Gachmurets Kulturwoche: Bild

Bild: Pablo Picasso: Guernica

Zum Bild selbst brauche ich wohl nicht viel sagen. Es gibt ja auch kaum ein Geschichtslehrbuch, das ohne dieses auskommt.
Für mich handelt es sich um eines meiner einprägendsten Kunsterlebnisse, weil es den Schrecken, das Leid, die Verzweiflung – und nichts anderes bedeutet Krieg, so mächtig zum Ausdruck bringt.
Ich finde, dem Betrachter offenbart sich sofort und unmittelbar, der Schmerz, aber auch die Wut, die in diesem Bild steckt. Und es ist vollkommen verständlich, daß, wann immer ein Bild gebraucht wird, das als Fanal gegen den Krieg und insbesondere gegen den Krieg als Vernichtung stehen kann, auf Picassos Bild zur Zerstörung Guernicas zurückgegriffen wird.
Ich möchte überhaupt gar nicht viel dazu sagen, das Bild möge ganz für sich sprechen.

Ansehen

Gachmurets Kulturwoche: Ort

Heute möchte ich dem geneigten Lesepublikum eine Stadt ans Herz legen, die zu Unrecht belächelt wird, wenn kulturell interessante Reiseziele benannt werden sollen:

Weißenfels

Manche Städte haben es nicht leicht, Ernst genommen zu werden. Sei es, weil sie unglückliche Namen abgekommen haben (Darmstadt) oder weil durch unglückliche Infrastrukturmaßnahmen ihre Existenz grundsätzlich in Frage gestellt wurde (Bielefeld). Auch Weißenfels hatte nicht gerade Glück bei den Umständen, die notwendig sind, um eine erfolgreich-bekannte Kleinstadt zu werden.
Denn eigentlich ist alles da, was man braucht.

Weißenfels war barocke Residenzstadt, hat ein schönes Schloß und wurde im Krieg nicht zu sehr getroffen. Es gibt eine wunderbare Naturlandschaft rings herum. Prima Sache, ideale Voraussetzungen für rege Touristenströme. Wernigerode kriegt das ja auch hin.
Unglücklicherweise wurde aber bereits nebenan in der ehemaligen Residenzstadt Naumburg ein Dom gebaut, dessen Stifterfiguren es in jedes Kunstlexikon schaffen und dank Neo Rauch wird die Stadt wohl auch in Nachschlagewerken zur zeitgenössischen Kunst prominent vertreten sein. Wohin schickt also wohl der Reiseführer vorrangig? Richtig.
Na gut, na gut, es muß ja nicht immer Architektur und bildende Kunst sein. Gönnen wir das Naumburg, die brauchen ja auch Besucher..

Wie wäre es mit Musik?

Heinrich Schütz ist neben Bach und Händel wohl der bedeutendste mitteldeutsche Barockkomponist. Er wuchs in Weißenfels auf, sein Talent wurde hier entdeckt und er verbrachte hier seinen Lebensabend. Es gibt ein Heinrich-Schütz-Haus und ein passendes Musikfest.
Feine Sache, daraus läßt sich doch was machen.
Unglücklicherweise aber sind Halle (Händel) und Leipzig (Bach) mit ihren alles überstrahlenden Barockmusikfestivals gerade mal jeweils ca. 30km entfernt. Und daß Schütz nun auch noch ausgrechnet in Dresden anheuern mußte, ist auch nicht hilfreich.
Denn, was denkt der clevere Reiseführerredakteur? Richtig: Barock, Schütz, Dresden – prima, Thema abgehakt.
Dabei gäbe es gute Gründe, zu denken: Barock, Schütz, Händel, Bach, Weißenfels – prima, Riesenthema abgehakt.
Achja, und daß auf der Autobahn nur „Schützhaus“ als Hinweisschild steht, wird kaum die Zufallsbesucher, die nicht permanent den Komponisten im Kopf haben, anlocken.
Denn die denken: „Ja, nu, ein Schützenhaus, das haben wir auch.“
Gut, Musik also auch nicht.

Klappt es dann vielleicht mit Krieg?

