Gachmurets zweite Kulturwoche: Liedermacher

Liedermacher: Hannes Wader

Zu den wenigen musikalischen Prägungen meiner Jugend, die ich heute nicht ausschließlich mit dieser rührseligen Mischung aus Melancholie und Peinlichkeit höre, die nicht selten beim Wiederhören der Musik aus der eigenen pubertären Phase entsteht, sondern aus Überzeugung und mit Genuß höre, zählt Hannes Wader.
Der Typus des klassischen politischen Singer/Songwriters mit Verpflichtung zum Folk, den Wader verkörpert, muß auf das heutige Publikum massiv anachronistisch wirken.
Der komplette Verzicht auf Effekthascherei, das Setzen auf die reine Überzeugungskraft des Wortes, auf die Aufnahmefähigkeit des Publikums, das Vertrauen darauf, daß einem zugehört wird (und zwar länger als 3 Minuten) – das wirkt heute seltsam.
Es gibt Songs von Wader, die sind sieben, acht, manchmal sogar 12 Minuten (Der Tankerkönig, und der ist noch nicht mal gesungen) lang und bestehen aus nichts anderem als Text, Melodie und Gitarrenbegleitung (also, eine Gitarre, akustisch).
Zuhören ist also Pflicht, lohnt sich aber auch.
Die große Zeit der Liedermacher hierzulande waren die Jahre nach 68, vor allem also die 70er und die Zeit der Friedensbewegung in den 80ern. Diese Zeit voll bunter, manchmal auch irrsinniger Ideen spiegelt sich auch in Waders umfangreichem, vielfältigen Werk der letzten Jahrzehnte.
Neben vielen politischen Liedern mit Zeitbezug, proletarische Kampflieder, Volkslieder in hochdeutsch und Platt und Lieder aus dem Alltag. Nicht alles ist also auch heute noch uneingeschränkt zu empfehlen. 😉
Hannes Wader ist aber vor allem ein sehr genauer Beobachter, Figuren wie die Anke aus dem Bioladen sind treffliche Beschreibungen so mancher Zeitgenossen.
Und es gibt eben wahre Perlen, die den Kauf einer Compilation als angemessen erscheinen lassen sollten (wie diese oder diese) und eine solche möchte ich der geneigten Leserschaft heute vorstellen. Ich empfehle dieses Lied seit vielen Jahren als Entscheidungshilfe für junge Männer und Frauen, die vorhaben, Soldat zu werden. Wenn er oder sie danach immer noch zur Armee will, so sei es. Falls nicht, ist Soldatsein vielleicht nicht das richtige für den weiteren Lebensweg.

P.S.: Wie oft bei seinen besten Sachen, stammt hier nur der Text von ihm. Er textet meiner Meinung nach deutlich besser als er komponiert.
P.P.S.: Ich habe ihn bei einem Auftritt 2004 auf der Burg Waldeck mit Lydie Auvray gesehen. Mir schien es, als sei es ihm eine Verpflichtung, es erneut zu singen – und mir schien Verzweiflung darüber, es wieder singen zu müssen in seinem Gesicht zu liegen. Kann aber auch meine Überinterpretation sein.

