Immer auf die Großen

Ich weiß nicht, wie das in anderen Branchen so ist, da ich nur eine sehr aufmerksam verfolge. Aber die Buchbranche befindet sich, folgt man den Aussagen in den üblichen Branchenmagazinen, zumindest in den fast 14 Jahren, die ich sie beobachte, in einem schwerwiegenden Umbruch, Strukturwandel und einem für die Marktteilnehmer permanent zunehmenden Druck.

Wollte man den hyperventilierten BWL-Phrasen folgen, müssten wir inzwischen eigentlich schon Pizza verkaufen oder zumindest doch mit Burnout irgendwo in der Ecke liegen. Man stelle isch das vor: 14 Jahre lang jeden Tag auf Arbeit zu gehen, ohne zu wissen, ob es die eigene Branche morgen noch gibt. Da kann man ja nur verrückt werden.

Inzwischen habe ich ja eh die Überzeugung gewonnen, dass die Wirtschaftswissenschaftler die Rolle der Priesterschaft (im altägyptischen Sinne) übernommen haben. Mit ganz ähnlicher Methodik. Aber das ist ein anderes Feld, mir soll es um etwas anderes gehen.

Richtig ist natürlich, dass der verbreitende Buchhandel heute anders aussieht als vor 30 Jahren. Im Vergleich zur Metamorphose von Bergbaukonzernen, die jetzt Urlaubsreisen verkaufen, finde ich die Branche aber doch recht stabil und Wandel ist ein Kennzeichen der Moderne, wenn nicht überhaupt der ganzen Neuzeit.

Offenbar aber haben die Romantiker ganze Arbeit geleistet und so ist das mittelalterliche Ideal einer gleichbleibenden, unveränderten Weltordnung weiterhin tief verwurzelt. Über jede Veränderung wird geklagt, gejammert, geschimpft oder doch zumindest geseufzt. Und das kommt mir doch zumindest in einer Konsumbranche etwas merkwürdig vor.

Über das merkwürdige Verhalten einiger geschäftsinhabender Buchhändler in der »Umbruchszeit« wird an anderer Stelle zu reden sein*, mir soll es heute um die kognitive Dissonanz der Kunden gehen.

Ganz egal, ob es um den rasanten Filialausbau der Großfilialisten geht (das Umbruchsthema der 90er Jahre und der ersten Jahre nach 2000 – wer meiner Einschätzung von BWLern nicht folgen möchte, lese sich deren Analysen zu dieser Zeit durch und vergleiche sie mit der heutigen Situation. Menschen sollten einfach keine Zukunftsprognosen abgeben…) oder den x-ten Trend zum Versandbuchhandel nebst dessen Monopolisierungstendenz, jedes Mal wird auf die bösen Großen geschimpft.

Thalia mache die kleinen Buchhandlungen kaputt, amazon auch, wenn nicht überhaupt gleich den ganzen Buchhandel. Das ist wohlfeil. Die Großen wollen auch nur spielen, genau so wie alle anderen auch. Aus den verschiedensten Gründen sind sie dabei eben erfolgreicher als andere.

Ignoriert wird dabei nämlich, dass weder Thalia, Hugendubel oder amazon irgendjemanden zerstören – es sind die Kunden, die das tun. Was genau hindert sie denn daran, woanders einzukaufen? Wenn es mir wichtig ist, eine kleine Buchhandlung in der Nähe zu haben, dann kaufe ich da ein. Wenn ich amazon doof finde, lasse ich mein Geld nicht da. Das ist ganz einfach.
Menschen sind merkwürdige Geschöpfe. Sie rufen am 23. März zum Indiebookday auf, um am 24. März zum Kauf eines Großverlagsbuches bei amazon aufzufordern. Menschen sind Geschöpfe, die mit der Backwerk-Tüte in der Hand das Bäckereisterben beklagen, um dann herzhaft in das Brötchen zu beißen, das natürlich nicht so schmeckt wie von einem echten Bäcker gebacken. Was zum Henker soll denn das?

Wenn es uns wichtig wäre, intensiv beraten zu werden von einem Buchhändler, den wir kennen, der uns kennt und dem wir vertrauen – dann würden wir das tun. Tatsache ist aber, dass wir nur in die Vorstellung davon verliebt sind. In Wirklichkeit nehmen wir den bequemsten Weg. Der kann darin bestehen, sich im Walled Garden eines Kindle wohlzufühlen oder eben im Samstagsbummel noch schnell was aus der Bestsellerwand mitzunehmen.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse meiner Tätigkeit in einer großen Innenstadtbuchhandlung lautet:

»Die meisten Menschen wollen keine Beratung. Die meisten Menschen wollen wissen, wo das Klo ist.«

Mir wird gelegentlich ein Hang zur Misanthropie unterstellt, was stimmen mag, ich hatte lange genug mit Menschen zu tun. Ich persönlich sehe das anders.

