Bücher nur für Elitepartner?

Vor nun doch schon einem knappen Monat stieß ich auf diesen Tweet, in dem Katharina Herrmann ihrem Ärger über den Buchmarkt bzw. den Literaturbetrieb Luft machte:

Nun sind ihre Vorwürfe nicht ganz von der Hand zu weisen: Aktuelle Bücher sind nicht so ohne weiteres in einem immer weiter diversifizierenden Medienbudget [Rundfundgebühren (18€), Videostreaming (10€), Audiostreaming (10€), Internetzugang (29€) – und da ist noch kein Buch gekauft, da war man in keinem Kino, in keinem Konzert, bei keiner Lesung] unterzubringen. Und ein Buch wie Obamas Memoiren mit 42 € schon gleich gar nicht. Das können sich nur Menschen mit entsprechendem Einkommen leisten. Doch selbst ohne ein solches Werk: Wieviel Literatur ist überhaupt drin? Es ist schwierig, ein Werk unter 20 € auf den Markt zu bringen. Da dürfte für einen Großteil der hiesigen Bevölkerung kaum ein Buch pro Monat drin sein.

Und ja, es gibt genug Literaturbetriebsnudeln, die nicht mehr wissen, was es bedeutet ein Buch zu kaufen. Ich habe das in meiner Kleinstverlegerzeit auch selbst erleben dürfen, dass Menschen mit großem Namen, deren Monatsverdienst dem Gegenwert nicht nur eines Buchprojektes entsprechen dürfte, kostenlose Leseexemplare anforderten – ohne dann aber wenigstens ihre Reichweite für eine Rezension zu nutzen. Das dürfte kein Einzelfall sein. Genauso wie es im Buchhandel zahlreiche Kollegʔinnen gibt, die mit zum Teil unverfrorener Selbstverständlichkeit LEX anfordern, ganz ohne das jeweilige Buch lesen, ver- oder einkaufen zu wollen. Und so weiter und so weiter, die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Belassen wir es aber bei der Feststellung: Ja, das gibt es und ja, das ist durchaus verbreitet. Trotzdem sind die Ladenpreise nicht der richtige Ansatz, um das Problem der Zugänglichkeit zu lösen.

EXKURS: Warum ich den Preis für keinen Wucher halte. überspringen

Was liegt denn hier vor? Doch wohl ein Geschäft, eine kapitalistische Institution, ein Gewerbe. Das Buch ist Ware. Gegen diesen Satz sträuben sie sich alle noch immer.

Kurt Tucholsky, Der Deutsche Buchhändler, in: Die Schaubühne, 08.01.1914, Nr. 2, S. 31.

Und sie sträuben sich auch über 100 Jahre später noch. Trotzdem ist er wahr. So ein Buch muss sich rechnen. Nun sind die Einkaufskosten bei Obama massiv. Barack und Michelle Obama erhielten etwa 65 Millionen Dollar von Penguin Random House. Dieses Geld muss wieder reinkommen. Denn die üblichen Kosten entstehen ja weiterhin. Es ist im internationalen Buchgeschäft durchaus üblich, dass im Wettbeewerb um Lizenzen auch die eigenen Konzerntöchter mitbieten müssen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Penguin Deutschland für die deutsche Ausgabe eine erhebliche Summe an die US-Kollegen zahlen durfte. Um nun auch noch das zeitgleiche Erscheinen zu ermöglichen, dürften die Übersetzungskosten ebenfalls nicht unerheblich gewesen sein.

Ich kenne die internen Zahlen natürlich nicht, aber schon allein vor diesem Hintergrund dürfen wir annehmen, dass die Stückkosten weit über allem liegen, was im Verlag üblicherweise aufgerufen wird. Besonders schmal ist der Band auch nicht, das schlägt nicht nur auf die Druckkosten, sondern natürlich auf alle Herstellungskosten inkl. der Übersetzung (die üblicherweise nach Umfang bezahlt werden).

