Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie

Elizabeth Zott scheint auf dem Weg nach oben: Die brillante junge Chemikerin hat eine Promotionsstelle und widmet sich zukunftsträchtiger Forschung.
Als sie sich gegen die Vergewaltigung durch ihren Vorgesetzten wehrt (sie bekommt einen Bleistift zu fassen und rammt ihn in dessen Körper), wird letztlich sie beschuldigt und muss unter erniedrigenden und entwürdigenden Bedingungen die Universität verlassen. Einen Bleistift wird sie aber von nun an immer bei sich tragen.
In dem Forschungsinstitut, in dem sie anschließend unterkommt, wird ihre wegweisende Arbeit gering geschätzt, nichtsdestotrotz aber ausgenutzt – ihre Ergebnisse werden sogar ohne ihr Wissen und ohne sie auch nur zu erwähnen unter dem Namen des Leiters veröffentlicht. Dass sie eine Beziehung mit dem Star des Instituts, dem Nobelpreiskandidaten Calvin Evans beginnt, fügt der Missachtung nun auch noch Missgunst hinzu.

Wenden wird sich das Blatt erst, als sie landesweit bekannt wird als Star einer Kochsendung, die so gar nicht in die vorgesehenen Schubladen passen will.

Bonnie Garmus schreibt ein modernes Märchen. Ein Märchen um eine Frau, die zunächst an der Misogynie ihres Zeitalters zu scheitern scheint, sich aber mit unbeirrbarem Vertrauen in die Macht des wissenschaftlichen Arguments aus diesen Zwängen befreit – und damit nicht allein ihre unfassbar kluge Tochter, sondern Frauen im ganzen Land inspiriert. Es ist eine großartige Idee, sie ausgerechnet eine Kochsendung kapern zu lassen. Denn sie zeigt einerseits den Wert der Care-Arbeit von Hausfrauen auf, bleibt damit vordergründig im vorherrschenden Rollen- und Weltbild, unterläuft dieses aber gleichzeitig, indem sie die Anerkennung für die komplexe und wertvolle Arbeit aufzeigt und dabei Frauen wissenschaftliches Wissen und Verständnis vermittelt – sie also intellektuell ernst nimmt. Eine neue und befreiende Erfahrung für ihr Publikum. Sie verändert dabei nicht nur ein Leben.

Es hat Elisabeth Zott nicht gegeben. Und mir scheinen im Roman auch etliche Anachronismen verbaut zu sein. Das ist aber nicht schlimm und verringert die Lesefreude überhaupt nicht, denn letztlich ist es eben ein Märchen. Mit all der Kraft, die Märchen haben können: Inspirierend, aufrüttelnd, stärkend.

Buchdetails:
Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie (OT: Lessons in Chemistry). aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Piper München 2022. ISBN 978-3-492-07109-3, gebunden, 461 Seiten, 22 €, als ebook 19,99 €