Tag der Südharzreise

Der 3. Oktober gilt hierzulande aus durchaus unterschiedlichen Gründen als Feiertag. Es gibt Menschen, die bejubeln den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD, es gibt Menschen die betrauern das. Es soll Menschen geben, die heute den Todestag von Franz Josef Strauß in den Mittelpunk ihres Interesses stellen.
Tatsächlich aber hat der 3.Oktober 2014 seine entscheidende kulturhistorische Bedeutung am 03. Oktober 2008 gewonnen. An diesem Tag nämlich beschloss Frank Fischer, zu seiner grandios dokumentierten Südharzreise aufzubrechen.

Dieses Großereignis jährt sich heute zum 6. Mal. Aus diesem Anlass und getreu der alten Volksweisheit »If you love somebody set them free« steht seit heute das im März erschienene Hörbuch unter der Lizenz CC by-nc-sa 4.0 und ist damit gemäß dieser Lizenz frei zur nichtkommerziellen Nutzung.

Denn dereinst, wenn die Leipziger Ansicht sich durchgesetzt haben wird und der 09. Oktober zum Feiertag für die deutsche Einheit erkoren wurde, dann bedarf der 03. Oktober ja einer neuen Bezeichnung. Gerade jene, in deren Interesse es nicht ist, dereinst den Nationalen Trauertag zum Gedenken an Franz Josef Strauß zu begehen, werden also diesen weiteren Schritt zum Tag der Südharzreise, zum Internationalen Feiertag des abstrakten Tourismus begrüßen. Möge von hier und heute eine Bewegung ausgehen, die diese Welt epochal verändern wird. Oder so.

Soviel mein heutiger Beitrag zum Pathos.

Weitere Informationen zum Hörbuch finden sich auf der Verlagsseite, die Aufnahmen des Hörbuches sind seit heute bei archive.org gespeichert.

Nachtrag (30.11.2014) Die ultimative Seite zur Südharzreise findet sich übrigens bei vebfilm: 2008 Autobahn 38. Neben Hörbuch und Buch finden sich dort auch die zugehörige Karte mit den angefahrenen Stationen und ein sensationeller Kurzfilm.

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#Lesefreude, der Welttag des Buches und Decca – Nachtrag

Bereits morgen ist es schon soweit:
Die wunderbare Aktion »Blogger schenken Lesefreude« (die ich im Vorjahr bereits vorstellte) geht in die zweite Runde.
Morgen wird dann Jan-Uwe Fitz mit diesem Buch ganz im Mittelpunkt stehen. Morgen, wie gesagt. Zunächst aber gilt es, noch etwas zum Vorjahr nachzutragen.

Im vorigen Jahr stand nämlich Frank Fischer im Mittelpunkt der Aktion hier – und das hatte seine Gründe. Wie ich seinerzeit schrieb, trafen wir aus monetären Gründen die Entscheidung, seine »Südharzreise« nicht zu verlegen. Eine Entscheidung, an der ich auch sechs Jahre später noch knabbere.

Durch verschiedene diesbezügliche Erfahrungen dazu ermutigt, trug ich mich allerdings bereits seit längerer Zeit mit dem Gedanken, wenn ich denn schon das Original verpasst habe, dann doch zumindest ein Hörbuch dazu zu bringen. Im Rahmen einer Konfrontationstherapie also dieses Trauma loszuwerden. Und auch wenn es ein wenig den Eindruck macht, als würde Decca eine Platte mit Beatles-Songs gespielt vom London Philharmonic Orchestra veröffentlichen: Als sich im Vorfeld der Leipziger Buchmesse 2014 die Möglichkeit ergab, am Messesonntag eine Veranstaltung im Café Telegraph durchzuführen, erschien mir dies der entscheidende Impuls, diesen Gedanken umgehend in die Tat umzusetzen. Da sich die erforderlichen organisatorischen Voraussetzungen erst im Februar ergaben, war glücklicherweise nicht genügend Zeit, diesen Entschluss noch einmal zu überdenken und innert eines knappen Monats war die Lesung aufgenommen, das Hörbuch veröffentlicht und in einer rauschenden Premiere präsentiert.

