Hubertus Borck: Das Profil

Es ist ein bizarrer Anblick: Im Sandkasten eines Hamburger Spielplatzes wurde ein toter Mann eingegraben, nur sein Kopf schaut heraus – mit dem Blick in eine Richtung, in die er mit intaktem Genick nicht hätte schauen können. Nicht allzu lange und die ermittelnden Beamt:innen können einen Zusammenhang zum Tod einer jungen Frau herstellen, die in ihrer Wohnung schwerst misshandelt wurde.

Die Geschichte, die Hubertus Borck erzählt, ist nicht neu: Ein in seiner Kindheit traumatisierter Mann überfällt Frauen, an denen er sich stellvertretend rächt. Seine Opfer findet er über geschickte Instagram-Nutzung und macht es damit den ermittelnden Behörden nicht leicht – es ist zwar schnell offenkundig, dass es sich um einen einzigen Täter handelt, aber die Verbindung will sich partout nicht zeigen.

Borck wechselt in seiner Erzählung immer wieder die Perspektiven – mal steht der Täter im Mittelpunkt, mal Kommissarin Franka Erdmann, mal ihr neuer Assistent Alpay Eloğlu. Die Erzählstränge laufen dabei aufeinander zu und das macht er durchaus geschickt – seine Erfahrung als Drehbuchautor macht sich hier eindeutig bemerkbar.

Das ist einerseits eine Stärke dieses Thrillers – er liest sich schnell weg und ist spannend geschrieben, es fällt nicht schwer, das Gelesene in Bilder umzusetzen. Wollte man das verfilmen, wäre wahrscheinlich nicht viel Übersetzungsarbeit zu erledigen. Andererseits ist das auch eine Schwäche des Buches. Borck beschreibt gut – aber das Innenleben, die psychische Entwicklung der Figuren, das wirkt auf mich nicht überzeugend. Mir erscheint das zu oberflächlich und nicht immer nachvollziehbar, das war mir an vielen Stellen einfach zu sprunghaft und häufig auch einfach zu platt.

Und zu guter Letzt: So unbedingt brauche ich jetzt auch nicht den drölfzigsten Thriller, der ausgiebig Gewalt an Frauen zelebriert. Mir ist klar, dass Tatbeschreibungen zum Genre gehören und dass Frauen tatsächlich häufig Opfer von Gewalttaten sind. Aber übermäßig einfallsreich ist das halt auch nicht.

Buchdetails:
Hubertus Borck: Das Profil. Thriller [=Erdmann und Eloğlu 1]. Rowohlt Taschenbuch Verlag Hamburg 2022. 384 Seiten, Paperback, ISBN 978-3-499-00824-5, 12 €, als ebook 4,99 €
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Katharina Peters: Bornholmer Flucht

Sarah Pirol braucht eine Auszeit. Nach vorhergehenden intensiven Fällen, bei denen sie in sehr exponierter Stelle präsent war, scheint ein Haus auf Bornholm und etwas Zeit mit ihrem Freund eine exzellente Idee zu sein.

Doch dazu kommt es nicht. Denn ihr Freund Frederik, dänischer Investigativjournalist, ist verschwunden, das Haus offenkundig ein Tatort und in der Nähe wird ein ausgebranntes Auto inklusive Leiche gefunden.

Schnell richtet sich Sarahs Verdacht gegen ihren übermachtigen Vater, Kopf eines rechtsextremen Netzwerks und definitv nicht zufrieden mit der Entwicklung seiner Tochter, die ihn mit ihrer Arbeit hinter Gitter gebracht hat.

Natürlich kann Sarah, aufgrund offenkundiger Interessenskonflikte, nicht offiziell mitermitteln. Dass immer mehr Indizien auftauchen, die den untergetauchten Frederik schwer belasten und ihn in ein sehr zweifelhaftes Licht rücken, macht die Sache nicht einfacher.

