Jack Sparrow for President (2)

In dem Vierteljahr, das seit meinem ersten Beitrag zur Piratenpartei vergangen ist, hat sich einiges getan.
Die Piraten bekamen und bekommen unglaubliche Zuwächse, die Mitgliederzahl hat die 7000 überschritten und ein Ende ist nicht abzusehen.
Bei einer solch rasanten Entwicklung sind Verwerfungen geradezu vorprogrammiert. Der jüngste Aufreger, das Interview des stellvertretenden Vorsitzenden Andreas Popp mit der “Jungen Freiheit”, war ein Anlaß, der einige noch einmal neu über die Piraten nachdenken ließ. Auch für mich. Gerade dieses Interview hat mich sehr irritiert. Und zwar nicht, weil ich die Argumente für ein solches Interview nicht nachvollziehen könnte (auch wenn ich sie nicht teile) oder weil mich das Politikverständnis der Piraten grundsätzlich irritiert, sondern weil sie hier nach ihren eigenen Maßstäben versagt haben.
Es ist ja nicht so, wie dies in den ersten Rechtfertigungsversuchen dargestellt wurde, daß man sich hier bewußt für ein Interview mit einer, nun ja, mindestens doch problematischen Zeitung entschieden habe. Daß Argumente dafür und dagegen erwogen wurden und dann eine Entscheidung fiel. Nein, man hat sich schlicht überhaupt nicht informiert. Für eine Partei, die sich so sehr das “Selbst-Denken”, das “Selbst-Informieren”, die freie Verfügbarkeit von Information auf die Fahnen geschrieben hat, ist das nicht nur blamabel. Das ist erschreckend. Denn gerade die Tatsache, daß jeder im Netz alles schreiben kann, bringt den Benutzer in eine hohe Verantwortung. Er muß die gefundenen Informationen selbst überprüfen. Das bedeutet doch aber, das die Informationsbeschaffung und Überprüfung zum Alltag gehören sollte, oder? Eine Szene, die behauptet, der Journalismus sei am Ende, weil die Redakteure es ja noch nicht einmal hinbekämen, Namen zu googeln, um zumindest ein Minimum an Überprüfung zu gewährleisten (Stichwort: Guttenberg), sollte doch wohl ein Problem damit haben, wenn einer ihrer politischen Protagonisten es nicht einmal schafft, den Namen einer Zeitung, die ihn interviewen will und die er nicht kennt, in ein Suchfenster einzugeben. Und das ist kein kleiner Schönheitsfehler. Das ist ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Denn Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Denn Freiheit ist nicht einfach. Das ist auch der Grund, warum “unfreie” Systeme lange existieren, bzw. sich immer wieder herstellen. Weil Freiheit eben Arbeit bedeutet. Nicht jeder aber will diese Arbeit leisten. Nicht jeder will immer alles abwägen, überprüfen, bedenken. und nicht jeder ist dazu ohne weiteres in der Lage (auch bei den Anhängern der Piraten. Ich empfehle hier mal die Kommentare bei Frau Seeligers Artikeln. Auseinandersetzung mit Gegenargumenten sieht anders aus).
Und wenn selbst die Protagonisten der im Prinzip ja wünschenswerten Informationsfreiheit im Netz sich außer Stande sehen, die notwendige Arbeit zu erbringen – wie wollen wir dann argumentativ dafür arbeiten? Wie wollen wir den Argumenten entgegen treten, daß die Menschen eben vor schlimmen Dingen zu beschützen sind?

So weit dazu.
Alles in allem aber hat den Beitrag, den ich schreiben wollte, bereits jemand anderes geschrieben. Auf diesen verweise ich hiermit dringend.

So bleibt mir zum Schluß nur, den Hausheiligen noch einmal zu zitieren:

Deutschland! hast du eine Lammsgeduld!
Läßt dir heute nach diesem allen
Frechheit von Metzgergesellen gefallen?
Lern ihre eiserne Energie!
Die vergessen nie.
Die setzen ihren verdammten Willen
durch – im lauten und im stillen
Kampf, und sie denken nur an sich.
Deutschland! wach auf und besinne dich!