In Weißenfels gibt es das Geleitshaus. An sich schon eine spannende Sache, denn sehr viele Geleitsamtsgebäude sind nicht erhalten (ich werde das jetzt nicht erklären – ihr sollt da ja schließlich hinfahren…)
Dort wurde die Leiche des schwedischen Königs Gustav Adolf II. nach einer der berühmtesten, wenn nicht sogar der entscheidenden Schlacht des Dreißigjährigen Krieges seziert und einbalsamiert. Man hat sogar den unbedingt notwendigen Blutfleck für die Touristen da.
Tja, und wie heißt die Schlacht? Genau, Schlacht bei Lützen. Was steht also wohl im Reiseführer, wo soll man hin? Richtig.

Gut, probieren wir es nochmal anders.

Es gibt ja auch Städte, die werden durch ihre Produkte berühmt. Solingen. Salzwedel. Einbeck. Überhaupt, vielleicht die beste Variante, den eigenen Namen berühmt zu machen (weswegen ja auch jeder Ort mindestens eine regionale Süßigkeit, ein regionales Gebäck und ein regionales alkoholisches Getränk hat.)
Weißenfels war schon vor der Industrialisierung eine Stadt der Schuhe, mit dem Einsetzen dieser wurde sie aber, DIE Schuhstadt, ein Status, den sie in der DDR behielt. Da Weißenfels aber bekanntermaßen nicht in Fernost liegt, werden dort heute keine Schuhe mehr produziert. Geblieben ist ein Schuhmuseum. Und eine Plastik im Stadtpark, zu der sich prima Anekdoten erzählen lassen. Sehr schön.
Doch, ach, was ist der Hauptpunkt für Touristen bei Solinger Messer, Salzwedeler Baumkuchen und Einbecker Bockbier? Genau: Man kann sie kaufen. Vor Ort, quasi frisch vom Amboß, aus dem Ofen, aus dem Kessel. Und Schuhe, die nicht zum Verkauf stehen, die also nie einen Fuß umschmeicheln werden, sind leider, so viel habe ich bei Sex and the City gelernt, kein Anziehungspunkt. Was im Übrigen schade ist, das Museum im Schloß sollte man gesehen haben.
Und die heutigen Großbetriebe Tönnies und frischli (wobei: Leckermäulchen!) sind sowohl in Sachen Touristenmagnet wie auch kulturell betrachtet nicht wirklich ein Ersatz…
Ich könnte diese Liste mit Punkten, die Weißenfels absolut sehenswert machen, die aber durch unglückliche Umstände nie den großen Sprung ins öffentliche Bewußtsein schafften, noch eine Weile weiterführen, hoffe aber, daß die Botschaft angekommen ist und das geneigte Lesepublikum nun weiß, wohin es den nächsten Ausflug plant.

Stadtführungen
Zur Einstimmung lesen.

P.S.: Einen habe ich noch:
Die historisch gewachsene Lage an zwei Handelsstraßen und einem beträchtlich großen Fluß machte Weißenfels mit dem Anstieg des kraftfahrzeuggebundenen Individualverkehrs zu einem berüchtigten Nadelöhr. Wenn also gelernte DDR-Bürger bei „Weißenfels“ nicht sofort an Schuhe denken, dann denken sie wahrscheinlichst an „Stau, kilometerlanger Stau“. Mithin: Hier fuhr man nur lang, wenn man es mußte, nicht, weil man es wollte. Es gibt günstigere mentale Voraussetzungen für den Status als Ausflugsziel.
Inzwischen allerdings gibt es ganz hervorragende Möglichkeiten, per PKW Weißenfels zu umfahren. Ja, und das machen die meisten dann ja auch…

P.P.S.: Zumindest aber die WGT-Teilnehmer kennen ihre kulturellen Bezüge und so vergeht kein Wave-Gothic-Treffen ohne Blumen an Novalis Grab. 😉

