Das Buch zum Sonntag (25)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Banana Yoshimoto: Tsugumi

Weihnachtszeit ist Kaminzeit ist Lieblingsbuchzeit. Morgen ist bereits der vierte Advent, mithin handelt es sich heute um die letzte Buchempfehlung vor HeiligAbend. Und in meinen Augen ist Tsugumi ein würdiges Buch dafür. Der geneigten Leserschaft ist Frau Yoshimoto ja bereits bekannt. In diesem Büchlein nun erzählt eine Geschichte, die banal und rührend zugleich ist, passend also zu 10 Grad unter Null (im Flachland!), Schneefall, Glühwein und einem warmen Ofen. Die Ich-Erzählerin Maria erzählt eine Geschichte, die auf einer der zahllosen Urlaubsinseln, die Japan zu bieten hat, spielt und auf der sie aufgewachsen ist. Es ist der “letzte Sommer ihrer Jugend.” Dort scheint die Welt der Ryokan noch in Ordnung, alles geht familiär und traditionell zu. Jedoch soll eine Hotelanlage gebaut werden, die eben dieses Idyll zerstören könnte. Vor diesem Hintergrund entspinnt sich nun eine Liebesgeschichte zwischen dem Sohn des Hotelbauers und der Tochter der Besitzer des Ryokan, in dem Maria wohnt. So weit, so Email-für-Dich. Doch meine Schwäche für Frau Yoshimoto liegt nicht in ihren Kompositionskünsten für aufregende oder tiefgründige Plots begründet, sondern in den Charakteren, die sie schafft, in den Bildern, die sie zeichnet. Und Tsugumi ist mir von den zahlreichen Figuren, die sie geschaffen hat, die liebste. Der geneigte Leser kann hier eine junge Frau erleben, deren Charme erfrischend, weil unbekümmert scheinend ist, die eine Lebensfreude, eine Energie ausstrahlt, der sich zu entziehen schwer fällt. Hinter Tsugumi bleiben in Yoshimotos bisherigem Gesamtwerk (soweit es auf Deutsch erschienen ist, mein Japanisch ist, um mal mit Winnie-the-Pooh zu sprechen, etwas wacklig), erst Recht freilich in diesem Buch, alle anderen Charaktere weit zurück.

Ich bin jemand… also, ich würde einer Blume mutwillig sämtliche Blätter ausreißen, aber ihre Schönheit würde ich nie vergessen.

(S. 77)

Banana Yoshimoto läßt ihre jungen Charaktere sehr häufig die Erfahrung machen, daß das Leben endlich ist. Die permanente Anwesenheit des Todes gehört zu den Elementen der typischen Melancholie ihrer Literatur. Tsugumi selbst ist seit ihrer Geburt von höchst fragiler Gesundheit, ihr Leben scheint permanent an einem dünnen Faden zu hängen. Verhätschelt und verwöhnt aufgezogen, versucht sie nun, dem Trotzkindalter entwachsen, eine Fassade der Eigensinnigkeit, der Schroffheit, der Hinterhältigkeit aufrecht zu erhalten (und das gelingt ihr ganz hervorragend, sie spielt ihrer Umgebung durchaus perfide Streiche, die weit weniger an Michel von Lönneberga als viel mehr an Eric Cartman denken lassen – manipulativ und gerne mal emotional verheerend) – aber verliebt in sie habe ich mich wegen Szenen wie dieser, was auch immer das über mich aussagen mag:

“Zum Beispiel, stell Dir vor, eine Hungersnot bricht über die Erde herein.” “Hungersnot…? Wenn du plötzlich so überspanntes Zeug redest, versteh ich überhaupt nichts mehr.” “Schnauze! Halt´s Maul, und hör zu: Also, ich will ´n Typ werden, der Pünktchen ohne mit der Wimper zu zucken schlachten und auffressen kann, wenn es wirklich nichts mehr zu fressen gibt. Und natürlich nicht so ´n inkonsequenter Blödmann, der sich nachher im stillen die Augen ausheult, der ‘Pünktchen, danke für alles’ und ‘Tut mir furchtbar leid’ sabbert, ein Grab für den Köter schaufelt und sich aus einem seiner Knöchelchen ein Medaillon machen läßt, das er dann immer um den Hals trägt. Wenn schon, dann will ich einer werden, der nicht bereut und auch kein schlechtes Gewissen kriegt, sondern wirklich ganz cool mit einem Grinsen sagt: ‘Hast ganz vorzüglich geschmeckt, Pünktchen!’ – Ganz theoretisch gesprochen jetzt, nur, falls eine Hungersnot kommt…” Wie sie so dasaß, die dünnen Ärmchen um die Knie geschlungen, träumerisch den Kopf zur Kopf zur Seite gelegt, das absolute Gegenteil ihrer Rede, bekam ich irgendwie den seltsamen Eindruck, ein Wesen von einem anderen Stern zu betrachten. “Für mich hört sich das ja eher nach einem Bekloppten als nach einem Fiesling an”, sagte ich. “Genau – einer, der nichts rafft. Einer, der nirgendwo heimisch ist, niemandem vertraut, der sich nicht einmal selbst kennt und den trotzdem nichts aufhalten kann, obwohl er gar nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Und der trotzdem daraus pocht, richtig zu liegen. Toll wär das!”

