#auflaufenlassen

Die Wahl ist vorbei.
Es war eine in vielerlei Hinsicht deprimierende Wahl. Pia Ziefle hat dazu einige sehr gute Worte gefunden*.
Zwei Kostproben:

Während in den Medien wochenlang die bekannten Politikdarsteller*innen aller Parteien zu sehen gewesen sind, die brav ihre Rollen gespielt haben, außer Steinbrück, der noch am Wahlabend sowas von erleichtert aussah, dass er nicht Kanzler werden muss, hatten die AfD-Anhänger*innen die Schlacht in den facebook-Kommentaren und den Foren der etablierten Zeitungen ausgerufen. Kaum ein Artikel blieb unkommentiert, kaum ein Posting unter 100 Kommentaren. Kostet keine müde Mark, erreicht Millionen Leser*innen.

und:

Diese Wahl hat sehr deutlich gemacht, was für ein dummes, neidisches Volk wir sind, und wie ekelhaft wir in unseren überheizten Wohnungen mit den vollen Kühlschränken voller Fertigfraß geworden sind.

Ich wünsche mir, dass die Union ihren Wahlsieg bezahlen muss mit einer Minderheitsregierung. Ich wünsche mir, dass SPD und Grüne beide standhaft bleiben, und die Koalition verweigern. Wollen wir doch mal sehen, wie wir dann in ein oder zwei Jahren bei den Neuwahlen entscheiden werden.

Im Wesentlichen ist es das schon, was ich meine.

Wir haben eine Frau gewählt, deren Politikstil verheerend ist. Dieser Stil mag in die Zeit passen, er mag auch zu diesem Volk passen.
Den Grünen wurde, nicht ganz zu Unrecht, wie Julia Seeliger hier unter anderem kurz darlegt, »Nannypolitik« vorgeworfen. Gewählt haben die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eine »Mutti-wirds-schon-richten«-Politik. Eine Politik, die »unaufgeregt« genannt wird und doch bloß sedieren möchte.
Angela Merkel hat keinerlei Gegenspieler mehr. Innerparteilich schon lange nicht, außerhalb der Partei auch nicht. Das ist kein Zufall. Das ist System. Bei Sascha Lobo las ich das hübsche Wortspiel, Frau Merkel beherrsche die hohe Kunst des K.O.alierens. Und das scheint es mir zu treffen. Was die CDU gerade sucht, sind keine Partner, sondern Steigbügelhalter. Die auch in der Journaille verbreitete Mär, es wäre ein Koalitionspartner wichtig, um ein inhaltliches Korrektiv zu bilden, hat sich in den letzten 8 Jahren doch als klar illusorisch erwiesen. Es ist in einer Koalition mit Angela Merkel nicht möglich, inhaltliche Schwerpunkte gegen sie zu setzen. Das mag so in Ordnung sein, immerhin ist die die Kanzlerin, aber die Auswirkungen sind verheerend, wie SPD und FDP ja nun schmerzlich lernen mussten. Beide Parteien werden noch heute für Entscheidungen und nicht umgesetzte Ankündigungen abgestraft, die weitgehend der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin anzulasten ist. Einer Kanzlerin, die ohne mit der Wimper zu zucken Minister, langjährige Weggefährten und Koalitionspartner fallen lässt, sobald sie das Gefühl hat, sie würden ihr schaden (ich sage nur »vollstes Vertrauen«). Dass sie dies in einer Endgültigkeit schafft, die ihresgleichen sucht, spricht für ihre Fähigkeiten als Machtpolitikerin. Aber die Konsequenz daraus für alle anderen sollte dieselbe sein, die auch König Friedrich August III. zog, als man für ihn untragbare Dinge verlangte: »Nu da machd doch eiern Drägg alleene.«**
Und dabei geht es erst in zweiter Linie darum, die koalierende Partei vor Schaden zu beschützen, nein, ganz im Gegensatz zu Schäubles staatstragender Behauptung, man müsse jetzt im Interesse des Landes mit der CDU zusammenarbeiten, ist es vielmehr gerade im Interesse dieses Landes, dass einer solchen Machtpolitik, die von keinerlei inhaltlicher Ausprägung mehr getragen wird, entgegengewirkt wird. Wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Staates eine solche Politik wollen, dann sollen sie sie wählen. Dann aber richtig. Bitte, dann wählt doch Frau Merkel eine absolute Mehrheit. Aber dann muss sie und ihre Partei wenisgtens endlich offensichtlich und offenkundig für ihre Politik einstehen. Eine Koalition von Merkels Gnaden dient eben gerade nicht dem Staatsinteresse, sondern ausschließlich dem Interesse ihrer Partei. Wer so konsequent und so nachhaltig alles und jeden wegbeißt, der soll zusehen, wie er alleine klar kommt. Das wäre soziale Gerechtigkeit***. Es ist Zeit, das zurückzugeben, was Angela Merkel und die armseligen Figuren, die sie noch neben sich duldet, austeilten. Es ist Zeit, sie auflaufen zu lassen.