Gachmurets Kulturwoche: Film

Film: Die letzten Glühwürmchen

Über diesen Film zu schreiben, fällt mir nicht leicht – und doch ist es mir ein tiefes Bedürfnis. Ich schrieb gestern davon, daß ich davon abrate, von der gewählten Stilrichtung eines Kunstwerkes auf dessen Minderwertigkeit zu schließen. Heute ein Beispiel dafür, daß ein Animationsfilm in seiner kulturellen Leistung weder einem Theaterstück noch einem Realfilm auch nur im geringsten nachstehen muß.
„Die letzten Glühwürmchen“ ist der berührendste, erschütterndste Film, den ich bis heute gesehen habe. Basierend auf der Erzählung von 野坂 昭如 (Nosaka Akiyuki)
火垂るの墓 (Hotaru no Haka, 1968, dt.: Das Grab der Leuchtkäfer, 1992) wird die Geschichte des vierzehnjährigen Setsuko und seiner vierjährigen Schwester Seita während der Endphase des zweiten Weltkrieges in Japan. Nach einem Bombenangriff auf Kōbe, bei dem ihre Mutter stirbt, ziehen die Geschwister zu ihrer Tante. Doch wird den beiden das Leben dort bald unerträglich und sie beschließen, sich selbst zu versorgen.
Hiermit beginnt ein verzweifelter Überlebenskampf, bei dem Setsuko von Gelegenheitsarbeiten bis zum Stehlen alles versucht, um seine zusehends schwächer werdende Schwester zu retten und ihr ein Leben ohne Angst vor dem Morgen zu bieten. Er blendet vor ihr alle Schwierigkeiten ihrer Lage aus, läßt sie ganz Kind sein, was für ihn auch bedeutet, ihr Quengeln über Hitze, Kälte und Hunger aufzufangen.
Der Film zeichnet aus einer vollkommen unpathetischen, neutralen Position heraus, läßt die Figuren für sich stehen und wirken – und genau das macht ihn so stark, in seiner emotionalen Wirkung schon beinahe unerträglich. Hier ist es nicht nur die Geschichte an sich, die berührt, hier ist es das ruhige, unaufgeregte Erzählen, die Zeit, die der Film dem Zuschauenden gibt, um Szenen wirken zu lassen, die diesen Film zu einem ganz besonderen Kunstwerk macht.

Roger Ebert schreibt in seiner Rezension in der Chicago Sun Times: „An emotional experience so powerful that it forces a rethinking of animation.“ Und dies möchte ich allen ins Stammbuch schreiben, die bei jedem Animationsfilm nur denken „Ach, so ein Kinderkram“.
Dies scheint im Übrigen auch auf die in meinen Augen nach eigenartigen Kriterien arbeitende FSK zu gelten, die den Film ab 6 Jahren freigibt (klar: Es gibt keinen riesigen Spannungsbogen und Schockszenen mit Gewalt und Sex oder gar entblößten Brüsten gibt es auch nicht, also…)
Das Lexikon des Internationalen Films rät zu einem Mindestalter von 16 Jahren – und da scheinen sie mir schon deutlich näher dran.
Ich jedenfalls rate dazu, sich den Film auf keinen Fall alleine anzuschauen. Wer nicht beim Holländer-Michl zum Tauschen war, wird Gesprächsbedarf haben.

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Gachmurets Kulturwoche: Fernsehshow

Das ganze Fernsehen ist von nichtssagenden, plappernden Idioten besetzt, die den ganzen Tag nur über die korrekte wahl von Kleidungsstücken oder Sexualpartnern reden.
Das ganze Fernsehen? Nein! Einige von unbeugsamen Mitarbeitern bevölkerte Sendungen hören nicht auf, der Verdummungsmaschinerie Widerstand zu leisten.
Um eine dieser Sendungen soll es heute gehen: The Daily Show.

THE SHOW YOU ARE ABOUT
TO WATCH IS A NEWS PARODY.
ITS STORIES ARE NOT FACT
CHECKED. ITS REPORTERS ARE
NOT JOURNALISTS. AND ITS
OPINIONS ARE NOT FULLY
THOUGHT THROUGH.