Es geht mir da eher wie Tucholskys Satiriker**, ich sagte sehr gern viel nettere Worte über die Welt – sie gibt mir nur zu wenig Anlass dazu. Denn es ist doch merkwürdig, wie wenige Menschen zu ihrem (Kauf-)Verhalten stehen. Ich möchte über niemanden den Stab brechen, der bei Thalia einkauft oder bei amazon. Warum sollte ich das tun? Die Kollegen machen ein Angebot und aus den verschiedensten denkbaren Gründen wird eben das ihre angenommen und das von anderen Konkurrenten eben nicht.

Das ist das Spiel, das wir spielen. Ich kann mir schönere Spiele vorstellen, aber derzeit läuft eben diese Partie. Was mich nur tierisch nervt, ist diese Scheinheiligkeit, diese Pseudobetroffenheit, die in ihrer ganzen Widerwärtigkeit immer dann auftritt, wenn irgendwo ein Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe stattfindet. (»Ach, Sie müssen hier dicht machen? Das ist aber schade, ach ja, und gibts das hier nicht auch noch ein bisschen billiger?«)

Seit Jahren einen Laden nicht betreten und das erst zu ändern, wenn es was abzustauben gibt – nunja, dagegen ist nicht viel zu sagen. Wozu einen Laden betreten, der einem nichts zu bieten hat? Aber dann Mitleid zu heucheln und so zu tun, als würde man das Geschäft vermissen, das ist, sorry, widerwärtig.

Vielleicht bin ich da aber auch zu hart. Da ich prinzipiell nicht glaube, dass Menschen handeln, weil sie jemandem etwas Böses wollen, habe ich mich zu einer anderen Erklärung durchgerungen. Natürlich gibt es Menschen, die anderen schaden wollen. Es gibt Rachegelüste und sonstige niedrige Beweggründe. Aber ständig allen schaden zu wollen ist wahnsinnig anstrengend und die Evolutions- wie auch die Zivilisationsgeschichte legen nahe, dass es sich beim Menschen eher um pragmatische, opportunistische Wesen handelt.

Wenn sich Menschen also zu anstrengenden Handlungen aufraffen, braucht es dafür starke Beweggründe. Und die sind bei den meisten Alltagshandlungen nicht gegeben, weswegen wir den bequemen Weg gehen. Wer also da einkauft, wo es ihm am leichtesten fällt, ist nicht unbedingt ein schlechter Mensch. Kommt sich aber möglicherweise wie einer vor, wenn er merkt, dass das eigene Handeln nicht ganz im Einklang mit der imaginierten Idealwelt steht.

Weswegen wir eben zu Ersatzhandlungen greifen und mal zwei Wochen nicht bei amazon einkaufen, weil die Leiharbeiter es dort nicht so schön zu haben scheinen, beklatschen dann Kleinstverlage, die offene Briefe schreiben und vergessen dann alles wieder, bis uns irgendwann mal wieder das schlechte Gewissen plagt.

Ich kann hier nicht für die ganze Branche sprechen, aber ich sage folgendes: Mitleid bezahlt keine Mieten. Entweder es gelingt einem Kaufmann ein Angebot zu unterbreiten, das überzeugt oder es gelingt ihm eben nicht. Dazu kann gehören, dass sich Menschen einem bestimmten Buchhändler persönlich verbunden fühlen und deshalb bei ihm kaufen. Dazu kann gehören, dass man es für eine Gesellschaft förderlich hält, bei Unternehmen einzukaufen, die ihre Steuern nicht irgendwo anders bezahlen. Dazu kann es gehören, dass man auf die Kompetenz eines Buchhändlers baut und nicht auf die eines Algorithmus. Dazu kann auch gehören, dass man glaubt, wenn ein Buchhändler ein Buch nicht vorrätig hat, ist das nicht Zensur, sondern Qualitätsmerkmal. Kann alles sein.

Nur, liebe Menschen, wenn euch das wichtig ist, dann kauft auch so ein. Aber behauptet nicht das eine und tut dann das andere.

Ich persönlich sehe keinen Hinweis darauf, dass einer ausreichend großen Menge Menschen diese Punkte wichtig genug sind, um den verbreitenden Buchhandel in seiner bisherigen Ausdehnung auch nur annähernd am Leben zu erhalten.
Denn die Großbuchhandlungen haben im Laufe ihres jahrzehntelangen Erfolgszuges aus meiner Sicht vor allem zwei Dinge getan:
a) Das Buch trivialisiert und
b) Das Buch in den Innenstädten gehalten.

zu a) wäre zu sagen: Das ist gut so. Denn die Großbuchhandlungen haben eines geschafft: Sie haben Menschen eingeladen, hereinzukommen. So niedrigschwellig wie bei Thalia, Hugendubel oder gar Weltbild (die aber keine Großbuchhandlung im eigentlichen Sinne sind, die ich hier aber aufgrund der Marktposition mal mitnenne) kommt man stationär kaum an Bücher heran. Dadurch wurden völlig neue Zielgruppen für den stationären Buchhandel erschlossen***, der sich doch bis weit in die achtziger Jahre eher elitär gebärdete.