Nur einen Feind hast du deines Geschlechts!
Der Feind steht rechts!

[aus: Preußische Presse. in: Werke und Briefe: 1919, S. 231-232. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 1341-1342 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 2, S. 109) (c) Rowohlt Verlag]

Ein Mißverständnis

Armeen haben es in einer offenen Gesellschaft nicht leicht. Strukturell völlig anders konzipiert, wirken sie nicht selten fremd, irgendwie anders.
Offene Gesellschaften neigen dazu, Konflikte eher nicht eskalieren zu lassen, sondern sie entweder im Konsens zu lösen oder zumindest einen modus vivendi zu finden.
Armeen jedoch, das liegt in der Natur der Sache, treten erst wirklich in Aktion, wenn ein Konflikt eskaliert. Das macht die Sache nicht einfacher.
Nun hat der Beauftragte für die Bundeswehr sich über mangelnde Unterstützung für die hiesige Armee in der Bevölkerung beklagt und behauptet, “die Intellektuellen” hätten sich so gut wie nie mit der Bundeswehr beschäftigt.
Wie sehr viele Pauschalurteile ist auch dieses nahe am Unsinn. Wer einen Satz äußert wie: “Zum Beispiel die ganze intellektuelle Welt. Sie hat sich in den 60 Jahren Bundesrepublik so gut wie gar nicht um die Bundeswehr gekümmert.” sollte sich fragen lassen, inwieweit er sich eigentlich in den letzten 60 Jahren um die intellektuelle Welt gekümmert hat. Für den Anfang möge er sich eine Liste mit Dissertationen zur Bundeswehr schicken lassen, anschließend empfehle ich den Besuch eines Zeitungsarchivs und zum Schluß kann er dann noch bei all den Bundeswehrangehörigen vorbeischauen, die auf Armeekosten studieren (oder sind das dann keine Intellektuellen?).
Aber über die alten Ressentiments der Militärs gegenüber Geisteswissenschaftlern und anderem Schreibtischgesocks möchte ich hier nicht weiter schreiben, mir geht es um etwas anderes.

Die “mangelnde Unterstützung in der Bevölkerung” für die Bundeswehr halte ich für ein Gerücht, oder besser formuliert: Ein Mißverständnis.

Im Laufe der Jahre wurde viel über “Staatsbürger in Uniform” geredet und damit suggeriert, die Bundeswehr sei eigentlich nichts anderes als, sagen wir mal, ein Krankenhaus oder ein Postamt. Die Dienstkleidung der Soldaten ist dann halt nur zufällig nicht weiß oder blau, sondern eben khaki.
Das ist aber Unfug, hoffe ich zumindest. Denn eine Armee kann ihren Job nur erledigen, wenn die konsequente Subordination funktioniert. Was auch immer gerne erzählt werden mag, im Falle eines Verteidigungsfalles muß an einer Stelle entschieden werden und das sollte dann auch ohne langwierige Diskussionen und Wiedervorlagen umgesetzt werden. Eine Armee, in der Parlamentsdebatten über den nächsten Schritt ausbrechen, wird kaum einen ernstzunehmenden Gegner abgeben. Selbstverantwortung des Soldaten hin oder her, Gewissensfreiheit schön und gut, aber, wenn es heißt: “Die oder Wir” spielte und spielt das keine Rolle.
Nein, “Staatsbürger in Uniform” meint einfach nur, daß die Soldaten nicht in einen anderen Staat wechseln, wenn sie ihre Dienstkleidung anlegen (man hat da so Erfahrungen gemacht…). Ansonsten aber bleibt eine Armee eine Armee. Und in einer Armee werden Aufträge erteilt und ausgeführt.