Jetzt dürfen wir ohne weiteres vermuten, dass Obamas Memoiren alles sein dürfen, aber gewiss kein Minusgeschäft. Die Memoiren sind zum Erfolg verdammt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass hier auch ein Ladenpreis von sagen wir mal, 35 € machbar wäre. Das Problem dabei: Die Zielgruppe wüchse dabei gar nicht mal erheblich. Die Zahl derer, die das Buch kaufen würden und für die 35€ nicht zu viel sind, 42 € aber schon, ist gar nicht mal so groß. Will sagen: Es ist absolut nachvollziehbar, dann die Marge zu erhöhen. Und man hatte damit Recht.

Kurz: So wie der Markt strukturiert ist und funktioniert, sind 42 € ein nachvollziehbarer Preis. Und auch ganz generell muss fairerweise festgehalten werden, dass die Preise für Bücher sich seit Jahrzehnten weit hinter der Inflationsrate entwickeln (hier mal eine Auswertung von 2019 und eine längere Studie von 2015).

Allerdings ist das Ergebnis gesellschaftlich wohl kaum befriedigend. Denn der Markt regelt das mal wieder auf seine ganz eigene Art: Mit Exklusivität. Dein Budget gibt keine 42 € her? Ja, tut mir leid, dann kannste halt nicht mitreden. Das kann nicht unser Anspruch sein.

Als hochzivilisierte Gesellschaft haben wir aber bereits eine funktionierende Idee entwickelt: Bibliotheken. Und hier müssen wir ansetzen.

Sie wollten nicht bevormundet sein. Sie wollten allein dem Käufer empfehlen und raten. Überhaupt seien sie es, denen die Kulturförderung obliege.
Sie liegt ihnen ob. Erfüllen sie ihre Obliegenheit? Nein.
Es klafft der Zwiespalt, Geld verdienen zu müssen und Kultur fördern zu wollen. Das Geldverdienen erschweren sie sich – das ist ihre Sache; die Kultur auf dem Büchermarkt wird durchaus nicht gefördert – das ist unsre Sache.

Kurt Tucholsky, Der Deutsche Buchhändler, in: Die Schaubühne, 08.01.1914, Nr. 2, S. 31.

Der deutsche Buchhandel beansprucht für sich eine Sonderstellung, die ihm politisch auch gewährt wird. Sei es die Buchpreisbindung, seien es Buchhandlungs- und Verlagspreise oder sonstige Förderungen. Insbesondere die Autorʔinnenförderung durch Stipendien und Preise sei hier erwähnt, denn von den Buchverkäufen können nur sehr, sehr wenige Autorʔinnen leben (sehr wohl aber so mancher Verlag und eine doch immer noch erkleckliche Anzahl Buchhandlungen).

Gleichzeitg weigert sich die Branche aber, Bibliotheken ihre Arbeit zu ermöglichen. Deren gesellschaftliches Aufgabenspektrum ist vielfältig, die Zugänglichmachung von Literatur und Wissen steht aber weiterhin im Zentrum. Im 21. Jahrhundert, in dem nun wirklich der größte Teil der relevanten Erzeugnisse digital erscheinen, wäre diese Aufgabe nun äußerst leicht zu erfüllen.

Statt aber hier in den Bibliotheken wichtige Partner zu sehen (Bibliotheksnutzerʔinnen können Multiplikatorʔinnen sein, sind nicht selten zudem auch ganz erhebliche Buchkäuferʔinnen, Bibliotheken selbst sind wichtige Begegnungsorte, an denen Zielgruppen passgenau angesprochen werden können etc. etc.), schaffen es die Verlage, sie sich zu Gegnern zu machen. Ein nicht geringer Teil der Energie, die Bibliotheken in OpenAccess-Bewegungen investieren, speist sich aus Wut und Verzweiflung. Und die Verlage der schönen Literatur verhält sich da nicht wirklich besser als die Wissenschaftsverlage. Anstatt also tragfähige Lösungen anzubieten, werden Lizenzmodelle angeboten, die sich am Kauf eines Printexemplares orientieren und dazu führen, dass Bibliotheken solchen Unsinn anbieten müssen wie das Vormerken auf ein ebook, weil es gerade ausgeliehen ist.

