Leipzig-Lübeck 2010 (1) – Lost in Delitzsch

Location: Wolfen
Kilometerstand: 49,78
Fahrzeit: 2:25:54 h
Reisezeit: 3h
Tagesziel: Ronney bei Barby
noch zu fahren: ca. 60km

Ursprünglich hatte ich Dessau als ersten Pausenort eingeplant, aber der neue Sattel fordert seinen Tribut. Die Beine sind noch ganz okay, da hatte ich mit schlimmerem gerechnet.

Ich konnte heute feststellen, daß ein Jahr eine lange Zeit sein kann und sich daher gelegentlich ein Blick auf die Karte lohnen kann, auch wenn der Reisende glaubt, die Strecke zu kennen. So bin ich heute morgen einige unsinnige Kilometer in Leipzig gefahren, die damit endeten, daß ich an der Neuen Messe rauskam, was ich bei direktem Wege statt der benötigten 45 Minuten auch locker in der Hälfte der Zeit hätte schaffen können. Aber gut, aus der Stadt raus ist ja immer das Nervigste. Mangels annehmbarer Alternativen folgte ich dann der B184 nach Delitzsch, gelegentlich sogar mit begleitendem Radweg, was alles in allem auch Sonntagmorgen kein Vergnügen ist.
Da ich aber nun schon einmal da war, hatte ich daraufhin die kühne Idee, der Straße einfach zu folgen, um so auf kürzestem Weg das nächste Ziel (Bitterfeld) zu erreichen. Offenbar ist die Bundesstraße, die übrigens hervorragend asphaltiert ist (wären die 100km/h schnellen Überholenden nicht: wunderbar) aber für Delitzsch als Ortsumgehung geplant, was die zuständigen Behörden dazu verleitete, ein formschönes Verbotsschild für Radfahrer aufzustellen.
Nunja, dann halt durch die Stadt durch. Wie ich dabei feststellen konnte, hat Delitzsch eine ganz wunderbare Altstadt, in ihrer frühneuzeitlichen Struktur perfekt erhalten und von Einbahnstraßen und Fußgängerzonen durchzogen. Wer die Stadt besuchen möchte: Folgt den freundlichen Hinweisen auf die Parkmöglichkeiten, denn hat man sich einmal entschlossen, die Umgehungsstraße nicht zu wählen und nicht unmittelbar einen Parkplatz anzusteuern, wird es mit Hinweisen auf einen Ausweg aus der Stadt heraus sehr dünne. Einen solchen hätte ich freilich dringend gebraucht, war mein Interesse ja nicht touristischer Natur und lag ich außerdem bereits so schon katastrophal in der Zeit. Im Gegensatz zu Dörfern, in denen ich mich regelmäßig bis zur Verzweiflung verirre (man kann da Straßen wählen, wie man will, es endet immer wieder auf dem Dorfplatz… – gabs da nicht auch mal einen Horrorfilm?), kommt mir in Städten jedoch mein erworbenes Wissen zu Gute. Einen Ausweg nämlich zeigten die Touristenschilder an. Offenbar ist man in Delitzsch der Meinung, der Bahnhof sei eine Attraktion. Das mag ja sein, gleichzeitig begingen die Stadtoberen damit aber einen schweren Fehler: Denn ein Bahnhof ist in seiner Funktion als Verkehrsknotenpunkt immer der Treffpunkt vieler nach auswärts führender Straßen. Scheinbar hat man diesen Fehler übrigens bereits bemerkt, denn der Kreisverkehr in der vorm Bahnhof entlangführende Eisenbahnstraße ist in alle Richtungen (außer natürlich stadteinwärts) gesperrt, angeblich wegen Bauarbeiten. Nunja, es ist Sonntag, Bauarbeiter waren keine zu sein und die Einwohner nutzten einen Weg über den nahegelegenen Aldiparklatz, um die Sperrung zu umgehen. Icke och.
Der Rest der bisherigen Strecke verlief dann beruhigend unspektakulär. Die B183a hat in Delitzsch einen begleitenden Radweg, der direkt in ein Naherholungsgebiet führt. Voriges Jahr nahm ich den Weg eben dort entlang, aber diese Rundwege um irgendwelche Seen mögen ja recht ansehnlich sein, führen aber zu unnötigen Umwegen (von möglichen Odysseen mal ganz abgesehen). Ich konnte also dem Schild “Bitterfeld 10km” unmöglich widerstehen – und lag damit richtig. Denn hinter Delitzsch verliert die B184 ihre Funktion als Zubringer zur Autobohn und meine Vermutung, daß es am Sonntag eher wenige Leute von Delitzsch nach Bitterfeld ziehen würde, bestätigte sich vollauf. Kurz vor der Bayer-Stadt beginnt dann etwas, wofür ich nicht müde werden kann, den Landkreis Anhalt-Bitterfeld zu loben: Asphaltierte Radwege neben der Bundesstraße. Super. So stelle ich mir Radwege als Infrastruktur vor. Keine Biegungen, um landschaftlcih reizvolle Wiesen zu sehen, keine Abzweigungen für die unbedingt sehenswerte Dorfmühle – Nein: Geradeaus zum Ziel.
Mein nächstes Ziel heißt nun Dessau, dort gilt es die Elbe zu überqueren und bis zum letzten Tage heißt es dann: Follow the yellow brick road. Naja, beziehungsweise halt dem Elberadwegzeichen.