Gachmurets zweite Kulturwoche: Film

Film: Blutige Erdbeeren

Ilja Ehrenburg schreibt in seinen Memoiren, daß Menschen nicht aus der Geschichte lernen, weil sie nicht in der Lage seien, aus Erfahrungen anderer zu lernen, sondern nur aus den eigenen Erfahrungen lernten.
Ein Mensch, der wie Ehrenburg (1890-1967) das 20. Jahrhundert in all seinen Irrwegen erlebt hat, kann wohl auch kaum zu einem anderen Schluß kommen. Und wahrscheinlich hat er Recht. Die Anzeichen dafür, daß er falsch liegen könnte, sind jedenfalls rar.
Nichtsdestotrotz hoffe ich sehr, daß es sich nicht um eine anthropologische Grundkonstante handelt, denn es wäre sehr wichtig, endlich mal aus der Geschichte zu lernen. Um dies zu ermöglichen, bedarf es jedoch der Erinnerung.
Und so gilt es immer wieder, sich das ein oder andere in Erinnerung zu rufen, um aktuelle Entwicklungen einzuschätzen und einordnen zu können.
Hilfreich kann dabei die Kunst sein, weil sie eine Mittlerfunktion zu übernehmen vermag.
Ich möchte heute daran erinnern, daß viele unserer heute selbstverständlichen Ausdrucksformen des politischen Protestes gar nicht so selbstverständlich sind. Daß es keineswegs immer und überall nur böse Schurkenstaaten waren, die Studentenproteste niederknüppelten, die auf Unibesetzungen mit brutaler Gewalt reagierten, die Opposition nicht duldeten. Es waren durchaus Staaten dabei, die sich auf ihre demokratische Tradition und Grundverfassung eine Menge einbildeten (und es auch heute noch tun).
Der Film “Blutige Erdbeeren” beruht auf dem Buch “Das Erdbeer-Manifest” von James S. Kunen, das von den Ereignissen der Studentenrevolte an der Columbia-Univerität 1968 berichtet und erzählt die Geschichte des Studenten Simon James, seines Zeichens eher Sonderling aus Kansas als strahlender Mittelpunkt des Studentenlebens. Durch die Studentin Linda gerät er allerdings in die politischen Aktivitäten, wird selbst politisiert und aktiver Teilnehmer. Dies alles vor dem Hintergrund einer zunehmenden Eskalation der Gesamtsituation.
“Blutige Erdbeeren” ist sicher kein Meilenstein des modernen Kinos, aber er ist gut gemacht (den Preis der Jury in Cannes bekommt man ja nun auch nicht mal eben so) und er fängt eine Stimmung sehr gut ein, die in solchen Situationen immer wieder entsteht, zeigt, was geschieht, wenn Sturheit, Arroganz und Dogmatismus die Regie übernehmen. Die zeitliche Nähe zu den Ereignissen (der Film erschien 1970) kommt ihm dabei sicher zu Gute.
Der Film, und insbesondere seine Schlußszenen, gehört zu den prägendsten Erfahrungen meiner Jugend. Nur wenige Dinge haben mich stärker politisiert, haben meinem Mißtrauen gegen staatliche Obrigkeit und den Bestand und die Gültigkeit von Normen und Werten stärkere Bilder gegeben.
Doch unerheblich von meiner perösnlichen Betroffenheit bleibt der Film ein künstlerisches Dokument der seinerzeitigen Stimmung und ein Aufruf dazu, nicht zu vergessen und nichts als gegeben hinzunehmen.
Den Soundtrack steuerten übrigens zu erheblichen Teilen Crosby, Stills, Nash & Young bei, die sich ja auch nach einigen Jahrzehnten gezwungen sahen, daran zu erinnern, daß sich weniger ändert, als wünschenswert wäre.
Zu kaufen gibt es “Blutige Erdbeeren” auf DVD, zum Beispiel hier.

Eine der ungeklärten Fragen, die mich mit dem Film verbindet, ist übrigens die, was zum Henker den StuRa Halle beim Lucky Streik geritten hatte, “Blutige Erdbeeren” im Tscherny zu zeigen. Für Studenten im Protest ist der Film eher nicht zur Motivation geeignet. So ging der Streik ja auch zu Ende…

Gachmurets zweite Kulturwoche: Musik

Musik: The Beautiful South

Über britischen Humor, ja über die Eigenartigkeit der Briten generell wurden bereits regalmeterfüllend (oder, wie wir wohl bald schreiben müssen, um noch verstanden zu werden: gigabytespeicherfüllend) Texte geschrieben, nicht wenige, und gerade einige der besten, von Briten selbst.
Wahrscheinlich ist da auch etwas dran. Einer meiner gelegentlich angebrachten Redewendungen lautet: “Man sollte Menschen nie zu lange alleine lassen, die werden seltsam.”
Was ich seinerzeit auf Japan münzte, gilt durchaus auch für andere Inseln (die Briten haben sich ja die sonst für den interkulturellen Austausch üblichen Nachbarsbesuche seit 1066 immer wieder erfolgreich verbeten).
Diese These von der Eigenart britischer Kultur unterstützt auch die Bandgeschichte von “The Beautiful South”. Die Band ist nämlich ein rein britisches Phänomen. Im Vereinigten Königreich sehr populär und mit dementsprechenden in die Millionen gehenden Verkaufserfolgen, sieht es im Rest der Welt doch eher mau aus. Und das kann durchaus an den Texten liegen. Diese sagen nämlich nicht selten etwas völlig anderes aus, als die musikalische Umsetzung beim Mal-eben-nebenbei-hören zunächst vermuten ließe. Ganz im Gegenteil.
Nicht selten sind gerade ganz freundlich und nett daherkommende Liedchen in Wahrheit ätzende Abrechnungen, beispielsweise mit Spießertum oder Doppelmoral.
Freilich, dafür muß man zuhören und auch noch verstehen, was zumindest ein Erklärungsansatz für den nicht üppigen Erfolg im nichtenglischen Sprachraum sein könnte.
Es gibt viele Gründe, warum ich das Lied besonders schätze, mit dem ich der geneigten Leserschaft “The Beautiful South” heute vorstellen möchte. Aber ich möchte euch nicht des Vergnügens berauben, unvoreingenommen zuzuhören.
Nur soviel: Ich hörte das Lied zum ersten Mal im ICE-Radio, so ganz nebenbei, ohne genau hinzuhören. Ihr dürft raten, an welcher Stelle ich stutzig wurde und genauer hinhörte.