So ist es vor Beginn einer jeden Sendung zu lesen. Und doch kommt eine US-amerikanische Untersuchung zu dem Ergebnis, die Zuschauer dieser Sendung seien besser informiert als die Konsumenten sämtlicher Nachrichtenmagazine.
Das ist natürlich zum einen dadurch erklärbar, daß Zuschauer politischer Satiresendungen im Schnitt als politikaffiner angesehen werden dürften als andere. Zum anderen liegt es aber natürlich auch an der Sendung selbst.
Ich schrieb gestern über Volker Pispers als Vertreter des hiesigen klassischen politischen Kabaretts. Jon Stewart zeigt, wie es auch gehen kann. Seine Sendung, die bereits unglaubliche 13 Jahre läuft, nimmt mit derselben Akribie und derselben Schärfe Politiker und, ein klarer Schwerpunkt, ihre medialen Helfer („Journalisten“) aufs Korn. Freilich, mit einem ganz anderen Tempo und in einer ganz anderen Form. Aber: Deswegen nicht seichter, nicht weniger hinterfragend, nicht weniger scharf.
Beide Konzepte nebeneinander zeigen aus meiner Sicht sehr schön, daß die gewählte Methode, das Format, die Ausdrucksform recht wenig über die Relevanz einer kulturellen Leistung aussagt.
Doch dazu morgen mehr.
Die Show gibt es in zwei Ausgaben. Beide sind im Internet frei abrufbar.
Zum einen die originale amerikanische Show, die tatsächlich täglich läuft und zum anderen eine “Global Edition”, die für den Rest der Welt zusammengeschnitten wird. Die Original-Show geht, naturgemäß, sehr ins Detail. Wem also die aktuellen Ereignisse in den USA nicht detailliert vertraut sind, dem sei zur “Global Edition” geraten. Diese läuft, dann auch untertitelt, inzwischen auf dem unsäglichen Sendeplatz Mo., 0:40 auf Comedy Central (als ich die Show entdeckte, lief sie sonntags gegen 22:00 – das ging noch).

Das Original.
Die Ausgabe für den Rest der Welt.
Zum Nachlesen.

Gachmurets Kulturwoche: Kabarett

Mit dem heutigen Beitrag eröffne ich offiziell Gachmurets erste Kulturwoche.

Beginnen möchte ich mit einem Kabarettisten:

Kabarett: Volker Pispers

Das politische Kabarett hat es heute schwer. Die mächtige Präsenz, gerade im Fernsehen, die ihm noch bis weit in die neunziger Jahre zugebilligt wurde, hat es verloren.
Nicht zuletzt die mit „RTL Samstag-Nacht“ und dem „Quatsch Comedy-Club“ ausgelöste Comedy-Welle, deren Protagonisten sich nicht selten an US-amerikanischen Vorbildern orientieren, scheint die Verantwortlichen davon überzeugt zu haben, daß das politische Kabarett in seiner bekannten Form nicht mehr zeitgemäß sei.

Doch zu diesem Thema an anderer Stelle mehr.

Heute möchte ich auf jemanden verweisen, der in seiner Arbeit zeigt, daß klassisches politisches Kabarett immer noch auf der Höhe der Zeit sein kann – es muß nur gut gemacht werden. Es braucht weiterhin klare Positionen, gestochene Formulierungen und pointierte, bissige Texte.
Ich nahm an, dies sei heute nicht mehr zu finden, doch Volker Pispers hat mir den Glauben an das politische Kabarett zurück gegeben.
Sein Programm erfüllt alle Kriterien, die es zu erfüllen gilt. Er führt die Absurditäten, die Gedankenlosigkeit, die Unsinnigkeiten, die Fehler, die Scheinheiligkeit der politischen Entscheider unerbittlich vor Augen, schärft beim geneigten Publikum den Blick und hilft so in der alltäglichen Berieselung wach und aufmerksam zu bleiben.

Hingehen!

Ansehen!