Derzeit gibt es eben beispielsweise den Auftrag, in Afghanistan Schulen zu bauen und Gegner dieser Idee daran zu hindern, die Bundeswehr bei der Ausführung ihres noblen Auftrages zu stören.
In der Bevölkerung hierzulande melden sich nun aber viele Stimmen, die meinen, unsere Armee führe da einen Auftrag aus, für den sie gar nicht zuständig sei (und es gibt gute Gründe, die Interpretation des Verteidigungscharakters, den Herr Struck diesem Einsatz zubilligt, anzuzweifeln). Dies interpretiert Herr Robbe nun also als “mangelnde Unterstützung” für die Bundeswehr.

Und genau das ist ein Mißverständnis. Freilich, die Denkstruktur einer Armee läuft zwangsläufig auf ein “Für uns oder gegen uns” hinaus legt die Identifikation des Auftragnehmers mit dem Auftrag nahe. Soldaten, die von der Richtigkeit ihres Tuns vollkommen überzeugt sind, waren schon immer die effektivsten Soldaten.
So aber wird in offenen Strukturen nicht gedacht. Dort ist die getrennte Bewertung von Auftrag (Schulen bauen und Taliban killen in Afghanistan) und Auftragnehmer (unsere Jungs) durchaus üblich.
Anders gesagt:
Man kann die Bundeswehr für eine dufte Truppe halten, die Spitzenarbeit macht, aber trotzdem der Meinung sein, sie solle diese vielleicht nicht grade in Afghanistan verrichten.
Sprich:
Die Ablehnung betrifft eher den Auftraggeber, bzw. den Auftrag selbst, nicht aber zwangsläufig den Auftragnehmer, der ja schlicht nur seinen Job macht (wobei ich nicht gesagt haben will, daß es niemanden gäbe, der beides ablehnt, bzw. der auch beides toll findet).
Würde der gute Herr Robbe nämlich einmal Umfragen in seine Betrachtungen einbeziehen, die diesem Umstand Rechnung tragen (wie diese hier zum Beispiel, die er kennen sollte), wäre ihm klar, was seine Behauptung ist: Unsinn (sollte es ihm klar sein, was naheliegend ist, müßten wir dies freilich anders bezeichnen, aber ich interpretiere hier mal wohlwollend).
Daß sich dies für die Soldaten, die in Afghanistan sind, anders darstellt und ihr sowieso schon nicht gerade ersprießlicher Alltag dort von einer solchen Ablehnung daheim nicht angenehmer wird, sei zugegeben.

Die Armee ist ein Thema, mit dem sich der Hausheilige recht ausführlich beschäftigt hat, ich möchte ihn an dieser Stelle mit einem Hinweis darauf zitieren, warum es wichtig ist, daß die Bundeswehr eben nicht außerhalb der Gesellschaft stehen darf (ihr wißt schon, der “Staatsbürger in Uniform”):

Bis dahin stand man sich als Mitmensch und Gegner gegenüber, – wenn man aber nicht mehr weiter kann, befiehlt man ›dienstlich‹. Praktisch: die Kommandogewalt gilt immer. Das ist eine gefährliche Waffe in Händen von Leuten, die noch nicht weit genug sind, um zwischen Privatverhältnissen und dem Dienst zu unterscheiden. Im Gegenteil: nachts um zwei, wenn man nicht mehr gerade stehen kann, hört die Gemütlichkeit, aber auch der Dienst auf.

[in: ‘Dienstlich’. Werke und Briefe: 1913, S. 108. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 570 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 1, S. 119-120) (c) Rowohlt Verlag]