Mir scheint, dass der schnelle Entschluss und die die nicht minder rasante Umsetzung recht gut zum Text und seiner Entstehung passt.

Wer sich vom Ergebnis überzeugen (oder abstoßen) lassen möchte, der sei auf die ensprechende Verlagsseite verwiesen.

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Gachmuret feat. Der Hausheilige live

UPDATE: Es gibt einen Live-Mitschnitt meines Versuches, aus Frank Fischers Südharzreise vorzutragen:
http://www.blog.de/srv/media/dewplayer.swf?son=http://data9.blog.de/media/695/7450695_98f24dff86_a.mp3
Ausschnitte aus: Südharzreise
Dieser Mitschnitt ist auch auf youtube zu bewundern.
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Nur eine kurze Durchsage:
Am 21. November bin ich bei der Lesebühne von Frédéric Valin und Jan-Uwe Fitz eingeladen und darf dort lesen. Weitere Infos zur Veranstaltung finden sich auf der Seite von Read on, my dear. Ick bin stolz wie bolle.

Vortragen werde ich natürlich Texte des Hausheiligen dieses Blogs, Dr. Kurt Tucholsky. Und ich werde das eine oder andere Kapitel aus Frank Fischers Südharzreise zum besten geben.

Wer mag, darf gern vorbeischauen.

#Lesefreude, der Welttag des Buches und Decca

UPDATE, 29.04. 2013:
Da nun doch weit mehr Menschen teilnehmen als ich zu hoffen wagte, habe ich mir überlegt, die Preise etwas breiter aufzustellen. Es gibt jetzt folgende Gewinnmöglichkeiten:

1. Preis: Das Frank-Fischer-Komplettpaket
bestehend aus: »Weltmüller«, »Südharzreise«, »Der Louvre in zwanzig Minuten«, »Die Zerstörung der Leipziger Stadtbibliothek im Jahr 2003« und den beiden von Frank Fischer herausgegebenen und mit einem Nachwort versehenen Brawe-Dramen »Der Freygeist« und »Brutus«. Plus: Ein beliebiger Titel aus dem Verlagsprogramm von Ille & Riemer.
2. Preis: Das Frank-Fischer-Best-Of-Paket
bestehend aus: »Weltmüller«, »Südharzreise« und »Der Louvre in zwanzig Minuten«. Plus: Ein beliebiger Titel aus dem Verlagsprogramm von Ille & Riemer.
3. Preis: Das Frank-Fischer-Basis-Paket
bestehend aus: »Weltmüller« und »Der Louvre in zwanzig Minuten«. Plus: Ein beliebiger Titel aus dem Verlagsprogramm von Ille & Riemer.
4. Preis: Frank Fischers »Weltmüller«
bestehend aus: bestehend aus: »Weltmüller«. Plus: Ein beliebiger Titel aus dem Verlagsprogramm von Ille & Riemer.
5.-10. Preis: Ein beliebiger Titel aus dem Verlagsprogramm von Ille & Riemer.

Wie angekündigt, gibt es heute etwas zu gewinnen, da dieser Blog an der wunderbaren Aktion »Blogger schenken Lesefreude« teilnimmt, über die ich bereits berichtete.
Meine Wahl für das zu verlosende Buch fiel auf das güldene Buch Frank Fischers, betitelt »Weltmüller«.

