Die Jugend von damals

Um eine These für einen zu erstellenden Artikel zu verifizieren, stolperte ich über diese Passage aus der seinerzeitigen Besprechung der 13. Shell-Jugendstudie:

»Ausländerfeindliche Töne sind, wie auch die Shell-Studie belegt, im Osten deutlich lauter als im Westen. In den neuen Ländern, wo der Anteil der Nichtdeutschen an der Wohnbevölkerung bei 2,2 Prozent liegt (im Westen: 10,4 Prozent), finden mehr als zwei Drittel der Jugendlichen, das Boot sei schon überfüllt. […]
Immerhin 27 Prozent aller deutschen Jugendlichen erscheinen in Münchmeiers Auswertung als “hoch ausländerfeindlich”.«

Die damals 15-24jährigen sind heute die Elterngeneration.

Vielleicht wäre es doch ganz sinnvoll, den als »Laberwissenschaften« beschimpften Sozialwissenschaften gelegentlich mal zuzuhören. Stattdessen haben wir weitere zwei Jahrzehnte verschwendet und wundern uns heute über Institutionenkrise und AfD-Wählende.

Es ist so frustrierend: Ob Mondlandung, Klimawandel, Impfen oder Nazis – Die Wissenschaften stellen das entscheidende Wissen zur Verfügung, aber wir vertrauen lieber auf unsere Bauchempfindungen und die Erzählungen des Schwippschwagers der Nachbarin. Auf allen Ebenen, in allen Positionen.

Alte Helden. Wirre Gedanken ohne sinnvolle Konklusion.

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Als ich diese Ankündigungen für ein Konzert von Dirk Michaelis in Leipzig hängen sah, fertigte ich ein photographisches Abbild an zu dem Behufe, in Verbindung mit eben diesem auf dem Kurznachrichtendienst »Twitter« alsbald ein geistreiches Bonmot zu veröffentlichen, das durch die Verbindung des Künstlernamens mit dem Auftrittsort auf eine vielleicht zu weit gehende Verehrung lokal verbundener Künstler referieren sollte und so geeignet gewesen wäre, die Gemüter zu erheitern und meinen Ruhm zu mehren.
So war der Plan.
Dann aber schaute ich mir das Plakat genauer an und stellte fest, was Dirk Michaelis da zu singen beabsichtigte. »Welthits in deutscher Sprache« nämlich. Das klang dann aber doch sehr nach Teleshop, diesem grauenhaften Ort, an dem man Welthits in noch ganz anderer Form käuflich erwerben kann (interpretiert von singenden Saxophonen etwa oder von grinsenden Gitarristen).
Dies stimmte mich nachdenklich.
Nun war ich nie ein besonders großer Freund der Kunst von Dirk Michaelis (die Karussell-Lieder, die ich mag, stammen aus der Zeit vor seinem Engagement in der Band), aber »Als ich fortging« war ein wichtiger Teil meiner jugendlichen Sozialisation und lässt mich auch heute nicht kalt. Das mag der Grund für eine gewisse sentimentale Grundsympathie sein, auch wenn ich keine Ahnung habe, was er in den letzten Jahren so getrieben hat.
Welches Recht also habe ich denn nun, wehmütig zu sein, wenn ich ein solches Plakat sehe und (möglicherweise auch vollkommen zu Unrecht) mit Assoziationen belege, von denen »Och nö, das ist aber schade« noch die freundlichste ist? Weiterlesen “Alte Helden. Wirre Gedanken ohne sinnvolle Konklusion.”

Lieblingsspiel

Nun,

so reihe ich mich denn mit meinem ersten Beitrag in die lange Schlange der Kommentatoren ein, die sich mit der gar schrecklichen Welt der Computerspiele und ihren Auswirkungen auf unsere zarten Kinder und Jugendlichen, mithin also der Zukunft der Gesellschaft, befassen.
Und dies aus gegebenem Anlaß, die Herren Innenminister haben nämlich auch ein Lieblingsspiel, und zwar eines, das ganz hervorragend zu einer offenen, liberalen, pluralistischen Gesellschaft paßt:

Verbieten

Ich diskutiere gerne darüber, ob es gut und förderlich für die geistige und moralische Entwicklung Heranwachsender ist, wenn sie tagtäglich über Stunden Ego-Shooter spielen.
Allerdings möchte ich da doch fragen: Ist das Problem dabei wirklich der Ego-Shooter oder vielleicht doch eher ein Umfeld, daß es geschehen läßt, Heranwachsende stundenlang alleine vor einem Rechner sitzen zu lassen?
Und, als weiterer Aspekt:
Was ist eigentlich mit den Jahrmarktschießbuden? Dem Kriegsspiel Schach? Und PACMAN? Und wieso, zum Henker, ist es besser, Jugendlichen eine Waffe in die Hand zu drücken, als sie an einem Rechner sitzen zu lassen? Im Gegensatz zu einer Schußwaffe ist Software kein Tötungsinstrument.
Es ist mithin geradezu blödsinnig, Spiele zu verbieten und Waffen zu erlauben. Spiele wurden schließlich erfunden, um Waffen überflüssig zu machen.
Spiele sind eine kulturelle Leistung, und zwar eine bemerkenswerte. Ihr Zweck ist es, all die Aggressionen, die sich immer wieder einstellen, zu kanalisieren und in geregelte Bahnen zu lenken. Das spannende am Spiel ist in der Tat, daß es Regeln gibt: Es ist nicht alles möglich – die ganze Geschichte bleibt unter Kontrolle. Das ist, kulturell betrachtet, eine ungeheure Leistung.
Es wäre sehr erfreulich, wenn dieser Aspekt etwas stärker in den Focus gerückt würde.

Im Übrigen jedoch geht diese ganze Debatte um “Killerspiele” vollkommen am Grundproblem vorbei. Das Hauptproblem ist, daß unsere Welt den Heranwachsenden immer weniger Angebote macht. Anstatt fröhlichen Lärm kleiner Kinder als Zeichen von Lebensfreude anzusehen, wird gegen Kinderspielplätze und Nachbarskinder geklagt, anstatt zu überlegen, welche Angebote ihnen zu machen wären, werden Jugendliche aus der Öffentlichkeit vertrieben, nur um sich dann darüber zu mokieren, daß sie nichts anderes mit ihrer Zeit anzufangen wüßten, als vorm Rechner oder der Glotze zu sitzen. Ja, wie denn nu?
Kurz:
Es ist idiotisch, Jugendlichen keinen Raum und keine Perspektiven zu bieten und sich dann zu wundern, daß sie keine Zukunft sehen und ihre Fähigkeiten nicht entfalten.

Soweit meine heutigen unsortierten Gedanken zu dem Thema. Ich bin sicher, es wird darauf noch zurückzukommen sein.
Zum Schluß noch der Kommentar meines Hausheiligen zum Thema Generationen:

Die verschiedenen Altersstufen des Menschen halten einander für verschiedne Rassen: Alte haben gewöhnlich vergessen, daß sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, daß sie alt sind, und Junge begreifen nie, daß sie alt werden können.
[aus: Der Mensch. in: Werke und Briefe: 1931, S. 498. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8478 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 231) (c) Rowohlt Verlag]