(S. 61f.)

Ich wünsche der geneigten Leserschaft einen besinnlichen vierten Advent und verbleibe nicht ohne den üblichen Hinweis auf die

lieferbaren Ausgaben

Das Buch zum Sonntag (16)

Für die heute beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Banana Yoshimoto: Kitchen*

Dies könnte heute eine der persönlichsten Buchempfehlungen dieser Reihe werden.
Es gibt hin und wieder Künstler, deren Werk auf eine Art berührt, die eine enge Verbindung entstehen läßt. Deren Werke werden zu einem festen Begleiter des eigenen Lebens. Man geht jeden Schritt mit, nimmt jedes neue Werk in den eigenen Erfahrungshorizont auf – und selbst wenn es Werke gibt, die nicht gelungen scheinen, ja vielleicht sogar wirklich schlecht sind, man geht den Weg gemeinsam.
Dabei ist es natürlich aus finanzieller Sicht ungemein hilfreich, wenn es sich a) nicht um bildende Künstler handelt und b) der betreffende Künstler zu einem Zeitpunkt ins eigene Leben tritt, zu dem sein Werk noch nicht zu umfangreich ist. Bei mir trifft dies beispielsweise auf die Beatles zu, deren Diskographie dank des überschaubaren Wirkungszeitraumes begrenzt ist, aber man stelle sich vor, jemand entdeckte die Rolling Stones heute für sich. Für deren komplette Diskographie lohnt sich dann schon ein Lottoschein.
Zu den wenigen Schriftstellern, die mir ähnlich lieb und teuer sind, gehört Banana Yoshimoto (geb. 1964). Nicht alles, was sie geschrieben hat, ist wirklich gut, einige Bücher würde ich sogar durchaus mit dem Prädikat “schlecht” versehen wollen, aber trotzdem warte ich gespannt auf jede neue Übersetzung, lese jedes ihrer verfügbaren Bücher – weil sie mir als Autorin wichtig ist. Weil ich sie zu einem Zeitpunkt im Leben entdeckt habe, an dem mir die Lektüre ihrer Bücher viel gegeben hat, mir völlig neue Horizonte eröffnete, eine ganz andere Art zu schreiben aufzeigte.

Ich habe daher auch lange überlegt, welches ihrer Bücher ich hier (zuerst) vorstelle. Für jeden Aspekt, der mir bei ihr wichtig erscheint und für jedes ihrer Themen fällt mir mindestens ein Buch ein, in dem sie besser ist. Und doch soll es dieses sein, weil es das erste ist, was ich von ihr las und weil es einen zusätzlichen Aspekt gibt, den alle anderen nicht mehr haben.

Das Buch ist kein zusammenhängender Roman, sondern die Zusammenstellung dreier Erzählungen, nämlich Kitchen, Vollmond (Kitchen 2) und Moonlight Shadow, wobei die ersten beiden zusammen gehören, die dritte ist ihre prämierte Abschlußarbeit an der Nihon Daigaku.
Frau Yoshimotos Figuren sind junge, urbane Menschen, häufig in der späten Adoleszenzphase, die auf der Suche sind. Auf der Suche nach ihrem Weg in einer Welt, deren Buntheit sie lieben, deren Anonymität ihnen aber zu schaffen macht. Junge Menschen auf der Suche nach einer Neudefinition ihres Lebens, auf der Suche nach Menschen, die ihnen nahe sein können, auf die sie sich einlassen können, gleichzeitig aber zurückschreckend vor zu viel Nähe aus Angst vor Verlust.
Denn genau dieser eint sie: Der erlebte Verlust nahestehender Menschen. Die Protagonistin der ersten beiden Erzählungen, Mikage Sakurai, steht nach dem Tod der Großmutter, ihrer letzten Verwandten, völlig entwurzelt da und droht, in ihrer Trauer zu versinken. Eine von mir hoch geschätzte Kollegin, die inzwischen die Branche gewechselt hat, fragte mich einmal, worum es denn in Kitchen ginge. Meine Antwort: Um Küchen.