It´s my Party

So ein Blog ist ja immer auch eine persönliche Sache. Und ab heute wird es mal sehr persönlich hier. Wahrscheinlich handelt es um den geschätzten 393630810. Reisebericht auf einem Blog und möglicherweise interessiert das die geneigte Leserschaft gar nicht. Aber zum einen sehe ich gar nichts Schlimmes darin, zum 393630810. Mal über eine Reise zu bloggen – denn hier ist es ja zum ersten Mal – und zum anderen gilt: It´s my party, and I blog if I want to.

Aber nun mal zu den Fakten. Ich werde ab Sonntag versuchen, die Strecke Leipzig-Lübeck per Rad zu bewältigen. Das habe ich im vorigen Jahr schon einmal versucht, scheiterte da aber an Ausrüstungsmängeln und grenzenloser Selbstüberschätzung irgendwo kurz hinter Magdeburg.
Diesen zweiten Versuch nun öffentlich zu machen, hat den Charme, von der geneigten Leserschaft bewundert zu werden – und birgt freilich das Risiko, ein klägliches Scheitern nicht verheimlichen zu können. Schaun mer mal. Für mich persönlich könnte das also durchaus eine Grenzerfahrung werden und Grenzerfahrungen, das haben wir ja nun dank Lenchen gelernt, gehören ja in Blogs. Womit die Rechtfertigung für den 393630810. Erfahrungsbericht ja auch gleich bei der Hand wäre.

Für heute soll ein Blick auf die Ausgangslage genügen.
Pro:
1. Die Ausrüstung (ein solides Tourenrad, 27 Gang-Schaltung, HydraulikBremsen, stabiler Gepäckträger, Nabendynamo, dazu: 2 40-Liter-Gepäcktaschen von Vaude, diverse Funktionskleidung) – die Ausrede dürfte diesmal nicht gelten. Widrigenfalls fordere ich die erheblichen Geldbeträge, die darin stecken, zurück.
2. Die Strecke. Die Etappen sind diesmal deutlich kürzer gewählt. Ca. 100km po Tag sind im Prinzip kein Problem. Zumal es flach ist. Also sowas von flach.
3. Das Wetter. Soll toll werden.

