Eine Woche in ungelesenen Büchern (5)

Für diese Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft folgende nicht gelesenen Bücher:

Cover Menschen in New York

Menschen in New York von Brandon Stanton ist die Buchumsetzung (bzw. die deutsche Übersetzung der Buchumsetzung) eines großartigen Projekts, das ich bereits seit einiger Zeit auf Facebook verfolge. Brandon Stanton läuft durch die Stadt und fotografiert Menschen. Was auch immer er dabei macht: Er bringt sie dazu, ihm berührende, manchmal intime, Geschichten zu entlocken. Eine Frage, eine Antwort – und jedes Mal steht dort ein Blick in das Leben eigentlich völlig fremder Menschen, die einmal merkwürdig nah wirken. Mich hat sein Projekt jedenfalls sehr beeindruckt und beeindruckt es noch heute, jeden Tag aufs Neue.

Cover Theogonie

Hesiods Theogonie gilt als das älteste Zeugnis griechischer Literatur (was damit für die abendländische Kultur nicht ganz egal ist). Raoul Schrott wiederum ist bekannt geworden für seinen höchst eigenen Zugang zu antiker Literatur. Mir fehlt eindeutig der philologische Hintergrund, um beurteilen zu können, wie weit sich Schrott in seinen Nachdichtungen vom Original entfernt. Wahrscheinlich ist er kein zuverlässiger Wegbegleiter in die antike Welt. Die Idee, ältere Texte zur Vorlage für eigene Werke zu nehmen, ist allerdings nicht völlig neu und meiner Meinung nach legitim. Es verlangt freilich vom Lesenden einen durchaus aufgeklärten Umgang mit dem Ergebnis. Dann aber kann es sich bei einer zeitgenössischen Auseinandersetzung mit einem 2800 Jahre alten Text um eine sehr spannende Lektüre handeln. Will sagen: Puristen (und Altphilologen) würde ich das Buch nur empfehlen, wenn sie Probleme mit zu niedrigem Blutdruck haben.

Cover Das neue Spiel

Das neue Spiel nennt Michael Seemann (@mspro) seine Auseinandersetzung mit dem Kontrollverlust, den die digitale Welt mit sich bringt. @mspro gehörte viele Jahre zu meiner Timeline (er gehörte zu den ersten 10 Leuten, denen ich folgte). Ich entfernte ihn dann irgendwann, weil ich so selten seiner Meinung war, bzw. mich seine Positionen so ärgerten, dass ich aus Gründen des seelischen Gleichgewichts darauf verzichtete, ihn unmittelbar zur Kenntnis zu nehmen. Was aber natürlich gar nichts heißt, denn meine Befindlichkeiten gelten nur für mich. Seine Analysen und Gedanken zu Kontrollverlust und Filtersouveränität sind unbedingt zur Kenntnis zu nehmen und seit ich mich nicht mehr täglich mit ihm beschäftige, scheinen mir auch einige seiner Punkte durchaus zustimmungsfähig. Andererseits: Ich habe das Buch (das übrigens per Crowdfunding mit einer bemerkenswerten Urheberlizenz ausgestattet wurde und daher auch kostenfrei online zu lesen ist oder zu einem äußerst günstigen Preis als eBook erworben werden kann) allerdings ja auch noch nicht gelesen. Sollte ich demnächst also irgendwo mit hochrotem Kopf auftauchen, wisst ihr, was ich gelesen habe…

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Eine Woche in ungelesenen Büchern (3)

Auch in dieser Woche möchte ich die geneigte Leserschaft an ein paar Entdeckungen teilhaben, die mir aus verschiedensten Gründen bemerkenswert erschienen:

Hilary Mantel hat ja das Kunststück vollbracht, den Booker Preis zwei Mal in Folge zu gewinnen. Was darauf hindeutet, dass ihre historischen Romane sich über die üblichen Erwartungen an das Genre erheben. Kann ich aber nichts zu sagen, meinen letzten historischen Roman las ich vor 14 Jahren, als ich mich dabei ertappte, auch die schlechtesten Jacq-Romane noch lesen zu wollen (es hat ja alles seine Grenzen, aber immerhin konnte ich mir so den einen oder anderen ägyptischen Götternamen ebenso merken wie die eine oder andere Begebenheit der ägyptischen Geschichte, was sich immerhin bei Quizduell und dem Auffinden von Referenzen in den Filmen der Mumien-Reihe als nützlich erwies).
Die Crux an derart preisgekrönten Autor_innen ist ja, dass das mutlose Feuilleton sich dann zu keiner ehrlichen Einschätzung mehr durchringen kann. Ob ihr neuer Roman also wirklich so toll ist, wie alle behaupten, kann ich nicht sagen. Wahrhscheinlich ist aber, dass es zumindest kein Fehler ist, ein Buch mit dem Titel Die Ermordung Margaret Thatchers

Cover Hilary Mantel

zu lesen. Erst recht nicht, wenn es sich tatsächlich um Erzählungen britischer Tradition handelt, wie uns der Verlag verspricht.