Das Ende einer Liebe

Zunächst sei gesagt: Mit gebrochenem Herzen formuliert es sich schlecht, ich bitte also um Vergebung, sollte dieser Beitrag der gewohnten Brillanz und des üblichen Ésprit entbehren.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann es begann, nach meiner Erinnerung muß es irgendwann 1997 oder 1998 gewesen sein, als ich mich zu meinem ersten Zeitungsabonnement entschloß.
Eine Tageszeitung gehörte meiner Überzeugung nach einfach dazu, wenn man sich als politisch denkender Mensch, noch dazu mit dem einen oder anderen Ideal im Kopf, Ernst nehmen möchte.
Nach Durchsicht diverser verfügbarer Zeitungen (so ein Unizeitschriftenlesesaal ist eine feine Sache) samt frustrierender Leserlebnisse, die ich auf einer Geburtstagsfeier mitteilte, wurde ich auf “die tageszeitung” aufmerksam gemacht.
Nun, was soll ich sagen, es war Liebe auf den ersten Blick.
Ich vermag heute natürlich nicht mehr genau zu eruieren, was mich seinerzeit so faszinierte (ihr Äußeres war es jedenfalls nicht 😉 ), aber die taz sprach Themen an, die anderswo unausgesprochen blieben, die taz widmete gerne auch mal mehrere Seiten einem Thema, wenn es ihr wichtig schien (und zwar vollkommen unabhängig davon, ob das Thema auch in anderen Medien grade wichtig war), sie hatte einen journalistischen Stil, der Freude beim Lesen machte. Und ich hatte immer das Gefühl,
die Autoren hatten wirklich etwas zu sagen und sie kannten sich auch aus, wenn sie sich äußerten. Es gab sogar Plattformen für Leute, die ganz eindeutig anderer Meinung als die Redakteure und erst Recht der LeserInnen waren (sehr schön dazu).
Außerdem habe ich, und das gilt bis heute, noch keine besseren Satireseiten einer Tageszeitung gelesen, als in der taz (gibt es überhaupt Tageszeitungen mit mehr als einer Seite, mit überhaupt einer ganzen Seite?).
Kurz: Es war eine ganz andere Art, Zeitung zu machen. Und irgendwie war es auch mehr, als einfach eine Zeitung zu lesen (sehr schön dazu)
Nun, zugegeben, die taz war immer eine recht kostspielige Geliebte, mehr als 3 Jahresabonnements habe ich mir im Laufe der Jahre nicht leisten können, aber Unabhängigkeit und Anspruch haben ihren Preis.

Doch ich habe im Laufe der Jahre nie mehr eine andere Zeitung gekauft, wenn es keine taz gab, kaufte ich lieber keine Zeitung (wär ja noch schöner, Holtzbrinck und Springer verdienen auch ohne mich genug Geld).
Aber, wie das so ist, wir alle verändern uns. Und auch die taz hat sich allmählich vom linksalternativen Projekt zum mittelständischen Medienunternehmen entwickelt.
Das ging natürlich schleichend und über viele Jahre hinweg blieben die meisten der Dinge, die ich an dieser Zeitung geschätzt habe, erhalten.
Als es dann im Zuge des 30. Geburtstages der taz hieß, man wolle sich ganz anders präsentieren, schwante mir nichts Gutes und die Äußerungen Peter Unfrieds auf einer Leipziger Veranstaltung machten mich noch unruhiger. Und, was soll ich sagen?
Das neue Layout zum Geburtstag übertraf alles, was ich befürchtet habe. Man feierte sich dort allen Ernstes für ein Layout, daß die MZ schon vor 10 Jahren hatte und das derartig nichtssagend ist, daß ich zum allerersten Mal die taz am Kiosk SUCHEN mußte. Ich mußte die noch nie suchen, die stach immer heraus.
Die Antwoert, die dann irgendwann einmal aus Herrn Unfrieds Feder auf die durchaus kontroversen Reaktionen kam, war ein derart enttäuschendes Mainstream-Manager-Geschreibsel(Veränderungen irritieren oft, man muß sich dran gewöhnen, dann wird das schon und überhaupt die meisten finden das sehr schön – was man eben so sagt), die Artikel wurden immer seichter, immer oberflächlicher, immer mehr neon-like, daß ich sogar Langeweile empfand.
Nun, und endgültig das Aus war dann der Weggang Bascha Mikas, die durch eine Dame ersetzt wird, die genauso gut bei der Financial Times oder der Welt oder sonst irgendeinem Blatt schrieben könnte – und die auch genau solches unverbindliches, oberflächlich-anbiedernders Zeug schreibt.

Eine Ahnung davon bekommt ihr vielleicht, wenn ihr einfach das Interview mit Bascha Mika lest und im Vergleich dazu den Antrittsartikel ihrer Nachfolgerin.