P.S.: Als Anektode zum Schluß: 2007 lösten sich “The Beautiful South” aufgrund “musikalischer Ähnlichkeiten” auf. Finde ich ja very british. 😉

Gachmurets zweite Kulturwoche: Kabarett

So lassen wir die Spiele ein weiteres Mal beginnen.
Gachmurets zweite Kulturwoche beginne ich ebenso wie die erste mit einem Kabarettisten:

Kabarett: Georg Schramm

Ärger, Wut und Zorn. Nicht selten sind dies Antriebsfedern des Kaberettisten, die Ausgangspunkte, von denen aus er seine Programme gestaltet.
Üblicherweise mündet dies in satirische, überspitzte Beiträge, in hintergründige Ironie, in meisterhaft gesetzte Pointen.
So wie zum Beispiel beim gelegentlich empfohlenen Volker Pispers.
Bei Georg Schramm ist das etwas anders. Hier sind Ärger, Wut und Zorn nicht versteckt hinter diffizilen Pointen, hinter tiefsinnigen Sätzen, nein, sein Mittel ist eher die Tirade.
Er läßt sein Publikum ganz genau spüren, was ihn aufregt. Mißverständnisse, Unklarheiten oder Undeutlichkeiten ausgeschlossen.
Und genau das ist es, was ich an ihm schätze (ich schaue “Neues aus der Anstalt” auch eher Schramms wegen als wegen Priol). Seine Texte sind ja deswegen nicht weniger exakt gesetzt, nicht weniger durchdacht. Aber die Klarheit, das Unzweifelhafte seiner Programme, das hat einen großen Reiz.

Zur Demonstration mal ein

Beispiel.

Weiterführend:

Georg Schramms Homepage

Das Buch zum Sonntag (6)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich dem geneigten Lesepublikum zur Lektüre:

Douglas Adams: Per Anhalter durch die Galaxis

Diese “vierbändige Trilogie in fünf Teilen” gehört zu den einflußreichsten Werken des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Ursprünglich verfasst als Hörspielreihe für die BBC überarbeitete Adams (1952-2001) das Original fürs Fernsehen, als Roman und zuletzt auch fürs Kino (auch wenn er, und das merkt man dem Ergebnis an, diese wegen seines plötzlichen Todes nicht beenden konnte). Dabei gibt es immer wieder Abweichungen. Gleichbleibend ist allerdings die Grundkonstruktion: Die Erde wird von einem vogonischen Bautrupp zwecks Bau einer Hyperraum-Umgehungsstraße gesprengt und der Protagonist der Romane, Arthur Dent (dessen Haus in diesem Moment einer Umgehungsstraße auf Erden weichen soll…), samt dessen Freund Ford Prefect entkommen in letzter Minute.
Vollkommen überfordert mit der Tatsache, daß außerirdisches Leben nicht nur existiert, sondern überhaupt das einzige noch existierende Leben im Universum darstellt, bekommt Arthur einen Reiseführer in die Hand gedrückt, über dessen Beschaffenheit ich mal aus dem Buch zitiere:

Wahrscheinlich das bemerkenswerteste Buch, das die großen Verlage von Ursa Minor je herausbrachten – von denen ebenfalls kein Erdenmensch je etwas gehört hat.
Und dieses Buch ist nicht nur außerordenlich bemerkenswert, es ist auch außerordentlich erfolgreich – populärer als Der Himmlische Heimschützer-Almnanach, es verkauft sich besser als Dreiundfünfzig neue Sachen, die man bei Schwerelosigkeit machen kann und ist streitlustiger als Oolon Coluphids drei philosophische Bombenerfolge, Wo Gott sich irrte, Noch ein paar von Gottes größten Fehlern und Wer ist denn dieser Gott überhaupt?
In vielen der etwas lässigeren Zivilisationen am äußersten Ostrand der Galaxis hat der Reiseführer Per Anhalter durch die Galaxis die große Encyclopedia Galactica als Standard-Nachschlagewerk für alle Kenntnisse und Weisheiten inzwischen längst abgelöst. Denn obwohl er viele Lücken hat und viele Dinge enthält, die sehr zweifelhaft oder zumindest wahnsinnig ungenau sind, ist er dem älteren und viel langatmigeren Werk in zweierlei Hinsicht überlegen.
Erstens ist er ein bißchen billiger, und zweitens stehen auf seinem Umschlag in großen, freundlichen Buchstaben die Worte KEINE PANIK.

(S. 14 der Gesamtausgabe 2006).

dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein: Es geht in Wirklichkeit gar nicht um Außerirdische, es geht um die absurde Welt der Menschen, deren Unwichtigkeit in Anbetracht der Galaxis übrigens Arthur Dent auch regelmäßig um die Ohren gehauen bekommt.
Diese Pentalogie sprüht vor geistreichen Einfällen und bitterbösen satirischen Rundumschlägen, wie ich sie bisher nur aus britischer Erzähltradition kenne. Adams hat zudem einige derart grandiose Figuren geschaffen, daß es wirklich ein Genuß ist, ihnen durch die 5 Bücher zu folgen.

Allerdings, und dies möchte ich abschließend anmerken, verändert sich der Ton zusehends, insbesondere die beiden letzten Bände (die ja auch ergänzend zur eigentlich abgeschlossenen Trilogie erschienen) lassen die geistreich-spritzige Erzählweise der ersten drei Teile zurücktreten und entwerfen ein deutlich düsteres Bild.

Doch das letzte Wort möge Herr Adams haben:

Es ist eine bedeutende und allgemein verbreitete Tatsache, daß die Dinge nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen. Zum Beispiel waren die Menschen auf dem Planeten Erde immer der Meinung, sie seien intelligenter als die Delphine, weil sie so vieles zustandegebracht hatten – das Rad, New York, Kriege und so weiter, während die Delphine doch nichts weiter taten, als im Wasser herumzutoben und sich´s wohl sein zu lassen. Aber umgekehrt waren auch die Delphine der Meinung, sie seien intelligenter als die Menschen, und zwar aus genau den gleichen Gründen.
Komischerweise wußten die Delphine schon lange vorher von der drohenden Zerstörung der Erde und hatten viele Versuche unternommen, die Menschheit auf die Gefahr aufmerksam zu machen, doch wurden die meisten ihrer Botschaften als amüsante Versuche mißdeutet, einen Fußball mit dem Kopf zu treffen oder nach irgendwelchen Leckereien zu pfeifen, so daß sie es schließlich aufgaben und die Erde, kurz bevor die Vogonen kamen, auf ihre ganz persönliche Art und Weise verließen. Die allerletzte Botschaft der Delphine wurde als der erstaunlich kunstfertige Versuch mißverstanden, einen doppelten Salto rückwärts durch einen Reifen zu vollführen und dabei “Heil dir im Siegerkranz” zu flöten; in Wirklichkeit aber lautete die Botschaft: Macht´s gut und danke für den vielen Fisch.

(S. 129)

Das Buch ist als einbändige Gesamtausgabe bei Zweitausendeins lieferbar.*

Wer an meiner Aussage über die Relevanz der Pentalogie zweifelt, möge folgende Links probieren…

http://tinyurl.com/o6g4z4
http://tinyurl.com/5a593n

Es gäbe noch ein paar andere Dinge, aber ich möchte hier nicht spoilern. 😉

*Heyne hat es nicht geschafft, die Bücher als Reihe ins VLB einzupflegen, was die Suche etwas mühselig macht – und ein sinnvolles Verlinken nahezu unmöglich. 😉
Die Bücher heißen im einzelnen:

Per Anhalter durch die Galaxis
Das Restaurant am Ende des Universums
Das Leben, das Universum und der ganze Rest
Macht´s gut und Danke für den Fisch
Einmal Rupert und zurück

Gachmurets Kulturwoche: Radiosendung

Zum Abschluß der ersten Kulturwoche stelle ich euch heute eine Radiosendung vor, der ich mehr oder weniger regelmäßig seit 17 Jahren zuhöre. Ihre Absetzung bei mdr-Sputnik führte zu einem bis heute dauernden Boykott meines die Adoleszenz bestimmenden Radiosenders (mein erstes Radio bekam ich 1988, damals hießen die noch DT64, ich folgte dem Sender auch in die Emigration auf Mittelwelle und Satellit – übrigens haben die in dieser Nische ein sensationelles Programm gemacht, das bis heute seinesgleichen sucht) und der Aufkündigung meiner immerhin nur dreistelligen Club-Mitgliedsnummer. Es geht also heute um eine Herzensangelegenheit.