Contra:
1. Mangelnde Form. Ein alles andere als auskurierter Infekt, dazu ein
Frühjahr, das nicht recht beginnen wollte. Ich bin konditionell derartig weit weg vom Normalzustand Ende April, das ist nicht mehr feierlich.
2. Die Ausrüstung. Der Sattel ist neu. Es wird schmerzhaft werden. No further comment.
3. Das Wetter. Hat uns dieses Jahr schon so manchen Streich gespielt.

Zum Abschluß noch der Hinweis: Ich habe keine Ahnung, wie in Walterniendorf oder in neu Bleckede der Zustand des Netzausbaus ist. Sollte es also keinen Eintrag geben, liege ich nicht zwangsläufig im Graben. 😉
Und der Hinweis: Don´t trust the O2-expert. Der Kollege im O2-Shop behauptete dreist, mein EEEPC 1005irgendwas würde problemlos eine SIM-Karte aufnehmen können. Kann er nicht. Falsche Baureihe. Aber zur Strafe hatte sein Hinweis ja auch dazu geführt, daß ich bei BASE gekauft habe (nämlich in der irrtümlichen Annahme, mir einen Surfstick sparen zu können). Nun muß ich mit angedocktem Handy online gehen. Dies nur mal so am Rande, ganz wertungsfrei.

Yo. So viel dazu.
Obwohl – Möchte noch jemand ein Bild vom Packesel?
Ja?
Aber gerne doch:

Happiness is overrated

Soweit die Kulturgeschichte zurückreicht gibt es Zeugnisse von der Suche der Menschen nach Enthemmung. Das alltägliche Zusammenleben bringt einige Einschränkungen in Sachen Selbstentäußerung mit sich. Offenbar scheint aber genau dies ein tiefsitzendes Bedürfnis zu sein, denn das Leben war noch nie eine Aneinanderreihung von Glückzuständen, sondern meist eher madig. Das möchte man aber nun nicht jeden Tag vor Augen haben und so besteht der Wunsch, aus dieser Wirklichkeit auszubrechen.
Nun ist es aber gesellschaftlich nicht wünschenswert, daß es leicht ist, sich über die erlernten Regeln hinwegzusetzen, sprich: konditioniertes Verhalten zu überwinden und daher geschieht genau das, was immer geschieht, wenn unerwünschtes Verhalten mit bestehenden Bedürfnissen kollidiert: Es entstehen geschützte Zusammenhänge, in denen verschiedene Regeln des alltäglichen Zusammenlebens nicht gelten, Rituale eben.
Wir kennen das, deshalb gibt es Gladiatorenkämpfe, Popkonzerte und Fußballspiele, wird Karneval gefeiert (Anektode am Rande: bei Peter Burke habe ich gelesen, daß es in der Frühen Neuzeit nachweislich höhere Geburtenraten ein Dreivierteljahr nach den üblichen Karnevalsfesten gab) und dergleichen mehr.
Im Privaten findet die Suche nach solchen Zeremonien ihre Entsprechung in Partys (ein Freund von mir begründete seine Haltung, das Zusammentreffen einander mehr oder weniger bekannter Menschen aus privatem Anlaß lieber “Bankett” statt “Party” zu nennen mit dem unsterblichen Satz: “Party” klingt immer so, als müsse etwas kaputt gehen.)
Mir selbst ist solcherlei Verhalten vollkommen fremd, benötige ich doch für gewöhnlich zum Ausschalten zentraler Denksysteme ein großes Kettenblatt und mindestens 50km glatten Asphalts. Voraussetzungen, die auf den wenigsten Partys gegeben sind.
Nun mag es ähnlich ungeübte Partybesucher geben, die nicht wissen, wie sie sich richtig verhalten sollen. Ich neige dazu, Themen immer erst nach einem gewissen Zeitraum aufzugreifen. Dies mag als Erklärung dienen, warum dieser Beitrag erst jetzt, wo doch gerade eine Partysaison vorbei ist, auftaucht. Allerdings dürfen wir mit Gewißheit davon ausgehen, daß weitere folgen werden. Möge also das folgende hilfreich sein.