Hier wäre gesellschaftliches und politisches Schwergewicht nötig, um hier endlich Bibliotheken wieder zu ermöglichen, zeitgemäß und angemessen wichtige Werke all jenen zugänglich zu machen, die nicht alles, was sie eventuell interessieren könnte, mal auf Verdacht zu kaufen. Das wäre vor allem deshalb auch zeitgemäß, weil Besitz längst nicht mehr den überragenden Stellenwert im Wertekanon hat. Viel wichtiger sind Verfügbarkeit und Nutzbarkeit. Das ist selbst im trägen Buchhandel angekommen, auch wenn der das nicht so recht zu merken scheint.

Mit ausreichend ermächtigten Bibliotheken könnten wir auch viel leichter Menschen abfangen, ehe sie glauben, eine nur über Fernleihe verfügbare Dissertation wäre inexistent oder youtuber Mike wisse alles viel genauer als der wissenschaftliche Konsens. Stattdessen führen wir wieder Priesterwissen ein.

In Sachen Literatur wird uns da kein Markt retten. Das müssen wir schon selbst in die Hand nehmen. Also: Support your local library. Und das meint nicht nur, hol Dir einen Benutzerausweis. Sondern wann immer Zugang zu Werken problematisiert wird: Empfehlt starke Bibliotheken als Lösung. Das ist nicht mal radikal, denn sie haben seit Jahrtausenden bewiesen, dass sie die Lösung sein können.

Disclaimer: Der Autor verdient sein Geld als Buchhändler und war knapp 20 Jahre Verleger in einem Kleinstverlag.

Priesterwissen

Es ist inzwischen wohl kein Geheimnis mehr, dass in den medial besonders häufig erwähnten sozialen Medien wie Facebook oder Twitter keineswegs die dynamische nachwachsende Generation besonders aktiv ist, sondern eher die ältere Hälfte der werberelevanten Zielgruppe.

Dementsprechend populär sind nostalgische Beiträge wie dieser hier:

Manchmal ertappe ich mich dabei, dass in so mancher Nostalgie eine gehörige Portion Eitelkeit steckt.

Meinem Vater gelang es durch intensive Diskussion, mir bereits in sehr jungen Jahren (ich war zwölf) Zutritt zur Universitätsbibliothek zu verschaffen. Zettelkästen waren in der prädigitalen Ära, die diesseits des antifaschistischen Schutzwalls etwas länger andauerte, der übliche Zugriff auf Bibliotheksbestände. Zumindest für Menschen wie mich, die Kontakt zu anderen nicht gerade suchten (für andere war es dann der oder die jeweils nächsterreichbare Bibliothekar_in).

Bisher nur vertraut mit dem durchaus überschaubaren Zettelkastensystem der Stadtbibliothek, öffnete sich mir mit dem Zettelkastenraum der Universitätsbibliothek (zum Teil sogar noch mit Rollen, in denen die Katalogisierungsarbeiten aus dem 18. Jahrhundert nachzusehen waren) eine völlig neue Dimension. Seitdem habe ich eine große Schwäche für Bibliothekssystematiken (weshalb ich auch sehr froh bin, dass mit THEMA letztlich die Bibliotheken über die peinlich ungenauen Buchhandelswarengruppen siegen).

Mit einem Zettelkasten umgehen zu können, verschaffte einem seinerzeit ein gewisses Überlegenheitsgefühl. Auch wenn ich tatsächlich glaube, dass dies und die zum Beginn meines Studiums noch als Befehl im Telnet zu tippenden OPAC-Suchanfragen mir bis heute das effektive Formulieren von Suchanfragen erleichtern, so ist doch unbestreitbar, dass der weiße Google-Suchschlitz die Unterschiede massiv nivelliert hat.