Radiosendung: Pops tönende Wunderwelt

Pops tönende Wunderwelt ist eine Radiosendung, die in unverändertem Konzept bereits seit 1987 zu hören ist.
Gestartet auf Radio Bremen, hatte sie ihre Hochzeit in Sachen Verbreitung um die Jahrtausendwende, als auch Hörer des Funkhaus Europa, von Radio Multikulti, mdr-sputnik und sogar Radio 3fach Luzern dem „geschwätzigen Moderator“ als „geneigte Hörerschaft“ huldigen durften.
Es handelt sich bei Pops tönende Wunderwelt um eine zweistündige Sendung, deren Aufbau immer gleich ist: In der ersten Stunde pseudophilosophiert Joachim Deicke über die hiesige Welt und ihre Absurditäten ebenso wie über die Erlebnisse Paul E. Pops und seiner Gefährten. Nicht selten kommt dabei die geneigte Hörerschaft über Briefeinsendungen ebenfalls zu Wort oder liefert die entscheidenden Anstöße. Alles in allem steht dabei Einfallsreichtum durchaus über allgemeiner Akzeptanz, was im Übrigen auch für die Musikauswahl gilt, hier gibt es eigentlich immer etwas zu entdecken.
In der zweiten Stunde wird die großartige Musikauswahl dann vom jeweils aktuellen Abenteuer des „Mannes aus dem Jenseits“ unterbrochen. Dies spielt sich in einer durchaus eigenen Weltkonstruktion ab, für deren Verständnis man nur wissen sollte, daß die verschiedenen Parallelwelten, die es in den unterschiedlichsten Raum-Zeit-Konstellationen gibt, durch die sogenannte „Globale Rutschbahn“, zu der es auf der Erde, wie wir sie kennen, etliche versteckte Eingänge gibt, miteinander verbunden sind. Das Wissen über sowie das korrekte Funktionieren der Globalen Rutschbahn wird von der „Auriga-Gruppe“, einer verständlicherweise exklusiven Gemeinschaft, bewacht.
Mit diesem Wissen im Hintergrund kann man jederzeit in jede Geschichte einsteigen, insbesondere, da der erste Textblock der zweiten Stunde immer einer kurzen Zusammenfassung gewidmet ist.
Kurz:
Man braucht eine Schwäche fürs Abwegige, Außergewöhnliche, eine gewisse Offenheit, sich von eigenen Vorlieben auch mal wegführen zu lassen – aber dann macht es eine große Freude, zuzuhören.

Sendetermin: jeden Sonntag 22:05 bis 24:00 auf Radio Bremen Eins (auch per Livestream)
(fast) alle Sendungen seit 1987 zum Nachvollziehen gibt es hier
Die offizielle Homepage findet sich hier
Außerdem existiert ein Webring mit Fanseiten

Gachmurets Kulturwoche: Bild

Bild: Pablo Picasso: Guernica

Zum Bild selbst brauche ich wohl nicht viel sagen. Es gibt ja auch kaum ein Geschichtslehrbuch, das ohne dieses auskommt.
Für mich handelt es sich um eines meiner einprägendsten Kunsterlebnisse, weil es den Schrecken, das Leid, die Verzweiflung – und nichts anderes bedeutet Krieg, so mächtig zum Ausdruck bringt.
Ich finde, dem Betrachter offenbart sich sofort und unmittelbar, der Schmerz, aber auch die Wut, die in diesem Bild steckt. Und es ist vollkommen verständlich, daß, wann immer ein Bild gebraucht wird, das als Fanal gegen den Krieg und insbesondere gegen den Krieg als Vernichtung stehen kann, auf Picassos Bild zur Zerstörung Guernicas zurückgegriffen wird.
Ich möchte überhaupt gar nicht viel dazu sagen, das Bild möge ganz für sich sprechen.

