Alte Helden. Wirre Gedanken ohne sinnvolle Konklusion.

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Als ich diese Ankündigungen für ein Konzert von Dirk Michaelis in Leipzig hängen sah, fertigte ich ein photographisches Abbild an zu dem Behufe, in Verbindung mit eben diesem auf dem Kurznachrichtendienst »Twitter« alsbald ein geistreiches Bonmot zu veröffentlichen, das durch die Verbindung des Künstlernamens mit dem Auftrittsort auf eine vielleicht zu weit gehende Verehrung lokal verbundener Künstler referieren sollte und so geeignet gewesen wäre, die Gemüter zu erheitern und meinen Ruhm zu mehren.
So war der Plan.
Dann aber schaute ich mir das Plakat genauer an und stellte fest, was Dirk Michaelis da zu singen beabsichtigte. »Welthits in deutscher Sprache« nämlich. Das klang dann aber doch sehr nach Teleshop, diesem grauenhaften Ort, an dem man Welthits in noch ganz anderer Form käuflich erwerben kann (interpretiert von singenden Saxophonen etwa oder von grinsenden Gitarristen).
Dies stimmte mich nachdenklich.
Nun war ich nie ein besonders großer Freund der Kunst von Dirk Michaelis (die Karussell-Lieder, die ich mag, stammen aus der Zeit vor seinem Engagement in der Band), aber »Als ich fortging« war ein wichtiger Teil meiner jugendlichen Sozialisation und lässt mich auch heute nicht kalt. Das mag der Grund für eine gewisse sentimentale Grundsympathie sein, auch wenn ich keine Ahnung habe, was er in den letzten Jahren so getrieben hat.
Welches Recht also habe ich denn nun, wehmütig zu sein, wenn ich ein solches Plakat sehe und (möglicherweise auch vollkommen zu Unrecht) mit Assoziationen belege, von denen »Och nö, das ist aber schade« noch die freundlichste ist?
Keines. Nicht das geringste.
Dem einen oder anderen in der geneigten Leserschaft ist das Phänomen vielleicht ebenfalls bekannt: Das böse Internet macht es leider heutzutage möglich, die Frage »Was macht eigentlich…« ohne große Hürden zu beantworten. Und die Antwort entspricht nicht immer den Erwartungen des Suchenden, wenn er nach Künstlern Ausschau hält, die ihn in »more vulnerable years«* beeindruckten. Meine Luise zum Besipiel spielt heute ZDF-Schmonzetten, mein Danton den jugendlichen Liebhaber in SAT.1-Produktionen. Man hätte es doch lieber nicht gewusst. Ich habe auf einem ähnlichen Wege erst durch ihren Wikipedia-Eintrag von Ines Paulkes Tod erfahren.
Exkurs
»The Colour of my tears« hatte nachhaltigen Effekt auf den 10jährigen Autoren dieses Beitrages, noch viel mehr beeindruckte ihn jedoch später ihr 1997er Auftritt im Brecht-Programm der Kiebitzensteiner – ihre Interpretation der »Seeräuber-Jenny« ist für mich bis heute unübertroffen und welche Erlebnisse sie in ihren unfassbaren Vortrag des »Surabay-Johnny« legte, möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Fassen wir kurz zusammen: Ich habe das Programm während des Sommers sechs mal gesehen (was sogar zu einem gemeinsam eingenommen alkoholischen Getränk mit ihr führte, bei welcher Gelegenheit sich der Autor höchst ungeschickt verhielt) und gehört bis heute zu den fundamentalen gemeinsamen Erlebnissen mit seiner Ehefrau. Unter der Voraussetzung, dass es Ton- oder gar Bildaufnahmen dieses Programms gibt, würde der Autor einen möglicherweise eines Tages eintreffenden Geldsegen unter anderem dafür verwenden, diese der Öffentlichkeit in geeigneter Form zugänglich zu machen.Ende
Mir fällt bei diesen Gelegenheiten immer Ingo Naujoks ein, der anlässlich des großen Erfolges des ersten »Spießer«-Spots für die LBS in diverse Shows eingeladen wurde. Und bei einer dieser Gelegenheiten meinte er sinngemäß, dass es ihm natürlich mehr gefallen würde, Shakespeare am Theater zu spielen, allein, die Miete wolle halt bezahlt werden.
Welches recht also habe ich als Konsument also wohl, wehmütig zu sein, wenn meine Jugend-Idole sich entschieden haben, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu leben und nicht nach meinen? Mache ich mich da nicht gemein mit der Boulevard-hörigen Meute, die sich mit Frau Weischenberg darüber fetzt, wie andere Menschen ihr Leben zu leben haben?
