Mein Verhältnis zur Partei der Grünen und ihren PolitikerInnen hat etwas von einer enttäuschten Liebe.
Es ist dies heute aber nicht der Tag, darüber nachzudenken. Ich möchte heute nur meinen tief empfundenen Respekt für Claudia Roth, die für mich immer für das steht, was gut ist an den Grünen (das Andere, das Mutige, das Offene) zum Ausdruck bringen. Respekt, vielleicht sogar eher Bewunderung für einen Mut, den ich nicht aufzubringen vermag. Für den Mut, dahin zu gehen, wo es weh tut, dort teilzuhaben, wo wirklich etwas auf dem Spiel steht, wo man mehr machen muss als salbungsvolle Reden über Freiheit zu halten, um anschließend mit ein paar Diktatoren Essen zu gehen.
Also, ich bitte die geneigte Leserschaft, wenn sie das nächste Mal über Claudia-Roth-Witze lacht (was ich für legitim halte, es gibt sogar sehr gute), dieses hier im Hinterkopf zu behalten:
Frau Roth ist nicht nur die buntgewandtete, fröhliche, manchmal plappernde, fußballbegeisterte Frau aus dem Fernsehen. Sie ist eben auch und vor allem eine tapfere Frau. Danke.
Einen rieseigen Respekt habe ich zudem vor diesen unglaublichen Menschen in Istanbul, die jeden Tag unter Einsatz ihres Lebens auf diesen Platz zurückkehren, die sich nicht einschüchtern lassen, die sich nicht vertreiben lassen, die einstehen für eine Freiheit, für die hierzulande nicht mal mehr Kreuze gemacht werden.
Wir sind so satt.
Es gibt Tage, da fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut. Ich kann nur hoffen, dass es mir gelingt, den Mut aufzubringen, wenn es nötig wird und meinen Kindern zu vermitteln, was für ein verdammtes Glück sie und wir haben, hier leben zu dürfen.
Ich liege gerade krank im Bett, daher muss der Hausheilige heute mal den Text übernehmen. Heute waberte durch die Nachrichten der Auftakt zur 100Tage-Aktion der SPD, mit der sie behauptet, die Wahl gewinnen zu wollen.
Ich hätte da mal eine Wortmeldung aus dem Jahr 1924:
Man sollte genug aus den letzten zehn Jahren gelernt haben. Demokratische Regierungen haben sich benommen wie die wilden Tyrannen, und konservative sind mit artiger Milde an ihr Werk gegangen auch sie getrieben oder geschoben von den Umständen. Den emsigen und ewigen Politikastern aber ist zu sagen, daß die Politik eine viel kleinere Rolle auf der Welt spielt, als die meisten Wichtigmacher unter
ihnen wahrhaben wollen. Es gibt Menschen, die nie aus dieser Welt der Ausschußsitzungen, Mehrheitsbeschlüsse, Wahlkreisgeometrien herauskommen und nicht über die Abgeordneten, ihre Reichskanzler und Kommissionen, ihre Kompromisse und Vertagungen hinauszusehen vermögen. Mag sein, daß da in diesen Réunions viele Gesetze angefertigt werden regiert wird die Welt meist anderswo. Aber es tut so wohl, das wichtig zu nehmen und sich auch so vorzukommen. Man lese politische Leitartikel dieser Sorte, die etwa ein Jahr alt sind und man hat ein Bild von dem vertanen Quantum Intelligenz, Arbeit, Kombinationsgabe, Zeit. Die Politik ist auch ein Stigma eines Landes ihr einziges oder gar hervorragendstes ist sie nicht.
Und solche politischen Leitartikel zu schreiben mag ein Beruf sein und eine ansprechende Beschäftigung. Irgendeine tiefere Bedeutung kommt diesem Treiben nicht zu.
zitiert aus: »Wahlvergleichung« in: Tucholsky, Kurt: Werke und Briefe. 1924. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 10749f. Digitale Bibliothek, Band 15, Berlin 1999
Der ganze Text lohnt sich durchaus auch (»Der Wähler wählt in den meisten Fällen nicht das, was man nachträglich in seine Wahl hineinlegt.« steht da zum Beispiel. 😉
Es wird einmal wieder Zeit, den letztens in diesem Rahmen doch arg vernachlässigten Hausheiligen wieder dorthin zu rücken, wo er hingehört: Ins Rampenlicht.