Katharina Peters strickt einen Kriminalfall mit bekannten und bewährten Zutaten, der Wettlauf gegen die Zeit und juristische Fallstricke machen die Geschichte spannend. Überzeugend stellt sie die divergierenden Interessen und Motive dar. die aus verschiedenen Perspektiven die handlung vorantreiben. Das ist ein gelungener, solider Krimi und dass es sich um den dritten Teil einer Reihe handelt, hindert überhaupt nicht, der Band lässt sich problemlos ohne Vorkenntnisse lesen.

Buchdetails:
Katharina Peters: Bornholmer Flucht (=Sarah Pirol ermittelt 3). Aufbau Taschenbuch Berlin 2022. ISBN 978-3-7466-3771-6, kartoniert, 355 Seiten, 12,99 €, als ebook 4,99 €
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Gesuino Némus: Süße Versuchung

Telévras ist ein Bergdorf auf Sardinien und weit weg vom Rest der Welt. Durch die knapp bemessene Infrastruktur sogar überraschend weit weg vom Meer – selbst die letzte Buslinie steht auf der Kippe, damit wäre man dort endgültig unter sich. Die Ankunft des suspendierten Inspektors Marzio Boccinu, dem mit einer Mischung aus Neugier, Skepsis und Gastfreundschaft begegnet wird, bringt eine Kette von Ereignissen in Gang, die das scheinbar so wohlgeordnete Dorfleben gehörig durcheinanderwirbeln.

Gesuino Némus schildert die eigenwilligen und stolzen Dorfbewohner als Menschen, die in einer abgehängten Gegend der Welt nach Wegen suchen, mit den auch auf sie wirkenden Änderungen der Lebensumstände umzugehen. Dabei werden die Hoffnungen je nach Charakter und Eigeninteressen auf Dorffeste, neue und alte Mythen, Fernsehshows, Tourismusvereine oder Gefängnisneubauten gesetzt. Und wie so oft, so verbergen sich auch hier unter der scheinbar harmlosen Oberfläche von Mord bis Korruption allerlei Abgründe.

Mitgerissen hat mich in diesem Roman aber weniger die Krimihandlung als vielmehr Némus’ beeindruckende literarische Erzählkraft – er zeichnet vielschichtige Figuren und stellt sie und ihren Ort so plastisch dar, ich meinte regelrecht in diesem Dorf zu wohnen. Was mich im Verlagstext eher abgestoßen hat, nämlich die Beschreibung »die Bewohner des Dorfes, mit ihren schrulligen Gewohnheiten und verqueren Ansichten«, zeigt sich tatsächlich vielmehr als empathische und lebensnahe Charakterzeichnung und hat mich sehr für dieses Buch eingenommen.

Buchdetails:
Gesuino Némus: Süße Versuchung (=Ein-Sardinien-Krimi 2). Aus dem Italienischen von Juliane Nachtigal. Original-Titel: Ora Pro Loco. Eisele Verlag München 2022. ISBN 978-3-96161-132-4, Paperback, 16,99 € als ebook 13,99 €
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Oliver Pötzsch: Das Mädchen und der Totengräber

Im ausgehenden 19. Jahrhundert schwappte gerade mal wieder eine Ägyptomanie-Welle über Europa. Dieses Mal standen Mumien besonders hoch im Kurs. Gerade gut betuchte Damen und Herren trafen sich zum gemeinsamen Mumienauswickeln – was ein Spaß. Allerdings sollte dabei die Mumie auch wirklich alt sein, sonst wird aus dem Spektakel schnell ein Fall der Leichenschändung.

Und das war auch in Wien, trotz des sehr eigenen Verhältnisses der dortigen Stadtbevölkerung zum Tod, strafbar. Leopold von Hertzfeld, nicht gerade heißgeliebter Kollege der Wiener Ermittlungsbehörden (redet Hochdeutsch, hat neumodische Ansichten und Methoden, stammt aus einer jüdischen Bankiersfamilie und ist obendrein noch Liebling des Chefs), interessiert bei der im Kunsthistorischen Museum gefundenen Mumie allerdings nicht das Auswickeln, sondern das Einpacken – denn der aufgefundene Körper gehört zu einem vermissten Professor und seine Todesumstände sind keineswegs eindeutig.