Natürlich blieb das auch nicht ohne Auswirkungen auf die Verlagsproduktionen. Nichtsdestotrotz halte ich kulturpessimistisches Gejammer über eine angebliche Verdummung der Gesellschaft für Unsinn. Ja, früher waren Werke von ganz anderem intellektuellen Kaliber in der Bestsellerliste. Die werden aber weiterhin publiziert und verkaufen keineswegs weniger Exemplare – ihr Anteil ist geringer geworden, ja. Aber dafür kaufen auch mehr Menschen in Buchhandlungen. Es war früher nicht alles besser. Es war schon immer schrecklich. 😉

zu Punkt b) sei angemerkt: Ja, welcher 80qm-Allgemein-Sortimenter soll denn 1A-Großstadtmieten bezahlen? Wie soll das gehen, mit einem fein ausgewählten, literarisch ambitionierten oder meinetwegen auch nur individuellen Programm genug zu erwirtschaften, um zum Beispiel in Leipzig 120 €€ pro qm zu zahlen? Möglicherweise geht das ja, aber ich halte es für keinen Zufall, dass es dann doch eher die niedrigschwelligen Anbieter mit breitem Sortiment sind, denen das gelingt. Anders gesagt: Ohne die Großen gäbe es schon lange keine Bücher mehr im Straßenbild der Innenstädte.

Dafür brauchen wir Thalia & Co. keine Ehrennadel verleihen, aber auch hier sei es noch einmal gesagt: Zu behaupten, es seinen einfach die bösen Großen, die die armen Kleinen zerdrücken, ist wohlfeil und führt aufs falsche Gleis. Denn es sind immer die Kunden, die einen Laden scheitern lassen. Das ist kein Vorwurf und kein moralisches Urteil, aber ganz offenkundig treffen die, die überleben doch eher den Nerv der Kunden als jene, die scheitern.

Das ist Kaufmannsalltag. Wir konkurrieren alle um Käufer und wenn wir sie nicht bekommen, liegt das an uns. Dann haben wir die falschen Prioritäten gesetzt. Wenn wir glauben, Kunden schätzen Beratung, Individualität und Kompetenz, faire Behandlung unserer Angestellten und nachhaltiges Wirtschaften, in Wirklichkeit wollen die es aber nur bequem und einfach haben, dann haben wir aufs falsche Pferd gesetzt. Punkt.

In einer Talkshow, ich glaube es war bei Frau Maischberger, hörte ich den Danone-Chef sagen, seine Firma habe s1ich aus dem Feld der Kundenbefragungen vollständig zurückgezogen, weil man merkte, dass die Befragten nach Strich und Faden logen. Sie behaupteten, ihnen seien Umwelt und Nachhaltigkeit wichtig, in Wirklichkeit aber kauften sie doch nur das billigste Angebot.

Ich glaube nicht, dass die Befragten logen. Ich denke eher, dass wir es hier mit dem Unwillen zur Reflexion des eigenen Handelns zu tun haben, der schon Sokrates das Leben kostete. Menschen wollen nicht ständig darüber nachdenken, warum sie bestimmte Dinge tun und welche Auswirkungen das hat. Leute, die sie ständig darauf ansprechen, die sie ständig dazu auffordern, nerven. Immerhin werden sie heute nur noch als »Gutmenschen« oder »Feminazis« denunziert und müssen nicht mehr Schierlingsbecher trinken. Ein Hurra! auf den zivilisatorischen Fortschritt.

Kurz: Ich glaube nicht an den aufgeklärten, verantwortungsbewussten, reflektierenden Kunden als Massenphänomen. Und deshalb sind Firmen auch erfolgreicher, wenn sie ihre Kunden nicht nachdenken lassen, da haben die BWL-Priester völlig recht.


*Die geneigte Leserschaft sei hiermit dazu aufgerufen, den Autoren an die Durchführung seines seit Jahren gehegten Planes, eine Reihe Beiträge zur Buchbranche zu publizieren, zu erinnern.
**»Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.« aus: »Was darf die Satire?« in: Tucholsky, Kurt: Werke, Briefe, Materialien, S. 1192. Digitale Bibliothek Berlin 1999. vgl. Tucholsky-GW Bd. 2, S. 43.
***Übrigens zu Lasten der Buchgemeinschaften, aber dieser ständige Kampf zwischen Versandhandel und stationärem Handel ist ein ganz eigenes Thema und bezieht sich nicht nur auf den Buchhandel. Auf Quelle und Co. reagierte man seinerzeit zum Beispiel nicht nur durch Neukonzipierung von Kaufhäusern, sondern beispielsweise auch durch erweiterte Kulanzregeln. Dass heute 14 Tage anstandsloses Umtauschrecht Usus ist, liegt nicht an der Freundlichkeit der Kaufleute (haha), sondern am Versandhandel, der damit ordentlich punktete.

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