Fundstück (3)

Inzwischen ist Kriege führen ja wieder ein normales Mittel deutscher Außenpolitik geworden. Die Gründe sind dieselben wie jederzeit, die Etiketten haben sich ein wenig gewandelt.
Und das scheint auch zunehmend gesellschaftlich akzeptiert zu werden, wie die umfassenden Diskussionen um Ukraine, Syrien und andere Krisengebiete zeigen.
Dazu folgendes heutige Fundstück:

Unten, auf dem zugeschütteten Graben, stehen ein paar Kreuze, liegen Kränze und ragen die Bajonette. Drei Mann müssen außerhalb des Grabens postiert gewesen sein; die Läufe ihrer Gewehre ragen ein paar Zentimeter hoch aus dem Boden, man stolpert über sie. Eine Mutter kann ihr Kind hierherführen und sagen: »Siehst du? Da unten steht Papa.«

Den ganzen Text findet die geneigte Leserschaft hier: Kurt Tucholsky, Vor Verdun.

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Dulce et decorum est pro patria mori

Diese Zeile aus einer Horaz-Ode ist ein beredtes Beispiel für den Wahn, in den Menschen gerne verfallen, sobald jemand “Vaterland” und “bedroht” auf die passende Weise miteinander verbindet. Sie ist es auch deshalb, weil sie zum einen zeigt, daß sich dieser Wahn in allen Zeiten (und wohl auch allen Kulturen, aber da fehlt mir der Überblick) finden läßt und zum anderen späteren Zeiten als gelehrtes Feigenblatt für den eigenen geistigen Ausnahmezustand diente. Immer getreu dem Motto: “Schon Horaz sagte…” Ich bin mir nicht sicher, was verheerender war, die unmittelbare Wirkung auf die partherbekämpfenden Zeitgenossen oder die mittelbare auf Generationen von Menschen, die meinten, hier humanistisches Gedankengut zu zitieren, nur weil der Unsinn zufällig auf Latein geschrieben wurde.
Am 70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion sei darauf hingewiesen, daß das Problem an dieser ganzen unseligen Angelegenheit weit weniger die Frage der konkret Beteiligten und ihrer Motive sind, sondern mir eher der Krieg an sich ein Übel zu sein scheint. Denn genauso wie Horaz seine Mitbürger gegen die Parther einschwört, so schwörten sich die sowjetischen Soldaten gegen die deutschen Angreifer ein. Und lassen da an Pathos nichts vermissen. Ich halte es für müßig, darüber zu diskutieren, welcher Seite man nun das größere Recht am Töten zugestehen möchte. Gerade die Konstellation Hitler vs. Stalin macht die Absurdität einer solchen Frage offenkundig. Das Problem liegt viel tiefer und ist vielleicht gar nicht lösbar, da es schwierig werden könnte, Identität ohne Abgrenzung zu definieren.
Jedenfalls erscheint es mir auch heute, da wieder einmal das Vaterland verteidigt wird (derzeit am Hindukusch), nötig, den Hausheiligen auf die Bühne dieses Blogs zu holen, auch wenn ich auf Seegers Frage danach, wann wir denn endlich lernen werden, derzeit zur deprimierenden Antwort neige: Niemals.
Aber vielleicht irre ich ja.

Gebet nach dem Schlachten

Kopf ab zum Gebet!

Herrgott! Wir alten vermoderten Knochen
sind aus den Kalkgräbern noch einmal hervorgekrochen.
Wir treten zum Beten vor dich und bleiben nicht stumm.
Und fragen dich, Gott:
Warum –?

Warum haben wir unser rotes Herzblut dahingegeben?
Bei unserm Kaiser blieben alle sechs am Leben.
Wir haben einmal geglaubt … Wir waren schön dumm … !
Uns haben sie besoffen gemacht …
Warum –?