Ansehen

Gachmurets Kulturwoche: Ort

Heute möchte ich dem geneigten Lesepublikum eine Stadt ans Herz legen, die zu Unrecht belächelt wird, wenn kulturell interessante Reiseziele benannt werden sollen:

Weißenfels

Manche Städte haben es nicht leicht, Ernst genommen zu werden. Sei es, weil sie unglückliche Namen abgekommen haben (Darmstadt) oder weil durch unglückliche Infrastrukturmaßnahmen ihre Existenz grundsätzlich in Frage gestellt wurde (Bielefeld). Auch Weißenfels hatte nicht gerade Glück bei den Umständen, die notwendig sind, um eine erfolgreich-bekannte Kleinstadt zu werden.
Denn eigentlich ist alles da, was man braucht.

Weißenfels war barocke Residenzstadt, hat ein schönes Schloß und wurde im Krieg nicht zu sehr getroffen. Es gibt eine wunderbare Naturlandschaft rings herum. Prima Sache, ideale Voraussetzungen für rege Touristenströme. Wernigerode kriegt das ja auch hin.
Unglücklicherweise wurde aber bereits nebenan in der ehemaligen Residenzstadt Naumburg ein Dom gebaut, dessen Stifterfiguren es in jedes Kunstlexikon schaffen und dank Neo Rauch wird die Stadt wohl auch in Nachschlagewerken zur zeitgenössischen Kunst prominent vertreten sein. Wohin schickt also wohl der Reiseführer vorrangig? Richtig.
Na gut, na gut, es muß ja nicht immer Architektur und bildende Kunst sein. Gönnen wir das Naumburg, die brauchen ja auch Besucher..

Wie wäre es mit Musik?

Heinrich Schütz ist neben Bach und Händel wohl der bedeutendste mitteldeutsche Barockkomponist. Er wuchs in Weißenfels auf, sein Talent wurde hier entdeckt und er verbrachte hier seinen Lebensabend. Es gibt ein Heinrich-Schütz-Haus und ein passendes Musikfest.
Feine Sache, daraus läßt sich doch was machen.
Unglücklicherweise aber sind Halle (Händel) und Leipzig (Bach) mit ihren alles überstrahlenden Barockmusikfestivals gerade mal jeweils ca. 30km entfernt. Und daß Schütz nun auch noch ausgrechnet in Dresden anheuern mußte, ist auch nicht hilfreich.
Denn, was denkt der clevere Reiseführerredakteur? Richtig: Barock, Schütz, Dresden – prima, Thema abgehakt.
Dabei gäbe es gute Gründe, zu denken: Barock, Schütz, Händel, Bach, Weißenfels – prima, Riesenthema abgehakt.
Achja, und daß auf der Autobahn nur „Schützhaus“ als Hinweisschild steht, wird kaum die Zufallsbesucher, die nicht permanent den Komponisten im Kopf haben, anlocken.
Denn die denken: „Ja, nu, ein Schützenhaus, das haben wir auch.“
Gut, Musik also auch nicht.

Klappt es dann vielleicht mit Krieg?

In Weißenfels gibt es das Geleitshaus. An sich schon eine spannende Sache, denn sehr viele Geleitsamtsgebäude sind nicht erhalten (ich werde das jetzt nicht erklären – ihr sollt da ja schließlich hinfahren…)
Dort wurde die Leiche des schwedischen Königs Gustav Adolf II. nach einer der berühmtesten, wenn nicht sogar der entscheidenden Schlacht des Dreißigjährigen Krieges seziert und einbalsamiert. Man hat sogar den unbedingt notwendigen Blutfleck für die Touristen da.
Tja, und wie heißt die Schlacht? Genau, Schlacht bei Lützen. Was steht also wohl im Reiseführer, wo soll man hin? Richtig.

Gut, probieren wir es nochmal anders.