Dieses stand hier bereits als Nummer 102 der Reihe »Buch zum Sonntag« im Mittelpunkt des Interesses. Ich formulierte meine Begeisterung seinerzeit folgendermaßen:

Vexierspiegel. Wenn ich eine Assoziation zu diesem Buch finden sollte, dann wäre es wohl diese.
Drei Reportagen eines preisentkrönten Journalisten namens Frank Fischer, von Begebenheiten handelnd, die in ihrer Absurdität gleichwohl möglich wirken. Ein Buch, das mit allem spielt, mit Wirklichkeitsebenen, mit Reflexionen, mit Wahrnehmungen, mit Erwartungshaltungen. Und wie, zumindest geht es mir so, beim Vexierspiegel der Eindruck entsteht, man müsse nur den richtigen Winkel finden, dann zeige sich die Wirklichkeit in ihrer unverzerrten Form, so drängt sich beim »Weltmüller« der Gedanke auf, man müsse ihn nur oft genug und mit der richtigen Fragestellung lesen und schon offenbare sich, was die Welt im Innersten zusammen hält. Oder zumindest doch, was eigentlich Kunst ist und welche Rolle sie in der besten der möglichen Welten spielt.
Es sind verschiedenste Lesarten dieses Bravourstücks möglich.
Man kann es als leichte Fingerübung eines talentierten Autors lesen, als intellektuelle Spielerei eines Passionsfeuilletonisten, gut geeignet, der distinguierten Zahnärztin als Geburtstagspräsent zu überreichen – bei all den Namen, die dort auftauchen, wird sie es kaum wagen, das Buch schlecht zu finden. Kann man machen.
Man kann es aber auch lesen als Satire auf “den Betrieb”. Auf den Theater- und sonstigen Kunstbetrieb, auf dieses um sich selbst drehende Universum, das stets darauf bedacht zu sein scheint, sich durch Deutungs- und Bedeutungshöhen abzugrenzen vom schnöden Plebs und dabei doch genau diesen, zumindest in seinem bildungsbürgerlichen Gewand, braucht, um die eigene Größe zu demonstrieren. Kann man machen.
Man kann es aber auch lesen als ein Schelmenstück, in dem ein Hamlet mit Tierpflegern und ein Godot mit einer sechsten Rolle oder 192 Tafeln auf dem Leipziger Augustusplatz eine Variation auf Kerkelings “Hurz” sind, geeignet, das Publikum in seiner Erwartungshaltung vorzuführen, in seiner Sucht danach, sich selbst intellektuell nicht im Abseits zu sehen, alles, was das Etikett “Kunst” trägt auch interpretieren und verstehen zu wollen – und vor allem auch zu können. Kann man machen.
Und das schöne wäre: Man hätte bei allen diesen Lesarten sein Vergnügen, je nachdem, wo man sich als Lesender selbst verortet.[…] »Weltmüller« ist für mich eines der faszinierendsten Leseerlebnisse der letzten Zeit – hochreferentiell, intertextuell geradezu ein Thanksgivingtruthahn – und doch auch ohne all dies ein exzellent funktionierender Text.

Das ist aber alles gar nicht der Grund, weshalb es mir ein tiefes inneres Bedürfnis war, für diese Aktion Frank Fischer auszuwählen. Die Hauptmotivation ist etwas, das ich ein »Decca-Erlebnis« nennen möchte. Die heute wohl nur noch Klassik-Fans und Freunden der Popmusikgeschichte bekannte Plattenfirma »Decca« lehnte im Jahr 1962 mit der Begründung, »guitar groups are on the way out« und der leichten Fehleinschätzung »The Beatles have no future in show business« ab, die Beatles unter Vertrag zu nehmen. Und in Sachen Frank Fischer habe ich ein ganz ähnliches Erlebnis zu berichten:

Zu den konventionellen Buchhändler-Träumen, die mir in den letzten Jahren in der Branche begegnet sind, gehört neben der fixen Idee, irgendwann einmal ein Literatur-Café zu eröffnen (wirklich, man müsste da mal eine empirische Untersuchung machen, aber ich bin mir sehr sicher, die Quote liegt signifikant hoch), der Gedanke, unbedingt selbst Bücher zu publizieren, und zwar vor allem die Bücher, die die bösen Großverlage nicht bringen, weil sie die Auflagenschwelle nicht erreichen können. Mit ersterem dauert es bei mir noch etwas, den Verlag habe ich bereits vor über 10 Jahren (mit-)gegründet und publiziere da nun vor mich hin. Vor einigen Jahren landete ein Manuskript auf meinem metaphorischen Schreibtisch, in dem der Ich-Erzähler von seiner Reise entlang der neugebauten A38 von Leipzig nach Göttingen reiste. Ich lehnte ab, insbesondere, da dies ein ziemlich schlechtes Jahr für den Verlag war und gerade ungefähr gar kein Geld da war. Es gibt keine Verlagsentscheidung, die ich mehr bereute als diese. Und so ist meine Gefühlslage durchaus ambivalent, jedes Mal, wenn ich Frank Fischers »Südharzreise«, die wenig später bei den Kollegen von SuKuLTuR erschien, zur Hand nehme.

Deshalb also gibt es unter allen, die bis zum 30.04. diesen Beitrag kommentieren, ein Exemplar des »Weltmüller« zu gewinnen. Und weil der Welttag des Buches so eine feine Sache ist, lege ich für den Gewinnenden noch ein Buch aus meinem Verlagsprogramm oben drauf, das sich die- oder derjenige dann frei aussuchen darf.

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Power to the (reading) People

Der Welttag des Buches ist eine feine Sache. Einmal im Jahr soll das Buch, soll die Literatur im Vordergrund des öffentlichen Interesses stehen. Man hat sich dafür ein symbolträchtiges Datum ausgesucht, der 23. April ist weltliterarisch durchaus ein Schwergewicht. Und Schwergewichte sind es auch, die den Welttag publik mach(t)en. Es sind Branchenverbände und Großverlage, die ihre PR-Maschinen anwerfen, um schön gestrickte Marketing-Aktionen in Gang zu setzen.
Auch das ist natürlich eine feine Sache und jeder, der schon einmal selbst versucht hat, Aufmerksamkeit zu generieren, weiß, dass es überhaupt nicht schaden kann, professionelle PR-Maschinen anwerfen zu können.

Ganz unter uns gesagt, sind aber solche professionell geplanten Marketinggeschichten durchaus eine gute Portion öde. Nicht immer wirklich langweilig, aber es fehlt doch stets das Quentchen Überraschung. Besonders, wenn man dann schon eine Weile in der Branche ist, merkt, wie Budgets abschmelzen, wie Kreativität fehlt und überhaupt alles ein bisschen sehr in gewöhnliche Fahrwasser gerät, wo es eigentlich nur noch um lancierte Leseproben geht.

Umso erfreulicher nun, dass die Lesenden nun das Heft des Handelns ergreifen und einfach sagen: »Wir holen uns den Welttag zurück«. Also, keine Ahnung, ob sie das wirklich sagen, aber ich empfinde es so. 😉
Die Aktion »Blogger schenken Lesefreude« lädt dazu ein, am 24. April über ein Buch zu bloggen, das dann unter den Kommentierenden verlost wird. Ganz genau nachlesen kann man das in diesem Interview, das zudem alle notwendigen weiterführenden Links bereit hält. Leider habe ich inzwischen vergessen, wie ich auf diese Aktion gestoßen bin (es war aber kurz bevor die Branchenpresse darauf aufmerksam wurde), wollte aber, wie sich die geneigte Leserschaft sicher vorstellen kann, unbedingt mitmachen.
Es wird daher hier am 23. April die Möglichkeit geben, Frank Fischers wunderbaren »Weltmüller« zu gewinnen.

