Das Buch zum Sonntag (16)

Für die heute beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Banana Yoshimoto: Kitchen*

Dies könnte heute eine der persönlichsten Buchempfehlungen dieser Reihe werden.
Es gibt hin und wieder Künstler, deren Werk auf eine Art berührt, die eine enge Verbindung entstehen läßt. Deren Werke werden zu einem festen Begleiter des eigenen Lebens. Man geht jeden Schritt mit, nimmt jedes neue Werk in den eigenen Erfahrungshorizont auf – und selbst wenn es Werke gibt, die nicht gelungen scheinen, ja vielleicht sogar wirklich schlecht sind, man geht den Weg gemeinsam.
Dabei ist es natürlich aus finanzieller Sicht ungemein hilfreich, wenn es sich a) nicht um bildende Künstler handelt und b) der betreffende Künstler zu einem Zeitpunkt ins eigene Leben tritt, zu dem sein Werk noch nicht zu umfangreich ist. Bei mir trifft dies beispielsweise auf die Beatles zu, deren Diskographie dank des überschaubaren Wirkungszeitraumes begrenzt ist, aber man stelle sich vor, jemand entdeckte die Rolling Stones heute für sich. Für deren komplette Diskographie lohnt sich dann schon ein Lottoschein.
Zu den wenigen Schriftstellern, die mir ähnlich lieb und teuer sind, gehört Banana Yoshimoto (geb. 1964). Nicht alles, was sie geschrieben hat, ist wirklich gut, einige Bücher würde ich sogar durchaus mit dem Prädikat “schlecht” versehen wollen, aber trotzdem warte ich gespannt auf jede neue Übersetzung, lese jedes ihrer verfügbaren Bücher – weil sie mir als Autorin wichtig ist. Weil ich sie zu einem Zeitpunkt im Leben entdeckt habe, an dem mir die Lektüre ihrer Bücher viel gegeben hat, mir völlig neue Horizonte eröffnete, eine ganz andere Art zu schreiben aufzeigte.

Ich habe daher auch lange überlegt, welches ihrer Bücher ich hier (zuerst) vorstelle. Für jeden Aspekt, der mir bei ihr wichtig erscheint und für jedes ihrer Themen fällt mir mindestens ein Buch ein, in dem sie besser ist. Und doch soll es dieses sein, weil es das erste ist, was ich von ihr las und weil es einen zusätzlichen Aspekt gibt, den alle anderen nicht mehr haben.

Das Buch ist kein zusammenhängender Roman, sondern die Zusammenstellung dreier Erzählungen, nämlich Kitchen, Vollmond (Kitchen 2) und Moonlight Shadow, wobei die ersten beiden zusammen gehören, die dritte ist ihre prämierte Abschlußarbeit an der Nihon Daigaku.
Frau Yoshimotos Figuren sind junge, urbane Menschen, häufig in der späten Adoleszenzphase, die auf der Suche sind. Auf der Suche nach ihrem Weg in einer Welt, deren Buntheit sie lieben, deren Anonymität ihnen aber zu schaffen macht. Junge Menschen auf der Suche nach einer Neudefinition ihres Lebens, auf der Suche nach Menschen, die ihnen nahe sein können, auf die sie sich einlassen können, gleichzeitig aber zurückschreckend vor zu viel Nähe aus Angst vor Verlust.
Denn genau dieser eint sie: Der erlebte Verlust nahestehender Menschen. Die Protagonistin der ersten beiden Erzählungen, Mikage Sakurai, steht nach dem Tod der Großmutter, ihrer letzten Verwandten, völlig entwurzelt da und droht, in ihrer Trauer zu versinken. Eine von mir hoch geschätzte Kollegin, die inzwischen die Branche gewechselt hat, fragte mich einmal, worum es denn in Kitchen ginge. Meine Antwort: Um Küchen.

