Für diese Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft folgende nicht gelesenen Bücher:
Menschen in New York von Brandon Stanton ist die Buchumsetzung (bzw. die deutsche Übersetzung der Buchumsetzung) eines großartigen Projekts, das ich bereits seit einiger Zeit auf Facebook verfolge. Brandon Stanton läuft durch die Stadt und fotografiert Menschen. Was auch immer er dabei macht: Er bringt sie dazu, ihm berührende, manchmal intime, Geschichten zu entlocken. Eine Frage, eine Antwort – und jedes Mal steht dort ein Blick in das Leben eigentlich völlig fremder Menschen, die einmal merkwürdig nah wirken. Mich hat sein Projekt jedenfalls sehr beeindruckt und beeindruckt es noch heute, jeden Tag aufs Neue.
Hesiods Theogonie gilt als das älteste Zeugnis griechischer Literatur (was damit für die abendländische Kultur nicht ganz egal ist). Raoul Schrott wiederum ist bekannt geworden für seinen höchst eigenen Zugang zu antiker Literatur. Mir fehlt eindeutig der philologische Hintergrund, um beurteilen zu können, wie weit sich Schrott in seinen Nachdichtungen vom Original entfernt. Wahrscheinlich ist er kein zuverlässiger Wegbegleiter in die antike Welt. Die Idee, ältere Texte zur Vorlage für eigene Werke zu nehmen, ist allerdings nicht völlig neu und meiner Meinung nach legitim. Es verlangt freilich vom Lesenden einen durchaus aufgeklärten Umgang mit dem Ergebnis. Dann aber kann es sich bei einer zeitgenössischen Auseinandersetzung mit einem 2800 Jahre alten Text um eine sehr spannende Lektüre handeln. Will sagen: Puristen (und Altphilologen) würde ich das Buch nur empfehlen, wenn sie Probleme mit zu niedrigem Blutdruck haben.
Das neue Spiel nennt Michael Seemann (@mspro) seine Auseinandersetzung mit dem Kontrollverlust, den die digitale Welt mit sich bringt. @mspro gehörte viele Jahre zu meiner Timeline (er gehörte zu den ersten 10 Leuten, denen ich folgte). Ich entfernte ihn dann irgendwann, weil ich so selten seiner Meinung war, bzw. mich seine Positionen so ärgerten, dass ich aus Gründen des seelischen Gleichgewichts darauf verzichtete, ihn unmittelbar zur Kenntnis zu nehmen. Was aber natürlich gar nichts heißt, denn meine Befindlichkeiten gelten nur für mich. Seine Analysen und Gedanken zu Kontrollverlust und Filtersouveränität sind unbedingt zur Kenntnis zu nehmen und seit ich mich nicht mehr täglich mit ihm beschäftige, scheinen mir auch einige seiner Punkte durchaus zustimmungsfähig. Andererseits: Ich habe das Buch (das übrigens per Crowdfunding mit einer bemerkenswerten Urheberlizenz ausgestattet wurde und daher auch kostenfrei online zu lesen ist oder zu einem äußerst günstigen Preis als eBook erworben werden kann) allerdings ja auch noch nicht gelesen. Sollte ich demnächst also irgendwo mit hochrotem Kopf auftauchen, wisst ihr, was ich gelesen habe…