Das traurig zu finden, zeugt doch von einer gewissen Arroganz. Und möglicherweise steckt hier ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis des großen Erfolgs von Nostalgie-Memes.

Verleger sein

Wie ist das eigentlich, Verleger eines Kleinstverlages zu sein?

Zugegeben, das ist möglicherweise nicht gerade eine Frage, die Millionen hinter dem Ofen vorlocken werden, möglicherweise spielt die winzige Detailfrage einer kleinen Branche im großen Weltenplan gar keine Rolle.
Falls es aber doch jemanden interessiert:
Gesine von Prittwitz war so freundlich, mir einige Fragen zum Verlegersein und dem ganzen Drumherum zu stellen. Das Interview findet ihr in ihrem Blog auf SteglitzMind.

Und ein besonderer Dank geht an Barbara Miklaw vom Mirabilis Verlag, die mich für die Reihe vorschlug.

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Immer auf die Großen

Ich weiß nicht, wie das in anderen Branchen so ist, da ich nur eine sehr aufmerksam verfolge. Aber die Buchbranche befindet sich, folgt man den Aussagen in den üblichen Branchenmagazinen, zumindest in den fast 14 Jahren, die ich sie beobachte, in einem schwerwiegenden Umbruch, Strukturwandel und einem für die Marktteilnehmer permanent zunehmenden Druck.

Wollte man den hyperventilierten BWL-Phrasen folgen, müssten wir inzwischen eigentlich schon Pizza verkaufen oder zumindest doch mit Burnout irgendwo in der Ecke liegen. Man stelle isch das vor: 14 Jahre lang jeden Tag auf Arbeit zu gehen, ohne zu wissen, ob es die eigene Branche morgen noch gibt. Da kann man ja nur verrückt werden.

Inzwischen habe ich ja eh die Überzeugung gewonnen, dass die Wirtschaftswissenschaftler die Rolle der Priesterschaft (im altägyptischen Sinne) übernommen haben. Mit ganz ähnlicher Methodik. Aber das ist ein anderes Feld, mir soll es um etwas anderes gehen.

Richtig ist natürlich, dass der verbreitende Buchhandel heute anders aussieht als vor 30 Jahren. Im Vergleich zur Metamorphose von Bergbaukonzernen, die jetzt Urlaubsreisen verkaufen, finde ich die Branche aber doch recht stabil und Wandel ist ein Kennzeichen der Moderne, wenn nicht überhaupt der ganzen Neuzeit.

Offenbar aber haben die Romantiker ganze Arbeit geleistet und so ist das mittelalterliche Ideal einer gleichbleibenden, unveränderten Weltordnung weiterhin tief verwurzelt. Über jede Veränderung wird geklagt, gejammert, geschimpft oder doch zumindest geseufzt. Und das kommt mir doch zumindest in einer Konsumbranche etwas merkwürdig vor.

Über das merkwürdige Verhalten einiger geschäftsinhabender Buchhändler in der »Umbruchszeit« wird an anderer Stelle zu reden sein*, mir soll es heute um die kognitive Dissonanz der Kunden gehen.

Ganz egal, ob es um den rasanten Filialausbau der Großfilialisten geht (das Umbruchsthema der 90er Jahre und der ersten Jahre nach 2000 – wer meiner Einschätzung von BWLern nicht folgen möchte, lese sich deren Analysen zu dieser Zeit durch und vergleiche sie mit der heutigen Situation. Menschen sollten einfach keine Zukunftsprognosen abgeben…) oder den x-ten Trend zum Versandbuchhandel nebst dessen Monopolisierungstendenz, jedes Mal wird auf die bösen Großen geschimpft.