Und wenn es dann Neuwahlen gibt und die CDU eine absolute Mehrheit bekommt – nun bitte, dann haben wir es wenigstens nicht anders gewollt.

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Dass sie gute Worte zu finden vermag, überrascht an sich natürlich nicht, immerhin ist sie Schriftstellerin. Aber nicht alle Schriftstellerinnen finden auch treffende Worte zur Lage der Nation. 😉
Ja, ich weiß, das Zitat ist nicht belegt, aber es ist einfach zu schön und passt so gut zu ihm. Und hey, wir feiern immer noch den Thesenanschlag Luthers, der inzwischen als widerlegt gilt, insofern…
ich weiß übrigens nicht, wieso der Begriff »sozial« derart pervertiert wurde, dass er sich auf ökonomische Verhältnisse bezieht. Ob sich jemand sozial oder asozial verhält, hat doch nichts damit zu tun, wieviel Geld er besitzt. »Sozial schwach« ist doch nicht, wer wenig finanzielle Mittel hat, sondern wer »ich« denkt, wo »wir« zu denken wäre.

Die bösen Nichtwähler

Morgen ist es also mal wieder soweit:
Es sind vier Jahre rum, auf einmal ist die Meinung der Bürger wieder furchtbar wichtig und so werden diese denn auch von durch Werbeagenturen gnadenlos optimierten und nahe an die Nullaussage geführten Kampagnen umworben. Da hat sich nicht viel geändert, es sei daher noch einmal auf die Plakate-Rundschau aus dem Landtagswahlkampf 2009 verwiesen verwiesen. Es ist erstaunlich, wie wenig Unterschied das macht.
Eines allerdings scheint mir 2013 nun doch neu zu sein, nämlich das zunehmende Nichtwähler-Bashing. Ich bilde mir ein, dass in früheren Wahlgängen doch die Frage, wie man sie zum Wählen motivieren klönnte, twas mehr im Vordergrund stand. Jetzt aber tendiert das doch eher in Richtung Beschimpfung. Als ob es keine guten Gründe gäbe, nicht wählen zu gehen. Ich jedenfalls kann es sehr gut nachvollziehen, wenn sich jemand aus guten Gründen weigert, für etwas zu sein, von dem er oder sie nicht überzeugt ist. Denn das Kreuz auf dem Wahlzettel ist j aimmer eine Entscheidung für jemanden. Und wenn keine der angebotenen Optionen akzeptabel ist, halte ich es für absolut zulässig, die Zustimmung zu verweigern. Schließlich werden sich hinterher alle hinstellen und behaupten, soundsoviele wären von ihrer Politik überzeugt und hätten ihnen einen Auftrag erteilt. Da spielen Differenzierungen wie »Ich wähle die unter großen Bauchschmerzen, weil alle anderen noch schlimmer sind.« keine Rolle. natürlich kann es sein, dass Menschen nicht wählen, weil sie zu bequem oder zu faul sind. Das scheinen mir aber weit weniger zu sein als das gemeinhin behauptet wird. Die meisten Menschen, die nicht wählen gehen, wählen deshalb nicht, weil das Politiktheater, das ihnen geboten wird, sie nicht mehr überzeugt. Weil sie den Eindruck haben, dass dort etwas grundlegend falsch läuft.
Um nur mal einen Aspekt herauszugreifen: ich empfehle der geneigten Leserschaft einmal, sich die Lebensläufe der Regierungsmitglieder anzuschauen und zu überprüfen, wie viele von denen jemals einer realen Arbeit nachgegangen sind. Der Anteil der Politiker, die schon einmal etwas anderes gemacht haben als Politik, nimmt stetig ab. Das wird zunehmend ein Verein, der Leute heranzüchtet, die nichts anderes kennen als diesen nach seinen eigenen Regeln funktionierenden Betrieb. Und Inzucht war schon immer problematisch.

