Nachgereicht: Das Buch zum Sonntag (98)

Für die gestern begonnene Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Thomas Mann: Die Buddenbrooks

Zugegeben, Thomas Mann zu empfehlen, ist nicht gerade originell. Allerdings war es von Anfang an eine Linie dieser Buchempfehlungsreihe, sich um Kanonisierungen nicht zu scheren. Und das gilt auch für die Literaten, die das Pech hatten, in den bildungsbürgerlichen Heiligenstand versetzt worden zu sein.* Es scheint in der Tat so, als sei Thomas Manns Einfluß auf die deutsche Literaturproduktion und -rezeption gar nicht zu überschätzen. Wie anders als durch des Konsuls langen Schatten wäre sonst die an eine Gesetzmäßigkeit erinnernde Formel „deutsche Geschichte plus Familienroman gleich Deutscher Buchpreis“ zu erklären?
Die Buddenbrooks stehen jedoch nicht nur für absehbare Preisgewinner** Pate, sondern auch für die immer wieder gerne diskutierte Frage der Kunstfreiheit vor dem Hintergrund der Schutzwürdigkeit von Persönlichkeitsrechten. Denn natürlich war für den kommerziellen Erfolg eines derart umfangreichen Werkes (es ist rührend, den Briefwechsel zwischen Samuel Fischer und Thomas Mann zu lesen, in dem der Verleger den Autor geradezu händeringend bittet, zu kürzen) äußerst nützlich, daß so etliche ehrenwerte Bürger der ehrenwertesten Stadt Lübeck sich darin karikiert zu finden glaubten. Wäre der Roman allerdings nur das, eine armselige Kolportage, so lohnte es sich nicht, heute auch nur noch ein Wort darüber zu verlieren.
Ist es aber nicht.
Die Buddenbrooks sind ganz im Gegenteil ein wirkliches, ein dauerndes, ein großartiges Meisterwerk. Und so sehr auch unsere Schulen und Literaturexperten versuchen, diesen Schriftsteller und insbesondere diesen Roman totzuloben: Manchmal, liebe Lesende, manchmal lohnt es sich trotzdem. Manchmal steht wirklich ein Buch im Kanon, das nicht nur im literaturhistorischen Kontext spannend ist, das nicht nur exemplarisch für irgendetwas steht.
Ich habe die Buddenbrooks zum ersten Mal mit 16 Jahren gelesen und mich hatte er sofort. Da ist eine Prägnanz und Eleganz in seiner Sprache, in seinem den Roman eröffnenden Defilee der Protagonisten, die mit wenigen Sätzen vollständig beschrieben werden – mir raubte das seinerzeit den Atem und ich finde es noch heute faszinierend:

»Was ist das. – Was – ist das…«
»Je, den Düwel ook, c´est la question, ma très chère demoiselle!«
Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weiß lackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knieen hielt.
»Tony!« sagte sie, »ich glaube, daß mich Gott –«
Und die kleine Antonie, achtjährig und zartgebaut, in einem Kleidchen aus ganz leichter changierender Seide, den hübschen Blondkopf ein wenig vom Gesichte des Großvaters abgewandt, blickte aus ihren graublauen Augen angestrengt nachdenkend und ohne etwas zu sehen ins Zimmer hinein[…]

S. 7

Alle hatten in sein Lachen eingestimmt, hauptsächlich aus Ehrerbietung gegen das Familienoberhaupt. Mme. Antoinette Buddenbrook, geborene Duchamps, kicherte in genau derselben Weise wie ihr Gatte. Sie war eine korpulente Dame mit dicken weißen Locken über den Ohren, einem schwarz und hellgrau gestreiften Kleide ohne Schmuck, das Einfachheit und Bescheidenheit verriet, und mit noch immer schönen und weißen Händen, in denen sie einen kleinen, sammetnen Pompadour auf dem Schoße hielt. Ihre Gesichtszüge waren im Laufe der Jahre auf wunderliche Weise denjenigen ihres Gatten ähnlich geworden. Nur der Schnitt und die lebhafte Dunkelheit ihrer Augen redeten ein wenig von ihrer halb romanischen Herkunft;

