Auf dem Nachttisch (5)

In der fünften Ausgabe der Nachttischrezensionen geht es dieses Mal recht heftig zu. Ohne Machtmissbrauch oder Gewalt kommt dieses Mal kein Buch aus…

Anna Benning: Was die Magie verlangt

Genre-Literatur wird gerne mal naserümpfend betrachtet. Und spätestens seit es Buchblogs gibt, tobt darum ein immer wieder aufflammender Diskurs. Leider dreht dieser sich seit zwanzig Jahren im Kreis, weil es den Diskursteilnehmenden nicht gelingt, ihre Begriffe und Kategorien zu klären. Ich möchte mich daran nicht beteiligen, wie gehabt steht dieser Blog unter dem Moers’schen Diktum Lest Straßenschilder und Speisekarten, lest die Anschläge im Bürgermeisteramt, lest von mir aus Schundliteratur – aber lest! Lest! Sonst seid ihr verloren!

Beim Auftakt der Dark-Sigils-Trilogie handelt es sich um Urban Fantasy, noch dazu welche, die sich an Menschen mit einer kurzen Lesebiographie richtet. Wir begleiten die junge Heldin Rayne, die in den Armenvierteln Londons lebt und dort versucht über die Runden zu kommen, bei der Entdeckung ihrer mächtigen Fähigkeiten, die sie beherrschen lernen muss und die sie gleichzeitig weit aus ihren gewohnten Lebenszusammenhängen führen. Magie beruht in diesem Universum auf einer dunklen Flüssigkeit, die in Artefakten – Sigils – eingeschlossen ist.

Das gelingt ihr nicht ohne Unterstützung, insbesondere durch Protagonist:innen, die im Umgang mit der Magie geübter sind und mehr über deren Regeln und Wirkungen wissen.

Und bei aller Auserwähltheit, die offenkundig ist und Lesende daher fest an Raynes Überleben und Erfolg glauben lässt, erlaubt Anna Benning ihrer Heldin Fehler, Scheitern und Lernen. Das macht mir den spannend, flüssig und gut geschriebenen Roman sehr sympathisch. Diese Heldin habe ich gerne begleitet.

Buchdetails:
Anna Benning: Was die Magie verlangt [=Dark Sigils Band 1], Fischer KJB Frankfurt am Main, 2022, 482 Seiten, 978-3-7373-6200-9 ; als Hardcover 19 € ; als ebook 14,99 € ; als Taschenbuch (ET August 2025) 11,90 € ; als Hörbuch 24,95 €

Stephen Fry: Troja

Die Neuerzählung antiker Mythen ist ein literarischer Dauerbrenner. Jede Zeit scheint ihren ganz eigenen Zugriff darauf zu suchen und bietet in der Auseinandersetzung mit den inzwischen jahrtausendealten Stoffen spannende Einblicke in ihren jeweiligen Zeitgeist.

Ob Stephen Fry nun als prototypischer Vertreter des Zeitgeistes betrachtet werden kann (wie es etwa Gustav Schwab zweifellos war), daran habe ich doch einige Zweifel. Aber ohne Zweifel repräsentiert er einen zeitgenössischen Blick.

In einer reizvollen Nacherzählung des komplexen Ilias-Stoffes brilliert Fry durch Humor und Lockerheit, ohne dabei albern oder flapsig zu werden. Damit gelingt es ihm meiner Meinung nach sehr gut, eine klassische Perspektive ins Hier und Heute zu transponieren. Dabei entseht ein kurzweiliges Werk, das sich ausgezeichnet lesen und dabei den schieren Umfang glatt vergessen lässt. Eine Neuerzählung oder gar Neudeutung des Mythos ist das nicht. Muss es ja aber auch gar nicht sein.

Buchdetails:
Stephen Fry: Troja : von Göttern und Menschen, Liebe und Hass [OT: Troy] ; aus dem Englischen von Matthias Frings, Aufbau-Verlag Berlin 2022, 375 Seiten, ISBN 978-3-351-03927-1 ; als Hardcover 26 € ; als ebook 16,99 € ; als Taschenbuch 16 € (ET November 2025) ; als Hörbuch 24 €

Anika Landsteiner: Nachts erzähle ich Dir alles

Léa muss aus ihrem Leben heraus – und ist in der glücklichen Lage, das leer stehende Familienanwesen an der Côte d’Azur benutzen zu können. Wie häufig bei solchen Fluchten so ist auch diese der Auftakt einer Katharsis. Zunächst aber begegnet ihr eine junge Frau, die das Gelände und Haus gerne als Rückzugsort nutzt, als einen safe space vor all den Zumutungen, mit denen heranwachsende junge Frauen konfrontiert werden.

Sie sprechen lange miteinander, direkt und herausfordernd die eine, sich plötzlich sehr erwachsen fühlend die andere. Am nächsten Tag ist die junge Besucherin tot und zusammen mit ihrem verzweifelten Bruder beginnt Léa nachzuforschen, was geschehen ist.

Dabei wird ihr allmählich klar, dass Haus, Anwesen und Ort durchaus nicht der idyllische Rückzugsort ihrer Erinnerung ist. Was nach einem durchaus kitschigen Plot klingt, ist in Wirklichkeit die Geschichte einer Ermächtigung. Einer Selbstermächtigung, die die Komplexität von Gegenwart, Vergangenheit und den vielfältigen Beziehungen sich nahe stehender Menschen akzeptiert und kennt, sich darin aber eben nicht verliert, sondern zur Selbstbestimmung führt. Ein Roman, zurückhaltend in Sprache und Form – aber wuchtig in seiner Wirkung.

Buchdetails:
Anika Landsteiner: Nachts erzähle ich dir alles : Roman, Fischer KRÜGER Frankfurt am Main 2023, 366 Seiten, ISBN 978-3-8105-3087-5 ; als Hardcover 24 € ; als ebook 12,99 € ; als Taschenbuch 14 € ; als Hörbuch 19,49 €

Anne Holt: Ein notwendiger Tod

Selma Falck wacht in einer brennenden Hütte irgendwo im Schnee auf irgendeinem Berg auf. Es gelingt ihr, sich geradeso noch zu retten, ehe das Gebäude bis auf die Grundmauern abbrennt.

Ganz offenkundig sollte sie sterben – jemand anderes ist aber auch gestorben. Während sie sich durch Kälte, Schnee und Wildnis und um ihr Leben kämpft, gewinnt sie allmählich ihre Erinnerungen zurück.

Aus den Rückblicken wird allmählich klar, dass hier ein Komplott geschmiedet wurde. Eines von nationaler Bedeutung, mit tief in die Politik und Geschichte verstrickten Protagonisten. Und damit ist zusätzlich klar: Sie befindet sich in einem Wettlauf mit der Zeit.

Anne Holt ist eine erfahrene Krimischriftstellerin, gerade in Sachen Politkrimi. Und so ist denn auch dieser Roman – der zweite in ihrer Selma Falck-Reihe – sauber gearbeitet und handwerklich ohne Fehl und Tadel. Ich persönlich bin aber nicht so der ganz große Freund von „Eine gegen die Welt“-Settings. Das ist aber eine Geschmackssache.

Buchdetails:
Anne Holt: Ein notwendiger Tod : Selma Falcks zweiter Fall : Kriminalroman [OT: Furet/værbitt] ; übersetzt von Gabriele Haefs, Atrium Verlag Zürich 2022, 476 Seiten, 978-3-85535-124-4 ; als Hardcover 22 € ; als ebook 11,99 € ; als Taschenbuch 13 € ; als Hörbuch 21,99 €

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