Das Buch zum Sonntag (20)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Kurt Tucholsky: Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte.

Zu den wenigen Ideen, die ich beim Beginn dieser Reihe hatte, gehörte, den Hausheiligen so lange wie möglich nicht zu empfehlen, um seinen Kommentaren zum Weltgeschehen größere Wirkmächtigkeit zu ermöglichen. Es war natürlich trotzdem nur eine Frage der Zeit, bis er hier auftauchen würde. Und doch ist der Anlaß außerhalb dieses Blogs zu suchen. Anlaß war der Wunsch einer einzelnen Dame, ein “nicht-deprimierendes” Buch empfohlen zu bekommen. Nach gescheiterten Versuchen mit meiner Meinung nach durchaus in diese Kategorie fallenden Büchern, bin ich meine Regale abgegangen und fand tatsächlich nichts, was sich problemlos als fröhlich, sorgenfrei, aufbauend oder, um mal mit dem “Anhalter” zu sprechen, größtenteils harmlos bezeichnen liese.
Außer eben einem schmalen Bändchen Tucholskys (natürlich 😉 ).
Rheinsberg (erschienen 1912) ist eine entzückende Liebesgeschichte um das Paar Wolfgang und Claire, die sich beide in der Phase des frühen Verliebtseins (die geneigte Leserschaft wird wissen, was ich meine, nicht? Dann mal kurz das Buch:

Seh mal: ‘ne Akazie! ‘ne blühende Akazie, lauter blühende
Akazien!«
»Is gar keine, is ‘ne Magnolie!«
»Hach! Also wer weiß denn von uns beiden in der
Botanik Bescheid? Ich oder ich?«
»’ne Magnolie is es.«
»Meine Liebe, ich müßte bedauern, es mit einem
kräftig gefaßten Schlag gegen Sie nicht bewenden las-
sen zu können. Alle Wesensmerkmale der Akazie
deuten auch bei diesen Bäumen auf eine solche hin.«
»Is aber ‘ne Magnolie.«
»Herr Gott, Claire! Siehst du denn nicht diese ty-
pisch ovalen Blätter, die weißen, kleinen, traubenför-
migen Blütenstiele! ? Mädchen!«
»Aber . . . Wölfchen . . . wo es doch ‘ne Magnolie is . . . «
Sie erstickte in Küssen.*

) zu einem Wochenendausflug entschließen, nach Rheinsberg, über das sich im Wesentlichen sagen ließe, daß es landschaftlich schön gelegen ist.
Claire gibt hierbei die unbekümmerte, leicht dramatisierende, stets ironische junge Dame, Wolfgang den abgeklärten, überlegenen, durchaus intellektuellen Gegenpart. Die beiden bei ihren für den Ausflug eines verliebten Pärchens vollkommen üblichen Betätigungen zu beobachten (Bootspartien, Spaziergänge, Schloßbesichtigungen) und ihren erfrischenden Dialogen zu lauschen, ist eine reine Freude.
Noche eine Stelle:

Wie friedlich dieser Abend war; sie saßen unter
den niedrigen dunklen Bäumen und warteten auf das
Essen.
»Claire?«
»Wolfgang?«
»Mir ist so . . . «
»Gut so, mein Junge.«
»Nein! Spaß beiseite, mir ist mit dem Magen nicht
recht.«
»Das ist Cholera. Wart, bis du was zu essen be-
kommst.«
»Nein, hör doch, ich hab so ein Gefühl, so leer,
so . . . «
»Typisch, Das ist geradezu ? bezeichnend ist das.
Du stirbs, Wölfchen.«
»Die richtige Liebe deinerseits ist das auch nicht!
Erst lasse ich dich auf Medizin studieren, und jetzt
willst du nich mal durch dein Hörrohr kucken.«
»Ach Gott, nicht wahr, was heißt denn hier
überhaupt! – Nicht wahr? – Wer denn schließlich . . . «**

Es handelt sich hierbei um den mit Abstand fröhlichsten längeren Text, der mir von Tucholsky bekannt ist. Er hat danach nie wieder so unschuldig-unbeschwert geschrieben. Und eine so herzerfrischende Figur wie die Claire in “Rheinsberg” findet sich auch späterhin nicht mehr. Alles in allem also eine schöne Nachmittagslektüre (länger wird es nicht dauern) zur Erinnerung an einen Sommer, an eine frühe Liebe, zur Erheiterung des Herzens bei einem Heißgetränk der Wahl.

Zuletzt noch eine kleine Stelle, deren Schluß es bei mir zu einer stehenden Redewendung geschafft hat:
Die beiden beobachten durch die Fenster eine örtliche Theateraufführung, verpaßten aber den Beginn und sind dementsprechend schwer in der Lage, die Handlung des Stückes und die Emotionen des Publikums einzuordnen:

Sie beugten sich weiter vor, man konnte undeutlich und durch das Fensterglas verschoben den übrigen Teil der Bühne erkennen, der eine Zimmereinrichtung mit gelber Tapete und gemalten Einrichtungsgegenständen darstellte; ein Mann in grüner Schürze hielt dort oben Zwiesprache mit einer robusten Weibsperson in den Vierzigern. Als Souffleurkasten diente ein alter Strandkorb. Sie hörten die beiden sagen:
»So, Er soll hier reinemachen (in der Tat hielt der Mann einen Besen in der Hand), und statt dessen scharwenzt Er mit den Mädels! Paß Er nur auf. Er Liederjan.« – Hier kicherte das Publikum. – »Ich werde Ihm die Suppe schon versalzen. Hier und hier und da und da!«
Das Publikum lachte: »Hoho!« und oben bekam der Mann, der bis dahin mit gutgespielter Teppenhaftigkeit den Kopf beflissen-horchend geneigt hielt, einige patschende Schläge ins Gesicht . . .
In diesem Augenblick trat ein junges Mädchen auf die Bühne, und hier nahm die Heiterkeit des Publikums einen so beängstigenden Grad an, daß die beiden unwillkürlich vom Fenster zurückfuhren.

»Der erste Akt!« seufzte er. »Uns fehlt der erste Akt!«***

Ganz zum Schluß noch einen Kommentar des Hausheiligen selbst zur Langzeitwirkung des zu seinen Lebzeiten erfolgreichsten seiner Bücher.

Wenn aber im Jahre 1985 ein neugieriger und verliebter junger Herr den Bücherschrank seiner Großmama durchstöbert, wird er von ganz hinten einen ‘auf Bütten abgezogenen und in rotes Bockleder gebundenen Band’ herausklauben, Nummer 18, vom Verfasser signiert.

»Was ist das?« wird der junge Herr fragen. Und die Großmama wild sich den Band geben lassen, ihn ganz nahe an die Augen halten und dann leise lächeln. »Das«, wird sie sagen, »hat mir mal dein Großvater selig geschenkt, als wir uns verlobten. Aber du darfst es behalten und für deine Lydia mitnehmen.«
Das tut der junge Herr. Er packt den Bocklederband mit einigen Dingen, die zu schenken in dieser Zeit schick sein wird, zusammen und sendet alles an Lydia. Und Lydia wird die schicken Dinge sehr bewundern, sich an ihnen und am zukünftigen Neid ihrer Freundinnen erfreuen und schließlich einen Blick in das Buch hineintun. Und ein bißchen darin blättern.
Weil aber die Zeit läuft und sich das, was zwischen den Zeilen eines Buches ausgedrückt ist, niemals länger als fünfzig Jahre hält und mit den Menschen, von denen es und für die es geschrieben ist, dahingeht – deshalb wird die Dame Lydia mit den Achseln zucken und sagen: »Reizend!«
Und dann wird die Geschichte mit ihr und dem jungen Herrn ihren Fortgang nehmen.

aus: Rheinsberg. in: Werke und Briefe: 1921. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 2379-2380
(vgl. Tucholsky-GW Bd. 3, S. 100-101) (c) Rowohlt Verlag

[Update 25.10.09] Peinlicherweise habe ich den Verweis auf die

lieferbaren Ausgaben

vergessen. Mea culpa. Ich suche gleich mal Asche, um sie mir aufs Haupt zu streuen.