Weil heute aber heute ist und heute ist indiebookday, eine ebenfalls sehr exzellente Aktion, die ganz hervorragend passt, wenn es darum gehen soll, bei all der wirklich wichtigen Leistung, die die Big Player für die Branche erbringen (das ist ein eigenes Thema wert, aber all die Dienstleistungen, die Präsenz, die Werbung, die von den »bösen Großen« erbracht werden, sind durchaus ein Rückgrat, eine Basis, auf der die »Kleinen« aufsatteln können), sind es doch oft die kleinen, unabhängigen, selbstausbeuterischen Idealisten, die das Salz in der Suppe bilden. Die auf der Suche nach neuer, unentdeckter, aber guter Literatur sind, die Nischen besetzen, die auch das noch publizieren, was nur noch eine Handvoll Leute interessiert – und die dabei doch nicht reich werden. Und zwar selbst wenn sie einmal einen Durchbruch schaffen, so ergeht es ihnen doch oft wie den Fußballvereinen, die immer für ihre hervorragende Jugendarbeit gelobt werden, deren erste Mannschaft dann aber doch nur in der dritten Liga spielt…

Und all diese Unermüdlichen, diese Verrückten, die mit Herzblut bei der Sache sind und trotzdem sehr häufig (es sind wirklich viele, auch solche, bei denen der geneigte Leser dann nie vermuten würde) mit einem ganz anderen Job ihre Miete verdienen müssen, deren Arbeit soll dieses eine Mal ganz im Mittelpunkt stehen und die Bestsellerlisten wenigstens für einen Tag mal nach hinten schieben.

Für all jene in der geneigten Leserschaft, die jetzt vor Schreck gar nicht wissen, welches Buch sie sich heute unbedingt zulegen wollen, habe ich eine Liste zusammengestellt, die ich unter größten Schmerzen auf 10 Titel beschränkt habe. Und der Gewinner der Verlosung nächsten Monat darf sich noch eines von der Liste wünschen. oder aus dem Programm dieses schnuffigen Verlages.

Und da Klassenkampf ja gerade wieder salonfähig ist, jetzt etwas Musik:


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Das Buch des Tages

Den aufmerksamen Feuilleton-Lesern wird es aufgefallen sein: Heute gilt es ein Jubiläum zu feiern. Vor 60 Jahren fand die Uraufführung des Mutterstücks der Postmoderne, des Godfather of Absurdes Theater, des Über-Stücks des 20. Jahrhunderts statt.
Und im Gegensatz zum zeitgenössischen hiesigen Feuilleton, dessen Reaktionen geeignet sind, so manchem heute geschmähten Autor Hoffnung zumachen, weiß das heutige »Warten auf Godot« in den höchsten Tönen zu loben und seine Bedeutung in Regionen anzusiedeln, in denen jegliche Kritik als Blasphemie zu werten ist.

Anstatt also nun unzählige gleichlautende Artikel in diversen Medien zu lesen, empfehle ich der geneigten Leserschaft den einzig angemessenen Text zu lesen, nämlich das titelgebende Bravourstück aus Frank Fischers güldenem »Weltmüller«, den ich hier bereits wärmstens empfahl.

Für all jene, denen eine der lieferbaren Ausgaben zu teuer ist oder zunächst einmal überprüfen möchte wie recht ich habe, für all jene bietet sich die Möglichkeit eines Free Download.

Also, wie auch immer: Lest dieses Buch (und meinetwegen auch Beckett).


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Das Buch zum Sonntag (102)

Es ist Juni. Ein wunderbarer Zeitpunkt für einen Neubeginn. Und passend zur Konstruktion dieses Blogs erfolgt dieser mit einer Buchempfehlung, auf dass ihr, geneigte Lesende dieser Publikation, nicht weiter irrlichternd und suchend durch das weite Meer der Literatur segeln müsst, einen sicheren Kompass, ach was sage ich, einen richtungweisenden Fixpunkt am Firmament, einen Leitstern verzweifelt suchend. Oder so.*