»Das Mädchen und der Totengräber« ist der zweite Fall für Leopold von Hertzfeld, Julia Wolf und Augustin Rothmayer – aber problemlos ohne Kenntnis des ersten zu lesen. Neben reichlich Lokal- und Zeitkolorit bietet Pötzsch einen verwickelten Kriminalfall, der nicht ganz so einfach zu durchschauen ist. Seine Protagonist:innen sind klar, aber nicht plump, gezeichnet und bieten Identifikationspotential. Gerade Julia Wolf, deren prekäre Lage bei ihr zu Prioritäten, Wünschen und Bedürfnissen führt, die nahezu inkompatibel mit ihrern gesellschaftlichen Möglichkeiten sind, wird in diesem Band zu einer zentralen Figur und Handlungstreiberin. Dass Pötzsch diese Gelegenheit ergreift und uns hier nicht das drölfigste Paar präsentiert, das durch unerschütterliche Liebesbande vereint den Unbillen ihrer Zeit mutig entgegensteht, ist eine echte Wohltat.

Wie überhaupt die Entwicklung der Figuren spannend und spannungsreich ist und so eine gute Ergänzung zum dramatischen Geschehen der Kriminalhandlung darstellt. Mich hat dieser historische Krimi sehr gut unterhalten, mir scheint der Zeitgeist überzeugend eingefangen, er liest sich gut weg und ich freue mich auf Band 3.

Buchdetails:
Oliver Pötzsch: Das Mädchen und der Totengräber (=Ein Fall für Leopold von Hertzfeld 2). Ullstein Berlin 2022. ISBN 978-3-86493-166-6, Paperback, 16,99 €, als ebook 10,99 €
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Anthony Horowitz: Der Tote aus Zimmer 12

Susan Ryeland ist eine ehemalige Lektorin. In ihrem Berufsleben betreute sie einen eigenwilligen, aber erfolgreichen Krimiautor. Dieser ist aber inzwischen tot und ihr Lebensmittelpunkt hat sich nach Kreta verlagert, wo sie mit ihrem Lebensgefährten ein mehr oder weniger gut gehendes kleines Hotel betreibt.

So weit, so Klischee. Auffällige Parallelen zwischen einem Roman ihres einstigen Star-Autors und dem tatsächlichen Verschwinden einer jungen Frau in England führen sie dorthin zurück und nun soll sie den Fall aufklären – denn immerhin entstand der Roman kurz nach dem Aufenthalt des Krimi-Autors am Ort des Geschehens und die handelnden Figuren sind nur mühsam kaschierte Abbilder des Personalensembles vor Ort.

Horowitz ist ein geübter Kriminalautor, er weiß, wie man Fälle konstruiert und er steht unstrittig in der Tradition des klassischen englischen Kriminalromans. Das wird auch in diesem Roman offenkundig, er legt falsche und echte Fährten aus, reichert das Geschehen häppchenweise mit Details an und hält auf diese Weise alles in der Schwebe. Und natürlich wird Susan Ryeland die großzügige Unterstützung zunehmend versagt, je mehr unangenehme Fragen sie stellt und lieber unter dem Teppich gehaltene Geheimnisse ans Tageslicht holt. Dass der von der Familie favorisierte Täter dabei immer weiter entlastet wird, stützt ihre Position auch nicht gerade…

Horowitz baut noch eine Ebene ein, indem er den Roman »Atticus unterwegs« selbst, den seine Protagonistin damals lektorierte, in Gänze präsentiert. Das gibt den zusätzlichen Reiz, dass nun die Anspielungen, deren Kenntnis ja das Spezialwissen von Susan Ryeland sind, auch von den Horowitz-Leser:innen nachvollzogen werden können.