Thalia mache die kleinen Buchhandlungen kaputt, amazon auch, wenn nicht überhaupt gleich den ganzen Buchhandel. Das ist wohlfeil. Die Großen wollen auch nur spielen, genau so wie alle anderen auch. Aus den verschiedensten Gründen sind sie dabei eben erfolgreicher als andere.

Ignoriert wird dabei nämlich, dass weder Thalia, Hugendubel oder amazon irgendjemanden zerstören – es sind die Kunden, die das tun. Was genau hindert sie denn daran, woanders einzukaufen? Wenn es mir wichtig ist, eine kleine Buchhandlung in der Nähe zu haben, dann kaufe ich da ein. Wenn ich amazon doof finde, lasse ich mein Geld nicht da. Das ist ganz einfach. Weiterlesen “Immer auf die Großen”

Buchhändlerfreuden (1)

Vertreter & Vorschauen

März ist die Zeit der Leipziger Buchmesse. Es wird eine Aufmerksamkeit für das Buch generiert wie es sonst nur noch im Oktober geschieht. Das ist für Buchhändler natürlich eine feine Sache, für Verlage nicht minder und doch ist das immer so eine Sache. Denn Marketingmenschen werden meist sehr hibbelig, wenn sie merken, dass sie Aufmerksamkeit einfach so bekommen, also ohne dafür ausgeklügelte Maßnahmen ergreifen zu müssen. Einfach nur, weil März ist.
Das fürht zu einer Novitätenkonzentration im Frühjahr, die inzwischen ungesunde Ausmaße erreicht hat. Ungesund weniger wegen der geschundenen Rücken und Arme der Noviätentische füllenden Buchhändler als vielmehr wegen der zwangsläufigen Situation, dass unter alls den Knallern, die da auf den Markt geworfen werfen, nicht nur die Rosinen unterzugehen drohen, sondern auch der eine oder andere veritable Bestseller keiner wird, weil er sich einfach nicht mehr durchsetzen konnte – was er im Mai aber vielleicht können würde. Man müsste dann zwar auf die messebedingte Aufmerksamkeit verzichten, könnte dafür aber in einem weniger gefüllten Umfeld besser reüssieren. Da aber kein Marketingmensch freiwillig auf mögliche Aufmerksamkeit verzichten will, kommen eben alle im März.

Das Leiden des Buchhändlers beginnt aber sehr viel früher, nämlich im Januar und Februar, dann wenn die Verlagsvertreter zu Besuch kommen und der Einkauf ansteht. Dann also, wenn man sich all die Stapel bestellt, die man wenige Wochen später, in aller Ambivalenz fluchend und doch irgendwie wohlgestimmt auf die immer viel zu geringe Ladenfläche zu verteilen sucht.

Und in genau diesen Vertretergesprächen begegnen den Beteiligten dann Formulierungen und Sätze, die Teil eines eingespielten Zeremoniells sind. Sei es, dass in der Verlagsvorschau nur noch Spitzentitel, Schwerpunkttitel, Bücher des Monats und Bestseller beworben werden oder Vertreter und Buchhändler ritualisierte Textbausteine austauschen. Genau dieses Sammelsurium findet sich nun, als Werbemaßnahme für Lorenz Meyers »Das ultimative Bullshit-Bingo«, im Buchhändler/Vertreter/Vorschauen-Bullshit-Bingo, das als .pdf für alle Interessierten heruntergeladen werden kann. Und ich kann sagen: Ich hätte auf jeder Reise jedes Feld ankreuzen können. Mein Lieblingssatz ist übrigens: »Da nehme ich mal eins.«


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Wer kuscht hier?