Der Autor des heute empfohlenen Buches war hier gelegentlich bereits Thema (so zum Beispiel in Nummer 94 und Nummer 40 dieser Reihe), ich vermag also eine gewisse Affinität zu seinem Schaffen nicht verleugnen. Allerdings ist diese auch vollkommen begründet, womit es mir völlig gerechtfertigt erscheint, den neuerlichen Neustart dieses Blogs mit ihm zu eröffnen, insbesondere, da erst vor kurzem ein neues Werk von ihm veröffentlicht wurde und so

empfehle ich der geneigten Leserschaft für die morgen beginnende Woche zur Lektüre:

Frank Fischer: Weltmüller

Vexierspiegel. Wenn ich eine Assoziation zu diesem Buch finden sollte, dann wäre es wohl diese.
Drei Reportagen eines preisentkrönten Journalisten namens Frank Fischer, von Begebenheiten handelnd, die in ihrer Absurdität gleichwohl möglich wirken. Ein Buch, das mit allem spielt, mit Wirklichkeitsebenen, mit Reflexionen, mit Wahrnehmungen, mit Erwartungshaltungen. Und wie, zumindest geht es mir so, beim Vexierspiegel der Eindruck entsteht, man müsse nur den richtigen Winkel finden, dann zeige sich die Wirklichkeit in ihrer unverzerrten Form, so drängt sich beim Weltmüller der Gedanke auf, man müsse ihn nur oft genug und mit der richtigen Fragestellung lesen und schon offenbare sich, was die Welt im Innersten zusammen hält. Oder zumindest doch, was eigentlich Kunst ist und welche Rolle sie in der besten der möglichen Welten spielt.
Es sind verschiedenste Lesarten dieses Bravourstücks möglich.
Man kann es als leichte Fingerübung eines talentierten Autors lesen, als intellektuelle Spielerei eines Passionsfeuilletonisten, gut geeignet, der distinguierten Zahnärztin als Geburtstagspräsent zu überreichen – bei all den Namen, die dort auftauchen, wird sie es kaum wagen, das Buch schlecht zu finden.*** Kann man machen.
Man kann es aber auch lesen als Satire auf “den Betrieb”. Auf den Theater- und sonstigen Kunstbetrieb, auf dieses um sich selbst drehende Universum, das stets darauf bedacht zu sein scheint, sich durch Deutungs- und Bedeutungshöhen abzugrenzen vom schnöden Plebs und dabei doch genau diesen, zumindest in seinem bildungsbürgerlichen Gewand, braucht, um die eigene Größe zu demonstrieren. Kann man machen.
Man kann es aber auch lesen als ein Schelmenstück, in dem ein Hamlet mit Tierpflegern und ein Godot mit einer sechsten Rolle oder 192 Tafeln auf dem Leipziger Augustusplatz eine Variation auf Kerkelings “Hurz” sind, geeignet, das Publikum in seiner Erwartungshaltung vorzuführen, in seiner Sucht danach, sich selbst intellektuell nicht im Abseits zu sehen, alles, was das Etikett “Kunst” trägt auch interpretieren und verstehen zu wollen – und vor allem auch zu können. Kann man machen.
Und das schöne wäre: Man hätte bei allen diesen Lesarten sein Vergnügen, je nachdem, wo man sich als Lesender selbst verortet.
Es gäbe noch zahlreiche weitere denkbare Lesarten, was für mich einen der größten Reize dieses Buches ausmacht. Die Lesart, die ich jedoch empfehle, wäre die, sich einfach darauf einzulassen. Was vor allen Dingen bedeutet, Fragen zuzulassen. Wer ist dieser Reporter eigentlich – und wieso zum Henker wird ihm ein Journalistenpreis aberkannt, noch dazu für eine Reportage über ein in höchstem Grade öffentliches Ereignis (die versprochene Berichterstattung, zu dessen Gegenstand er nun geworden sein soll, sucht man, zumindest im Buch, vergebens)?
Was ist von Menschen zu halten, der unbescholtene Bewohner entferntester Länder behelligen, nur um das Rätsel einer Inschrift einer Kunstinstallation zu lösen, die sich zudem sowieso im Momente der Erkenntnis wieder verändert?