(S. 8)

Toll.
Thomas Mann ist neben seiner bewundernswerten Sprachvirtuosität (auch wenn wir zugeben wollen, daß es sich hier um eine andere Art Virtuosität als die einer Juli Zeh oder einer Sibylle Berg handelt, die ihre Sätze weit kürzer zu fassen pflegen) vor allem ein glänzender Beobachter. Seine Figuren sind derart lebendig gezeichnet, daß man sich ihrem Bann nur schwer entziehen kann. Und auch wenn die Buddenbrooks dank ihres für Mannsche Verhältnisse schon überbordenden Plots zu Recht als sein unterhaltsamstes Werk gelten dürfen – es sind doch vor allem seine Figuren, die das Buch auch nach über 100 Jahren noch lebendig erscheinen lassen, völlig frei von irgendwelcher Klassiker-Patina erstehen auch für den heute lesenden Betrachter Figuren, denen ihr Menschsein nicht verlorengegangen ist. Denn eines gilt in der Kunst immer wieder: Wirklich gute Typisierungen gelingen nur ohne Typen. Gerade solche Figuren wie Tony Buddenbrook, für mich eine der mir liebsten literarischen Frauengestalten oder Bendix Grünlich, in seiner anschmeichelnden Widerwärtigkeit großartig getroffen, sind es, die bei aller zeitlichen Ferne zum Geschehen (die im Übrigen bezweifelt werden darf, denn Umbrüche aufgrund veränderter Produktivverhältnisse, das Zusammenbrechen althergebrachter Lebensformen unter der Last eines allgegenwärtigen Wandels etc. kamen ja nicht nur im 19. Jahrhundert vor…) mich auch heute ausrufen lassen:

Keine Angst vor großen Namen: Leute, lest Thomas Mann. Es lohnt sich. Wirklich.

Und damit das auch gleich beginnen kann, hier der Verweis auf die

lieferbaren Ausgaben.


Flattr this

*Auch wenn wir davon ausgehen dürfen, daß Thomas Mann selbst diesen Umstand nicht mit der Vokabel „Pech“ assoziiert hätte.
**Und Weihnachtsumsatzgaranten. Ich erwarte glänzende Geschäfte mit dem Ruge. Eben auch, weil er so kompatibel mit dem ist, was allgemein unter „guter Literatur“ verstanden wird.
***zitiert aus: Mann, Thomas: Die Buddenbrooks. (=Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Bd. 1) S. Fischer Frankfurt/Main. 1997

Und noch einmal: Küsst die Faschisten

Man sollte sich vielleicht doch nicht mit Geschichte befassen. Allzu gruselig ist es doch, wie oft sich ein- und dieselben Dinge wiederholen und wie wenig Mühe sich manche Kräfte geben müssen, um sich eine Strategie auszudenken. Und auch wenn es die geneigte Leserschaft ermüden mag, zu den aktuellen Meldungen um die Zwickauer Nazi-Zelle, die beliebten Kürzungen der Mittel im Kampf gegen Rechts und die perfide Dramatisierung des Linksterrorismus ((gar nicht zu reden von den bösen Muslimen) bei gleichzeitiger Marginalisierung desselben von rechts , muß ich noch einmal auf diesen Text verweisen:

http://www.blog.de/srv/media/dewplayer.swf?son=http://data7.blog.de/media/632/5938632_f94e907f9b_a.mp3

Rosen auf den Weg gestreut

Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: »Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.

Und schießen sie –: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen . . .
Und verspürt ihr auch
in euerm Bauch
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:
Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!