Das ist nicht die Zeitung, für die ich immer und überall geworben habe, das ich nicht die Zeitung, die ich immer und überall verteidigt habe, das ist nicht die Zeitung, die ich immer und überall mit Stolz gelesen habe. Das ist eine Zeitung wie alle anderen auch. Und so werde ich sie wohl auch in Zukunft behandeln, wie eine unter vielen.

Wahrscheinlich ist die taz deswegen noch immer keine schlechte Zeitung, aber kann man so etwas lieben?
Und mit leisem Bedauern trete ich aus dieser Genossenschaft, zu deren Mitgliedschaft in meinen Augen immer Herz gehört, aus.

Das Leben als Reise

Das Bestattungsgewerbe gilt als krisensicher. Es gibt schließlich nur wenige Dinge, deren Unabänderlichkeit so unzweifelhaft ist wie das Ende unseres Daseins in dieser Welt. Oder, etwas profaner, dafür pointierter ausgedrückt: Gestorben wird immer.
Genau genommen läge also nichts näher, als ein Bestattungsinstitut zu eröffnen, um finanzmarktsicher Geld zu verdienen.
Aber, wie so viele andere Branchen, hat auch das Bestattungsgewerbe so seine Besonderheiten. Die Besonderheit in diesem Falle sind die Kunden. Die kommen nicht gerne und das trotz der evidenten Notwendigkeit des angebotenen Produktes. Die Menschen werden nicht gerne an ihre Endlichkeit erinnert. Und wenn sie dann einmal daran denken, welches Angebot nehmen sie dann wahr?
Es gibt Anbieter, die versuchen es mit der aus anderen Branchen bekannten Strategie: Der Preis macht´s. Gefällt mir persönlich nicht so. Zum einen wußte der Hausheilige bereits: “Man achte immer auf Qualität. Ein Sarg zum Beispiel
muß fürs Leben halten.”*
Zum anderen wage ich zu bezweifeln, daß eine Beerdigung, bei der nichts so sehr zählt wie der niedrige Preis, so gestaltet wird, daß die Teilnehmer wirklich das Gefühl haben, Abschied von einem für sie wichtigen Menschen zu nehmen.

Ein, aus meiner Sicht, schöneres Beispiel für das Schaufenster eines Beerdigungsinstituts fand ich in Lübeck.
Gelungen finde ich, wie hier in der Schaufenstergestaltung der Focus auf das Leben gerückt wird.
Im ersten Fenster wird, in einer Küstenstadt zugegebenermaßen naheliegend, das Thema der Lebensreise und deren Ende maritim umgesetzt. “Sterben” als “Ankommen” zu interpretieren, mithin positiv zu belegen, ist nicht ganz neu, aber der Slogan “Am Ende der Reise gut ankommen” als Werbung für die Qualität des eigenen Angebots hat mir gefallen.
Im zweiten Fenster, das erkennt man dank meiner eher preiswerten Schnappschußkamera eher schlecht, wird der Tod nicht als zu bewältigender Verlust thematisiert, sondern als Gewinn an Erinnerung.
Zugegeben, die Zitate erzählen das Übliche, aber auch hier interessiert mich gar nicht so sehr die spritzige Originalität, sondern der Ansatz.
Die beiden Schaufenster bringen eine positive Botschaft, ohne dabei der kulturell vorgesehen Pietät, dem Respekt vor der Endlichkeit unseres Seins, der Tatsache, daß Bestattungensunternehmen keine Metzger oder Sockenverkäufer sind, keine Rechnung zu tragen.
Und zwar, und das unterscheidet die Schaufenster von allem, was ich bisher so gesehen habe, ohne dabei einen krampfhaften Spagat zu versuchen.
Leider kann die Website des Unternehmens da nicht mithalten…

Soweit meine unsortierten Gedanken dazu. Zum Abschluß noch ein Kommentar des Hausheiligen zum Thema Menschen und ihr Verhältnis zum Tod:

“Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.”

in: Der Mensch. [Werke und Briefe: 1931, S. 498. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8478 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 231) (c) Rowohlt Verlag]