Einer hat noch sechs Monate im Lazarett geschrien.
Erst das Dörrgemüse und zwei Stabsärzte erledigten ihn.
Einer wurde blind und nahm heimlich Opium.
Drei von uns haben zusammen nur einen Arm …
Warum –?

Wir haben Glauben, Krieg, Leben und alles verloren.
Uns trieben sie hinein wie im Kino die Gladiatoren.
Wir hatten das allerbeste Publikum.
Das starb aber nicht mit …
Warum –? Warum –?

Herrgott!
Wenn du wirklich der bist, als den wir dich lernten:
Steig herunter von deinem Himmel, dem besternten!
Fahr hernieder oder schick deinen Sohn!
Reiß ab die Fahnen, die Helme, die
Ordensdekoration!
Verkünde den Staaten der Erde, wie wir gelitten,
wie uns Hunger, Läuse, Schrapnells und Lügen den Leib zerschnitten!
Feldprediger haben uns in deinem Namen zu Grabe getragen.
Erkläre, dass sie gelogen haben! Läßt du dir das sagen?
Jag uns zurück in unsre Gräber, aber antworte zuvor!
Soweit wir das noch können, knien wir vor dir – aber leih uns dein Ohr!
Wenn unser Sterben nicht völlig sinnlos war,
verhüte wie 1914 ein Jahr!
Sag es den Menschen! Treib sie zur Desertion!
Wir stehen vor dir: ein Totenbataillon.
Dies blieb uns: zu dir kommen und beten!

Weggetreten!

in: Tucholsky, Kurt: Gesammelte Werke, Bd. 3. Rowohlt TB. Reinbek 1995. S.437f.


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Ein Krieg ist ein Krieg ist ein Krieg ist ein Krieg

“Nenn die Dinge immer beim richtigen Namen. Die Angst vor einem Namen steigert nur die Angst vor der Sache selbst.”*
“Krieg [ahd. “Hartnäckigkeit”], organisierter, mit Waffengewalt ausgetragener Machtkonflikt zwischen Völkerrechtssubjekten oder zwischen Bevölkerungsgruppen (Bürgerkrieg) zur gewaltsamen Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher, ideologischer oder miliutärischer Interessen.”**
“Wir machen einen Stabilisierungseinsatz und keinen Krieg”***

Ich habe lange überlegt, wie ich dieses Thema angehe. Habe mehrere Entwürfe geschrieben, die letztlich aber alle in einen derart mäandernden Wust ausarteten, daß selbst bei einem Blog mit meinem Header eine Publikation nicht zumutbar erschien. Stattdessen lasse ich einmal Bildern und freundlicher Musik den Vortritt.

Es gibt verschiedene Aspekte, warum mir vollkommen klar ist, warum Herr Jung sich standhaft weigert, den Afghanistan-Einsatz als das zu bezeichnen, was er ist. Es widert mich nur an, wenn er gleichzeitig Respekt für die Soldaten vor Ort fordert. Respekt, den zu zollen er selbst nicht bereit ist – sonst würde er ihnen zubilligen, was sie dort erleben: Krieg. Diese ganzen gräßlichen Euphemismen sprechen allem Hohn, was dort geschieht. Es geht dort (inzwischen?) um nichts anderes mehr als: Töten und/oder getötet werden.
Aber darum geht es mir nicht wirklich, denn wie gesagt, mir ist vollkommen klar, warum er in seiner Position sich außer Stande sieht, irgend etwas anderes zu sagen.
Für eine Gesellschaft, wie im Übrigen auch für jeden Einzelnen, ist es aber schwierig, wenn Probleme nicht korrekt thematisiert werden. Man kann eine Lösung immer nur dann finden, wenn die zu lösenden Probleme beim Namen genannt werden. Macht man sich schon bei der Analyse etwas vor, kann man sich den ganzen Aufwand auch sparen, man wird eine wirksame Lösung nur per Zufall finden. Dann aber braucht es auch gar keine Analyse. Dann kann man auch von vornherein auf Trial-and-Error setzen.
Also: Auch wenn es Automechaniker geben mag, die das anders handhaben (und über diese erregen sich die Betroffenen ja auch trefflich), wenn an einem Auto etwas nicht stimmt, dann schaut der Problemlöser doch erst einmal genau nach, wo das Problem eigentlich liegt und entscheidet dann, welche Lösungsstrategie passend ist. Und nur so kann es gehen.

