwischenzustand befanden, der dem Schlafen ähnelte. Ihre eigentliche Existenz hatten sie hinter sich, den Zerfall vor sich, und so dämmerten sie vor sich hin, zu Millionen und Abermillionen in allen Regalen und Kisten, in den Kellern und Katakomben von Buchhaim. Nur wenn ein Buch von suchender Hand ergriffen und aufgeschlagen, wenn es erworben und davongetragen wurde, dann konnte es zu neuem Leben erwachen. Und das war es, wovon all diese Bücher träumten.
Egal, wie wir in Zukunft lesen werden, auf welchen Materialien und in welcher literarischen Gestalt auch immer – es wird auch dann immer wieder Geschichten (wieder-) zu entdecken geben. Und anfangen kann man damit jederzeit, warum also nicht heute mit einer dieser
*Wenn ich einmal gaaanz viel Zeit habe, werde ich anhand einer umfassenden Intertextualitätsanalyse nachweisen, daß Moers seinen Goldman sehr genau gelesen hat. Bis dahin sei dies einmal als zarter Hinweis für B.A.-Studierende auf der Suche nach einem Abschlussarbeitsthema verstanden.
**Moers, Walter: Die Stadt der Träumenden Bücher. Piper München 2004. S. 32f.