Es gibt ja auch Städte, die werden durch ihre Produkte berühmt. Solingen. Salzwedel. Einbeck. Überhaupt, vielleicht die beste Variante, den eigenen Namen berühmt zu machen (weswegen ja auch jeder Ort mindestens eine regionale Süßigkeit, ein regionales Gebäck und ein regionales alkoholisches Getränk hat.)
Weißenfels war schon vor der Industrialisierung eine Stadt der Schuhe, mit dem Einsetzen dieser wurde sie aber, DIE Schuhstadt, ein Status, den sie in der DDR behielt. Da Weißenfels aber bekanntermaßen nicht in Fernost liegt, werden dort heute keine Schuhe mehr produziert. Geblieben ist ein Schuhmuseum. Und eine Plastik im Stadtpark, zu der sich prima Anekdoten erzählen lassen. Sehr schön.
Doch, ach, was ist der Hauptpunkt für Touristen bei Solinger Messer, Salzwedeler Baumkuchen und Einbecker Bockbier? Genau: Man kann sie kaufen. Vor Ort, quasi frisch vom Amboß, aus dem Ofen, aus dem Kessel. Und Schuhe, die nicht zum Verkauf stehen, die also nie einen Fuß umschmeicheln werden, sind leider, so viel habe ich bei Sex and the City gelernt, kein Anziehungspunkt. Was im Übrigen schade ist, das Museum im Schloß sollte man gesehen haben.
Und die heutigen Großbetriebe Tönnies und frischli (wobei: Leckermäulchen!) sind sowohl in Sachen Touristenmagnet wie auch kulturell betrachtet nicht wirklich ein Ersatz…
Ich könnte diese Liste mit Punkten, die Weißenfels absolut sehenswert machen, die aber durch unglückliche Umstände nie den großen Sprung ins öffentliche Bewußtsein schafften, noch eine Weile weiterführen, hoffe aber, daß die Botschaft angekommen ist und das geneigte Lesepublikum nun weiß, wohin es den nächsten Ausflug plant.

Stadtführungen
Zur Einstimmung lesen.

P.S.: Einen habe ich noch:
Die historisch gewachsene Lage an zwei Handelsstraßen und einem beträchtlich großen Fluß machte Weißenfels mit dem Anstieg des kraftfahrzeuggebundenen Individualverkehrs zu einem berüchtigten Nadelöhr. Wenn also gelernte DDR-Bürger bei „Weißenfels“ nicht sofort an Schuhe denken, dann denken sie wahrscheinlichst an „Stau, kilometerlanger Stau“. Mithin: Hier fuhr man nur lang, wenn man es mußte, nicht, weil man es wollte. Es gibt günstigere mentale Voraussetzungen für den Status als Ausflugsziel.
Inzwischen allerdings gibt es ganz hervorragende Möglichkeiten, per PKW Weißenfels zu umfahren. Ja, und das machen die meisten dann ja auch…

P.P.S.: Zumindest aber die WGT-Teilnehmer kennen ihre kulturellen Bezüge und so vergeht kein Wave-Gothic-Treffen ohne Blumen an Novalis Grab. 😉

Gachmurets Kulturwoche: Film

Film: Die letzten Glühwürmchen

Über diesen Film zu schreiben, fällt mir nicht leicht – und doch ist es mir ein tiefes Bedürfnis. Ich schrieb gestern davon, daß ich davon abrate, von der gewählten Stilrichtung eines Kunstwerkes auf dessen Minderwertigkeit zu schließen. Heute ein Beispiel dafür, daß ein Animationsfilm in seiner kulturellen Leistung weder einem Theaterstück noch einem Realfilm auch nur im geringsten nachstehen muß.
„Die letzten Glühwürmchen“ ist der berührendste, erschütterndste Film, den ich bis heute gesehen habe. Basierend auf der Erzählung von 野坂 昭如 (Nosaka Akiyuki)
火垂るの墓 (Hotaru no Haka, 1968, dt.: Das Grab der Leuchtkäfer, 1992) wird die Geschichte des vierzehnjährigen Setsuko und seiner vierjährigen Schwester Seita während der Endphase des zweiten Weltkrieges in Japan. Nach einem Bombenangriff auf Kōbe, bei dem ihre Mutter stirbt, ziehen die Geschwister zu ihrer Tante. Doch wird den beiden das Leben dort bald unerträglich und sie beschließen, sich selbst zu versorgen.
Hiermit beginnt ein verzweifelter Überlebenskampf, bei dem Setsuko von Gelegenheitsarbeiten bis zum Stehlen alles versucht, um seine zusehends schwächer werdende Schwester zu retten und ihr ein Leben ohne Angst vor dem Morgen zu bieten. Er blendet vor ihr alle Schwierigkeiten ihrer Lage aus, läßt sie ganz Kind sein, was für ihn auch bedeutet, ihr Quengeln über Hitze, Kälte und Hunger aufzufangen.
Der Film zeichnet aus einer vollkommen unpathetischen, neutralen Position heraus, läßt die Figuren für sich stehen und wirken – und genau das macht ihn so stark, in seiner emotionalen Wirkung schon beinahe unerträglich. Hier ist es nicht nur die Geschichte an sich, die berührt, hier ist es das ruhige, unaufgeregte Erzählen, die Zeit, die der Film dem Zuschauenden gibt, um Szenen wirken zu lassen, die diesen Film zu einem ganz besonderen Kunstwerk macht.