Ich habe mich am Sonntag sehr geärgert. Und am Montag. Und am Dienstag. Und heute.
Über die FAS.
Nun ist das an sich nichts besonderes, seit ich Zeitungen wahrnehme, ärgere ich mich über die Frankfurter Allgemeine – ausgenommen freilich, wenn ich tapezieren wollte. Da offenbart sie ihre wahren Qualitäten.
Die Redaktion dieses Blattes vertritt eben zu häufig Positionen, die ich nicht teile. In den meisten Fällen nehme ich das auch einfach so hin, schließlich bin ich kein Journalist und verdiene mein Geld nicht mit Hintergrundrecherche, Fakten abwägen und dezidierter Positionsbestimmung. Ich bin nur Buchhändler, der in seiner Freizeit auch mal Zeitung liest.
Womit wir beim Punkt wären. Denn im Gegensatz zu so ziemlich allen anderen Themen, bleibe ich in Sachen der durchaus überschaubaren Buchbranche durchaus am Ball und bemühe mich stets um umfangreiche Kenntnis. Das gehört zu meinem Berufsverständnis. Ich muss wissen, was los ist, um richtig agieren zu können. Die FAS nun titelte am Sonntag mit der hübschen Schlagzeile:

Buchhandel kuscht vor WWF

Nachzulesen ist der Artikel hier. Der geneigte Leser erfährt da nun, dass der WWF eine Kanzlei beauftragt hat, gegen Herrn Huismanns “Schwarzbuch WWF” vorzugehen. Zu diesem Behufe wurden nun Buch- und Großhändler angeschrieben, wohl mit einigem Erfolg – obwohl die Gerichtsverhandlung erst am 15. Juni 2012 ansteht, mithin noch gar keine Rechtsgrundlage vorhanden ist.
Wir erfahren aus dem Artikel, dass “einige Buchhändler” das Buch aus dem Programm genommen hätten. Namentlich erwähnt werden ausschließlich Thalia, Amazon und Libri. Das genügt für die Frankfurter Allgemeine, dreist zu behaupten, das Buch sei dadurch “praktisch vom Markt verschwunden.” Als ich das las, platzten mir ein paar Äderchen.
Seit wann, liebe Frankfurter Allgemeine, seit wann sind ein Filialist, ein Großhändler und ein Allesverkäufer “der Buchhandel”? Es gab sicher einige Konzentrationsprozesse in den letzten jahren, aber noch immer besteht “der Buchhandel” aus tausenden Betrieben, noch immer kommen selbst die zehn größten Filialisten zusammen auf gerade einmal 38% Marktanteil*. Thalia, Amazon und Libri sind im Endkundengeschäft zusammen nicht einmal ein Drittel des Gesamtmarktes. Das wars, das ist alles, was wir über das Verhalten des Buchhandels erfahren. Und wahrscheinlich wohl auch alles, was da recherchiert wurde.
In bester Kampagnanjournalismus-Manier werden dann Politikerzitate eingeholt, die nach dem bewährten Muster “Wenn das so ist, dann ist das aber ganz arg schlimm” funktionieren, ein paar Konjunktive dazu und schon ist der Pranger-Artikel fertig. Das erwarte ich aus dem Hause Springer, meine Damen und Herren in Frankfurt, aber nicht von einem Blatt, das von sich behauptet, hinter ihm stecke immer ein kluger Kopf.
Richtig ist:
Das Buch wurde von den einschlägigen Großhändlern aus dem Programm genommen.
Richtig ist:
Da diese für einen nicht unerheblichen Teil der Branche die Webshops stellen, macht das einen Onlineeinkauf nicht eben einfacher.
Richtig ist:
Mindestens ein marktrelevanter Filialist führ das Buch nicht.
Richtig ist:
Amazon.de führt das Buch nicht.
Falsch ist:
Das Buch ist vom Markt verschwunden. Und schon gar nicht “praktisch”.

Es kann im örtlichen Buchhandel gekauft werden, zum Beispiel bei Osiander oder auch bei Lehmanns (hier ein Beweisfoto aus Leipzig) und ich bin sicher, bei diversen anderen Buchhändlern auch. Wenn es nicht vorrätig sein sollte, wird es eben bestellt, da es die Großhändler nicht haben, eben beim Verlag. Das ist business as usual und betrifft ganz nebenbei den größten Teil der ca. 1,2 Millionen lieferbaren Titel in Deutschland. Ganz ohne kuschen. Weiterlesen “Wer kuscht hier?”