*aus: Rheinsberg. in: Werke und Briefe: 1912. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 415f.
(vgl. Tucholsky-GW Bd. 1, S. 51-52) (c) Rowohlt Verlag
**aus: Rheinsberg. in: Werke und Briefe: 1912. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 426-427
(vgl. Tucholsky-GW Bd. 1, S. 57) (c) Rowohlt Verlag
***aus: Rheinsberg. in: Werke und Briefe: 1912. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 430
(vgl. Tucholsky-GW Bd. 1, S. 58-59) (c) Rowohlt Verlag

P.S.: Einen habe ich noch, der vielleicht verdeutlicht, welche Rolle “Rheinsberg” für Tucholsky selbst in seinem späteren Leben spielte. Ein Blick aus dem Jahre 1931:

Rheinsberg

(»Zum hundertsten Tausend«)

Natürlich kommt das nie mehr wieder.
Allein: es war einmal.
Ich war ein Star und pfiff die bunten Lieder;
ich war Johann, der muntre Seifensieder –
und Claire war real.

Das ist schon lange her.
Und heute -?
Jetzt sind die andern dran.
Nach unsrer Sprache plaudern Liebesleute,
Zahntechniker und ihre jungen Bräute . . .
Das hört sich also an:

»Du sock nisch imme nach die annern Mättschen blickn!
Isch eiffesüschtisch, olle Bums-Roué!
Du imme mit die kleinen Dickn!
Nu isch ins Bett bigehn bimickn,
weil müdischlisch biwé!«

So liebt euch denn (in allen Ehren)!
Die Liebe währet ewiglich.
Und folgt ihr dieses Büchleins Lehren
und küßt ihr euch, ihr Wölfchen und ihr Clairen -:

dann denkt an mich.

in: Werke und Briefe: 1931. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 8168-8169
(vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 95) (c) Rowohlt Verlag
http://www.digitale-bibliothek.de/band15.htm

Hans Wolfshaut auf der Jagd

In der mir eigenen Verspätung greife ich ein Thema auf, das Blogosphäre und angrenzende Universen in den letzten Tage stark bewegte.

Zu den Firmen, die ihre Anwälte Geld mit Abmahnungen verdienen lassen, gehört auch der Funktionskleidungshersteller Jack Wolfskin.

Die Anfänge der Firma liegen einige Jahre zurück, 1981 gestartet in einem sich gerade formierenden Outdoor-Markt, der zu dieser Zeit noch den Charme der Aussteiger und Alternativen atmete.
Dies dürfte auch einer der Gründe gewesen sein, warum die taz in ihren Gründungsjahren großzügig über die Verwendung eines ihrer tazze sehr ähnlich sehenden Logos hinweg sah.
Zudem dürfte zu vermuten sein, daß die damalige taz-Generation die Registrierung ihres Logos als Marke aus ideologischen Gründen abgelehnt hätte. Was sich Jahre später als Fehler herausstellte. Aus der kleinen Firma, die für eine Alternativszene funktionelle Jacken, Schuhe und Rucksäcke produzierte (und durchaus ähnliche Zielgruppen bediente, es gab Ende der achtziger Jahre sogar Kooperationen), war ein Schwergewicht in einem großen Markt für Funktionskleidung geworden. Es gehört ins Reich der Spekulation, ob sich Jack Wolfskin anders verhalten hätte, hätte der Firmengründer nicht verkauft, aber 1995, als man bereits der US-amerikanischen Firma Johnson Outdoors gehörte, strengte Jack Wolfskin eine Klage gegen die taz an, wegen widerrechtlicher Verwendung ihres seit 1982 geschützten Logos.

2002 verlor die taz den ersten Prozeß, verwendete daraufhin die tazze nur noch in Verbindung mit einem Schriftzug, was ihr nach einem Urteil im Jahre 2007 für alle Produkte, die Jack Wolfskins Kernsegment berühren könnten, ebenfalls untersagt wurde.
Da gehörte die Firma allerdings schon lange zum Operationsgebiet der Private-Equity-Gesellschaften. Moralische Skrupel dürfen wir dort also auch nicht mehr erwarten, wo es per definitionem ja ausschließlich um Gewinnmaximierung geht (wogegen ich nichts sagen will, es ist ein mögliches Geschäftsmodell, es kennt aber eben keine anderen Grenzen als juristische, Argumente, die auf Anstand oder moralische Integrität zielen, vollkommen wirkungslos macht).
Und so überrascht es nicht, daß seit einiger Zeit nun die Outdoor-Firma ihr Operationsgebiet in Sachen Durchsetzung ihres Markenanspruches erweitert hat. In endlosen Abmahnwellen wird inzwischen wohl alles abgemahnt, was Pfoten hat. Unabhängig davon, von welchen Tieren die stammen.
Wirklich Aufsehen erregte das alles aber erst, als tatsächlich Mitglieder einer Strick- und Häkelcommunity abgemahnt wurden. Die ganze Geschichte dazu hier.

Für mich persönlich ist Jack Wolfskin ja bereits seit der taz-Geschichte gestorben, weil ich eine Firma, die derart unkollegial, um es mal vorsichtig zu formulieren, vorgeht, nicht unterstützen möchte. Es bleibt abzuwarten, ob das Gebahren dieser Firma nun so viele vom weiteren Kauf abhält, daß man auf den sicher einträglichen Geschäftszweig der Abmahnungen verzichtet. Bisher deutet jedoch nichts darauf hin, wie Johnny Häusler auf Spreeblick noch einmal verdeutlicht.

Unabhängig von dieser ganzen Geschichte finde ich es aber höchst bedenklich, daß es möglich ist, eine nur minimal stilisierte Pfote derart als Marke zu schützen, daß jeder Abdruck jeder beliebigen Tierpfote illegal wird. Falls noch jemand praktische Beispiele zur Verdeutlichung der Problematik der DNA-Patentierung brauchte, hier hat er eins. Es bedarf nur wenig Phantasie, sich auszumalen, was passiert, wenn wir hier nicht nur über aufgenähte Katzenpfotenabdrücke reden.

Peinlich wird übrigens Verhalten wie das hier von Jack Wolfskin,die sich weigerten, Angaben über die Abreitsbedingungen in ihren Produktionsstätten zu machen (aber selbstverständlich nur hochwertig hergestellte Produkte verkaufen), geschilderte, wenn gleichzeitig so getan wird, als sei man geradezu eine moralische Anstalt, die nichts sehnlicher wünscht, als ihren Profit für den Fortschritt der Gesellschaft einzusetzen (dafür sind Private-Equity-Gesellschaften ja auch berühmt).

Und genau dazu kommentiert heute der Hausheilige:

Man verstehe nicht falsch. Die unbeabsichtigten kulturellen Wirkungen eines großen Handels wird niemand leugnen, aber es ist nicht wahr, daß der Kaufmann auch nur im Traum daran denkt, Kultur oder auch nur Zivilisation zu verbreiten. Verdienen will er – und widerlich ist nur, daß er’s nicht sagt.

aus: Kunst und Kaufmann. in: Werke und Briefe: 1913. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 9131 (vgl. Tucholsky-DT, S. 59) (c) Rowohlt Verlag http://www.digitale-bibliothek.de/band15.htm

Verschwindende Künste (1)

Heute: Alben hören.

