Es gibt weiterhin noch einiges an Lektüre aufzuarbeiten. Heute habe ich im Angebot: Liebe, Mord und Historie – den gängigen Branchen-Narrativen nach sollte diese Zusammenstellung Riesen-Erfolg garantieren. Nun, wir werden sehen…
Musa Okwonga:
Es ging immer nur um Liebe
Wie ist es, als PoC nach Berlin zu ziehen? Wo ein Zimmer finden, wie sich zurechtfinden, wie zugewandte Menschen finden?
Ich weiß es nicht und ich werde es wahrscheinlich auch nie wissen. Zumindest nicht in dem Maße, wie ich viele andere Zu- und Umstände weiß und wissen kann. Musa Okwonga erzählt davon, eher in Episoden als in einer geradlinig verlaufenen Geschichte – aber hey, ist das Leben nicht auch genau so? Und so erzählt er vom Fußballspielen, von Café-Besuchen, von Freund:innen, von Liebe und Verlust, Vergangenheit und der Suche nach einer Zukunft. Seine zarte Sprache erzeugt dabei ein Gefühl von Zerbrechlichkeit und hat mich sehr berührt. Okwonga erzählt so schwerelos von Schwere, das ist ein echtes Erlebnis.
Buchdetails:
Musa Okwonga: Es ging immer nur um Liebe : Roman [OT In the end, it was all about love]; aus dem Englischen von Marie Isabel Matthews-Schlinzig, mairisch Verlag Hamburg 2022, 148 Seiten, ISBN 978-3-948722-19-7 ; als Hardcover 20 €, als Taschenbuch (ET 1.8.25) 14 €, als ebook 9,99 € ; als Hörbuch 9,99 €
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Amy McCulloch:
Der Aufstieg
Es ist die Chance ihrer jungen Karriere: Reisejournalistin Cecily bekommt die Möglichkeit, exklusiv und als Erste den Bergsteiger Charles McVeigh zu interviewen. Diesem ist es gelungen, innerhalb eines Jahres bereits 13 Achttausender zu besteigen. Nun macht er sich auf den Weg, auch noch den vierzehnten – den Manaslu – innerhalb dieser Frist zu erklimmen und sich so einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern.
Allerdings darf sie dieses Interview erst nach erfolgreichem Abschluss dieser Mission führen und außerdem soll sie ihn dabei begleiten. Cecily ist keine ungeübte Bergsteigerin, aber der Snowdon ist doch ein etwas anderes Kaliber als ein nepalesischer Achttausender. Und außerdem ist das Thema Bergsteigen für sie nicht ganz unbelastet.
Aber natürlich muss sie diese Chance ergreifen und zusammen mit einer illustren Gruppe beginnt der Aufstieg.
Dieser Roman wäre kein Thriller, wenn alles glatt ginge. Geht es auch nicht, ganz im Gegenteil entgleist die Kampagne zusehends und die Anzahl der Lebenden sinkt kontinuierlich. Amy McCulloch ist eine geübte Autorin und sie hat hier einen spannungsreichen, atmosphärischen Thriller geschrieben, der sowohl von ihrem gekonnt gebauten Plot profitiert als auch das Setting perfekt einfängt. Die ganz besonderen Bedingungen im Höchstgebirge (darf man das so schreiben?), mit der Kälte, dem Schnee, den unvorhersehbaren Abgründen, der dünnen Luft und den äußerst problematischen Sichtbedingungen (insbesondere, wenn man gejagt wird) macht sie erlebbar, geradezu spürbar. Ich war jedenfalls gefangen und habe diesen Thriller geradezu atemlos gelesen.
Buchdetails:
Amy McCulloch: Der Aufstieg : in eisiger Höhe wartet der Tod : Thriller [OT: Breathless] ; aus dem Englischen von Leena Flegler, Piper Verlag München 2022, 494 Seiten, 978-3-492-06343-2 ; als Paperback 17 € ; als ebook 12,99 € ; als Taschenbuch 13 € (ET 1.10.25) ; als Hörbuch 17 €
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Natasha Pulley:
Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit
1898 wird Joe Tournier am Bahnhof Gare du Roi in Londres aufgefunden – er hat keinerlei Erinnerungen und wird folgerichtig in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Die kann er zwar wieder verlassen, aber dass er daraufhin eine Postkarte erhält, die 90 Jahre alt ist, ihn – den „liebsten Joe“ aber auffordert, nach Hause zu kommen, ist nicht geeignet, seine Irritation gegenüber dieser Welt zu verringern.