Im Feld der orientierungslosen Manager gibt es einen riesigen Batzen Geld zu verdienen. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie man tausende Euro Seminargebühren pro Teilnehmer einnehmen kann, um ihnen ein paar eifnache Phrasen schön verpackt zu verkaufen. Viele Berater- und Coachingseminare erinnern mich doch sehr an den frühneuzeitlichen Marktplatz, auf dem Wundermittel verkauft wurden, deren Wirksamkeit nie bewiesen werden musste, weil bis zum nächsten Besuch in der Stadt die Betroffenen schon lange nicht mehr lebten. Und wo sich konkurrierende Scharlatane gegenseitig vorwarfen, Scharlatane zu sein.
Aberich sollte mcih nicht so sehr darüber erheben, schließlich lebt auch ein nicht eben kleines Segment des Buchmarktes davon, die immer gleichen Ratschläge in neuen bunten Umschlägen zu verkaufen. Sehr hübsch fand ich in diesem Zusammenhang dieses neue Buch:

Cover Selbstorganisation braucht Führung

Boris Gloger, Dieter Rösner: Selbstorganisation braucht Führung. Die beiden Autoren erklären darin, dass Führungsaufgaben Führungsaufgaben bleiben, auch wenn man Teams selbstorganisiert arbeiten lässt. Es scheint Manager zu geben, die glauben, Selbstorganisation bedeute, man könne ein Team sich selbst überlassen (und dann selbst Segeln gehen oder so, keine Ahnung). Allerdings war dies gar nicht der Punkt, warum mir das Buch auffiel, denn, wie gesagt, damit lassen sich Regalmeter füllen. Nein, bemerkenswert fand ich die Beschreibung:

»Mit selbstorganisierten Teams wird alles besser!«, schallen die Kampfrufe der Legion gewordenen Scrum-Berater. Blindlings läuft ihnen eine Schar von Managern nach

Geschrieben ist das Buch von zwei Scrum-Beratern…

Außerdem habe ich eine Schwäche für auffällige Buchtitel. Da bieten die Geisteswissenschaften und ganz besonders die dortigen Qualifizierungsschriften für gewöhnlich ein reiches Feld an Entdeckungen (einer meiner Lieblinge sind da übrigens weiterhin die Vierbeinerdarstellungen auf schwedischen Runensteinen). Der mir jüngst aufgefallene Buchtitel entstammt der Technikgeschichte:

Cover Fortifikationsliteratur

Thomas Büchi: Die Fortifikationsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts
Der Untertitel verdeutlicht dann gleich noch die Untersuchungsmethode: Traktate deutscher Sprache in europäischen Kontext. Das ist ja dann schon fast vergleichende Literaturwissenschaft. Allerdings ist ja im Zeitalter des cultural turn sowieso alles irgendwie Kulturwissenschaft. Das Buch selbst klingt jedenfalls durchaus spannend. Müsste man mal schauen, wie sehr der Autor dem deutschen Wissenschaftsduktus verpflichtet ist.

Zum Abschluss des dieswöchigen Reigens sei noch auf ein Prachtexemplar von Buch verwiesen:

Cover Tausend und ein Tag

Tausend und Ein Tag. Morgenländische Erzählungen
Bücher aus der »Anderen Bibliothek« (die man übrigens weiterhin abonnieren kann) sind ja immer ein Traum. Mindestens in der Ausstattung. Und dieses hier ist ein besonders schöner Band. Dass die Kollegen das drauf haben, wissen wir spätestens seit Humboldts »Kosmos« oder der immer noch auf meiner Erwerbungsliste stehenden Forsterschen »Reise um die Welt«. Hier verbindet sich nun die morgenländische Ornamentik mit liebevoller Buchgestaltung zu einem ganz besonders gelungenen Band. Eine Schwäche für orientalische Fabulierfreude wird man wohl trotzdem haben müssen, um sich dieses zwar preiswerte aber nicht eben niedrigpreisige Schmuckstück zuzulegen (also ich habe es mal meiner Erwerbungsliste zugefügt, aber da steht der Forster ja auch schon sieben Jahre lang drauf…)

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