Im Laufe der Zeit gehen viele Kulturtechniken verloren, weil sie aufgrund des technologischen Fortschrittes nicht mehr benötigt werden. Besonders deutlich zeigt sich das im Verschwinden von Berufen. Nun, im Zeitalter des DTP mag es nicht mehr notwendig sein, Schriftsetzer zu haben, auch Kettenhemden werden heute nur noch in Spezialfällen benötigt (dann aber dringend…).
Aber es zeigt sich auch außerhalb des Berufslebens immer wieder ein deutlicher Wandel.
Beispielsweise das Schreiben privater Briefe. Und ich meine hier durchaus das Schreiben auf zellstoffbasiertem Material. Denn die digitalen Kommunikationsmedien haben längst ihre eigenen Regeln, ihre eigene Sprache, ihren eigenen Stil entwickelt (*lol* oder 😉 in einem handgeschriebenen Brief wäre einfach unpassend).
Eine email hat einen anderen Tonfall als ein Brief (eine hübsche Zusammenstellung der Dinge, die die jüngste technologische Revolution an den Rand des Verschwindens bringt, hat übrigens Herm während seiner Urlaubsvertretung auf Herrn Niggemeiers Blog angefertigt.)
Doch um die Kunst des Briefeschreibens, derer ich auch allmählich verlustig gehe, wie ich jüngst anläßlich eines Versuches feststellen mußte, soll es mir heute nicht gehen.
Mir soll es heute um die Kunst des Musikalbenhörens gehen.
Untersuchungen zum Leseverhalten haben ergeben, daß hierzulande zwar immer mehr gelesen wird, jedoch immer weniger zu Ende. Mir scheint das symptomatisch. Denn es handelt sich hier um eine Rückwirkung der veränderten Mediennutzung. Computerbildschirme laden eher zum Erfassen kürzerer Texte ein. Und ähnliches scheint mir in der Nutzung und Wahrnehmung von Musik vor sich zu gehen. Die unglaublichen Möglichkeiten, die ein Format wie mp3 zusammen mit den nicht weniger unfaßbaren Möglichkeiten mobiler Geräte (erinnert sich noch irgendjemand daran, daß es gerade mal 20 Jahre her ist, daß ein Festnetztelefon mit Wählscheibe nicht nur nicht selbstverständlich sondern sogar Inhalt von Sehnsüchten war?) schaffen ein veränderte Nutzungsgewohnheiten, die weder tragbare CD-Player noch der Walkman je hätten erreichen können. Man kann heutzutage ganze CD-Schränke in einem bestenfalls handtellergroßen Wunderding mit sich herumtragen (wenn man auf die Möglichkeiten des Surfens, Spielens, Fotografierens, achja und natürlich Telefonierens verzichtet, sind wir schon nur noch im Fingerbereich) und die gespielte Musik jederzeit nach Gusto verändern. Jeder sein eigener DJ. Und dem Bedürfnis, unterwegs Musik zu hören, ist das vollkommen angemessen. Denn jederzeit sind Situationen denkbar, in denen man ausschalten muß oder sich geneigt fühlt, andere Musik zu hören (Idioten im Straßenverkehr, Trottel aufm Fußweg, Wetterwechel – oder das schlichte Erreichen des Zieles).
Auch die absurde Jagd diverser Radiostationen nach dem möglichst besten Mix (der Sechziger, Siebziger, Achtziger und so weiter) paßt sich diesem Bedürfnis an.
Wir nehmen also heute allerorten und jederzeit Musik wahr. Bunt gemischt, je nach Lust und Laune. Niemand brauche mehr ganze Alben las ich jüngst in einem Kommentar zur Urheberrechtsdebatte (leider finde ich den Kommentar nicht mehr). Und das könnte stimmen. Weder physisch (ich kenne noch das ehrfürchtige Gefühl, die erste eigene Platte in die Hand zu nehmen und aufzulegen – meine Kinder werden den Spruch “Leg mal eine andere Platte auf.” überhaupt nicht mehr erfassen können) noch psychisch besteht möglicherweise noch Bedarf. Denn ein Album zu hören braucht Zeit, Ruhe und eine Athmosphäre, die ein Einlassen ganz auf die Musik (und eben nur diese) erfordert. Und ich fände es überaus schade, sollte uns tatsächlich diese Fähigkeit abhanden kommen. Denn es hat etwas entschleunigendes. Ein Innehalten, ein Pausieren von der Hektik unseres Alltags. Keine Prokrastination, kein Ablenken, kein Nebenherhören. Es ist Genießen.
Es ist Versinken in einer anderen Welt, es ist ganz Aufnehmen, es ist bis ins Innerste spüren.

Ein Album, das diesen Titel auch verdient, denn es gab und gibt heute erst Recht, da Künstler ja auch verkaufen müssen und mithin die Bedürfnisse des Publikums nicht ignorieren können, auch simpel zusammgestellte Kompilationen, ist eine Einladung an den Hörenden, auf eine Reise zu gehen. Und es lohnt sich, eine solche Reise mitzumachen.

Wir sollten darauf achten, uns das zu erhalten. Schon allein, weil es Musik gibt, die es verdient, ganz und gar gehört zu werden. Manchmal erfordert sie es sogar – doch mit welchem Gewinn für den Hörenden!

Das Verhältnis des Hausheiligen zur Musik darf getrost als ambivalent bezeichnet werden, wobei sich seine Ablehnung nicht selten eher auf Rezipienten und so manche Musizierende bezieht, als auf die Musik selbst.

Ich bin unmusikalisch. Wenn ich es sage, antworten die Leute mit einem frohen Gefühl der Überlegenheit: »Aber nein – das ist ja nicht möglich! Sie verstehen gewiß sehr viel von Musik . . . « und freuen sich. Es ist aber doch so. Musik läßt mich aufhorchen; wenn ich sie höre, habe ich ein Bündel blödsinniger Assoziationen – und dann verliere ich mich im Gewirr der Töne, finde mich nicht mehr heraus . . . Und um rat- und hilflos zu sein, dazu brauche ich schließlich nicht erst in eine Oper zu gehen.

aus: Die Musikalischen. in: Werke und Briefe: 1926. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 4617 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 4, S. 529) (c) Rowohlt Verlag http://www.digitale-bibliothek.de/band15.htm

Außerdem sehr lesenswert zur Frage der globalen Massenkultur in der Musik: Lyrik der Antennen.

UPDATE (05.11.2009): Bei Spreeblick gibt es einen höchst interessanten Beitrag samt ebenso beschaffener Diskussion zur Zukunft von Musikalben.

Tirade, nicht ganz ohne Sympathie

Blair und Schröder, New Labour und Neue Mitte – es ist nicht lange her, da waren sie Heroen der europäischen Sozialdemokratie. Sie erzielten Wahlergebnisse, von denen Labour und SPD heute nur noch träumen können. Und doch – gerade das Modell der “Neuen Mitte” (das man getrost als Kopie von “New Labour”) ansehen darf, ist es, das den momentanen Selbstversenkungskurs wesentlich mitverursacht hat.

Die erste Bundestagswahl, bei der ich abstimmen durfte, war die von 1998. Seitdem sind 11 Jahre SPD-Regierungszeit vorbei. Was aber hat die SPD in dieser Zeit getan? Wie hat sie für die “soziale Gerechtigkeit” gewirkt, für die sie doch stehen will? Was hat sie für ihre angestammte Klientel getan, für die Arbeiter, für die kleinen Angestellten? Wie hat sie Großkonzernen entgegengewirkt, die Rechte der Bürger gestärkt oder ist für den Frieden eingetreten?

Hier mal eine Bilanz:

(man beachte die leicht angespannte Reaktion im Publikum ;))

Hartz IV, Rente ab 67, Deregulierung des Finanzmarktes, BKA-Gesetz, völkerrechtswidriger Krieg im Kosovo, usw. – Und die Genossen wundern sich wirklich, daß sie keiner wählt? Daß ihnen kaum jemand glaubt, mit den Tigerenten könne es noch schlimmer werden? Halten die die Wähler wirklich für so grenzdebil, daß sie ihnen die Warnung vor Steuererhöhungen abkaufen, nachdem sie grade mal vier Jahre zuvor aus “Keine Mehrwersteuererhöhung” locker-flockige 3% (von denen Frau Merkel immerhin ja 2/3 angekündigt hatte) gemacht haben? Glauben sie wirklich, daß der Architekt der Agenda 2010, also die Agenda, die dazu geführt hat, daß die Sozialdemokraten 11 Jahre lang Politik gegen ihre eigene Klientel gemacht hat, der richtige war und immer noch IST?