Roger Ebert schreibt in seiner Rezension in der Chicago Sun Times: „An emotional experience so powerful that it forces a rethinking of animation.“ Und dies möchte ich allen ins Stammbuch schreiben, die bei jedem Animationsfilm nur denken „Ach, so ein Kinderkram“.
Dies scheint im Übrigen auch auf die in meinen Augen nach eigenartigen Kriterien arbeitende FSK zu gelten, die den Film ab 6 Jahren freigibt (klar: Es gibt keinen riesigen Spannungsbogen und Schockszenen mit Gewalt und Sex oder gar entblößten Brüsten gibt es auch nicht, also…)
Das Lexikon des Internationalen Films rät zu einem Mindestalter von 16 Jahren – und da scheinen sie mir schon deutlich näher dran.
Ich jedenfalls rate dazu, sich den Film auf keinen Fall alleine anzuschauen. Wer nicht beim Holländer-Michl zum Tauschen war, wird Gesprächsbedarf haben.

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Gachmurets Kulturwoche: Fernsehshow

Das ganze Fernsehen ist von nichtssagenden, plappernden Idioten besetzt, die den ganzen Tag nur über die korrekte wahl von Kleidungsstücken oder Sexualpartnern reden.
Das ganze Fernsehen? Nein! Einige von unbeugsamen Mitarbeitern bevölkerte Sendungen hören nicht auf, der Verdummungsmaschinerie Widerstand zu leisten.
Um eine dieser Sendungen soll es heute gehen: The Daily Show.

THE SHOW YOU ARE ABOUT
TO WATCH IS A NEWS PARODY.
ITS STORIES ARE NOT FACT
CHECKED. ITS REPORTERS ARE
NOT JOURNALISTS. AND ITS
OPINIONS ARE NOT FULLY
THOUGHT THROUGH.

So ist es vor Beginn einer jeden Sendung zu lesen. Und doch kommt eine US-amerikanische Untersuchung zu dem Ergebnis, die Zuschauer dieser Sendung seien besser informiert als die Konsumenten sämtlicher Nachrichtenmagazine.
Das ist natürlich zum einen dadurch erklärbar, daß Zuschauer politischer Satiresendungen im Schnitt als politikaffiner angesehen werden dürften als andere. Zum anderen liegt es aber natürlich auch an der Sendung selbst.
Ich schrieb gestern über Volker Pispers als Vertreter des hiesigen klassischen politischen Kabaretts. Jon Stewart zeigt, wie es auch gehen kann. Seine Sendung, die bereits unglaubliche 13 Jahre läuft, nimmt mit derselben Akribie und derselben Schärfe Politiker und, ein klarer Schwerpunkt, ihre medialen Helfer („Journalisten“) aufs Korn. Freilich, mit einem ganz anderen Tempo und in einer ganz anderen Form. Aber: Deswegen nicht seichter, nicht weniger hinterfragend, nicht weniger scharf.
Beide Konzepte nebeneinander zeigen aus meiner Sicht sehr schön, daß die gewählte Methode, das Format, die Ausdrucksform recht wenig über die Relevanz einer kulturellen Leistung aussagt.
Doch dazu morgen mehr.
Die Show gibt es in zwei Ausgaben. Beide sind im Internet frei abrufbar.
Zum einen die originale amerikanische Show, die tatsächlich täglich läuft und zum anderen eine “Global Edition”, die für den Rest der Welt zusammengeschnitten wird. Die Original-Show geht, naturgemäß, sehr ins Detail. Wem also die aktuellen Ereignisse in den USA nicht detailliert vertraut sind, dem sei zur “Global Edition” geraten. Diese läuft, dann auch untertitelt, inzwischen auf dem unsäglichen Sendeplatz Mo., 0:40 auf Comedy Central (als ich die Show entdeckte, lief sie sonntags gegen 22:00 – das ging noch).

Das Original.
Die Ausgabe für den Rest der Welt.
Zum Nachlesen.