Ja. Mache ich. Und natürlich ist es vollkommener Unsinn, traurig zu sein, wenn Herr Michaelis in der Michaeliskirche Welthits auf Deutsch singt. Möglicherweise macht er das ja gerne. Und immerhin habe ich mich seit 20 Jahren nicht darum gekümmert, was er macht. Insofern ist das natürlich ganz allein mein Problem und wohl hauptsächlich ein sentimentales. Was passiert, wenn man als Künstler seinem Publikum erlaubt, sentimental zu werden, sah ich vor etlichen Jahren einmal in der Leipziger Innenstadt. Anlässlich irgendeines der zahlreichen Stadtfeste trat dort Ute Freudenberg auf. Irgendwann am frühen Nachmittag, keine gute Zeit, zugegeben. Kaum jemand blieb stehen, ernsthaftes Interesse an ihrer Musik war kaum zu erkennen. Bis, ja bis sie »Jugendliebe« sang. Plötzlich blieben viele Menschen stehen, auf einmal gab es auch Jubel und Applaus. Beim nächsten Lied verlief sich die Menge dann wieder sehr schnell. Ich fand das unheimlich deprimierend.
als ich vor einiger Zeit verscuhte, Karl may wieder zu lesen, machte ich die nicht weniger deprimierende Erkenntnis, dass das ganz furchtbar unlesbares Zeug ist. Es ist mir schleierhaft, wie ich diese Bücher reihenweise habe verschlingen können. Bis dahin hatte ich noch die Illusion, es handelte sich dabei um spannend erzählte Abenteuerliteratur, freilich ihrer Zeit und Mays merkwürdigen Vorstellungen verpflichtet – aber hey, welche Literatur ist das nicht? Nun aber weiß ich, dass es nicht so ist und es bleibt mir nur der wehmütige Blick zurück auf eine selige Zeit des Nichtwissens. Allmählich habe ich eine Ahnung, warum sich die Aufklärung bis heute nicht wirklich hat durchsetzen können**.
Also, was mache ich nun mit meiner ungerechtfertigten Sentimentalität? Meinen eigenen Regeln folgend, sollte ich diese überwinden. Es ist idiotisch, Erwartungen an Idole zu haben, die doch Menschen sind und ihr Leben leben, so wie ich das meine lebe – zumindest, wenn man das Alter der BRAVO-Zielgruppe hinter sich gelassen hat. Vielleicht bin ich dafür aber inzwischen auch zu alt, da ich ja schon Erinnerungen habe, denen ich nachhänge – und deren zugrundeliegenden Ereignisse sich schon nach Jahrzehnten ordnen lassen. Vielleicht steckt aber auch etwas anderes dahinter. Vielleicht möchte ich das Leben, wie ich gerne gehabt hätte, diese Sehnsucht nach einer Zeit, als das Leben noch wenig Anforderungen, aber viele Optionen zu bieten hatte, vielleicht möchte ich diese Zeit irgendwie konservieren. Wie das alternde Menschen eben machen. Und das blöde an der Popkultur ist, dass sie in genau dieser Zeit identifaktionsstiftend ist. Leider aber bleiben die Idole dieser Zeit nicht dort stehen. Sondern leben eben weiter. Das ist der Vorteil an jung sterbenden Künstlern. James Dean konnte nicht in drittklassigen Fernsehserien landen. Buddy Holly nicht aufgeschwemmt in Las Vegas auftreten. River Phoenix, James Morrison, Amy Winehouse und so weiter, sie bleiben genau die Identifikationsfiguren, die sie waren, in ihrem jugendlichen Sterben lässt sich trefflich das Sterben der eigenen Jugend betrauern.
Ein wirklich tragfähiges Konzept ist das aber auch nicht. Bis mir dazu etwas wirklich befriedigendes einfällt, versuche ich es mal mit Verdrängung: Es ist mir vollkommen egal, welche Schlagertitel Frau Paulke seit ich sie auf der Kiebitzensteiner-Bühne sah, sang – für mich bleiben andere Eindrücke prägend. Und damit das so bleibt, habe ich sie mir nicht angehört, manchmal ist Nichtwissen besser.

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*aus: »The Great Gatsby«. siehe hierzu: Das Buch zum Sonntag (7) Und man macht sich ja keine Vorstellungen. Ich hege eine große Milde den jungen Menschen gegenüber, die sich von Michael Jacksons eher grob gestrickter Botschaft im »Earth Song« beeindrucken ließen, da mich dieses Lied bis ins Mark erschütterte. Noch heute lässt mich die Zeile »Nicht alltäglich ist das täglich Brot.« nicht kalt.
** Während des Champions-League-Finales las ich Georg Forster (wir waren auf einer sehr großen Familienfeier und ich musste noch fahren, es erschien mir klüger, an der Betrachtung des Spieles nicht teilzuhaben) – ich kann davon nur abraten, man sollte heute die Aufklärer wirklich nicht mehr lesen, es ist zu niederschmetternd. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig wir im öffentlichen Diskurs weitergekommen sind. Wenn überhaupt.

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