Hier nun meine Regeln für PrivatPartyBesucher:

1. Erwarten Sie nichts.

Es geht darum, sich treiben zu lassen, im Strom mitzuschwimmen. Konkreter sollten Erwartungen nicht sein. Egal mit wem, für wen und warum Sie hingehen.

2. Trinken Sie alkoholische Getränke.

Achten Sie aber so lange wie möglich darauf, ihren Alkoholpegel nicht höher steigen zu lassen als beim Großteil der übrigen Gäste.

3. Reden Sie.

Es ist zweitrangig was. Je länger der Abend dauert, desto irrelevanter wird das, was sie sagen. Schweigen ist aber definitiv falsch. Damit gelten sie schnell als unkommunikativ und landen bereits nach der ersten Runde im Abseits. Legen Sie sich also sicherheitshalber einen Vorrat leicht erzählbarer Anektoden zu, und zwar so, daß sie sie auch alkholisiert noch darbeiten können.

4. Trinken Sie alkoholische Getränke.

Achten Sie aber so lange wie möglich darauf, ihren Alkoholpegel nicht höher steigen zu lassen als beim Großteil der übrigen Gäste.

5. Tanzen Sie.

Die laute Musik wird nicht gespielt, weil gerade ein Forschungsprojekt des MPI läuft, bei dem die für Menschen maximal verträgliche Lautstärke und Beatzahl getestet werden soll. Nein, sie soll dazu anregen, sich zu bewegen. Das ist nicht weiter schwer, machen Sie einfach nach, was andere Ihnen vormachen (und Sie sollten warten, bis eine ausreichende Anzahl Gäste Ihnen etwas vormachen). Sie müssen sich nur trauen. Sollten Sie sich noch nicht trauen, befolgen Sie Regel 5.

6. Trinken Sie alkoholische Getränke.

Achten Sie aber so lange wie möglich darauf, ihren Alkoholpegel nicht höher steigen zu lassen als beim Großteil der übrigen Gäste.

7. Schreien Sie.

Wenn Sie sich nicht in den Ruhezonen (Balkon, Gästezimmer, Wohnzimmer – wo auch immer die Aschenbecher und der Knabberkram stehen) befinden, wird eine andere Kommunikation mit den Menschen, die nur wenige Zentimeter von Ihnen entfernt sind (von den anderen gar nicht erst zu reden), nicht möglich sein. Hier sollten Sie auf Dinge zurückgreifen, die sich in kurzen Sätzen mitteilen lassen. Sind Sie darin ungeübt, bereiten Sie geeignete Floskeln vor.

8. Trinken Sie alkoholische Getränke.

Achten Sie aber so lange wie möglich darauf, ihren Alkoholpegel nicht höher steigen zu lassen als beim Großteil der übrigen Gäste.

9. Bewegen Sie sich immer konzentrisch um den Mittelpunkt der Menge.

Das ist wichtig. Wenn Sie stehen bleiben, geraten Sie unversehens ins Abseits. Menschen, die sich nicht bewegen, werden nicht wahrgenommen.

10. Suchen Sie Augenkontakt.

Eine der wenigen Regeln, die wohl immer gilt, sobald Menschen zusammenkommen. Hier genügt ein simpler Blick auf Augenhöhe und Sie werden sofort angesprochen, ausreichende Alkoholisierung vorausgesetzt. Et Voilá.