Aber eigentlich führt diese Frage am Kern vorbei. Ja, die SPD hat ein Personalproblem (Hierzu hat übrigens Herr Kaliban eine nette Idee). Aber das scheint mir nur Symptom zu sein. Wie gesagt, meine erste Wahl war 1998 – es gibt aber junge Menschen, die durften in diesem Jahr das erste Mal wählen, deren erlebtes Bild von der SPD besteht also nur aus dieser Regierungszeit. Welchen Grund sollten die haben, ihr Kreuz bei der SPD zu machen?
Wir erleben momentan den Aufstieg von reinen Klientelparteien und das mehr oder weniger langsame Dahinsiechen der ehemaligen Volksparteien (denn wir wollen mal nicht vergessen, auch die CDU hatte nur 1949 ein schlechteres Wahlergebnis).
Und gerade die SPD sollte allmählich mal auf die Idee kommen, daß es so nicht weitergehen kann. Daß es mit den üblichen Ritualen nicht getan sein kann, daß ein derart dramatisches Wegbrechen von Millionen Wählerstimmen keine übliche Wahlniederlage nach langer Regierungszeit ist. Daß es hier um die nackte Existenz geht und darum, die Zukunft nicht einem konservativen, neoliberalen Block zu überlassen und sich links davon nur noch gegenseitig zu zerfleischen. Das hat noch nie funktioniert und es wird auch dieses Mal nicht funktionieren.
Ist den Genossen denn wirklich nicht klar, daß das Erstarken der “Linken” (btw: Was ist das für ein Name? “Wir wissen nicht so recht, wofür für sind und was wir wollen, aber wir sitzen im Parlament immer links vom Präsidenten.” Wahrscheinlich waren die Sieger beim Contest: “Wie inhaltsleer hätten sie ihren Parteinamen denn gern?”) klar und deutlich Ergebnis ihrer eigenen Sozialpolitik ist? Daß selbst Gewerkschafter vor der Wahl das Wort “sozialdemokratisch” nicht mehr über die Lippen bekommen, gibt ihnen das wirklich nicht zu denken?
Die deutsche Sozialdemokratie hat auf alte Allianzen, ja auf alte Werte verzichtet und sich auf das Gebiet der wankelmütigen Mitte begeben. Dahin, wo sie alle sind, dahin, wo die Leute wirklich nach Tageslaune entscheiden, wen sie wählen. Und die die SPD fallen ließen wie eine heiße Kartoffel, als ihnen andere Alternativen wieder ein wenig passender erschienen (jetzt, wo es offenbar Sehnsucht nach einer Politik der Wirtschaftsinteressen gibt, wählt man doch lieber das Original). Und da reden wir noch gar nicht von solchen groben handwerklichen Fehlern wie dem, sich in der Großen Koalition ausgerechnet die Ministerposten zu sichern (die haben da ja wirklich drum gekämpft), mit denen aber mal gar kein Blumentopf zu gewinnen ist.
Kurz:
Es wäre Zeit, reinen Tisch zu machen. Eine gründliche Analyse wenigstens der letzten Jahre (ich werde da wirklich nicht fertig drüber: Die haben ihr Wahlergebnis in 11 Jahren fast halbiert! Was muß denn noch passieren?), ein grundlegendes Umdenken, ein Anerkennen der Realitäten (vielleicht hilft ja auch eine Auszeit?). Irgendetwas Zukunftsweisendes.
Und was machen die? Jammern, Schmollen und Klüngeln.
Allerdings ist das ein Punkt, den die SPD noch nie verstanden hat. Immer wurden sie verraten, von den Unabhängigen, von der WASG, von den Gewerkschaften und natürlich von den Kommunisten. Und vor allen Dingen von den Wählern. Sind die doch einfach zu Hause geblieben?
Nein, liebe Genossinnen und Genossen – andersrum wird ein Schuh draus. Springt über euren Schatten und hört mal auf die wenigen jungen Leute, die euch noch verblieben sind. Legt euch ein Profil zu, das was aussagt, legt euch wieder Inhalte zu, die was bedeuten.

Es wäre schade drum.

Und zum Abschluß noch ein Kommentar des Hausheiligen (dessen Werk an Kommentaren zur SPD nicht arm ist):

Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem 1. August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleinern Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas –: vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahingegangen,
wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen.

aus: Schnipsel. in: Werke und Briefe: 1932. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 8947
(vgl. Tucholsky-GW Bd. 10, S. 107-108) (c) Rowohlt Verlag
http://www.digitale-bibliothek.de/band15.htm

Nach den Wahlen

Den Kommentar zur heutigen Wahl hält der Hausheilige dieses Blogs, Dr. jur. Kurt Tucholsky:

Nach den Wahlen

Jetzt ist die wile Zeit vorüber,
nun hat die liebe Seele Ruh – –
des Bürgers Blick wird wieder trüber,
ihm fallen beide Augen zu.

Im Wahlkampf blusen die Trompeten
mit Pflichtgefühl und viel Getös –
Attacken selten, meist Retraiten –
er meint es nämlich nicht so bös.

Den Braven schüttelt ein Gehust,
er kann nicht mehr, er ist so matt;
schon fehlt es an der nötigen Puste,
weil er sich überanstrengt hat.

Wir wollen ihn ins Bettchen stecken.
Er schläft und die Regierung wacht…
So laßt ihn ruhen. Nur nicht wecken! –
Wir wünschen ihm ´ne
Gute Nacht!

in: Kurt Tucholsky. Gesamtausgabe Texte und Briefe, Bd. 1 (Texte 1907-1913), Reinbek 1997, S. 32. zuerst veröffentlicht im “Vorwärts” am 26.1.1912

Jack Sparrow for President (2)

In dem Vierteljahr, das seit meinem ersten Beitrag zur Piratenpartei vergangen ist, hat sich einiges getan.
Die Piraten bekamen und bekommen unglaubliche Zuwächse, die Mitgliederzahl hat die 7000 überschritten und ein Ende ist nicht abzusehen.
Bei einer solch rasanten Entwicklung sind Verwerfungen geradezu vorprogrammiert. Der jüngste Aufreger, das Interview des stellvertretenden Vorsitzenden Andreas Popp mit der “Jungen Freiheit”, war ein Anlaß, der einige noch einmal neu über die Piraten nachdenken ließ. Auch für mich. Gerade dieses Interview hat mich sehr irritiert. Und zwar nicht, weil ich die Argumente für ein solches Interview nicht nachvollziehen könnte (auch wenn ich sie nicht teile) oder weil mich das Politikverständnis der Piraten grundsätzlich irritiert, sondern weil sie hier nach ihren eigenen Maßstäben versagt haben.
Es ist ja nicht so, wie dies in den ersten Rechtfertigungsversuchen dargestellt wurde, daß man sich hier bewußt für ein Interview mit einer, nun ja, mindestens doch problematischen Zeitung entschieden habe. Daß Argumente dafür und dagegen erwogen wurden und dann eine Entscheidung fiel. Nein, man hat sich schlicht überhaupt nicht informiert. Für eine Partei, die sich so sehr das “Selbst-Denken”, das “Selbst-Informieren”, die freie Verfügbarkeit von Information auf die Fahnen geschrieben hat, ist das nicht nur blamabel. Das ist erschreckend. Denn gerade die Tatsache, daß jeder im Netz alles schreiben kann, bringt den Benutzer in eine hohe Verantwortung. Er muß die gefundenen Informationen selbst überprüfen. Das bedeutet doch aber, das die Informationsbeschaffung und Überprüfung zum Alltag gehören sollte, oder? Eine Szene, die behauptet, der Journalismus sei am Ende, weil die Redakteure es ja noch nicht einmal hinbekämen, Namen zu googeln, um zumindest ein Minimum an Überprüfung zu gewährleisten (Stichwort: Guttenberg), sollte doch wohl ein Problem damit haben, wenn einer ihrer politischen Protagonisten es nicht einmal schafft, den Namen einer Zeitung, die ihn interviewen will und die er nicht kennt, in ein Suchfenster einzugeben. Und das ist kein kleiner Schönheitsfehler. Das ist ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Denn Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Denn Freiheit ist nicht einfach. Das ist auch der Grund, warum “unfreie” Systeme lange existieren, bzw. sich immer wieder herstellen. Weil Freiheit eben Arbeit bedeutet. Nicht jeder aber will diese Arbeit leisten. Nicht jeder will immer alles abwägen, überprüfen, bedenken. und nicht jeder ist dazu ohne weiteres in der Lage (auch bei den Anhängern der Piraten. Ich empfehle hier mal die Kommentare bei Frau Seeligers Artikeln. Auseinandersetzung mit Gegenargumenten sieht anders aus).
Und wenn selbst die Protagonisten der im Prinzip ja wünschenswerten Informationsfreiheit im Netz sich außer Stande sehen, die notwendige Arbeit zu erbringen – wie wollen wir dann argumentativ dafür arbeiten? Wie wollen wir den Argumenten entgegen treten, daß die Menschen eben vor schlimmen Dingen zu beschützen sind?