In Halle wird im Rahmen eines bemerkenswerten Konzeptes der Kleinkunst gehuldigt und natürlich kann keine Kleinkunsthuldigung, die etwas auf sich hält, auf Dr. Kurt Tucholsky verzichten.
So strömt also zahlreich herbei, wenn am 22. Juni ab 20 Uhr die 2. KleinKunstNacht in Halle an der Saale gefeiert wird, mit 22 Künstlern in 34 Vorstellungen an 11 Spielorten:
Wer es PRISM und sich selbst etwas leichter machen möchte, auf der zugehörigen Facebook-Veranstaltungsseite kann man nicht nur sich vernehmbar zur Teilnahme bekennen, sondern auch gleich Eintrittskarten erwerben. Es könnte sich durchaus auch für die anderen Künstler lohnen, da sind höchst interessante Leute dabei.
Und sollte tatsächlich jemand in der geneigten Leserschaft keinerlei Vorstellung haben, was dort auf ihn oder sie zukommen könnte: Es wird wohl etwas in dieser Art sein. 😉
Als ich diese Ankündigungen für ein Konzert von Dirk Michaelis in Leipzig hängen sah, fertigte ich ein photographisches Abbild an zu dem Behufe, in Verbindung mit eben diesem auf dem Kurznachrichtendienst »Twitter« alsbald ein geistreiches Bonmot zu veröffentlichen, das durch die Verbindung des Künstlernamens mit dem Auftrittsort auf eine vielleicht zu weit gehende Verehrung lokal verbundener Künstler referieren sollte und so geeignet gewesen wäre, die Gemüter zu erheitern und meinen Ruhm zu mehren.
So war der Plan.
Dann aber schaute ich mir das Plakat genauer an und stellte fest, was Dirk Michaelis da zu singen beabsichtigte. »Welthits in deutscher Sprache« nämlich. Das klang dann aber doch sehr nach Teleshop, diesem grauenhaften Ort, an dem man Welthits in noch ganz anderer Form käuflich erwerben kann (interpretiert von singenden Saxophonen etwa oder von grinsenden Gitarristen).
Dies stimmte mich nachdenklich.
Nun war ich nie ein besonders großer Freund der Kunst von Dirk Michaelis (die Karussell-Lieder, die ich mag, stammen aus der Zeit vor seinem Engagement in der Band), aber »Als ich fortging« war ein wichtiger Teil meiner jugendlichen Sozialisation und lässt mich auch heute nicht kalt. Das mag der Grund für eine gewisse sentimentale Grundsympathie sein, auch wenn ich keine Ahnung habe, was er in den letzten Jahren so getrieben hat.
Welches Recht also habe ich denn nun, wehmütig zu sein, wenn ich ein solches Plakat sehe und (möglicherweise auch vollkommen zu Unrecht) mit Assoziationen belege, von denen »Och nö, das ist aber schade« noch die freundlichste ist? Weiterlesen “Alte Helden. Wirre Gedanken ohne sinnvolle Konklusion.”→
Man hat es in diesem Jahr nicht leicht, wenn man in Leipzig lebt und nationalem Jubeltum eher abhold ist.
Die Heldenstadt feiert sich ja generell gerne, in diesem Jahr nun mit besonders stolzgeschwellter Brust. Während aber die alljährlichen Oktoberfeierlichkeiten zumindest doch an Ereignisse erinnert, für die Leipzigs Bewohner tatsächlich substantiell einen Grund haben, sich zu feiern, sieht das bei den Großfeiern zum Jahr 1813 doch etwas anders aus.
Auch wenn ich angesichts der Plakatierungen schlimmste Befürchtungen hege, was die Erinnerungsarbeit in Sachen Völkerschlacht angeht, möchte ich doch fair sein und abwarten, was dort geschehen wird.
In Sachen Wagner allerdings hat ja nun nach Abschluss der hiesigen Festwoche einiges stattgefunden und es lässt sich im Wesentlichen zusammenfassen als: Unkritischer Jubeltaumel. Und dass, obwohl es reizvolle Punkte gegeben hätte, da man doch gleichzeitig auch Mendelssohn Bartholdy feiert, den Wagner als Paradebeispiel jüdischer Nichtschaffenskunst anführt.
Es ist erstaunlich, wie unsouverän Wagnerianer mit Einwänden gegen dessen Schaffen umgehen. Mit welch bemerkenswerten argumentativen Pirouetten versucht wird, Aspekte, die Zeitgenossen offenkundig waren, in der heutigen Rezeption auszublenden.