Non Credo.

Vor wenigen Wochen beschlossen die Gesellschafter von Weltbild, also mehrere katholische Diözesen und die Soldatenseelsorge Berlin, das Unternehmen inklusiver aller Beteiligungen schnellstmöglich zu verkaufen.
Irgendwie ist den Bischöfen zu Ohren gekommen, daß man über den Onlineshop von Weltbild Krimis, Thriller, Erotika sowie esoterische und kirchenkritische Bücher kaufen könne. Und das ginge nun mal gar nicht, schon gar nicht, weil man sich ja auf dem Wege der Entweltlichung der Kirche befände, wie ja auch Papst Benedikt unlängst verkündete.
Nun, das mag so sein.
Allein, ich glaube es nicht.
Weltbild war einst ein Spezialbuchhändler und -verlag, wie es sie viele gab. Erst mit dem Strategiewechsel, der in den 90er Jahren sichtbar wurde, wuchs Weltbild in rasantem Tempo zu einem Schwergewicht der Branche heran. Die Vervielfachung des Umsatzes von einigen hunderttausend Mark auf derzeit ca. 1,6 Mrd. Euro in knapp 20 Jahren war selbstverständlich nicht allein mit christlicher Erbauungsliteratur zu erreichen.
Nein, die massive Forcierung des Filialausbaus, der zeitige und massive Einstieg ins Onlinegeschäft und der Wunsch, bei den Großen mitspielen zu dürfen, brachten eine Ausweitung des Sortiments mit sich – womit eben nicht nur Zimmerspringbrunnen, sondern auch Bücher gemeint sind, die nicht auf den ersten Blick zur katholischen Kirche zu passen scheinen.
Das störte über Jahrzehnte niemanden der Entscheidungsträger, so lange die Gewinne sprudelten. Wie sich auch niemand daran zu stören schien, welche Arbeitsbedingungen bei Weltbild herrschten. Die euphemistisch als “Medienverkäufer” titulierten Mitarbeiter waren zunehmend nicht vom Fach (brauchten es aber auch nicht zu sein, um Regale zu befüllen und Zimmerspringbrunnen aufzubauen bedarf es keiner breitgefächerten Qualifikation), selbstverständlich befristet tätig und immer seltener Vollzeit beschäftigt. Das ist vor allem praktisch, weil man so jeglichen Tarifüberlegungen aus dem Wege gehen konnte (wer keine Buchhändler beschäftigt, selbst wenn sie welche sind, braucht sie auch nicht so zu bezahlen). Es sind keine Sozialleistungen für Mitarbeiter bekannt, die irgendwie an die katholische Soziallehre erinnern würden und mir ist auch nicht zu Ohren gekommen, daß irgendeine Weltbild-Filiale aus weltanschaulichen Gründen auf eine Sonntagsöffnung verzichtet hätte.
Wäre dieser Konzern tatsächlich von der offiziellen Lehre ihrer Gesellschafter geprägt, hätte er keine solch agressive Marktdurchdringung betreiben können und wäre es dennoch gelungen, so stünden sie wohl als leuchtendes Beispiel ethisch vorbildlicher Unternehmensführung in allen Gazetten. Tun sie aber nicht. Weil die katholische Kirche auch hier das getan hat, was sie seit Jahrhunderten besonders gut kann: Wasser predigen und Wein trinken.
In meinen Augen viel wahrscheinlicher ist, daß die negative Entwicklung des Konzerns, sich manifestierend in einem permanenten Abbau von Beschäftigten und dem Rückbau des Filialnetzes (in Wirtschaftseuphemistisch heißt das: Umstrukturierung), weiterhin anhält und die Zukunftsaussichten eher trübe sind – das sind sie nebenbei wirklich, denn die Zeiten für dünn sortierte Bestsellerverkaufsstellen sind hart, für den Kauf der Bestellerliste braucht es heutzutage keinen Laden mehr, das geht problemlos und sehr einfach auch anders, wenn im stationären Buchhandel noch eine Überlebensmöglichkeit besteht, dann am ehesten noch dadurch, daß es dort die Möglichkeit gäbe, anders und anderes zu kaufen, aber das ist ein anderes Thema – so daß man sich entschloss, den Laden zu verkaufen, so lange er noch irgendetwas wert ist. Was ein solcher Schritt übrigens für Unternehmer, die ihre angebliche ethische Verantwortung Ernst nehmen, bedeuten mag, faßt Bernhard Rieger in seinem Offenen Brief, der nebenbei auch auf die bemerkenswerten verdi-Blogs der beteiligten Unternehmen verweist, mal zusammen.
Dies mit weltanschaulichen Gründen zu kommunizieren, ist in meinen Augen einfach nur wohlfeil. Wo waren denn die ethischen Bedenken, als man hunderte Mitarbeiter Knall auf Fall entließ? An eine Entweltlichung der katholischen Kirche mag ich beginnen zu glauben, wenn die Vatikanbank verkauft wird oder man beginnt, seine Mitgliedsbeiträge genauso selbst einzutreiben, wie das jeder andere Verein auch tun muß. Wer sich so vom Staat pampern läßt wie es die römisch-katholische Kirche hierzulande tut, soll mir nicht mit “Entweltlichung” kommen. Wer derart vielfältige Wirtschaftsunternehmungen betreibt, soll mir nichts von “Entweltlichung” erzählen. Zumal es höchst bemerkenswert ist, mit der Entweltlichung ausgerechnet da anzufangen, wo es noch einfach und vielfältig möglich wäre, die eigene Botschaft zu vertreiben. Ich erinnere hier nur an die hunderttausendfach verkauften “Volksbibel” mit ihren Nachfolgern (ich entsinne mich an Immendorf und Papst). Man beginnt also die Entweltlichung der Kirche dort, wo man das Wort der Schrift, nämlich die Botschaft Jesu in die Welt zu tragen, leicht erfüllen könnte? Na, aber sicher doch.