So weit dazu.
Alles in allem aber hat den Beitrag, den ich schreiben wollte, bereits jemand anderes geschrieben. Auf diesen verweise ich hiermit dringend.

So bleibt mir zum Schluß nur, den Hausheiligen noch einmal zu zitieren:

Deutschland! hast du eine Lammsgeduld!
Läßt dir heute nach diesem allen
Frechheit von Metzgergesellen gefallen?
Lern ihre eiserne Energie!
Die vergessen nie.
Die setzen ihren verdammten Willen
durch – im lauten und im stillen
Kampf, und sie denken nur an sich.
Deutschland! wach auf und besinne dich!

Nur einen Feind hast du deines Geschlechts!
Der Feind steht rechts!

[aus: Preußische Presse. in: Werke und Briefe: 1919, S. 231-232. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 1341-1342 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 2, S. 109) (c) Rowohlt Verlag]

Trostlose Landschaft

Angeregt durch Herrn Kaliban, habe ich meine in letzter Zeit gepflegte Ignoranz den Wahlplakaten gegenüber aufgegeben und sie mir im Zuger der übermorgen stattfindenden Landtagswahl genauer angesehen.
Und ich muß sagen: Dieser Schritt hat sich nicht gelohnt. Die Wahlplakate sind ein Graus.

Ich möchte hier einfach mal vorstellen, was mir auf meinem täglichen Weg von und zur Arbeit so begegnete. Vielleicht hatte ich ja Pech mit meinem Arbeitsweg – ich weiß es nicht.
Das Ergebnis ist wirklich erschütternd. Und zwar in jeder Hinsicht.

Nunja, lassen wir die Show samt vollkommen subjektiver Anmerkungen beginnen:

Hier sehen wir, wie ganz gekonnt landespolitische Themen behandelt werden. *kopfschüttel*
Andererseits ist natürlich der lobenswerte, weil ressourcenschonende Ansatz zu loben, bei jeder Wahl dasselbe zu hängen. Wenn man eh imer nur dasselbe zu sagen hat, braucht es natürlich auch keinen krampfhaften Versuch, das jedes Mal anders darzustellen. Insofern…

Als ich dieses Plakat zum ersten Mal von Ferne sah, hielt ich es für Werbung eines dieser schrecklichen Guten-Morgen-Gute-Laune-Aufstehen-mit-Lächeln-im-Gesicht-Radioprogramme.
Erst aus der Nähe erkannte ich die tatsächliche Funktion. Wer hat eigentlich diesen Unsinn mit den “Freien Wählern” in die Welt gesetzt? Freie Wähler sind schließlich alle. Die gemeinte Unabhängigkeit zielt doch auf die Kandidaten, nicht die Wähler. Ein Alleinstellungsmerkmal der Allianz ist das also wohl kaum…

Hier sehen wir ein ganz typisches Beispiel für die Wahlkämpfe der letzten Zeit: Es soll alles anders werden. Wie, ist schnuppe, Hauptsache anders.

Ich sehe ja ein, das Wortspiel war naheliegend und ist auch nicht schlecht – aber Form und Inhalt stimmen einfach nicht. Biss? Entscheidend ist nicht, Zähne abzubilden. Entscheidend ist, wie dies geschieht. Und einen besonders zupackenden Eindruck macht dieses Gebiß nicht. Zumindest nicht auf mich.

Zu welch später Stunde und in welcher dunklen Kaschemme wurde denn dieses Plakat genehmigt? “Die SachsenMacher”? Wenn die CDU dies nicht als Darstellung zeugungsfreudiger junger Männer gemeint hat (wovon ich ausgehe), sondern eher auf die Schröder-Qualitäten ihres Personals (oder doch des sächsischen Handwerks?) verweisen wollte, wäre eine andere Formulierung empfehlenswert gewesen. Plakate, die man erst begreift, wenn man lange drüber nachdenkt, sind schlechte Plakate. 😉

Ja, und wenn mir gar nichts mehr einfällt, dann klaue ich eben beim ADAC und der Verkehrspolizei. Was soll das? Hatten sie noch Budget übrig? Das erfüllt ja nicht mal einen Nutzen. Denn, wer dieses Plakat lesen kann, ist doch schon längst in den Laternenpfahl gerauscht, an dem es hängt.*

Ja, stimmt, es wird nach 20 Jahren Regierung wirklich mal Zeit, liebe Union. ???

Immerhin, das beste Portrait, das ich gesehen habe. Hier besteht wirklich die Möglichkeit, eine Person zu entdecken. Und nicht nur ein Abziehbild mit Schlagersängergrinsen. Aber auch hier: Sachsen grüner machen. Ja, nun…

Wir auch:

Kindchenschema und Familie. Würden die Plakate über- oder nebeneinander hängen, käme vielleicht der flüchtige Betrachter auf die Idee, daß die beiden nicht unbedingt dasselbe meinen. Tun sie aber nicht…
Btw: Das Plakat liest sich übrigens sehr gut als: “Wegen Dir müssen wir jetzt FDP wählen…”

Und weil ich grad dabei bin:

Es soll Leute geben, für die stellt sich die Frage, ob sich Arbeit lohnt, vollkommen unabhängig vom Steuersatz. Da sind ganz andere Sätze interessant. Aber zum Glück macht die FDP ja keine Klientelpolitik… 😉

Bilder Upload

Als ob es die SPD nicht schon schwer genug hätte. Jetzt klauen die Möchte-Gern-Nazis von den Republikanern ihnen auch noch die Ideen. Übrigens: Meinen die 4 Millionen Arbeitsplätze jetzt nur in Sachsen oder bleiben die Plakate gleich hängen?

Sehr puristisch. Und dafür eine zu kleine Type gewählt. Wer nur auf Text setzt, muß diesem auch Gelegenheit zur Wirkung geben.

Intelligentes Plakat, macht aber nur Sinn, wenn man in Ruhe davor stehen kann (um zum Beispiel die Anspielung auf Orwell zu bemerken). Und ob die Gestaltung ausreicht, um dies zu bewirken…

Und die Piraten noch einmal. Das Plakat finde ich gelungen, habe dann aber doch mal eine inhaltliche Anmerkung. Die Gedanken sind ohne Zweifel frei – das bedeutet aber eben auch, frei verkäuflich. Die Piraten planen da derzeit eher eine Art Enteignung
Und, damit leite ich dann gleich mal zum nächsten Beispiel über, der Farbode gerät derzeit sehr durcheinander. Ein Plakat in schwarz-orange ist also nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, von der CDU, sondern von den Piraten,

dafür wirken ein CDU- und ein SPD-Plakat übereinander wie ein rot-grünes Projekt und

schwarz-grün wirbt nur für die Union

.