Das Ende einer Liebe

Zunächst sei gesagt: Mit gebrochenem Herzen formuliert es sich schlecht, ich bitte also um Vergebung, sollte dieser Beitrag der gewohnten Brillanz und des üblichen Ésprit entbehren.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann es begann, nach meiner Erinnerung muß es irgendwann 1997 oder 1998 gewesen sein, als ich mich zu meinem ersten Zeitungsabonnement entschloß.
Eine Tageszeitung gehörte meiner Überzeugung nach einfach dazu, wenn man sich als politisch denkender Mensch, noch dazu mit dem einen oder anderen Ideal im Kopf, Ernst nehmen möchte.
Nach Durchsicht diverser verfügbarer Zeitungen (so ein Unizeitschriftenlesesaal ist eine feine Sache) samt frustrierender Leserlebnisse, die ich auf einer Geburtstagsfeier mitteilte, wurde ich auf “die tageszeitung” aufmerksam gemacht.
Nun, was soll ich sagen, es war Liebe auf den ersten Blick.
Ich vermag heute natürlich nicht mehr genau zu eruieren, was mich seinerzeit so faszinierte (ihr Äußeres war es jedenfalls nicht 😉 ), aber die taz sprach Themen an, die anderswo unausgesprochen blieben, die taz widmete gerne auch mal mehrere Seiten einem Thema, wenn es ihr wichtig schien (und zwar vollkommen unabhängig davon, ob das Thema auch in anderen Medien grade wichtig war), sie hatte einen journalistischen Stil, der Freude beim Lesen machte. Und ich hatte immer das Gefühl,
die Autoren hatten wirklich etwas zu sagen und sie kannten sich auch aus, wenn sie sich äußerten. Es gab sogar Plattformen für Leute, die ganz eindeutig anderer Meinung als die Redakteure und erst Recht der LeserInnen waren (sehr schön dazu).
Außerdem habe ich, und das gilt bis heute, noch keine besseren Satireseiten einer Tageszeitung gelesen, als in der taz (gibt es überhaupt Tageszeitungen mit mehr als einer Seite, mit überhaupt einer ganzen Seite?).
Kurz: Es war eine ganz andere Art, Zeitung zu machen. Und irgendwie war es auch mehr, als einfach eine Zeitung zu lesen (sehr schön dazu)
Nun, zugegeben, die taz war immer eine recht kostspielige Geliebte, mehr als 3 Jahresabonnements habe ich mir im Laufe der Jahre nicht leisten können, aber Unabhängigkeit und Anspruch haben ihren Preis.

Doch ich habe im Laufe der Jahre nie mehr eine andere Zeitung gekauft, wenn es keine taz gab, kaufte ich lieber keine Zeitung (wär ja noch schöner, Holtzbrinck und Springer verdienen auch ohne mich genug Geld).
Aber, wie das so ist, wir alle verändern uns. Und auch die taz hat sich allmählich vom linksalternativen Projekt zum mittelständischen Medienunternehmen entwickelt.
Das ging natürlich schleichend und über viele Jahre hinweg blieben die meisten der Dinge, die ich an dieser Zeitung geschätzt habe, erhalten.
Als es dann im Zuge des 30. Geburtstages der taz hieß, man wolle sich ganz anders präsentieren, schwante mir nichts Gutes und die Äußerungen Peter Unfrieds auf einer Leipziger Veranstaltung machten mich noch unruhiger. Und, was soll ich sagen?
Das neue Layout zum Geburtstag übertraf alles, was ich befürchtet habe. Man feierte sich dort allen Ernstes für ein Layout, daß die MZ schon vor 10 Jahren hatte und das derartig nichtssagend ist, daß ich zum allerersten Mal die taz am Kiosk SUCHEN mußte. Ich mußte die noch nie suchen, die stach immer heraus.
Die Antwoert, die dann irgendwann einmal aus Herrn Unfrieds Feder auf die durchaus kontroversen Reaktionen kam, war ein derart enttäuschendes Mainstream-Manager-Geschreibsel(Veränderungen irritieren oft, man muß sich dran gewöhnen, dann wird das schon und überhaupt die meisten finden das sehr schön – was man eben so sagt), die Artikel wurden immer seichter, immer oberflächlicher, immer mehr neon-like, daß ich sogar Langeweile empfand.
Nun, und endgültig das Aus war dann der Weggang Bascha Mikas, die durch eine Dame ersetzt wird, die genauso gut bei der Financial Times oder der Welt oder sonst irgendeinem Blatt schrieben könnte – und die auch genau solches unverbindliches, oberflächlich-anbiedernders Zeug schreibt.

Eine Ahnung davon bekommt ihr vielleicht, wenn ihr einfach das Interview mit Bascha Mika lest und im Vergleich dazu den Antrittsartikel ihrer Nachfolgerin.