Und schließlich, die größte aller Fragen, wieso muss ich so viele Worte zu einem Buch verlieren, in dem ein Satz wie

Es ist ja von sich aus interessant, wenn irgendwo irgendwas von irgendwem geschrieben steht.

(S. 58)**

zu lesen ist?
Eben.
Weltmüller ist für mich eines der faszinierendsten Leseerlebnisse der letzten Zeit – hochreferentiell, intertextuell geradezu ein Thanksgivingtruthahn – und doch auch ohne all dies ein exzellent funktionierender Text. Es gibt nur wenige Werke der Literatur, über die sich ähnliches sagen ließe. Ich bin mir sicher, noch eine ganze Weile daran zu sitzen und noch ganz andere Fragen als die oben erwähnten zu klären.
Damit mir das aber gelingt, müsst ihr jetzt alle mal eine der

lieferbaren Ausgaben

kaufen und – vor allem – lesen.

Denn ich muss dringend mal mit jemandem darüber sprechen.


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*Das mit der Bescheidenheit übe ich noch.
**aus: Fischer, Frank: Weltmüller. SuKuLTuR. Berlin 2012
***Genau zu diesem Behufe übrigens habe ich das Buch heute verkauft. 😉

Das Buch zum Sonntag (94)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Frank Fischer: Der Louvre in 20 Minuten

Die UNESCO definiert ein Buch als eine nichtperiodische Publikation mit 49 oder mehr Seiten Umfang.
Demnach wäre das heute zu empfehlende Werk kein Buch. Nun ist der Verfasser dieser Zeilen ja hauptberuflich Buchhändler und im Buchhandel gibt es (unter anderem, dies sei der Fairness halber erwähnt) die äußerst pragmatische Definition »Ein Buch ist alles, was eine ISBN hat.«, an welche ich mich denn heute auch einmal halten möchte.
Der Titel von Frank Fischers neuestem Streich ist in doppelter Hinsicht programmtisch. Zum einen beschreibt er das wahnwitzige Projekt der Protagonisten des Werkes, nämlich den Louvre in 20 Minuten, wenn nicht vollständig, so doch erschöpfend, zu durchqueren – zum anderen dauert die lesende Begleitung der Kunsttouristen auch kaum länger als 20 Minuten. Man befindet sich sozusagen im Gleichklang mit der beschriebenen Handlung – und die rast von Anfang an:

… stürmen wir den Denon-Flügel, überwinden die ersten Stufen, springen die Wendeltreppen hinauf in den Salle du Manège und von da aus sofort weiter in die Galerie Michel-Ange, ziehen dort im Slalom um ein paar Skulpturen herum und halten dann zum ersten Mal. Vor uns steht Michelangelos »Sterbender Sklave« (1513-1516), dessen Körper auf die schönste Weise vom Morgenlicht beschienen wird. Sébastien2000, unser sicher nicht ganz legal arbeitender Hochgeschindigkeitsmusemsführer, erläutert laut und schnell die berühmten Verrenkungen der Figuren.

(S. 3)*

Eine solche Tour de force durch die europäische Kunstgeschichte ist naturgemäß hochselektiv, offenbart dabei aber auf deutliche Weise die Willkür einer jeden Kanonisierung. So mag ich das Buch denn auch nicht wegen seiner profunden Einführung in zentrale Kunstepochen und deren Vertreter empfehlen, sondern eher wegen Fischers Fähigkeit zur Miniatur, zur pointierten Charakterisierung. Das Büchlein ist ein Kaleidoskop glitzernder Perlen, bei deren Betrachtung geradezu kindliche Freude aufkommt. Das trifft nicht nur auf seine Begleiter und im Vorbeiziehen aufscheinende andere Besucher zu, sondern durchaus auch auf seine Beschreibungen, die vor selten verwandten Neologismen keinen Halt machen, wenn sie denn den Punkt treffen:

Die nächsten Kommandos von Sèbastien dirigieren uns in die Helligkeit des Folgesaals, den Salon Carré. Bereits dessen Decke ist üppig zugekunstet, aber wir widmen uns dezidiert einer »Jungfrau mit Kind« von Cimabue (um 1280), während ich hinter mir jemanden sagen höre: »This is just like in the Sistine Chapel.« Was jetzt genau hier in diesem Saal wie dort in der Kapelle sein soll, kann ich nicht heraushören, aber ich muss an Leute denken, die in Zürich sind und sich an London erinnert fühlen oder an Cottbus.

(S. 6)

Mit diesen wenigen Sätzen entstehen doch gleich ganze Bilder, sowohl von der Einrichtung als auch von den Mitanwesenden…
Und so geht es munter weiter, 20 Minuten lang, bis sowohl Reisegruppe als auch Lesender, je nach Kondition leicht bis mittelmäßig erschöpft, aber doch zufrieden und leicht beglückt, den Louvre-Rundgang beendet haben. Ich würde gerne noch mehr über das Buch plaudern, allein, ich möchte ja nicht spoilern und bei einer Paginierung, die mit der Zahl 19 endet, hat man doch schneller zu viel verraten als es der geneigten Leserschaft lieb sein kann.

Also, holt euch lieber die

lieferbare Ausgabe

und lest selber.

Wer nicht online bestellen mag, kann das Werk problemlos auch hier erwerben (zum Beispiel, wenn man nächsten Donnerstag ja eh dort ist 😉 ) oder auch, was besonders für die Berliner interessant sein dürfte, an den unglaublich tollen Bücherautomaten.

*zitiert aus: Fischer, Frank: Der Louvre in 20 Minuten. (=Schöner Lesen Nummer 105) SuKuLTuR Berlin 2011


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Viel Lärm um Nichts

Zum Wochenendeende sei noch ein Verweis auf eine andere Seite im Netz gegeben. Bekanntermaßen lebt das Zwischennetz ja genau von diesen Verknüpfungen.
Dem seien aber noch einige einleitende Worte vorausgeschickt.
Ich kann unmöglich auf den Blog von Tobias Wimbauer verweisen ohne zugleich auf diesen Beitrag im “Umblätterer” aufmerksam zu machen, in dem das Phänomen Wimbauer vorgestellt wird.
Da nicht auszuschließen ist, daß sich in der geneigten Leserschaft immer noch Menschen befinden, die die Großartigkeit der “Südharzreise” von Frank Fischer nicht einsehen, sei auch auf meine diesbezügliche Empfehlung noch einmal dringendst verwiesen.
Und ehe ich tatsächlich zum Link komme, dessen Ziel diesen Beitrag hier verursachte, sei daran erinnert, daß es auch eine Lesung der Südharzreise mit mir gab.
Wer nun getreulich allen Verweisen gefolgt ist und sich vom Gefundenen nicht davon abhalten ließ, hierher zurückzukommen, der darf denn auch dem Verweis auf Tobias Wimbauers Blog folgen, in dem sich ein Video der Autorenlesung mit Frank Fischer findet.

Viel Vergnügen.


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Von Sachsen und anderen Anhaltern

Der Tag fing schon nicht gut an. Zwar erfüllte der Wecker getreulich seine Pflicht, lag aber unglücklicher Weise in unmittelbarer Reichweite meiner Hand, so daß die teuflische Funktion “Snooze-Taste”, deren Erfinder von allen zum pünktlichen Aufstehen verpflichteten Zeitgenossen wohl schon hundertmal verflucht wurde, problemlos nutzbar war. Ich stand also eine Stunde später als geplant auf. Was den sorgfältig geplanten Zeitplan gehörig ins Schwanken brachte, aber kompensierbar war.
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