Der Hintergrund für die Farbwahl ist klar, die sächsischen Landesfarben sind nunmal grün/weiß – aber ob der vorbeifahrende Autofahrer die Kombination aus dem Wahlslogan “Damit ihre Zukunft Sachsen heißt”, der grünen Signalfarbe und dem SPD-Rot tatsächlich zu “Oh, die Union ist schon eine feine Truppe, die wähle ich mal” zusammenreimt – na, ich weiß nicht.

Und weil wir schon über intelligente Plakate sprachen:

Sehr schön der Bezug auf den CDU-Slogan “Wissen, wo´s langgeht”. Zum Glück funktioniert das Plakat aber auch ohne dieses Hintergrundwissen, die CDU schreibt den ja nun nicht gerade sehr groß auf ihre Plakate. 😉

Schlußbemerkung:

Ich wollte eigentlich noch was zu den, leider, geschickt gemachten Plakaten der Nazis von der NPD schreiben, aber die waren verschwunden, als ich mit dem Fotoknips da war. Daher soll an dieser Stelle ein Link genügen: http://www.zeit.de/online/2009/36/npd-wahlkampf-strategie

Und die Plakate der Linken bestanden nur aus Veranstaltungshinweisen, wann denn die Genossen Lothar und Gregor zu sicher aufrüttelnden Reden in die Stadt kommen…

Alles in allem bleibt die Erkenntnis: Mehr als “Ich will aber der Bestimmer sein.” kommt bei den allermeisten Plakaten nicht herüber. Warum gerade die und nicht die anderen, bleibt nahezu im Dunkeln. Was natürlich damit zusammenhängen könnte, daß es auch gar keine Gründe gäbe. So weit will ich aber (noch) nicht gehen.
Ich wünschte mir jedenfalls, es würden die Plakate mit etwas mehr Gedanken gestaltet, wenigstens mit dem Versuch, eine klare Aussage zu transportieren. Und zwar eine die über “Wir sind toll, die anderen stinken.” hinausgeht. Ich bin sogar fest davon überzeugt, daß die Plakate sehr viel spannender wären, wenn tatsächlich versucht würde, Inhalte zu transportieren. Für etwas Konkretes zu werben, fördert die Kreativität nämlich viel mehr, als für etwas Diffuses, kaum zu Definierendes. Die Piraten zeigen das, das Grünenplakat zur Überwachung zeigt das und auf ihre ganz spezielle Art zeigen das auch die Fundamentalisten von der PBC.

Und zum Abschluß noch ein paar aufmunternde Worte des Hausheiligen:

Denn winsch ick Sie ooch ne vajniechte Wahl! Halten Sie die Fahne hoch! Hie alleweje! Un ick wer Sie mal wat sahrn: Uffjelöst wern wa doch . . . rejiert wern wa doch . . .
Die Wahl is der Rummelplatz des kleinen Mannes!Det sacht Ihn ein Mann, der det Lehm kennt! Jute Nacht -!

[in: Ein älterer, aber leicht besoffener Herr. Werke und Briefe: 1930, S. 478. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 7677 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 8, S. 215) (c) Rowohlt Verlag]

P.S.: Fast vergessen, die PBC kann auch Waschmittelwerbung…

… oder so ähnlich.

*Hängt wohl mit dieser Spitzenaktion zusammen: http://bit.ly/IAzV5 – ich nehme an, die Pressevertreter haben es sich nicht nehmen lassen, beim Plakatieren dabeizusein. Ist ja auch ein Ereignis. Unsinn sind die Plakate trotzdem, so, wie sie aussehen.

Velozipedäres Leiden

Radfahrer haben es nicht leicht im öffentlichen Straßenverkehr. Irgendwie stören sie alle anderen Teilnehmer nur an der ungehinderten Nutzung der Verkehrsflächen. Ich glaube sogar, schlechter angesehen sind eigentlich nur noch diese Autos mit der 25 hinten drauf.
Selbst wenn sie sich vollkommen richtig verhalten (ja, ich komme darauf noch zurück), können sie doch von Glück reden, nur mit Beschimpfungen davonzukommen.
Wers nicht glaubt, dem empfehle ich mal folgende Übungen:

Übung 1

Fahren Sie mit Ihrem Fahrrad auf der rechten Seite auf dem straßenbegleitenden Radweg. Signalisieren Sie, daß Sie nach links abzubiegen wünschen. Ordnen Sie sich nun in den fließenden Verkehr korrekt links ein, um unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs links abbiegen zu können.
Ich empfehle dabei dringend, einen Helm zu tragen. Und es vor allem nicht eilig zu haben.
Level 2: Dieselbe Übung auf einer Straße mit Straßenbahnschienen
Level 3: Nach einiger Wartezeit inmitten der Straße naht eine Straßenbahn.

Wenn man Glück hat, möchte auch ein Automobil links abbiegen. Auf einmal sind Dinge möglich…

Übung 2

Sie fahren auf einem vom Fußweg farblich und durch Markierungen getrennten, separaten Radweg. Auf diesem spazieren sehr gemütlich, aber leider verkehrsrechtswidrig, einige Fußgänger. Der Fußweg daneben ist vollkommen leer. Klingeln Sie, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und keinen Unfall zu verursachen.
Ich empfehle dabei dringend, einen Helm zu tragen. Nahkampfwaffen sind ebenfalls empfehlenswert.

Level 2: Der Radweg ist zusätzlich durch Strauch- und Baumbewuchs vom mehr als doppelt so breiten Fußweg getrennt.
Level 3: Der Radweg ist in beide Richtungen freigegeben (logisch, er ist breit genug und vom Fußweg ja durch Bewuchs getrennt…). Ihnen kommt ein Radfahrer entgegen.

Bringt man die Ruhe auf, kann man bei dieser Übung einiges über die deutsche Schimpfkultur lernen. Besonders wenn man nebenbei erwähnt, daß man sich vollkommen im Recht befindet. Macht viel Freude.

Übung 3

Sie fahren auf einer innerstädtischen Straße. Hinter Ihnen fährt ein Auto. Vor Ihnen laufen Fußgänger, durchaus nicht in der Absicht, diese zu überqueren, sondern sie als Fußweg nutzend. Klingeln Sie.
Level 2: Hinter Ihnen fährt kein Auto.

Ich empfehle dabei dringend, die Tastensperre am Mobiltelefon ausgeschaltet zu haben. Um einen Notruf zu senden, wird keine Zeit sein, diese noch zu deaktivieren. 😉

Wünscht jemand Übungsadressen, ich teile gerne welche mit. 😉

Kurz: Wo auch immer der Radfahrer sich aufhält, jeder andere Verkehrsteilnehmer fühlt sich durch ihn belästigt. Und natürlich ist der Radfahrer immer Schuld, an allem. Egal, ob er sich nun korrekt verhält oder nicht. Eine Einbahnstraße ist für Radfahrer in Gegenrichtung freigegeben? Pech gehabt, mehr als ein paar Lackkratzer gibt das nicht. Das ist ein Radweg? Who cares? Müssense eben ma bremsen. Frechheit.

Es wäre allerdings äußerst unausgewogen, nicht zu erwähnen, daß es einen eklatant hohen Anteil von Radfahrern gibt, die sich um rein gar nichts scheren.
Es gibt diese Idioten, die meinen, sie können problemlos im Dunkeln ohne Licht fahren. Unabhängig davon, daß ich mir nicht sicher bin, ob die selbst ausreichend sehen – es geht viel mehr darum gesehen zu werden! Nur auf jemanden, der wahrgenommen wird, kann man auch reagieren. Und der Anteil unter allen Radfahrern ist erheblich.
Oder man fährt mal eben auf der falschen Straßenseite – es hat mich bereits 2 Vorderräder gekostet (und mit Nabendynamo sind die nicht mehr zum Spottpreis zu haben), daß jemand von rechts um die Ecke kam, der vorher nicht zu sehen war – weil er auf der linken Seite fuhr (und dann tatsächlich auch noch die Stirn zu haben, auf “rechts vor links” zu bestehen, ist unglaublich – man stelle sich das mal mit Autos vor).
Oder, meine erklärten Lieblinge, erwachsene Menschen, die auf Fußwegen fahren. Und einem dann erklären, man möge ja mal bitte auf die Kinder aufpassen. Das sei ja gefährlich. Ach nee? Wirklich? Ist das vielleicht der Grund, warum Radfahrer verdammt noch mal auf die Straße gehören? Wer sich das nicht zutraut, muß eben laufen. Oder den Bus nehmen.