Das ist nicht die Zeitung, für die ich immer und überall geworben habe, das ich nicht die Zeitung, die ich immer und überall verteidigt habe, das ist nicht die Zeitung, die ich immer und überall mit Stolz gelesen habe. Das ist eine Zeitung wie alle anderen auch. Und so werde ich sie wohl auch in Zukunft behandeln, wie eine unter vielen.

Wahrscheinlich ist die taz deswegen noch immer keine schlechte Zeitung, aber kann man so etwas lieben?
Und mit leisem Bedauern trete ich aus dieser Genossenschaft, zu deren Mitgliedschaft in meinen Augen immer Herz gehört, aus.

Das Buch zum Sonntag (5)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft:

Gregor Hens: Matta verläßt seine Kinder

Hens, geboren 1965, ist studierter Germanist und Anglist, seit 2001 ordentlicher Professor an der Ohio State University, legte vor diesem Roman bereits zwei andere vor, die mich aber nicht überzeugten (ich las sie auch erst nach “Matta”, durch den ich auf ihn aufmerksam wurde).

Karsten Matta, 40, verheiratet, zwei Kinder, ist Gutachter für einen exlusiven Londoner ThinkTank, der für Regierungen und, vor allem, Wirtschaftsunternehmen, Krisenregionen bewertet. Er bereist also Orte wie Serbien, Ruanda, Pakistan etc, um herauszufinden, ob und wenn ja mit welchen Bedingungen sich Investitionen dort lohnen.
Eines Tages, während einer sinn- und schier endlosen Warterei in einem Konsulat (er ist einziger Besucher und benötigt schlicht ein Visum – sowas kann ja schon mal einen halben Tag dauern…), platzt ein Äderchen in seinem Auge und er beschließt in diesem Moment, dies alles nicht mehr mitzumachen.
Und “alles” meint in diesem Falle “alles”.

Hens verzichtet vollkommen auf die Trennung zwischen Erzählung, mündlicher Rede, innerem Dialog, alternativen Handlungssträngen oder Rückblenden. Das gibt dem Buch eine Atemlosigkeit, die ich bis dahin nicht kannte und schafft eine verwirrend-beklemmende Athmosphäre. Eben diese scheint mir allerdings auch vollkommen angemessen zu sein, geradezu perfekt zum Ausbruch und dem folgenden Handlungsverlauf zu passen.

Zum Schluß sei noch eine Stelle zitiert, die mich dazu bewogen hat, seit dem jedes Mal, wenn ich in einem Hotel o.ä. übernachte, ein Buch zurückzulassen:

Und jedes Mal nahm er ein Einziges mit, las dreißig oder fünfzig Seiten im Flugzeug und ließ das Buch im ersten Hotel liegen. Zu schwer. Er reiste mit einer einzigen Tasche aus Segeltuch. In Bamako im stolzen, immer frisch geweißten Royal Mama Pleasant Suites standen mehrere dieser Hinterlassenschaften in einem Regal in der Lobby. Rebeccas Leihbibliothek im Herzen von Mali, das hatte ihn immer gefreut, wenn er dort ankam und wenn er die Bücher sah, fein säuberlich aufgereiht, richtiggehend präsentiert, während er in bar im Voraus bezahlte, dollars mon ami, dollars, und seinen Schlüssel in Empfang nahm. Manchmal traf er einen Kollegen, der erzählte, ich war im Royal Mama oder im Aurora Inn oder im Millenio II in Bahia und hing da fest, wochenlang, und konnte nichts machen, musste mir die Zeit totschlagen, und da lagen zum Glück auf meinem Nachttisch ein paar deutsche Bücher, eine dicke Magellan-Biografie mit dem Titel Die Toten behalten Unrecht, etwas von Richard Kaschinski und die Goa-Skizzen von C.Kraft. Die haben mir das Leben gerettet.