* in: Schnipsel. [Werke und Briefe: 1932, S. 30. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8746 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 10, S. 20) (c) Rowohlt Verlag]

Die lachenden Erben

Die UNESCO hat also entschieden, daß ein Elbtal mit Autobahnbrücke irgendwie anders aussieht als ohne.
Da aber unglücklicherweise das Elbtal ohne Autobahnbrücke erhalten werden sollte, blieb der UNESCO wohl nichts anderes übrig, als festzustellen, daß das Erbe verloren ist.
Über die Starrsinnigkeit vor Ort wurde reichlichst geschrieben.
Und auch die Tatsache, daß das wunderbare föderale System so hervorragend funktioniert, daß ein Bürgerentscheid in Dresden es ermöglicht, völkerrechtliche Verträge zu ignorieren, lasse ich hier mal außer Betracht.
Viel interessanter finde ich die Reaktion in Dresdner Politikerkreisen und so etlichen BürgerInnen in der Stadt.
Denn deren Aussagen offenbaren ein völliges Mißverständnis der Welterbeliste. Die Liste ist keine Sammlung von touristischen Reisetipps. Die Idee hinter der UNESCO-Liste und den damit verbundenen Verträgen ist eigentlich, für die Menschheitsgeschichte relevante Gebäude, Landschaften, Kunstwerke etc. zu schützen, Verantwortung für ihren Erhalt zu übernehmen. Deshalb konnte beispielsweise Quedlinburg auch Mittel vom Bund bekommen, um seine Altstadt zu sanieren.
Daß der Erhalt solcher Denkmäler samt Erwähnung in den diversen Publikationen zur UNESCO-Welterbeliste zu einem Zustrom von Touristen führt und damit der Welterbetitel eine wirtschaftliche Bedeutung bekommt, ist durchaus nicht unbeabsichtigt, aber eben eher Mittel zum Zweck (nämlich der weiteren Erhaltung).
Und eben diese Wirkung scheint mir im Dresdner Selbstverständnis, gepaart mit einer ordentlichen Portion Arroganz, die ursprüngliche Idee des Welterbetitels verdrängt zu haben.
Wirklich großartig wird es aber dann, wenn bedauert wird, daß die UNESCO keinen Respekt vor Bürgerentscheiden habe. Knaller. Da stellen sich sich also Menschen hin, für die es in Anbetracht einer Autobrücke zweitrangig ist, daß ein internationales Gremium eine Kulturlandschaft für so wichtig hält, daß sie ihr Bedeutung für die gesamte Menschheit zubilligt, und klagt mangelnden Respekt davor ein, daß es eben den Menschen, die dort wohnen, wichtiger ist, staufrei aus oder in die Stadt zu kommen? Und da reden wir noch gar nicht davon, daß den Dresdnern ja nach Bekanntwerden der UNESCO-Bedenken keine Gelegenheit gegeben wurde, diese Wichtung noch einmal zu überdenken. Stattdessen wurde da ein Bürgerentscheid instrumentalisiert – und da wagt man es, über mangelnden Respekt zu reden?
Und das, wo sich Dresden doch bitte schön ganz freiwillig zum Erhalt des Elbtals verpflichtet hat. Oder hat irgendjemand Dresden zu einer Bewerbung um die Aufnahme ins Weltkulturerbe gewzungen? Mangelnder Respekt der UNESCO? Weil die der Meinung ist, Verträge seien nunmal einzuhalten? Geht´s noch?

Im Übrigen teile ich den Optimismus der Dresdner Entscheider nicht so uneingeschränkt. Natürlich wird der Tourismus in Elbflorenz nicht zusammenbrechen. Und mit der Waldschlößchenbrücke wird man einen weiteren festen Punkt in der Sightseeing-Tour haben (“Und hier sehen Sie die Brücke, die Dresden dem Welterbetitel vorgezogen hat.” – “Ahhh”). Aber: Ich bin mir nicht sicher, ob die Nichterwähnung in den Publikationen der nächsten Jahre zum Weltkulturerbe, die Nichtberücksichtigung bei Rundreiseprogrammen zu Welterbstätten etc. wirklich ohne Auswirkungen bleiben wird.