Man sollte sich von geschickt formulierten Pressemitteilungen keinen Sand in die Augen streuen lassen.


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Eine Branche schafft sich ab.

Der Kölner Kartäuser Werner Rovelinck begründete in der Einleitung zu einer Predigt, warum er sie habe drucken lassen: “Weil sie auf keinem anderen Wege schneller und leichter möglichst vielen Personen mitgeteilt werden konnte, habe ich dafür gesorgt, sie durch die Kunst des Drcuks der Bücher zu einer großen Zahl zu vervielfältigen.”

*

Dieses Zitat verdeutlicht ganz stark, was in den zahlreichen Spekulationen zur Zukunft der Buchbranche gerne vergessen wird: Der Buchdruck ist nicht geboren worden aus einem Wunsch nach metaphysischen Erlebnissen, nach Haptik, nach dem Geruch, nach schöner Gestaltung – neine, einzig und allein aus Pragmatismus. Es war leicht, effektiv und billig, etwas drucken zu lassen, um es zu verbreiten. Nichts anderes. Ich finde es erstaunlich, wie selten diese Erkenntnis in den Überlegungen der Branche eine Rolle spielt.
Schöner, Repräsentativer, Qualitätsvoller produzierten die Mönche, die im Übrigen auch über ein weitverzweigtes und gut funktionierendes Vertriebsnetz verfügten. Das interessierte aber seinerzeit niemanden mehr und innerhalb weniger Jahrzehnte wurde diese jahrhundertealte Kunst, die es zu erstaunlicher Präzision und Spezialisierung brachte, hinweggefegt und spielte fürderhin keine Rolle mehr:
Weiterlesen “Eine Branche schafft sich ab.”