Übrigens kann man das bei Frau Rowling, die ich eingangs zitierte, sehr gut lernen. Die Verdummungsstrategien, die Weigerung der öffentlichen Stellen, herannahendes Unheil zu benennen und anzugehen, stattdessen die beginnenden Probleme zu leugnen – und die Folgen, die solches Verhalten zeitigen kann, das führt sie wunderbar vor.

Und zum Schluß noch ein nicht zimperlicher Kommentar des Hausheiligen, der für die folgenden klaren Worte mächtig Ärger bekommen hat. Sie sind aber nichts anderes als die Demaskierung aller Euphemismen, mit denen Soldaten mythisiert werden. Was den Menschen, die Soldat waren, nicht im mindesten hilft:

Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder. Es ist ungemein bezeichnend, daß sich neulich ein sicherlich anständig empfindender protestantischer Geistlicher gegen den Vorwurf gewehrt hat, die Soldaten Mörder genannt zu haben, denn in seinen Kreisen gilt das als Vorwurf. Und die Hetze gegen den Professor Gumbel fußt darauf, daß er einmal die Abdeckerei des Krieges »das Feld der Unehre« genannt hat. Ich weiß nicht, ob die randalierenden Studenten in Heidelberg lesen können. Wenn ja: vielleicht bemühen sie sich einmal in eine ihrer Bibliotheken und schlagen dort jene Exhortatio Benedikts XV. nach, der den Krieg »ein entehrendes Gemetzel« genannt hat und das mitten im Kriege! Die Exhortatio ist in dieser Nummer nachzulesen.

aus: Der bewachte Kriegsschauplatz. in: Werke und Briefe: 1931, S. 553. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8532f. (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 253-254) (c) Rowohlt Verlag

Damit das Zitat auch stimmt, hier der Link zur Exhortatio. Allerdings wurde hier “orrenda carneficina” (etwa: “grauenhaftes Abschlachten”) etwas mildernd als “entsetzliches Blutbad” übersetzt. Wer des Italienischen mächtig ist, findet hier den italienischen Originaltext.

* aus: Rowling, Joanne K.: Harry Potter und der Stein der Weisen. Hamburg 1998, S. 323
** Der Brockhaus in 15 Bänden. Bd. 8 Koo-Lz. Leipzig, Mannheim. 1998
*** Verteidigungsminister Jung am 22.07.2009 zum Beginn der Offensive in Nordafghanistan

Gachmurets Kulturwoche: Bild

Bild: Pablo Picasso: Guernica

Zum Bild selbst brauche ich wohl nicht viel sagen. Es gibt ja auch kaum ein Geschichtslehrbuch, das ohne dieses auskommt.
Für mich handelt es sich um eines meiner einprägendsten Kunsterlebnisse, weil es den Schrecken, das Leid, die Verzweiflung – und nichts anderes bedeutet Krieg, so mächtig zum Ausdruck bringt.
Ich finde, dem Betrachter offenbart sich sofort und unmittelbar, der Schmerz, aber auch die Wut, die in diesem Bild steckt. Und es ist vollkommen verständlich, daß, wann immer ein Bild gebraucht wird, das als Fanal gegen den Krieg und insbesondere gegen den Krieg als Vernichtung stehen kann, auf Picassos Bild zur Zerstörung Guernicas zurückgegriffen wird.
Ich möchte überhaupt gar nicht viel dazu sagen, das Bild möge ganz für sich sprechen.

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