Soweit also meine unsortierten Gedanken zu dieser Problematik und nun noch eine Anmerkung des Hausheiligen zum Förderalismus deutscher Prägung:

“Aber was wir noch alles haben, und wofür in diesem Lande, das von der
Tuberkulose durchseucht ist und dessen Säuglingssterblichkeit nicht kleiner wird, noch Geld übrig ist, das ist schon ganz lustig. Hamburg hat einen Gesandten in Berlin (ob der auch einen Dolmetscher hat, ist noch nicht ganz heraus), – Preußen hat einen Gesandten in Dresden, jedes kleine Ländchen hat den ganzen Aufbau der großen Ministerialmaschine noch einmal, und ich kann mir die von Stolz und Wichtigkeit geschwellte Brust eines solchen Mannes vorstellen, wenn auch er ganz wie ein richtiger Erwachsener Minister spielt.”
[in: Das Reich und die Länder. Werke und Briefe: 1922, S. 36. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 9504 (vgl. Tucholsky-DT, S. 302) (c) Rowohlt Verlag]

Die Meute

Wer kennt das nicht?
Egal, ob Rabattaktion, Sonderverkauf oder gar Neueröffnung. Es spielen sich immer wieder dieselben Dramen ab.
Diejenigen Mitglieder des geneigten Lesepublikums, die das Glück haben, im Einzelhandel arbeiten zu dürfen, werden das Szenario kennen:
Die Mitarbeiter mit dem alleinseligmachenden Ladenschlüssel in der Hand werden sehnsüchtig erwartet, als stünde die Ankunft des Heilands oder gar St. Baracks persönlich bevor.
Allerdings mit einer unglaublichen Ungeduld, die sich indirekt proportional zur bis zur offiziellen Ladenöffnung fehlenden Zeit verhält. Die Angst, wieder mal zu kurz zu kommen, wieder mal was zu verpassen, wieder einmal nicht auf der Siegerseite zu stehen – wie ja so oft im Leben, treibt die Menschen zu seltsamen Verhalten.
Da wird an Türen geklopft, da werden die Mitarbeiter angeblafft (“He, was machen Sie denn so lange?”, “Wenn alle so arbeiten würden…”, “Kein Wunder, daß hier nie jemand was kauft.”), es spielen sich Unmutszenen ab, als stünden wir kurz vor der Revolution, weil dem Volke die elementaren Rechte vorenthalten werden.
Wer einmal in einer solchen Meute gestanden hat, weiß, wie man Revolutionen anzettelt: Mit Rabatten und geschlossenen Ladentüren.
Einfach ganz groß “Heute Fernseher nur 10 EUR!” ins Schaufenster hängen und dann nicht öffnen. Da hat´s sich dann aber mit “Friedliche Revolution”.

Es hilft übrigens gar nichts, den Laden wie jeden Tag pünktlich zu öffnen – denn natürlich hat der Einzelhandelsmitarbeiter nur hinten im Lager gestanden und Däumchen gedreht, einzig und allein, um Frau Erna Schmittke und Opa Alfons vom Erwerb des überlebensnotwendigen Toasters für 9.99 € abzuhalten – dafür standen sie ja auch extra schon drei Stunden vorher da. Und überhaupt ist das doch eh alles Betrug, man wird eh immer übervorteilt.
Wenn die Menschen nur genau so viel Ehrgeiz und Energie in Dinge stecken würden, die sie wirklich betreffen, bei denen ihre Existenz wirklich bedroht ist – es ginge diesem Lande besser.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, meint das Grundgesetz. Doch an jeder Wühlkiste des Landes wird sie freiwillig weggeworfen.

Und was meint der Hausheilige dazu? Hat er sowas auch schonmal beobachtet?