Die Lesung findet sich auf dem Hörbuch Gruß nach vorn

in: Werke und Briefe: 1931. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 8324-8325 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 162-163)

Nachgereicht: Das Buch zum Sonntag (97)

Für die heute beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Florian Meimberg: Auf die Länge kommt es an.

Die Geschichte der Literatur ist auch eine Geschichte der formalen Experimente – und dabei vor allem der formalen Beschränkungen. Ob Hexameter, Stabreim oder Sonett – es wurde auf allen Feldern und in allen Bereichen nach formalen Kriterien gesucht, die ein literarisches Kunstwerk als besonders gelungen erscheinen lassen. Und auch wenn die Moderne mit all dem aufräumen wollte, es gab und gibt immer Gegenbewegungen. Mag sie auch als getarnt als Zeitlimit im sonst so freien Poetry Slam auftauchen, die künstliche Beschränkung hatte immer ihren Reiz, fordert sie doch den Schaffenden heraus.
Als Herausforderung begreift denn auch Florian Meimberg die 140-Zeichen-Beschränkung des Microblogginganbieters Twitter für die über ihn versendeten Botschaften. „Sehr kurze Geschichten“ nennt er das, was in diesem Band zu lesen ist (und bei seinem Twitteraccount). Und in der Tat, das sind sie: Sehr kurz. Um in 140 Zeichen eine vollständige Geschichte zu erzählen, bedarf es neben eines Höchstmaßes an Reduktion jedoch gleichzeitig auch der Mithilfe des Lesers, in dessen Kopf die fehlenden Bilder ergänzt werden. Das ist höchst reizvoll, wenn es wirklich gelingt, können sich Kaskaden von Bildern ergeben, Stoffe für ganze Epen. Oder auch einfach nur überraschend, pointiert – nicht selten böse.

Shiro hasste seinen Chef. Was für eine sinnlose Dienstreise! Wütend starrte er auf das Zugticket. Hiroshima-Osaka. 5.8. 1945

(S. 113)*

Zac tobte. In der Klapse? Er? Brüllend schlug er gegen das Sicherheitsglas. Und verharrte. Den Mann in der matten Reflexion kannte er nicht.

(S. 129)

Das mit der Wiedergeburt hatte sich Kate irgendwie anders vorgestellt. Epischer. Träge schwappte das Wasser an die Wand des Goldfischglases.

(S. 141)

Meimberg ist hauptberuflich Werber und könnte ich ihn bezahlen, würde ich mir von ihm Werbefilme drehen lassen. In kürzester Zeit eine Geschichte zu erzählen, kann er ganz offenkundig. Natürlich sind die dramaturgischen Mittel bei einer derartigen Verkürzung des Raumes beschränkt. Und so sei für die Lektüre dieses Bandes dringend noch einmal meine Empfehlung für Anthologien jeglicher Art wiederholt: Möglichst nicht am Stück lesen. Es empfiehlt sich, immer dem einzelnen Text Zeit und Raum zur Wirkung zu geben. Das ist nicht nur fair jedem neuen Text gegenüber, es wird so auch die Gefahr verringert, durch einfachen Überdruß sich um ein Leseerlebnis zu bringen. Die Tiny Tales sind eher ein Buch, das man immer mal wieder an irgendeiner Stelle aufschlagen kann, um dort eine Perle zu entdecken. Das erscheint mir auch etwas angemessener als die thematische Sortierung des Bandes, die Redundanzen nicht gerade verhindert. Womit freilich keine Ausrede geliefert werden soll, auf die Anschaffung der

lieferbaren Ausgabe

zu verzichten.

Einen habe ich noch:

Er blickte in die leeren Mienen der jungen Krieger. Seiner Privatarmee. Das Signal ertönte. Große Pause. Die 5b war jetzt bereit.

(S. 126)


Flattr this

*aus: Meimberg, Florian: Auf die Länge kommt es an. Fischer Taschenbuch. Frankfurt/Main 2011