Naja, ehe ich mich jetzt in Rage schreibe:

Alles in allem scheint mir das Hauptproblem allerdings nicht das benutzte Verkehrsmittel zu sein, sondern eher die Menschen, die es benutzen. Ich bin ganz bestimmt niemand, der Regeln allein um der Regel willen eingehalten sehen möchte. Allerdings wünschte ich mir, gelegentlich würde immer mal wieder ins Gedächntis gerufen werden, daß hinter den meisten Regeln eine Idee steckt. Und ein derart komplexes System wie der Straßenverkehr ist darauf angewiesen, daß es Dinge gibt, auf die man sich verlassen kann. Zum Beispiel, daß wir alle rechts fahren. Und es verlangt der Respekt vor den anderen Menschen, darauf Rücksicht zu nehmen. Denn man gefährdet seltenst nur sich selbst…

Soweit die staatstragenden Worte für heute.

Einen habe ich noch:
Ist es eigentlich schon schizophren, seinem Kind auf dem Kindersitz einen Helm aufzusetzen, sich selbst aber nicht? So, als wäre das Auto, das einen umfährt nur für das Kind ein Problem, man selbst aber wird durch eine unsichtbare Macht geschützt? Oder ist es einfach nur dämlich?
Und da wir gerade dabei sind: Jeder Verkehrsteilnehmer weiß, daß alle anderen Idioten sind. Also: Setzt Helme auf. Ihr habt nur diesen einen Kopf.
Aber mit vernünftigen Argumenten kommt man da wohl nicht weit. Ich meine, wenn man mit einem Fahrrad mit einer Geschwindigkeit von knapp 100km/h enge Kurven bergab fährt und Stürze regelmäßig vorkommen, sollte doch der gesunde Menschenverstand sagen: Es gibt Helme? Prima, her damit!
Weit gefehlt. Es braucht eine Regulierung. Das ist im Übrigen eines der Grundübel: Ohne Zwang setzen sich selbst die vernünftigsten Ideen nicht durch. Was mich im Übrigen an der These des vernunftbegabten Wesens zweifeln läßt. Aber das ist ein anderes Thema.

Und, was hat der Hausheilige dazu zu sagen?

Der Deutsche fährt nicht wie andere Menschen. Er fährt, um recht zu haben. Dem Polizisten gegenüber; dem Fußgänger gegenüber, der es übrigens ebenso treibt – und vor allem dem fahrenden Nachbarn gegenüber. Rücksicht nehmen? um die entscheidende Spur nachgeben? auflockern? nett sein, weil das praktischer ist? Na, das wäre ja . . .
Es gibt bereits Frageecken in den großen Zeitungen, wo im vollen Ernst Situationen aus dem Straßenleben beschrieben werden, damit nun nachher wenigstens theoretisch die einzig ›richtige Lösung gestellt‹ werden kann – man kann das in keine andere Sprache übersetzen.
Als ob es eine solche Lösung gäbe! Als ob es nicht immer, von den paar groben Fällen abgesehen, auf die weiche Nachgiebigkeit, auf die Geschicklichkeit, auf die Geistesgegenwart ankäme, eben auf das Runde, und nicht auf das Viereckige! Aber nichts davon. Mit einer Sturheit, die geradezu von einem Kasernenhof importiert erscheint, fährt Wagen gegen Wagen, weil er das ›Vorfahrtsrecht‹ hat; brüllen sich die Leute an, statt sich entgegenzukommen – sie haben ja alle so recht!
Als Oberster kommt dann der Polizeimann dazu, und vor dem haben sie alle unrecht.
[in: Der Verkehr. Werke und Briefe: 1929, S. 694. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 7181 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 7, S. 307) (c) Rowohlt Verlag]

*grmpf* Na, wenn er meint…

Ein Krieg ist ein Krieg ist ein Krieg ist ein Krieg

“Nenn die Dinge immer beim richtigen Namen. Die Angst vor einem Namen steigert nur die Angst vor der Sache selbst.”*
“Krieg [ahd. “Hartnäckigkeit”], organisierter, mit Waffengewalt ausgetragener Machtkonflikt zwischen Völkerrechtssubjekten oder zwischen Bevölkerungsgruppen (Bürgerkrieg) zur gewaltsamen Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher, ideologischer oder miliutärischer Interessen.”**
“Wir machen einen Stabilisierungseinsatz und keinen Krieg”***

Ich habe lange überlegt, wie ich dieses Thema angehe. Habe mehrere Entwürfe geschrieben, die letztlich aber alle in einen derart mäandernden Wust ausarteten, daß selbst bei einem Blog mit meinem Header eine Publikation nicht zumutbar erschien. Stattdessen lasse ich einmal Bildern und freundlicher Musik den Vortritt.

Es gibt verschiedene Aspekte, warum mir vollkommen klar ist, warum Herr Jung sich standhaft weigert, den Afghanistan-Einsatz als das zu bezeichnen, was er ist. Es widert mich nur an, wenn er gleichzeitig Respekt für die Soldaten vor Ort fordert. Respekt, den zu zollen er selbst nicht bereit ist – sonst würde er ihnen zubilligen, was sie dort erleben: Krieg. Diese ganzen gräßlichen Euphemismen sprechen allem Hohn, was dort geschieht. Es geht dort (inzwischen?) um nichts anderes mehr als: Töten und/oder getötet werden.
Aber darum geht es mir nicht wirklich, denn wie gesagt, mir ist vollkommen klar, warum er in seiner Position sich außer Stande sieht, irgend etwas anderes zu sagen.
Für eine Gesellschaft, wie im Übrigen auch für jeden Einzelnen, ist es aber schwierig, wenn Probleme nicht korrekt thematisiert werden. Man kann eine Lösung immer nur dann finden, wenn die zu lösenden Probleme beim Namen genannt werden. Macht man sich schon bei der Analyse etwas vor, kann man sich den ganzen Aufwand auch sparen, man wird eine wirksame Lösung nur per Zufall finden. Dann aber braucht es auch gar keine Analyse. Dann kann man auch von vornherein auf Trial-and-Error setzen.
Also: Auch wenn es Automechaniker geben mag, die das anders handhaben (und über diese erregen sich die Betroffenen ja auch trefflich), wenn an einem Auto etwas nicht stimmt, dann schaut der Problemlöser doch erst einmal genau nach, wo das Problem eigentlich liegt und entscheidet dann, welche Lösungsstrategie passend ist. Und nur so kann es gehen.

Übrigens kann man das bei Frau Rowling, die ich eingangs zitierte, sehr gut lernen. Die Verdummungsstrategien, die Weigerung der öffentlichen Stellen, herannahendes Unheil zu benennen und anzugehen, stattdessen die beginnenden Probleme zu leugnen – und die Folgen, die solches Verhalten zeitigen kann, das führt sie wunderbar vor.