“Drängeln Se doch nich so . . . Nein, ich drängle gar nicht! . . . Ochse! . . . Un-
glaublich. Wir kommen ja gleich ran, wir waren zuerst hier. Warten Sie auch nochn bißchen? ne Gold-
grube, diß Geschäft, was meinen Sie! Die verdienen hier, was se wolln.”
[in: Herr Wendriner kauft ein. Werke und Briefe: 1924, S. 294. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 3270 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 3, S. 486) (c) Rowohlt Verlag]

Lieblingsspiel

Nun,

so reihe ich mich denn mit meinem ersten Beitrag in die lange Schlange der Kommentatoren ein, die sich mit der gar schrecklichen Welt der Computerspiele und ihren Auswirkungen auf unsere zarten Kinder und Jugendlichen, mithin also der Zukunft der Gesellschaft, befassen.
Und dies aus gegebenem Anlaß, die Herren Innenminister haben nämlich auch ein Lieblingsspiel, und zwar eines, das ganz hervorragend zu einer offenen, liberalen, pluralistischen Gesellschaft paßt:

Verbieten

Ich diskutiere gerne darüber, ob es gut und förderlich für die geistige und moralische Entwicklung Heranwachsender ist, wenn sie tagtäglich über Stunden Ego-Shooter spielen.
Allerdings möchte ich da doch fragen: Ist das Problem dabei wirklich der Ego-Shooter oder vielleicht doch eher ein Umfeld, daß es geschehen läßt, Heranwachsende stundenlang alleine vor einem Rechner sitzen zu lassen?
Und, als weiterer Aspekt:
Was ist eigentlich mit den Jahrmarktschießbuden? Dem Kriegsspiel Schach? Und PACMAN? Und wieso, zum Henker, ist es besser, Jugendlichen eine Waffe in die Hand zu drücken, als sie an einem Rechner sitzen zu lassen? Im Gegensatz zu einer Schußwaffe ist Software kein Tötungsinstrument.
Es ist mithin geradezu blödsinnig, Spiele zu verbieten und Waffen zu erlauben. Spiele wurden schließlich erfunden, um Waffen überflüssig zu machen.
Spiele sind eine kulturelle Leistung, und zwar eine bemerkenswerte. Ihr Zweck ist es, all die Aggressionen, die sich immer wieder einstellen, zu kanalisieren und in geregelte Bahnen zu lenken. Das spannende am Spiel ist in der Tat, daß es Regeln gibt: Es ist nicht alles möglich – die ganze Geschichte bleibt unter Kontrolle. Das ist, kulturell betrachtet, eine ungeheure Leistung.
Es wäre sehr erfreulich, wenn dieser Aspekt etwas stärker in den Focus gerückt würde.

Im Übrigen jedoch geht diese ganze Debatte um “Killerspiele” vollkommen am Grundproblem vorbei. Das Hauptproblem ist, daß unsere Welt den Heranwachsenden immer weniger Angebote macht. Anstatt fröhlichen Lärm kleiner Kinder als Zeichen von Lebensfreude anzusehen, wird gegen Kinderspielplätze und Nachbarskinder geklagt, anstatt zu überlegen, welche Angebote ihnen zu machen wären, werden Jugendliche aus der Öffentlichkeit vertrieben, nur um sich dann darüber zu mokieren, daß sie nichts anderes mit ihrer Zeit anzufangen wüßten, als vorm Rechner oder der Glotze zu sitzen. Ja, wie denn nu?
Kurz:
Es ist idiotisch, Jugendlichen keinen Raum und keine Perspektiven zu bieten und sich dann zu wundern, daß sie keine Zukunft sehen und ihre Fähigkeiten nicht entfalten.

Soweit meine heutigen unsortierten Gedanken zu dem Thema. Ich bin sicher, es wird darauf noch zurückzukommen sein.
Zum Schluß noch der Kommentar meines Hausheiligen zum Thema Generationen:

Die verschiedenen Altersstufen des Menschen halten einander für verschiedne Rassen: Alte haben gewöhnlich vergessen, daß sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, daß sie alt sind, und Junge begreifen nie, daß sie alt werden können.
[aus: Der Mensch. in: Werke und Briefe: 1931, S. 498. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8478 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 231) (c) Rowohlt Verlag]