Warum in London französisch gesprochen wird, was diese Postkarte soll und warum da ein Leuchtturm drauf ist – das sind nur einige der Indizien, die darauf hindeuten, dass diese Welt nicht in dem Jahr 1898 liegt, das wir kennen.
Natasha Pulley erzählt auf mehreren Ebenen von Verschiebungen im Raum-Zeit-Gefüge und den den Auswirkungen, die es hat, wenn die Machtoptionen erkannt werden, die sich aus der Kontrolle darüber ergeben (Trekkies wird der Gedanke nicht fremd sein). Der Roman ist detailreich ausgearbeitet und geübte Phantastik-Lesende werden eventuell von den Auflösungen der Geheimnisse nicht übermäßig überrascht sein. Wie ihr ganz generell die Konventionen des Genres nicht fremd sind. Mir scheint es aber äußerst unfair, einem phantastischen Roman vorzuwerfen, dass er ein phantastischer Roman ist. 😊Ich bin ihr daher sehr gerne gefolgt und fühlte mich sehr gut unterhalten. Besonders empfehlen möchte ich den Roman aber Menschen, die eine noch junge Lesebiographie haben – ich bin mir sicher, sie werden hier etliche Anknüpfungspunkte finden, über die nachzudenken sich lohnt.
Buchdetails:
Natasha Pulley: Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit : Roman [OT: The Kingdoms] ; aus dem Englischen von Jochen Schwarzer, Klett-Cotta Stuttgart, 536 Seiten, 978-3-608-98636-5 ; als Hardcover 25 € ; als ebook 10,99 € ; als Taschenbuch 14 € ; als Hörbuch 17,49 €
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Karen Duve: Sisi
Ist es überhaupt noch möglich, über Kaiserin Elisabeth von Österreich zu schreiben? Sie gehört zu den Menschen, deren Mythos derart übergroß geworden ist, dass ihr alles Menschliche fremd geworden zu sein scheint.
Es hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder Versuche gegeben, diesen Mythos zu dekonstruieren und die Frau, die doch ein Mensch war, wieder hervortreten zu lassen. Bisher aber hat sich Sissi noch immer gegen Sisi durchgesetzt.
Karen Duve nähert sich in ihrem Roman der Figur auf ungewohnte Weise. Anstatt das Panorama ihres ganzen Lebens auszubreiten, beschränkt sie die Handlung auf eine kurze Zeitspanne in Elisabeths Leben und die handelnden Figuren auf dementsprechend wenige. Sie zeichnet eine Frau, die sich ihrer Privilegien nicht nur bewusst ist, sondern sie auch einzusetzen weiß. Und das keineswegs vorrangig altruistisch. Mir gefällt diese Figur sehr – nicht, weil ich sie überaus sympathisch fände und nicht einmal deshalb, weil sie sehr heftig an Mythos und Legende rüttelt, sondern weil sie einen Menschen in seiner Zeit und seinem Stand zeigt. Eine Frau, die durchaus Teil eines um sich selbst kreisenden Milieus ist und sich in diesem bewegt, Handlungsräume nutzt und Sympathien und Antipathien pflegt. Dass Karen Duve den Zeitrahmen eher kurz setzt, ermöglicht ihr, Schwerpunkt auf facettenreiche und tiefgehende Charakterporträts zu legen und ein Panoptikum zu schaffen, das nicht gerade von Identifikationsfiguren bevölkert ist. Dafür aber von Menschen, die zumindest ich sehr lebhaft vor Augen hatte.
Buchdetails:
Karen Duve: Sisi : Roman, Verlag Galiani Berlin, Köln 2022, 408 Seiten, ISBN 978-3-86971-210-9 ; als Hardcover 26 € ; als ebook 10,99 € ; als Taschenbuch 14 € ; als Hörbuch 10 €
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