Auch wenn ich zu einem anderen Schluss komme, aber wenn Menschen, die noch vor wenigen Jahren auf die Straße gegangen sind, um unter Einsatz ihrer Unversehrtheit für ein Recht auf freie Wahlen zu kämpfen, jetzt zu Hause bleiben und verzichten, dann sollte das ein Signal sein, darüber nachzudenken, ob hier nicht etwas grundlegend falsch läuft.

Wir dachten unter kaiserlichem Zwange
an eine Republik … und nun ists die!

schrieb Kurt Tucholsky in »Ideal und Wirklichkeit«.
Dass die Lösung nicht in Appellen und noch mehr Plakaten und noch mehr Wahlständen liegt und auch nicht in der Beschimpfung von Nichtwählern als miese Demokraten, die bequem geworden sein und ihre Freiheit nicht zu schätzen wüssten. Nein, hier wäre mal eine gründliche Supervision oder zumindest mal eine Selbstreflexion angebracht. Möglicherweise macht ihr ja etwas grundlegend falsch, liebe PolitikerInnen. Think about it. Wenn ihr das noch könnt.

Zum Abschluss seien noch zwei Beiträge zum Thema empfohlen, zum einen der grundlegende Tucholsky-Text »Ein älterer, aber leicht besoffener Herr«, leicht gekürzt, aber unschlagbar vorgetragen von Gerd E. Schäfer:

Und natürlich, die nicht weniger grundlegende, aber doch weniger feingeistige Southpark-Folge »Wähl oder stirb«

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Der Altmann ist tot (Hörbuch)

Altmann Cover

Beim weiterhin zu empfehlenden Projekt Blogg Dein Buch habe ich mir dieses Mal ein Hörbuch zwecks Rezension gewünscht. Hatte ich noch nie und die Frau Freitag-Sachen laufen ausnehmend gut im Laden. Im Gegensatz zu manch anderen, die eher abschätzig auf Bestseller-Listen schauen und per se behaupten, alles darauf sei Schund (aber natürlich Safranski dufte finden oder Winkler oder Zeh oder Berg etc.), pflege ich diese eher als Anregung zu empfinden: Was so viele Menschen dazu bewegt, Geld auszugeben, muss irgendetwas treffen. Und midnestens das kann man, wenn man will, herauszufinden versuchen. Bestseller-Meta-Lesen, sozusagen.
Für das Hörbuch von »Der Altmann ist tot«, erschienen im Argon-Verlag entschied ich mich allerdings eher spontan, aus dem puren Interesse heraus, mal herauszufinden, was die Pseudonyme »Frau Freitag« und »Frl. Krise« da eigentlich treiben. Und hey, Lehrerinnen, die nach Jahrzehnten Schuldienst offenkundig ihren Humor noch nicht verloren haben, haben verdient, dass man ihnen zuhört. 😉

Worum also geht es?
An einer Berliner Schule ist ein Lehrer plötzlich verstorben, am Spreeufer, scheinbar Treppen herabgestürzt. Das glaubt indes so recht keiner, galt der Kollege doch als recht sportlich, war keineswegs in irgendeiner Weise in seinen Fortbewegungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Ganz im Gegenteil, wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt, war er im Gegenteil sehr umtriebig. Und zwar durchaus metaphorisch. So dauert es dann auch nicht lange, bis zwei seiner Kolleginnen beginnen, die Hintergründe seines (Ab)-Lebens zu erforscen, wobei sie schnell auf allerlei moralisch und durchaus auch juristisch problematische Aspekte stoßen. Durch ihren langjährigen Schuldienst haben Frau Freitag und Frl. Krise praktisch überall Informationsquellen, denn SchülerInnen bleiben zwar aus Lehrerperspektive ein Leben lang SchülerInnen, nehmen in der Zwischenzeit aber durchaus umfassende Nebenbeschäftigungen auf. Diese Vernetzung, die von Strandbarkellnern über Polizisten bis zu Milljöhs (wir sind ja in Berlin) mit diamteralen Rechtsauffassungen reicht, hilft ihnen erheblich, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, führt aber eben auch dazu, dass sie in so manches Wespennest stoßen. Und wie Lehrkräfte nun mal so sind: Nachfragen ist elementarer Bestandteil ihrer Persönlichkeitsstruktur und die nachdrückliche Empfehlung, damit aufzuhören, vermag nicht mehr als kurzfristige Wirkungen zu erzielen. Die beiden geraten also in durchaus dramatische Situationen. Mehr möchte ich hier nicht verraten, denn es geht ja immerhin um eine Kriminalgeschichte und da ist spoilern nun besonders verwerflich.

