Ein symbolischer Akt

Ich war am Freitag etwas verdutzt. Es war so diese typische “Aha?”-Reaktion bei Dingen, deren Einschätzung zunächst schwer fällt. Die Entscheidung des norwegischen Nobelpreiskomitees, den Friedensnobelpreis 2012 der Europäischen Union zuzuerkennen, machte mich im ersten Moment etwas sprachlos.
Im zweiten sah die Sache schon etwas freundlicher aus, heute, ein paar Tage später, wäre ich sogar bereit, diese Entscheidung zu verteidigen.
Zunächst einmal sei angemerkt, dass es in der Riege der Nobelpreise nur zwei gibt, über die öffentlich und nahezu von jedermann debattiert wird: Denjenigen für die Literatur und den Friedensnobelpreis. Ich finde das erstaunlich. Ich kenne in meinem Umkreis niemanden, der mit mir über die Preiswürdigkeit eines Quantenphysikers oder Zellforschers diskutiert. Da scheint es eine Hemmschwelle zu geben. Merkwürdigerweise aber sind Literaten, auch ohne dass man eine Zeile von ihnen gelesen hat oder jemals ihren Namen zuvor hörte, unmittelbar zum Abschuss freigegeben. Ich finde das erstaunlich. Ich gestehe gerne zu, dass es im Gegensatz zu den Preisträgern in den exakten Wissenschaften bei der Literatur oder dem Friedensnobelpreis eine erhebliche Unschärfe gibt, die Leistungen keineswegs genauso exakt einzuschätzen sind. Aber mit welcher Chuzpe sich manche Menschen hinstellen und rundheraus das Urteil einer Fachjury abqualifizieren, obwohl sie, da sie ja keine Zeile des Preisträgers oder der Preisträgerin kennen, hier genauso inkompetent sind wie im Falle der Physik, das erstaunt mich jedes Jahr aufs Neue. Da lobe ich mir einen Reich-Ranicki, der offen sagt: Ich kenne den Autoren nicht, ich kann dazu nichts sagen (und ich lobe mir Herrn Reich-Ranicki sonst eher selten ; )
Ganz ähnliches gilt auch für den Friedensnobelpreis. Ich halte es für das mindeste, sich doch zumindest einmal mit den Werk und den Tätigkeiten zu beschäftigen, ehe man sich über eine Entscheidung echauffiert, die immerhin von Menschen getroffen wurde, die genau das getan haben. Anschließend kann man dann immer noch zu einer abweichenden Einschätzung kommen.
Aber zurück zum Freitag, zurück zur EU.
Ausgezeichnet wird die Europäische Union von einer Jury, die außerhalb derselben lebt und arbeitet, von einer Jury, die offenbar staunt über dieses Projekt.
Es mag uns, die wir hier leben und tagtäglich geradezu unerträgliche Worthülsen über die Europäische Union hören (und das ist mit der Preisverleihung nicht gerade besser geworden 😉 ), schwer fallen, diese Auszeichnung zu verstehen. Doch ich gebe hier etwas zu bedenken:
Egal, wie unwürdig sich die Politiker auf der europäischen Bühne jetzt auch geben mögen (das Trauerspiel um die Repräsentantenfrage für den 10. Dezember war so vorhersehbar wie peinlich) und damit unser Bild von Europa prägen wollen – nicht nur sie sind die EU. Die EU, das sind auch die halbe Milliarde Menschen, die hier leben. Die Europäische Union ist die überraschend erfolgreiche Umsetzung der Idee, nach Jahrhunderten der Kriege untereinander, es mal mit Gesprächen zu versuchen. Ich glaube, wenn wir uns einmal ganz kurz verinnerlichen, wie es nach 1945 gelungen ist, den immer gleichen, den mindestens seit dem Aufkommen der Nationalidee wiederholten Kreislauf von Kriegen unter den immer gleichen Parteien um die immer gleichen Flecken Erde, die mal der eine dem anderen und dann der andere wieder dem ersten wegnahm, was zu erneutem Rachegeschrei führte, zu durchbrechen, welch erstaunliche Leistung, welch große historische Ausnahme das in der Tat ist. Und auch wenn ich mir im Klaren darüber bin, dass es sehr handfeste ökonomische Gründe für diese Entwicklung gibt – es gab eben diese handfesten ökonomischen Gründe auch für den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und es gab sie auch für zwei Weltkriege. Es wurden hierzulande Dinge auch schon einmal anders geregelt als über gemeinsame Mittagessen und tagelange Gipfel.