Da ich anfangs, wo ich mich auch hinlegte, nur schwer einschlafen konnte, bewegte ich mich auf der Suche nach einem angenehmeren Schlafplatz immer weiter von meinem Zimmer weg. Bis ich eines frühen Morgens herausfand, daß ich neben dem Kühlschrank am besten schlief. […]
Leise schleppte ich eine sanfte Müdigkeit hinter mir her, die die übergroße, tränenlose Traurigkeit hervorgerufen hatte. Abends legte ich im stillen Licht der Küche meinen Futon aus. In eine Wolldecke gekuschelt, wie Linus aus dem Comic-strip, schlief ich ein. Das gleichmäßige Summen des Kühlschranks hielt alle Gedanken der Einsamkeit von mir fern. Eine ruhige, lange Nacht ging vorüber, der Morgen kam.

(S. 10f.)

Der aufmerksame Leser des Buches wird den Wandel der Bedeutung, den die Küchen in Mikages Leben haben, bemerken. 😉
Thema all ihrer frühen Werke bleibt die Frage nach der Neudefinition von “Familie” und der Rolle von Mann und Frau in einer Welt, in der die traditionellen Maßstäbe für diese Themen nicht mehr greifen.
Die Erzählungen wurden in Japan zuerst 1988 veröffentlicht und bescherten Banana Yoshimoto in Japan einen Kultstatus, den man gemeinhin nur von Popstars kennt. Was ihr gleichzeitig ermöglichte, von ihrer Arbeit zu leben. Und damit wären wir beim Zusatzaspekt, den Kitchen im Vergleich zu allen anderen Büchern von ihr hat:
Banana Yoshimoto schrieb diese Erzählung, wärend sie als Kellnerin jobbte. Und zwar tatsächlich nicht selten während der Arbeit. Das hat natürlich Auswirkungen. Die Erzählung ist nicht sehr fein ausgearbeitet, es gibt Sprünge im Erzählstrang und eine ihrer großen Stärken, das metaphernreiche und doch leichtfüßige, stimmige Zeichnen von Gefühlszuständen, die manchmal widerstreitend und doch nahtlos ineinander übergehen (wie man das nun mal so ist in der Adoleszenz), kommt hier nur in Ansätzen zur Geltung. Und doch spürt man als Leser: Da ist etwas, da steckt etwas drin. Und wird schon mit Vollmond (Kitchen 2) für seine Ausdauer belohnt.
Wer diese Ausdauer nicht aufbringen möchte, wen dieser Einblick in die Arbeitswerkstatt einer angehenden Schriftstellerin nicht zu reizen vermag, darf auch gerne gleich mit Vollmond beginnen, die Erzählung funktioniert auch ohne Teil 1.

Wem das Buch am Ende doch nichts zu sagen hatte, dem sei auf jeden Fall jedoch das angefügte Essay von Giorgio Amitrano empfohlen, das Frau Yoshimoto in den Erzählkosmos japanischer Literatur einordnet und einige Besonderheiten herausarbeitet, die geeignet sein dürften, den Blick auf verschiedene Phänomene der zeitgenössischen japanischen Kultur zu verändern.

Zum Schluß noch einen Auszug aus der Rezension des Spiegel, den ich sehr treffend finde:

In Yoshimotos Figuren finden sich Japans Teenager endlich wieder – als verirrte Motten, die zwischen den Abgründen des Lebens flattern.

Und natürlich darf der Hinweis auf die

lieferbaren Ausgaben

nicht fehlen.
Vom Hörbuch rate ich jedoch ab. Frau Schwarz fängt die Stimmung der Erzählungen nicht annähernd ein.

P.S.: Autorentreue ist übrigens das hervorstechende Merkmal des Diogenes-Verlages. Verleger Daniel Keel meinte einmal: “Wir verlegen keine Bücher, sondern Autoren.” Wundert es da noch jemanden, daß Diogenes der wahrscheinlich beliebteste Verlag unter BüchhändlerInnen ist? 😉

*Für die Kenner in der geneigten Leserschaft: Ich passe mich bei der Schreibweise japanischer Namen den hiesigen Gepflogenheiten an. Mit der korrekten Schreibweise liefen die geneigten Leser nämlich leider Gefahr, sich hierzulande im örtlichen Buchhandel zu blamieren. 😉