11. Vermeiden Sie differenzierte Gespräche.

Niemand möchte auf einer Party mit Ihnen über Proust sprechen. Auch die Intertextualitäten in Joyce “Ulysses” oder die Schnitttechnik in “Tote schlafen fest” sind eher Bankett-Themen. Wenn Sie über Literatur sprechen wollen, erzählen Sie eine Anektode oder zitieren Sie Bukowski. Insgesamt sind Literatur und Kunst nur bedingt partytaugliche Themen. Zur Veranschaulichung: Erzählen Sie, daß David Hurst mal einen Hai in einen Acrylblock gegossen hat oder der Turner-Preis an eine Installation in einem leeren, weißen Raum ging, in der alle paar Sekunden das Licht an- und ausgeht. Ein anerkennendes Nicken sollten Sie dafür jederzeit ernten können. Widerstehen Sie jedoch unbedingt der Versuchung, über die Selbstreferentialität zeitgenössischer Kunst zu referieren. Sie wären sehr schnell sehr allein. Reden Sie lieber über Haustiere, Autos oder Sex (je nach Alkoholisierungsgrad). Halten Sie passsende Anektoden parat.

12. Trinken Sie alkoholische Getränke.

Achten Sie aber so lange wie möglich darauf, ihren Alkoholpegel nicht höher steigen zu lassen als beim Großteil der übrigen Gäste.

12a. Trinken Sie nichtalkoholische Getränke

Diese Regel gilt nur für den Fall, daß Ihnen das Ende der Party nicht egal ist. Sollten Sie keine Angst davor haben, mittags aufzuwachen und nicht zu wissen, warum sie wo mit wem liegen – ignorieren Sie diese Regel. Widrigenfalls sollten Sie dringend darauf achten, Ihren Alhoholpegel soweit zu drosseln, daß Sie jederzeit in der Lage wären, über die Selbstrefentialität der zeitgenössischen Kunst zu referieren. Hören Sie spätestens dann mit dem Genuß alkoholischer Getränke auf, wenn Sie glasige Blicke, debiles Grinsen und zunehmend stockenden Redefluß Ihrer gesprächspartner bemerken. Sollten Sie im Laufe des Abends keine solche Anzeichen bei anderen Partygästen finden, haben Sie zu schnell und zu viel getrunken.

Den Abschlußkommentar übernimmt heute vertretungsweise eine junge bitische Nachwuchsband, deren Ratschlag übrigens auch für anders als im von ihnenen gesungenen Text begründete Situationen gilt, die durch Mißachtung der Regel Nr. 1 entstanden sind.
Wenn Sie enttäuscht sind, gehen Sie. Und achten Sie beim nächsten Mal darauf, nichts zu erwarten. 😉

(The Beatles: I Don´t Wanna Spoil The Party – Lyrics)

Hans Wolfshaut auf der Jagd

In der mir eigenen Verspätung greife ich ein Thema auf, das Blogosphäre und angrenzende Universen in den letzten Tage stark bewegte.

Zu den Firmen, die ihre Anwälte Geld mit Abmahnungen verdienen lassen, gehört auch der Funktionskleidungshersteller Jack Wolfskin.

Die Anfänge der Firma liegen einige Jahre zurück, 1981 gestartet in einem sich gerade formierenden Outdoor-Markt, der zu dieser Zeit noch den Charme der Aussteiger und Alternativen atmete.
Dies dürfte auch einer der Gründe gewesen sein, warum die taz in ihren Gründungsjahren großzügig über die Verwendung eines ihrer tazze sehr ähnlich sehenden Logos hinweg sah.
Zudem dürfte zu vermuten sein, daß die damalige taz-Generation die Registrierung ihres Logos als Marke aus ideologischen Gründen abgelehnt hätte. Was sich Jahre später als Fehler herausstellte. Aus der kleinen Firma, die für eine Alternativszene funktionelle Jacken, Schuhe und Rucksäcke produzierte (und durchaus ähnliche Zielgruppen bediente, es gab Ende der achtziger Jahre sogar Kooperationen), war ein Schwergewicht in einem großen Markt für Funktionskleidung geworden. Es gehört ins Reich der Spekulation, ob sich Jack Wolfskin anders verhalten hätte, hätte der Firmengründer nicht verkauft, aber 1995, als man bereits der US-amerikanischen Firma Johnson Outdoors gehörte, strengte Jack Wolfskin eine Klage gegen die taz an, wegen widerrechtlicher Verwendung ihres seit 1982 geschützten Logos.