Anstatt also souverän zu sagen: »Ja, Wagner war ein größenwahnsinniger Antisemit – und ich höre seine Musik aus diesen und jenen Gründen trotzdem.«
Es gibt Rezeptionsmöglichkeiten, die das zulassen. Wir lesen ja schließlich auch noch Luther, dessen wütender Antisemitsmus sich hinter dem Wagners nicht zu verstecken braucht.
Was mich also ärgert, ist nicht, dass es Menschen gibt, die gerne Wagner hören wollen – sondern dessen Ikonisierung, die eine ernsthafte Beschäftigung mit ihm unmöglich zu machen versucht.
Ohne die Bemerkungen Ruth Westheimers an dieser Stelle bezweifeln zu wollen, ist Heidenreichs publizistische Methode typisch: Eine Jüdin, noch dazu eine, deren Eltern in Auschwitz ermordet wurden, vorzuschieben, um die Größe Wagners zu bezeugen, soll hier jede Ideologiekritik am musikästhetischem Werk des Komponisten obsolet erscheinen lassen. Sie selbst, Heidenreich, sei als 68erin natürlich auch immer beredet worden, Wagner höre man einfach nicht, weil Wagner Hitlers Lieblingskomponist gewesen sei. Umso begeisterter zitiert sie ein Bonmot aus einem der von ihr in dem Welt-Artikel besprochenen Bücher: Wie lange brauchte ich, um zu begreifen, was Christian Thielemann ganz lässig nebenbei sagt: C-Dur ist immer C-Dur. Was Wagners Sippe mit dem Dritten Reich gekungelt hat, hat mit Wagner selbst nichts zu tun und mit seiner für Machtgeprotze benutzten Musik schon gar nicht.
Wirklich? Einen größeren Unsinn hat man selten gelesen: C-Dur ist eben nicht immer ,nur C-Dur. Muss man heute wirklich immer noch erklären, dass in der Musik, ebenso wie in der Literatur und allen anderen Künsten, der Kontext, die Wirkungsintention und die Rezeption eines Werkes aus bestimmten, darin verwendeten ästhetischen Elementen sehr wohl immer wieder etwas Spezifischeres machen können als bloß C-Dur? Dass Kunstwerke ihre ästhetischen Mittel im Rahmen einer jeweils besonderen Botschaft instrumentalisieren können und sollen? Um nur einige hypothetische Beispiele zu nennen: Das Wort Held etwa bedeutet eben nicht immer nur das, was es im bloßen ,Wortsinne meint, sondern könnte bei Franz Kafka oder in einem Film von Charles Chaplin eine andere Bedeutung haben als bei Ernst Jünger. Und wenn Adolf Hitler in Mein Kampf (1925) in einer Passage eine Lanze für die humanistische Bildung an deutschen Schulen bricht, so wird wohl niemand ernsthaft behaupten wollen, dieses Plädoyer könne, für sich genommen, bedenkenlos in die nächste PISA-Studie eingegliedert werden. Genauso ist es selbstverständlich auch in der Musik: Sollte ein antisemitischer Musiker die Tonart C-Dur etwa gezielt dafür einsetzen, um damit den strahlenden arischen Protagonisten seiner Oper gegenüber dem bösen jüdischen Charakter positiv zu kennzeichnen, so ist die Harmonie seiner Komposition an der Stelle eben nicht einfach nur C-Dur. Zugegeben: Es ist wohl wirklich verlorene Liebesmüh, solche Feinheiten einer Autorin wie Elke Heidenreich erklären zu wollen.
Süselbeck zitiert übrigens auch einen Zeitgenossen, der Wagners unsäglichen Artikel zum »Judenthum in dr Musik« mit dem unfassbar großartigen Satz kommentiert: »Die maßloseste Selbstvergötterung hat hier einen Gipfel erstiegen, auf dem ein Mensch mit gesunden Hirnfunktionen nicht mehr zu atmen vermag.«
Ich überlege noch, wie ich dies in meinen aktiven Wortschatz übernehmen kann…
P.S. Vollkommen sinnverdrehend möchte ich aber doch noch ein Plädoyer anbringen, inspiriert vom Schaufenster der Löwen-Apotheke Leipzig:
Das scheint mir ein probates Mittel gegen Untote. 😉
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