Verschwindende Künste (2)

Heute: Briefe schreiben

Ich bin kein Freund des Kulturpessimismus. Für dessen Berechtigung ist die abendländische Kultur in den letzten Jahrtausenden ein bißchen zu oft untergegangen. Aber wie ich bereits vor einigen Monaten schrieb, gehen nichtsdestotrotz durch den technologischen Wandel Kulturtechniken mangels Bedarf verloren.
Dazu gehört das Briefe schreiben. Nun meine ich damit nicht, daß Menschen nicht mehr schriftlich miteinander kommunizieren. Ganz im Gegenteil, so viel schriftliche Kommunikation war wohl nie.
Aber genauso wie sich der Umgang mit und die Produktion von Musik durch die Digitalisierung verändert, so verändert sich auch der Umgang mit und die Erstellung von Texten. Deren Struktur wird durch das andere Medium und deren Möglichkeiten massiv beeinflußt. Eine email liest sich ganz anders als ein klassischer, handgeschriebener Brief.
Und ich glaube, daß dies tatsächlich etwas mit dem Material zu tun hat. Einen Füllfederhalter in die Hand zu nehmen, ein schönes Papier auszusuchen, vielleicht ein passendes Heißgetränk, den gewählten Platz zum Schreiben freiräumen und ein paar reinigende Handbewegungen, begleitet von einem Pusten, das die letzten Staubkörner entfernt, um so dem zu beschreibenden Papier den gebührenden Auftritt zu ermöglichen. Eine kurzes Sammeln, ein kleiner Schluck aus der Tasse und dann die ersten Worte, denen bald noch mehr folgen. Ein Fließenlassen, ein Dahinschreiben , ein Versinken in Gedanken.
Es ist die Zeit, die den Unterschied macht. Die Zeit, die sich der Schreibende nimmt, die Zeit aber auch, die der Lesende aufwendet, die Zeit, die vergeht, eh der Brief den Adressaten erreicht, die Zeit schließlich, die das Schriftstück überdauert.
Sicher, es kann auch eine Email ein wunderbarer Ausdruck der Liebe und Zuneigung sein – selbst eine SMS kann ein bewegendes Dokument tiefgreifender Gefühle sein. Aber werden dereinst die Tränen der Kinder oder Enkel voll Rührung darauf tropfen, weil der Zufallsfund auf dem Dachboden ihnen ganz neue Seiten ihrer Eltern oder Großeltern offenbaren?
Natürlich führt die Unmittelbarkeit der elektronischen Kommunikation zu ganz anderem Ausdruck, zu einer ganz anderen Form, einer anderen Sprache. Und zu einer Flüchtigkeit, die in meinem romantisch-verklärten Blick nicht so recht zur Schriftlichkeit passen will. Ist die Entscheidung, einen Brief zu vernichten, noch etwas handfestes, physisches – so genügt im Email-Postfach ein Klick. Bösartige Programme löschen sogar automatisch Nachrichten, die eine bestimmte Verweildauer überschritten haben. Ich nehme jedoch stark an, schon die heute 20jährigen können dieses Unbehagen schon nicht mehr nachvollziehen – es ist insofern also nur vorausschauend, wenn die Post versucht, nun Geld mit Emails zu verdienen. 😉
Es sind ja nicht nur Briefe, die verschwinden, auch die beliebten Postkarten aus dem Urlaub werden immer weniger – wozu sollen die auch gut sein, wenn doch ein paar Klicks am Mobiltelefon mit Kamera genügen, damit alle Freunde am Urlaubserlebnis teilhaben?
Doch es bleibt etwas ganz anderes, sich einen hübschen Stapel mit Bedacht ausgewählter Ansichtskarten zu kaufen, ein Stammcafé aufzusuchen und jede Karte von Hand mit Grüßen und Adresse zu versehen, zu frankieren und am nächsten Briefkasten auf die Reise zu schicken. Das schafft eine viel innigere Verbindung als es jeder flotte Kommentar auf Facebook je könnte.*
Und mal ehrlich, ist die Intensität rituellen Verbrennens von Liebesbriefen des oder der Verflossenen durch das Löschen eines email-Ordners auch nur annähernd zu erreichen? Oder die sentimentale Rührung bei der erneuten Lektüre alter Korrespondenzen, die einem beim Durchstöbern der Umzugskartons in die Hände fallen? Die als Lesezeichen verwendeten Botschaften, die beim Aufblättern eines vor langer Zeit gelesenen Buches herausfallen und sich so wieder in Erinnerung rufen – ob uns das mit 10 Jahre alten SMS wohl auch geschehen wird?

Nun, die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen.
Ich aber werde jetzt mein Netbook schließen, meinen Federhalter** auffüllen, mein bestes Briefpapier herausnehmen und einen Brief an einen lieben Menschen schreiben.

*Was im Übrigen aber ganz ausgezeichnet zur Umwertung des Freundschaftsbegriffs paßt, der dort betrieben wird. Die Menschen, mit denen ich auf Facebook verbunden bin, sind mir keineswegs egal oder gar unsympathisch – aber es sind nun beim besten Willen nicht alles meine Freunde. Eine Freundschaft erfordert in meinen Augen ein Maß an Innigkeit und Belastbarkeit, das weder mit jedem wünschenswert, geschweige denn im erforderlichen Umfange überhaupt leistbar wäre.

**Wobei mein Modell wirklich noch zum Auffüllen ist, also nix da mit Patronen. Es wird schon ein formschönes Tintenfaß benötigt. 😉