Der Brummkreisel in seiner kulturellen Bedeutung, unter besonderer Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Fragen seiner Rolle in der frühkindlichen Erziehung

Zu den, aus welchen Gründen auch immer, häufig auftretenden Phänomenen des Elternseins gehört es, eigene Kindheitserlebnisse, die als positiv empfunden wurden, auch den eigenen Kindern zu ermöglichen. In meinen mit Watte versehenen Kindheitserinnerungen spielt auch der Brummkreisel eine Rolle, mit dem ich bei meiner Uroma zu spielen pflegte. Es war dies kein spektakulärer Brummkreisel (außer vielleicht im Rahmen der überreizten Phantasie passionierter Spielzeugsammler, das vermag ich nicht zu beurteilen), aber, er war aus Metall, hatte eine angenehme Größe und ein ebensolches Summen. Leider erinnere ich mich nicht mehr an die Motive, ich bilde mir ein, es handelte sich um ein simples Farbmuster, also abwechselnde Farbstreifen, es mag sich da auch das eine oder andere Bild aus späteren Zeiten über die originalen Erinnerungen schieben. Aber es ist auch nicht überraschend, daß ich die Gestaltung des Kreisels nicht mehr memoriere, denn um die ging es auch gar nicht. Zumindest mir nicht.
Genau genommen gab es zwei entscheidende Motive, den Brummkreisel zu nutzen:

1. Der sportliche Ehrgeiz. Auf welche Geschwindigkeit war der Kreisel zu drehen, mit welcher Methode war diese Höchstgeschwindigkeit am schnellsten zu erzielen und, natürlich, wie gelang es, die Brummphase möglichst lang zu gestalten. Natürlich korrelieren die einzelnen Punkte miteinander, ohne hohe Geschwindigkeit – kein langes Brummen. Doch das ideale Verhältnis zwischen Krafteinsatz, Dauer des Beschleunigens und schließlich der Beachtung aller äußeren Faktoren herauszufinden, bedarf einiger Übung (wenn ich das richtig memoriere, dann gilt folgendes: Glatter, nicht zu glatter, aber gerader Untergrund, gleichmäßig, aber exponentiell steigende Arbeit am Beschleunigungshebel, permanenter Bodenkontakt des Kreisels und vor allem: unbedingtes Geradehalten des Kreisels – nicht nur während der Beschleunigungsphase, sondern gerade in der kritischen Phase des Loslassens. Dann schafft der Kreisel eine lang andauernde Brummphase in aufrechter Haltung und kippt erst um, wenn das Brummen bereits verklungen ist – was besonders wichtig ist, denn die Drillstange beginnt bei abnehmender Kreiselbewegung zunehmend zu rasseln und stört so das Brummen.)

2. Das Genießen des Brummens als meditatives Element. Ich kann mich an lange Phasen erinnern, in denen ich auf dem Teppichboden lag, den Brummkeisel neben mir und ihn immer wieder zum Summen brachte. Ohne weitere Gedanken, einfach da liegen und dem Brummkreisel beim Kreiseln und Brummen beobachten.

So. Um dieses Gefühl nun aber reproduzieren zu können, bedarf es unbedingt eines Kreisels in angemessener Größe. Das ist an sich kein Problem, es gibt die vielfältigsten Kreisel in dieser Kategorie. Was aber haben die Herrsteller gemacht? Sie haben unkippbare Kreisel eingeführt und dies scheinbar derart erfolgreich, daß es geradezu ein Ding der Unmöglichkeit geworden ist, noch einen anständigen Kreisel zu bekommen. Die haben alle so einen gräßlichen Fuß unten dran! Der offenbar auch nicht abzubauen geht. Aber Kreisel stehen nunmal nicht einfach so auf der Spitze. So ist die Welt nun mal. Da möchte man sich schon was einfallen lassen, damit das klappt. Das ist doch der ganze Witz am Brummkreisel. Ich muß etwas tun, damit der Kreisel stehen bleibt und sich dreht und irgendwann wird er unweigerlich fallen. Alles, was ich tun kann, ist, diese Zeit so weit wie möglich zu verlängern.
Was ist da passiert? Wie konnte es dazu kommen, daß wir aus einem Spielzeug, mit dem Kinder sich ausprobieren, an dem sie experimentieren konnten und das noch dazu auf einem lächerlich simplen Prinzip beruht, ein Gerät wurde, dessen Herausforderung knapp über einer Gewinnspielfrage bei der Champions-League-Übertragung durch SAT.1 liegt? Ein Brummkreisel als konsumptives Spielzeug – o tempores, o mores.
Was soll das? Ein Kreisel, der nicht umkippt? Und dann wundern wir uns, daß die heranwachsenden Generationen mit Situationen überfordert sind, in denen nicht alles funktioniert oder denen die Idee, daß zum Erreichen eines Zieles auch Zeit und Kraft investiert werden muß, zunehmend abhanden kommt? Ist ja auch kein Wunder, wenn wir ihnen Kreisel zum Spielen geben, die nicht umfallen.

So, das wollte ich schon lange mal gesagt haben.