Kurz gesagt:
Ich bin dankbar für sechs Jahrzehnte Frieden hier. Sorgen wir dafür, dass noch etliche hinzukommen.


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Traumwelten: Bilder zum Werk Karl Mays

Quelleneditionen sind die Grundlagenforschung der historischen Disziplinen. Wo Physiker Higgs-Teilchen jagen, suchen Historiker (d.h. die nicht unbedingt, es sind nicht selten ihre hilfreichen Geister) nach Dokumenten aller Art aus der Vergangenheit. Und wie sich das für Grundlagenforscher gehört, zunächst einmal ganz ohne damit irgendeine konkrete Frage zu beantworten. Quelleneditionen sollen im Gegenteil die Möglichkeit bieten, Fragen zu stellen. Es ist nicht selten so, dass sich Fragen überhaupt erst durch ein intensives Quellenstudium eröffnen. Sprich: Haben wir erst einmal die Quellen, werden sich die Fragen schon finden.
Unter der Herausgeberschaft von Lothar und Bernhard Schmid sind im Karl-May-Verlag drei opulente Bände erschienen, die versuchen, ein möglichst umfassendes Bild von Illustrationen zum Werk Karl Mays zu zeichnen. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern zumindest für einen großen Teil Europas. Und auch wenn die Edition aus den verschiedensten Gründen keineswegs vollständig ist, bietet sie doch das Material für die eine oder andere kulturwissenschaftliche Qualifizierungsschrift.
Der Karl-May-Verlag selbst, auch 50 Jahre nach der Gemeinfreiheit für die Werke des Namensgebers unbestrittener Hort seines Werkes, verfolgt in Sachen Illustration einen strikten Kurs (also, nicht so strikt, dass man nicht für die eine oder andere Sonderausgabe mal von abweicht, aber ganz prinzipiell und in den Gesammelten Werken): Sie verzichten darauf (vom Unschlag mal abgesehen).
Damit wären nur sehr schwer drei Bände zu füllen, aber es gab selbstverständlich schon immer Lizenzausgaben, bei denen das anders gehandhabt wurde und seit 1962 konnte sowieso jeder machen, was er will. Im heute zu besprechenden Band 3 fallen die Werke denn auch in diesen Zeitraum, da hier alle Künstler verzeichnet sind, deren Erstillustration zu Karl May ab 1931 datiert. Ich hatte mich hier auf ein kulturhistorisch vielfältiges Werk gefreut – und war erstaunt. Wir reden hier immerhin über doch sehr unterschiedliche Jahrzehnte in verschiedensten politischen Systemen in mehreren Ländern – doch die Wiederkehr der immer gleichen Stereotypen erstaunte mich. Auch wenn es tatsächlich sehr unterschiedliche Darstellungen in Technik und Aussage zu entdecken gibt und die verschiedensten künstlerischen Strömungen des 20. Jahrhunderts prinzipiell auftauchen – die Masse der Darstellungen sind doch Variationen der immer gleichen Bilder. Und damit meine ich nicht unbedingt die Motivwahl, sondern tatsächlich die Art und Weise der Darstellung. Eine mögliche Erklärung wäre sicher, dass man sich an vorangegangen Illustrationen orientierte. Dies ist auch tatsächlich oft der Fall, wie die Autoren des Bandes sehr schön herausarbeiten. Die Querverweise zwischen den verschiedenen Illustratoren sind nicht nur Schwerpunkt bei der Auswahl der Bilder, sondern tatsächlich auch ein klarer Pluspunkt für das Buch, da man hier klar über eine simple Chronistenpflicht hinausgeht und dem