Auf dem Nachttisch (6)

Ein neuer Schwung Kurzrezensionen. Dieses Mal mit dem BND, einer Afghanistanreise, ermittelnden Rentern und einer Migrantenmutti.

Wolf Harlander: Systemfehler

Nach zunächst vereinzelten Ausfällen an neuralgischen Punkten bei kritischer Infrastruktur wie Kliniken, Flughäfen oder U-Bahnen, sind die europäischen Geheimdienste alarmiert. Anfangs allerdings zeigt man sich insbesondere beim BND nicht bereit, das Undenkbare zu denken: Könnte es einen Feind geben, der in der Lage ist, nach Belieben in die vernetzte Infrastruktur einzudringen und Krankenhäuser, Energieversorger, Verkehr – einfach alles und jeden lahmzulegen? Die Realität beendet dann zügig alles Leugnen, denn genau das geschieht. Wolf Harlander erzählt die Geschichte dieses Blackouts routiniert: Es gibt beim BND den Außenseiter, dem nicht geglaubt wird und natürlich wird zunächst ein Unschuldiger gejagt. Geschickt verknüpft er die Schilderung der mannigfaltigen Auswirkungen des Zusammenbruchs mit den verschiedenen Familienmitgliedern des Protagonisten. Durch ihre sehr unterschiedlichen Perspektiven und Lebensumstände gelingt dabei ein umfassender Rundumblick. IT-Fans werden sicherlich einige Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten ausmachen können, aber Harlander zeichnet auf jeden Fall ein überzeugendes Bild davon, wie abhängig unsere moderne Welt von funktionierender Technik ist – und wie angreifbar sie ist, weil eben alles mit allem verbunden ist. Der Spannungsplot ist typisch für das Genre, ich fand die Auflösung etwas plump und wenig überraschend. Dass Harlander aber einen überzeugenden Blick auf die Berührungspunkte von Islamismus und Rechtsextremismus wirft und dabei darstellt, wie schnell beide zusammenarbeiten können, um das gemeinsam verhasste „System“ zu destabilisieren, ist jedoch ein echter Gewinn dieses Romans.

Buchdetails:
Wolf Harlander: Systemfehler : Thriller. Rowohlt Polaris Hamburg 2021, 493 Seiten, ISBN 978-3-499-00661-6 ; als Paperback 16 € ; als Taschenbuch 12 € ; als ebook 9,99 € ; als Hörbuch 19,95 €

Roger Willemsen: Afghanische Reise

2006 reist Roger Willemsen nach Afghanistan, in Begleitung einer afghanischen Freundin, um das Land kennenzulernen, das gerade eine 25jährige Kriegsgeschichte hinter sich hatte. Ein Land im Aufbruch, ein Land voller Hoffnung.

Willemsen zeigt sich als offener, interessierter Beobachter, der seinen Gesprächspartner:innen Raum gibt. Es ist berührend, wie in diesem geplagten Land Hoffnung aufkeimt, wie Menschen, die teils seit Jahrzehnten offen oder versteckt Freiräume suchen und geschaffen haben, jetzt endlich frei atmen und voller Tatendrang sind, die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Und es schmerzt ungemein, davon nun zwanzig Jahre später zu lesen, da all dies wieder verloren ist.

Buchdetails:
Roger Willemsen: Afghanische Reise. Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 2007, 221 Seiten, ISBN 978-3-596-17339-6 ; als Taschenbuch 12 € ; als ebook 9,99 € ; als Hörbuch 9,99 €

Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel

Die Rentner-Gang des Donnerstagsmordclubs widmet sich dieses Mal einem zehn Jahre alten Fall. Die Journalistin Bethany Waites hatte in einem Steuerbetrugsfall recherchiert und wurde ermordet. Dieses Mal geraten sie allerdings auch ernsthaft in Gefahr, insbesondere als MasterMind Elisabeth entführt wird. Richard Osman ist ein routinierter Autor, der genau weiß, wie man Geschichten aufbaut und der ein Händchen für skurrile Charaktere hat. Mit Band drei lässt die Serie aber doch etwas nach – denn das Konzept lebt natürlich von der Originalität. Hier aber wirkt nun doch einiges schon etwas eingefahren. Aber das ist schon Jammern auf einem erheblichen Niveau, auch der dritte Fall ist souverän geschrieben und ein großer Spaß.

Buchdetails:
Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel : Kriminalroman [OT: The bullett that missed] ; aus dem Englischen von Sabine Roth, 430 Seiten, List Verlag Berlin 2023, 978-3-471-36052-1 ; als Paperback 17,99 € ; als Taschenbuch 12,99 € ; als ebook 10,99 € ; als Hörbuch 18 €

Elina Penner: Migrantenmutti

Soziale Codes sind ganz häufig Distinktions- und Exklusionswerkzeuge. Häufig bewusst eingesetzt, sehr oft aber auch unbewusst. Elina Penner öffnet dazu mit klarem Blick, schnoddrigem Ton, kluger Reflexion und warmem Herzen viele Perspektiven.
An ganz alltäglichen Situationen – vom Mittagessen mit Gastkindern über Besucherstraßenschuhe bis zu Cousin-reichen Familienfeiern – zeigt sie die manchmal unsichtbaren Grenzen auf, die zu Missverständnissen, Ausgrenzung und Abwertung führen können.

Ihr unbestreitbares satirisches Talent macht aus dieser Essaysammlung eine Lektüre, die mir viel Freude gemacht hat, bei der ich sehr viel gelacht habe und über die ich immer wieder nachdenke.

Buchdetails:
Elina Penner: Migrantenmutti. Aufbau-Verlag Berlin 2023, 207 Seiten, ISBN 978-3-351-04208-0 ; als Paperback 18 € ; als ebook 13,99 € ; als Hörbuch 14,99 €

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