2002 verlor die taz den ersten Prozeß, verwendete daraufhin die tazze nur noch in Verbindung mit einem Schriftzug, was ihr nach einem Urteil im Jahre 2007 für alle Produkte, die Jack Wolfskins Kernsegment berühren könnten, ebenfalls untersagt wurde.
Da gehörte die Firma allerdings schon lange zum Operationsgebiet der Private-Equity-Gesellschaften. Moralische Skrupel dürfen wir dort also auch nicht mehr erwarten, wo es per definitionem ja ausschließlich um Gewinnmaximierung geht (wogegen ich nichts sagen will, es ist ein mögliches Geschäftsmodell, es kennt aber eben keine anderen Grenzen als juristische, Argumente, die auf Anstand oder moralische Integrität zielen, vollkommen wirkungslos macht).
Und so überrascht es nicht, daß seit einiger Zeit nun die Outdoor-Firma ihr Operationsgebiet in Sachen Durchsetzung ihres Markenanspruches erweitert hat. In endlosen Abmahnwellen wird inzwischen wohl alles abgemahnt, was Pfoten hat. Unabhängig davon, von welchen Tieren die stammen.
Wirklich Aufsehen erregte das alles aber erst, als tatsächlich Mitglieder einer Strick- und Häkelcommunity abgemahnt wurden. Die ganze Geschichte dazu hier.

Für mich persönlich ist Jack Wolfskin ja bereits seit der taz-Geschichte gestorben, weil ich eine Firma, die derart unkollegial, um es mal vorsichtig zu formulieren, vorgeht, nicht unterstützen möchte. Es bleibt abzuwarten, ob das Gebahren dieser Firma nun so viele vom weiteren Kauf abhält, daß man auf den sicher einträglichen Geschäftszweig der Abmahnungen verzichtet. Bisher deutet jedoch nichts darauf hin, wie Johnny Häusler auf Spreeblick noch einmal verdeutlicht.

Unabhängig von dieser ganzen Geschichte finde ich es aber höchst bedenklich, daß es möglich ist, eine nur minimal stilisierte Pfote derart als Marke zu schützen, daß jeder Abdruck jeder beliebigen Tierpfote illegal wird. Falls noch jemand praktische Beispiele zur Verdeutlichung der Problematik der DNA-Patentierung brauchte, hier hat er eins. Es bedarf nur wenig Phantasie, sich auszumalen, was passiert, wenn wir hier nicht nur über aufgenähte Katzenpfotenabdrücke reden.

Peinlich wird übrigens Verhalten wie das hier von Jack Wolfskin,die sich weigerten, Angaben über die Abreitsbedingungen in ihren Produktionsstätten zu machen (aber selbstverständlich nur hochwertig hergestellte Produkte verkaufen), geschilderte, wenn gleichzeitig so getan wird, als sei man geradezu eine moralische Anstalt, die nichts sehnlicher wünscht, als ihren Profit für den Fortschritt der Gesellschaft einzusetzen (dafür sind Private-Equity-Gesellschaften ja auch berühmt).

Und genau dazu kommentiert heute der Hausheilige:

Man verstehe nicht falsch. Die unbeabsichtigten kulturellen Wirkungen eines großen Handels wird niemand leugnen, aber es ist nicht wahr, daß der Kaufmann auch nur im Traum daran denkt, Kultur oder auch nur Zivilisation zu verbreiten. Verdienen will er – und widerlich ist nur, daß er’s nicht sagt.

aus: Kunst und Kaufmann. in: Werke und Briefe: 1913. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 9131 (vgl. Tucholsky-DT, S. 59) (c) Rowohlt Verlag http://www.digitale-bibliothek.de/band15.htm