(S. 29-30 der Taschenbuchausgabe)

lieferbare Ausgaben

Das Leben als Reise

Das Bestattungsgewerbe gilt als krisensicher. Es gibt schließlich nur wenige Dinge, deren Unabänderlichkeit so unzweifelhaft ist wie das Ende unseres Daseins in dieser Welt. Oder, etwas profaner, dafür pointierter ausgedrückt: Gestorben wird immer.
Genau genommen läge also nichts näher, als ein Bestattungsinstitut zu eröffnen, um finanzmarktsicher Geld zu verdienen.
Aber, wie so viele andere Branchen, hat auch das Bestattungsgewerbe so seine Besonderheiten. Die Besonderheit in diesem Falle sind die Kunden. Die kommen nicht gerne und das trotz der evidenten Notwendigkeit des angebotenen Produktes. Die Menschen werden nicht gerne an ihre Endlichkeit erinnert. Und wenn sie dann einmal daran denken, welches Angebot nehmen sie dann wahr?
Es gibt Anbieter, die versuchen es mit der aus anderen Branchen bekannten Strategie: Der Preis macht´s. Gefällt mir persönlich nicht so. Zum einen wußte der Hausheilige bereits: “Man achte immer auf Qualität. Ein Sarg zum Beispiel
muß fürs Leben halten.”*
Zum anderen wage ich zu bezweifeln, daß eine Beerdigung, bei der nichts so sehr zählt wie der niedrige Preis, so gestaltet wird, daß die Teilnehmer wirklich das Gefühl haben, Abschied von einem für sie wichtigen Menschen zu nehmen.

Ein, aus meiner Sicht, schöneres Beispiel für das Schaufenster eines Beerdigungsinstituts fand ich in Lübeck.
Gelungen finde ich, wie hier in der Schaufenstergestaltung der Focus auf das Leben gerückt wird.
Im ersten Fenster wird, in einer Küstenstadt zugegebenermaßen naheliegend, das Thema der Lebensreise und deren Ende maritim umgesetzt. “Sterben” als “Ankommen” zu interpretieren, mithin positiv zu belegen, ist nicht ganz neu, aber der Slogan “Am Ende der Reise gut ankommen” als Werbung für die Qualität des eigenen Angebots hat mir gefallen.
Im zweiten Fenster, das erkennt man dank meiner eher preiswerten Schnappschußkamera eher schlecht, wird der Tod nicht als zu bewältigender Verlust thematisiert, sondern als Gewinn an Erinnerung.
Zugegeben, die Zitate erzählen das Übliche, aber auch hier interessiert mich gar nicht so sehr die spritzige Originalität, sondern der Ansatz.
Die beiden Schaufenster bringen eine positive Botschaft, ohne dabei der kulturell vorgesehen Pietät, dem Respekt vor der Endlichkeit unseres Seins, der Tatsache, daß Bestattungensunternehmen keine Metzger oder Sockenverkäufer sind, keine Rechnung zu tragen.
Und zwar, und das unterscheidet die Schaufenster von allem, was ich bisher so gesehen habe, ohne dabei einen krampfhaften Spagat zu versuchen.
Leider kann die Website des Unternehmens da nicht mithalten…

Soweit meine unsortierten Gedanken dazu. Zum Abschluß noch ein Kommentar des Hausheiligen zum Thema Menschen und ihr Verhältnis zum Tod:

“Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.”

in: Der Mensch. [Werke und Briefe: 1931, S. 498. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8478 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 231) (c) Rowohlt Verlag]

* in: Schnipsel. [Werke und Briefe: 1932, S. 30. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8746 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 10, S. 20) (c) Rowohlt Verlag]

Das Buch zum Sonntag (4)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich dem geneigten Lesepublikum zur Lektüre:

Martin Suter: Die dunkle Seite des Mondes

Wieder mal ein Quereinsteiger ins Schriftstellerleben. Und wieder einmal ein Autor aus der Schweiz. Martin Suter war zunächst als Werbetexter und Werber tätig – und dies mit einigem Erfolg (Präsident des Art Director Clubs wird auch in der Schweiz nicht jeder ;)). Seit 1992 veröffentlichte er Kolumnen (“Business Class”, “Richtig leben mit Geri Weibel”), in denen er die Welt der ach so wichtigen Manager, Anwälte… kunst- und ich möchte sagen genußvoll vorführt.
“Die dunkle Seite des Mondes”, erschienen im Jahre 2000, ist sein zweiter Roman. Geschildert wird das Leben des Wirtschaftsanwaltes Urs Blank, 45, äußerst erfolgreich und spezialisiert auf Fusionen.
Er hat sein Leben, samt Gefühlsleben, vollkommen im Griff und erfüllt auch sonst alle gängigen Staranwaltskriterien.
Eines Morgens nun entscheidet er sich in Anbetracht des schönen Wetters, nicht mit dem Taxi zur mittäglichen Essensverabredung zu fahren, sondern zu Fuß eine Abkürzung durch einen kleinen Park zu nehmen.
Dort nimmt er an einem Verkaufsstand einen unbestimmt vertrauten Duft war.