Lesenden einen echten Mehrwert vermitteln kann. Möglicherweise, dies aber ist meine Spekulation, liegt das auch in der Natur der Sache. Immerhin ist Karl May ein Meister des Stereotyps. Seine Figuren sind klar gezeichnet, Gut und Böse bereits zu Beginn einer Lesebiographie meist souverän voneinander zu scheiden und es ist ja gerade diese Plastizität, die Klarheit und Eindeutigkeit seiner Beschreibungen, die seinen langen Erfolg begründeten. Auch wenn sicherlich nicht jeder Lesende 1:1 dieselben Bilder vor Augen hatte – es gibt Autoren, die lassen mehr Freiraum für die eigene Phantasie.
Meine eigenen Lektüreerfahrungen beschränken sich auf ein knappes Dutzend seiner WildWest-Romane und eine Handvoll Kara-Ben-Nemsi-Titel, ich kann hier also kein abschließendes Urteil über sein Werk liefern. Gleichzeitig sind es aber doch meist diese Werke, die in nennenswerter Weise publiziert und illustriert wurden, so dass ich es zumindest für eine überlegenswerte Hypothese halte. Aber ich möchte hier ja den Kulturwissenschaftlern ihre Themen nicht wegnehmen. 😉
Weniger überraschend übrigens scheint mir der geringe Einfluss der Verfilmungen auf die Illustrationen zu sein – denn hier scheint mir der Weg genau anders herum zu sein: Die Verfilmungen orientierten sich an den vorhandenen Bildern. 😉
Etwas merkwürdig muten allerdings die versuchten Qualitätsurteile der Autoren an. Zwar weisen sie pflichtschuldigst darauf hin, dass es sich um rein persönliche Einschätzungen handelt, aber man wäre doch auf einen Kriterienkatalog gespannt gewesen wesen. Ein reines Geschmacksurteil ist doch ein bisschen öde, wenn auch sicher zeitgemäß. Es mag der Tradition des Hausverlages geschuldet sein, dass die Worturteile nicht in Sterne umgesetzt wurden, aber letztlich läuft es genau darauf hinaus (die Abstufungen lauten dann eben nicht soundsoviel Sterne, sondern zum Beispiel “solide”, “durchschnittlich”, “überragend” oder, das schien mir das höchste Gütesiegel zu sein, “kongenial”). Das hätte man sich sparen können. Hier werden Qualitätsunterschiede einfach behauptet, was sicher sehr bequem ist und Diskussionen ausschließt, aber eben auch keinen Erkenntnisgewinn bringt.
Abschließend sei also gesagt: Es handelt sich hier um ein Schatzkästlein, wenn nicht für jeden kulturhistorisch interessierten, so doch zumindest für all jene, die Karl May zur eigenen Lesebiographie zählen und es birgt bei allen Wiederholungen so manche Überraschung, denn immerhin zählt allein der Band III 80 verschiedene Illustratoren unterschiedlichster Provenienz auf (z.B. überraschten mich sowohl Sowa als auch Hegenbarth als May-Illustratoren).
Ein Buch also, das man gerne mal zur Kaminzeit in die Hand nehmen kann oder als Gesprächseinstieg für die traute Rotweinrunde. 😉

erschienen 2010 im Karl-May-Verlag.

Bestellt werden kann es hier:.

Das Rezensionsexemplar wurde zur Verfügung gestellt über das empfehlenswerte und hochinteressante Projekt .

Bibliographische Daten:

Lothar und Bernhard Schmid (Hrsg.), Stefan Schmatz: Traumwelten – Bilder zum Werk Karl Mays. Band III. Illustratoren und ihre Arbeiten seit 1931. Karl-May-Verlag Bamberg 2010. ISBN 978-3-7802-0179-9


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