Allerdings muss ich sagen: Ich bin wahrscheinlich überhaupt nicht Zielgruppe. ich habe von der ersten Minute an gewartet, dass es nun aber mal losgehen würde, aber die Geschichte zieht sich doch sehr hin – was an sich kein Problem ist, bei einer Kriminalgeschichte und sei sie auch als Kriminalkomödie gemeint, ist die Plotgeschwindigkeit doch nicht ganz unerheblich. Mich haben auch die Dialoge, in denen das in der Tat üble Herziehen über KollegInnen und SchülerInnen im geschützten Universum des Lehrerzimmers* (dessen Atmosphäre sich ja durchaus auch außerhalb des geographisch so benannten Raumes herstellen lässt) eine erheblich Rolle spielen, wenig überzeugt. Ich empfand das einfach nicht als lustig, es war eher eine Parade platter Klischees, die spätestens nach drei CDs ermüdet und anschließend endgültig in Langeweile abrutscht. Wer so etwas mag – und es gibt davon eine Menge, wie so manch gefülltes Stadion beweist – gerne. Ich war enttäuscht. Wobei mich weniger enttäuschte, dass hier mit Klischees gearbeitet wird, ganz im Gegenteil, damit war ja auch zu rechnen, als vielmehr die mangelnde Kreativität, die dann eben dazu führt, dass man bereits beim Auftritt einer Figur sehr genau ahnt, welche Rolle sie spielen wird – und damit auch noch richtig liegt.

Bei einem Hörbuch gibt es freilich auch noch einen anderen Aspekt zu betrachten, nämlich den des Vortrages. Joseline Gessen überzeugte mich in ihrer Rolle vollkommen, sie spricht ihre Figur genau so, wie sie durch den Text gezeichnet wird, das war wirklich gut. Selbiges gilt für Frau Kebekus. Weniger überzeugend fand ich allerdings zum einen die Dramaturgie, nämlich im Wechsel die Kapitel lesen zu lassen. Das wird wohl an der Struktur des Textes liegen (ich habe tatsächlich kein Blick in das Buch geworfen, obwohl ich mir das nahezu jeden Tag vornahm, aber dann führte mich mein Weg doch nicht am richtigen Regal lang oder der Feierabend lag ungünstig oder ich werde halt alt und vergesslich – es klappte jedenfalls nicht), was mir zumindest die naheliegendste Erklärung schiene, dass also jeweils ein Kapitel von Frau freitag und eines von Frl. Krise in ihrer jeweiligen Perspektive geschrieben wurde. Zumindest also folgt das Hörbuch diesem Konzept, was zu der ungewohnten Situation führt, dass ein und dieselben Personen unterschiedlich präsentiert wird. Das gefiel mir nicht, ist aber Geschmackssache, ich kann mir vorstellen, dass dies von anderen als durchaus reizvoll empfunden wird. Gerade bei den Nebenfiguren wiederum wirkte Frau Kebekus auf mich etwas gehemmt. Das mag an meiner Erwartungshaltung liegen, da ich sie ja aus anderen Zusammenhängen kenne, bei denen sie gerade die »Problemschüler« gerne stark überzeichnet. Das fehlt hier vollkommen. Es wäre in der starken Form vielleicht auch nicht angemessen, mir war es hier aber viel zu zurückhaltend umgesetzt. Denn, mal unter uns: Das ist ein Werk, das praktisch nur aus Klischees besteht, dann wäre es durchaus auch angemessen, sie auch zu bedienen. Das hätte einiges retten können.

Wer sich gerne noch einen eigenen Eindruck verschaffen möchte, sei auf die Seite des Verlages verwiesen, wo das Hörbuch auch zu bestellen ist.

Was aber natürlich ebenso beim von diesem Blog bevorzugten Buchhändler möglich ist.

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* Ich habe das in meinen zwei Wochen SPÜ erleben dürfen und bin mir darüber im Klaren, dass ich dort bestenfalls ein paar Eiskristalle auf der Spitze des Eisberges erlebt habe – aber das war bereits äußerst erschütternd…