“Was riecht so?” fragte er das junge Mädchen hinter dem Stand. Sie trug einen chinesischen Seidenmantel und mehrere der Seidenschals aus ihrem Angebot. Mit einem hatte sie die Überfülle ihrer schwarzen Locken aus dem Gesicht gebunden.
Als sie aufschaute, sah er, daß ihre Stirn mit einem goldenen Kastenzeichen geschmückt und ihre Lider schwarz umrandet waren.
Was ihm einen Moment die Sprache verschlug, war die Farbe ihrer Augen. Sie waren nicht schwarz, wie das von ihrer Aufmachung her zu erwarten war, sondern von einem blassen Blau wie bei einem Huskie. Sie lächelte und schien nicht im geringsten erstaunt über den Mann im Maßanzug an ihrem Stand. “Es sind fünf Dürfte, welchen meinen Sie?”
Das Mädchen fächelte ihm mit beiden Händen die Rauchfäden gegen die Nase, einen nach dem anderen. Schmale Silberreifen klingelten an ihren Armen. “Den hier meine ich.”
Sie schnupperte. “Sandlewood. Vierzehn Franken.”
Urs Blank bezahlte und steckte das Päckchen in die Manteltasche.

(S. 18)

Wirkt belanglos, nicht wahr? Und doch ist dies die entscheidende Stelle des Buches. Was ich an diesem Roman, neben seiner bitterbösen Entlarvung diverser, ich sage mal, aufgeblasener Wichtigtuer, sehr schätze, ist Suters raffinierte Art, Unheil und Katastrophen schleichend, geradezu unmerklich aufzubauen. Jeder kleine Schritt wirkt vollkommen harmlos, natürlich, nachvollziehbar. Und läßt so jederzeit das Gefühl bestehen, wirkliche Gefahr bestünde nicht.

Und nun: Lest selbst.

lieferbare Ausgaben

Die Rede zur aktuellen Krise…

… hält heute der Hausheilige dieses Blogs, Dr. jur. Kurt Tucholsky.

Kapital und Zinsen und Zubehör.
So lassen wir denn unser großes Malheur
nur einen, nur einen entgelten:
Den, der sich nicht mehr wehren kann,
Den Angestellten, den Arbeitsmann;
den Hund, den Moskau verhetzte,
dem nehmen wir nun das Letzte.
Arbeiterblut muß man keltern.
Wir sparen an den Gehältern –
immer runter!

Unsre Inserate sind nur noch ein Hohn.
Was braucht denn auch die deutsche Nation
sich Hemden und Stiefel zu kaufen?
Soll sie doch barfuß laufen!
Wir haben im Schädel nur ein Wort:
Export! Export!

Was braucht ihr eignen Hausstand?
Unsre Kunden wohnen im Ausland!
Für euch gibts keine Waren.
Für euch heißts: sparen! sparen!
Nicht wahr, ein richtiger Kapitalist
hat verdient, als es gut gegangen ist.
Er hat einen guten Magen,
Wir mußten das Risiko tragen . . .
Wir geben das Risiko traurig und schlapp
inzwischen in der Garderobe ab.

Was macht man mit Arbeitermassen?
Entlassen! Entlassen! Entlassen!
Wir haben die Lösung gefunden:
Krieg den eignen Kunden!
Dieweil der deutsche Kapitalist
Gemüt hat und Exportkaufmann ist.
Wußten Sie das nicht schon früher -?
Gott segne die Wirtschaftsverführer!

[Die Lösung. in: Werke und Briefe: 1931, S. 589. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8568-8569 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 269-270) (c) Rowohlt Verlag]