Da ich anfangs, wo ich mich auch hinlegte, nur schwer einschlafen konnte, bewegte ich mich auf der Suche nach einem angenehmeren Schlafplatz immer weiter von meinem Zimmer weg. Bis ich eines frühen Morgens herausfand, daß ich neben dem Kühlschrank am besten schlief. […]
Leise schleppte ich eine sanfte Müdigkeit hinter mir her, die die übergroße, tränenlose Traurigkeit hervorgerufen hatte. Abends legte ich im stillen Licht der Küche meinen Futon aus. In eine Wolldecke gekuschelt, wie Linus aus dem Comic-strip, schlief ich ein. Das gleichmäßige Summen des Kühlschranks hielt alle Gedanken der Einsamkeit von mir fern. Eine ruhige, lange Nacht ging vorüber, der Morgen kam.

(S. 10f.)

Der aufmerksame Leser des Buches wird den Wandel der Bedeutung, den die Küchen in Mikages Leben haben, bemerken. 😉
Thema all ihrer frühen Werke bleibt die Frage nach der Neudefinition von “Familie” und der Rolle von Mann und Frau in einer Welt, in der die traditionellen Maßstäbe für diese Themen nicht mehr greifen.
Die Erzählungen wurden in Japan zuerst 1988 veröffentlicht und bescherten Banana Yoshimoto in Japan einen Kultstatus, den man gemeinhin nur von Popstars kennt. Was ihr gleichzeitig ermöglichte, von ihrer Arbeit zu leben. Und damit wären wir beim Zusatzaspekt, den Kitchen im Vergleich zu allen anderen Büchern von ihr hat:
Banana Yoshimoto schrieb diese Erzählung, wärend sie als Kellnerin jobbte. Und zwar tatsächlich nicht selten während der Arbeit. Das hat natürlich Auswirkungen. Die Erzählung ist nicht sehr fein ausgearbeitet, es gibt Sprünge im Erzählstrang und eine ihrer großen Stärken, das metaphernreiche und doch leichtfüßige, stimmige Zeichnen von Gefühlszuständen, die manchmal widerstreitend und doch nahtlos ineinander übergehen (wie man das nun mal so ist in der Adoleszenz), kommt hier nur in Ansätzen zur Geltung. Und doch spürt man als Leser: Da ist etwas, da steckt etwas drin. Und wird schon mit Vollmond (Kitchen 2) für seine Ausdauer belohnt.
Wer diese Ausdauer nicht aufbringen möchte, wen dieser Einblick in die Arbeitswerkstatt einer angehenden Schriftstellerin nicht zu reizen vermag, darf auch gerne gleich mit Vollmond beginnen, die Erzählung funktioniert auch ohne Teil 1.

Wem das Buch am Ende doch nichts zu sagen hatte, dem sei auf jeden Fall jedoch das angefügte Essay von Giorgio Amitrano empfohlen, das Frau Yoshimoto in den Erzählkosmos japanischer Literatur einordnet und einige Besonderheiten herausarbeitet, die geeignet sein dürften, den Blick auf verschiedene Phänomene der zeitgenössischen japanischen Kultur zu verändern.

Zum Schluß noch einen Auszug aus der Rezension des Spiegel, den ich sehr treffend finde:

In Yoshimotos Figuren finden sich Japans Teenager endlich wieder – als verirrte Motten, die zwischen den Abgründen des Lebens flattern.

Und natürlich darf der Hinweis auf die

lieferbaren Ausgaben

nicht fehlen.
Vom Hörbuch rate ich jedoch ab. Frau Schwarz fängt die Stimmung der Erzählungen nicht annähernd ein.

P.S.: Autorentreue ist übrigens das hervorstechende Merkmal des Diogenes-Verlages. Verleger Daniel Keel meinte einmal: “Wir verlegen keine Bücher, sondern Autoren.” Wundert es da noch jemanden, daß Diogenes der wahrscheinlich beliebteste Verlag unter BüchhändlerInnen ist? 😉

*Für die Kenner in der geneigten Leserschaft: Ich passe mich bei der Schreibweise japanischer Namen den hiesigen Gepflogenheiten an. Mit der korrekten Schreibweise liefen die geneigten Leser nämlich leider Gefahr, sich hierzulande im örtlichen Buchhandel zu blamieren. 😉