Mich allerdings hat das nicht überzeugt, ich empfand das eher als ermüdend. In Krimis, die nicht auf einen rasanten Plot ausgelegt sind, kann der besondere Reiz natürlich im Miträtseln liegen. Hier aber flutet Horowitz das Geschehen geradezu mit möglichen Anhaltspunkten, so dass ich nach einer Weile aufgegeben habe, hier noch etwas zusammenpuzzeln zu wollen. Das war auch nicht unbedingt nötig, denn tatsächlich ist die Auflösung keine echte Überraschung und nach der Lektüre von knapp 600 Seiten eher enttäuschend. So sehr ich den Reiz der Idee des Krimis im Krimi nachvollziehen kann – gelungen ist es hier nicht.

Buchdetails:
Anthony Horowitz: Der Tote aus Zimmer 12 (OT: Moonflower Murders). Aus dem Englischen von Lutz-Werner Wolff. Insel Verlag Berlin 2022. 596 Seiten, ISBN 978-3-458-64287-9, 24 €, als ebook 20,99 €
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Richard Osman: Der Mann, der zweimal starb

Umschlagabbildung zu Richard Osman, Der Mann der zweimal starb

Mit dem Donnerstagsmordclub in der Edel-Seniorenresidenz Coopers Chase legt man sich lieber nicht an. Und wenn doch, dann sollte man zumindest einen Fehler nicht machen: Die Damen und Herren zu unterschätzen.

Im zweiten Fall von Richard Osmans rüstiger Rentner-Gang legen sich die tapferen Vier mit Drogenhändlern, dem Geheimdienst und der Mafia an. Angeführt von Mastermind Elizabeth, die dieses Mal ihr ganzes Können und so manche Beziehung ausspielen muss, legen sie aber auch dieses Mal die Bösen auf’s Kreuz und sie werden auch dieses Mal nicht immer im Rahmen des üblichen Verständnisses von Legalität arbeiten.

Wie schon im ersten Fall des Donnerstagsmordclubs so trägt auch diesen Krimi die herrliche Unverfrorenheit der Protagonistʔinnen, die ihre Mit- und Gegenspielerʔinnen regelmäßig verblüffen oder gleich zur Weißglut treiben. Es war klug von Osman, das Spielfeld zu erweitern und der Versuchung zu widerstehen, einfach die Geschichten und Orte des ersten Falles fortzuführen.

Ich weiß nicht, wie lange das Konzept noch tragen wird, aber bis hierhin trägt es ganz vorzüglich, es war wieder mal ein großer Spaß.

Buchdetails:
Richard Osman: Der Mann, der zweimal starb [OT The Man Who Died Twice], übersetzt von Sabine Roth, List Verlag München 2022, 446 Seiten, Paperback, ISBN 978-3-471-36013-2, 16,99 €, als ebook 12,99 €
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Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub

Umschlagabbildung zu Richard Osman, Der Donnerstagsmordclub

Ältere Menschen, die für die Polizei wesentliche Ermittlungsarbeit übernehmen, so dass die nur noch verhaften müssen. Das Muster ist nun wahrlich nicht neu und seit Agatha Christie wurde es ausgiebig durchexerziert.


Um damit zu punkten, braucht es originelle Ideen. Und die hat Richard Osman ohne Zweifel mit seinen Protagonistʔinnen gefunden. Dieser unverfrorenen, ideenreichen und entwaffnend charmanten Rentnerbande, die ihre im Laufe ihres langen Lebens gewonnenen Erfahrungen und Netzwerke so geschickt einsetzen, ohne die Polizei zu düpieren oder als Trottel dastehen zu lassen und trotzdem immer wieder wie Puppenspieler:innen alle anderen tanzen lassen bin ich sehr gerne gefolgt.

Wie es sich für einen Krimi dieser Gattung gehört, besteht das Hauptvergnügen in der Interaktion der Personen und die Frage, wer es denn nun eigentlich war, ist nicht ganz egal, läuft aber eher so mit. So füllt Osman ein altes Muster mit neuem Leben, das macht wirklich Spaß.

Buchdetails:
Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub [OT The Thursday Murder Club], übersetzt von Sabine Roth, List Verlag München 2021, 458 Seiten, Paperback, 15,99 €, als ebook 12,99 €
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