Und zum Schluß noch ein nicht zimperlicher Kommentar des Hausheiligen, der für die folgenden klaren Worte mächtig Ärger bekommen hat. Sie sind aber nichts anderes als die Demaskierung aller Euphemismen, mit denen Soldaten mythisiert werden. Was den Menschen, die Soldat waren, nicht im mindesten hilft:

Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder. Es ist ungemein bezeichnend, daß sich neulich ein sicherlich anständig empfindender protestantischer Geistlicher gegen den Vorwurf gewehrt hat, die Soldaten Mörder genannt zu haben, denn in seinen Kreisen gilt das als Vorwurf. Und die Hetze gegen den Professor Gumbel fußt darauf, daß er einmal die Abdeckerei des Krieges »das Feld der Unehre« genannt hat. Ich weiß nicht, ob die randalierenden Studenten in Heidelberg lesen können. Wenn ja: vielleicht bemühen sie sich einmal in eine ihrer Bibliotheken und schlagen dort jene Exhortatio Benedikts XV. nach, der den Krieg »ein entehrendes Gemetzel« genannt hat und das mitten im Kriege! Die Exhortatio ist in dieser Nummer nachzulesen.

aus: Der bewachte Kriegsschauplatz. in: Werke und Briefe: 1931, S. 553. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8532f. (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 253-254) (c) Rowohlt Verlag

Damit das Zitat auch stimmt, hier der Link zur Exhortatio. Allerdings wurde hier “orrenda carneficina” (etwa: “grauenhaftes Abschlachten”) etwas mildernd als “entsetzliches Blutbad” übersetzt. Wer des Italienischen mächtig ist, findet hier den italienischen Originaltext.

* aus: Rowling, Joanne K.: Harry Potter und der Stein der Weisen. Hamburg 1998, S. 323
** Der Brockhaus in 15 Bänden. Bd. 8 Koo-Lz. Leipzig, Mannheim. 1998
*** Verteidigungsminister Jung am 22.07.2009 zum Beginn der Offensive in Nordafghanistan

Ein Mißverständnis

Armeen haben es in einer offenen Gesellschaft nicht leicht. Strukturell völlig anders konzipiert, wirken sie nicht selten fremd, irgendwie anders.
Offene Gesellschaften neigen dazu, Konflikte eher nicht eskalieren zu lassen, sondern sie entweder im Konsens zu lösen oder zumindest einen modus vivendi zu finden.
Armeen jedoch, das liegt in der Natur der Sache, treten erst wirklich in Aktion, wenn ein Konflikt eskaliert. Das macht die Sache nicht einfacher.
Nun hat der Beauftragte für die Bundeswehr sich über mangelnde Unterstützung für die hiesige Armee in der Bevölkerung beklagt und behauptet, “die Intellektuellen” hätten sich so gut wie nie mit der Bundeswehr beschäftigt.
Wie sehr viele Pauschalurteile ist auch dieses nahe am Unsinn. Wer einen Satz äußert wie: “Zum Beispiel die ganze intellektuelle Welt. Sie hat sich in den 60 Jahren Bundesrepublik so gut wie gar nicht um die Bundeswehr gekümmert.” sollte sich fragen lassen, inwieweit er sich eigentlich in den letzten 60 Jahren um die intellektuelle Welt gekümmert hat. Für den Anfang möge er sich eine Liste mit Dissertationen zur Bundeswehr schicken lassen, anschließend empfehle ich den Besuch eines Zeitungsarchivs und zum Schluß kann er dann noch bei all den Bundeswehrangehörigen vorbeischauen, die auf Armeekosten studieren (oder sind das dann keine Intellektuellen?).
Aber über die alten Ressentiments der Militärs gegenüber Geisteswissenschaftlern und anderem Schreibtischgesocks möchte ich hier nicht weiter schreiben, mir geht es um etwas anderes.

Die “mangelnde Unterstützung in der Bevölkerung” für die Bundeswehr halte ich für ein Gerücht, oder besser formuliert: Ein Mißverständnis.

Im Laufe der Jahre wurde viel über “Staatsbürger in Uniform” geredet und damit suggeriert, die Bundeswehr sei eigentlich nichts anderes als, sagen wir mal, ein Krankenhaus oder ein Postamt. Die Dienstkleidung der Soldaten ist dann halt nur zufällig nicht weiß oder blau, sondern eben khaki.
Das ist aber Unfug, hoffe ich zumindest. Denn eine Armee kann ihren Job nur erledigen, wenn die konsequente Subordination funktioniert. Was auch immer gerne erzählt werden mag, im Falle eines Verteidigungsfalles muß an einer Stelle entschieden werden und das sollte dann auch ohne langwierige Diskussionen und Wiedervorlagen umgesetzt werden. Eine Armee, in der Parlamentsdebatten über den nächsten Schritt ausbrechen, wird kaum einen ernstzunehmenden Gegner abgeben. Selbstverantwortung des Soldaten hin oder her, Gewissensfreiheit schön und gut, aber, wenn es heißt: “Die oder Wir” spielte und spielt das keine Rolle.
Nein, “Staatsbürger in Uniform” meint einfach nur, daß die Soldaten nicht in einen anderen Staat wechseln, wenn sie ihre Dienstkleidung anlegen (man hat da so Erfahrungen gemacht…). Ansonsten aber bleibt eine Armee eine Armee. Und in einer Armee werden Aufträge erteilt und ausgeführt.

Derzeit gibt es eben beispielsweise den Auftrag, in Afghanistan Schulen zu bauen und Gegner dieser Idee daran zu hindern, die Bundeswehr bei der Ausführung ihres noblen Auftrages zu stören.
In der Bevölkerung hierzulande melden sich nun aber viele Stimmen, die meinen, unsere Armee führe da einen Auftrag aus, für den sie gar nicht zuständig sei (und es gibt gute Gründe, die Interpretation des Verteidigungscharakters, den Herr Struck diesem Einsatz zubilligt, anzuzweifeln). Dies interpretiert Herr Robbe nun also als “mangelnde Unterstützung” für die Bundeswehr.

Und genau das ist ein Mißverständnis. Freilich, die Denkstruktur einer Armee läuft zwangsläufig auf ein “Für uns oder gegen uns” hinaus legt die Identifikation des Auftragnehmers mit dem Auftrag nahe. Soldaten, die von der Richtigkeit ihres Tuns vollkommen überzeugt sind, waren schon immer die effektivsten Soldaten.
So aber wird in offenen Strukturen nicht gedacht. Dort ist die getrennte Bewertung von Auftrag (Schulen bauen und Taliban killen in Afghanistan) und Auftragnehmer (unsere Jungs) durchaus üblich.
Anders gesagt:
Man kann die Bundeswehr für eine dufte Truppe halten, die Spitzenarbeit macht, aber trotzdem der Meinung sein, sie solle diese vielleicht nicht grade in Afghanistan verrichten.
Sprich:
Die Ablehnung betrifft eher den Auftraggeber, bzw. den Auftrag selbst, nicht aber zwangsläufig den Auftragnehmer, der ja schlicht nur seinen Job macht (wobei ich nicht gesagt haben will, daß es niemanden gäbe, der beides ablehnt, bzw. der auch beides toll findet).
Würde der gute Herr Robbe nämlich einmal Umfragen in seine Betrachtungen einbeziehen, die diesem Umstand Rechnung tragen (wie diese hier zum Beispiel, die er kennen sollte), wäre ihm klar, was seine Behauptung ist: Unsinn (sollte es ihm klar sein, was naheliegend ist, müßten wir dies freilich anders bezeichnen, aber ich interpretiere hier mal wohlwollend).
Daß sich dies für die Soldaten, die in Afghanistan sind, anders darstellt und ihr sowieso schon nicht gerade ersprießlicher Alltag dort von einer solchen Ablehnung daheim nicht angenehmer wird, sei zugegeben.

Die Armee ist ein Thema, mit dem sich der Hausheilige recht ausführlich beschäftigt hat, ich möchte ihn an dieser Stelle mit einem Hinweis darauf zitieren, warum es wichtig ist, daß die Bundeswehr eben nicht außerhalb der Gesellschaft stehen darf (ihr wißt schon, der “Staatsbürger in Uniform”):

Bis dahin stand man sich als Mitmensch und Gegner gegenüber, – wenn man aber nicht mehr weiter kann, befiehlt man ›dienstlich‹. Praktisch: die Kommandogewalt gilt immer. Das ist eine gefährliche Waffe in Händen von Leuten, die noch nicht weit genug sind, um zwischen Privatverhältnissen und dem Dienst zu unterscheiden. Im Gegenteil: nachts um zwei, wenn man nicht mehr gerade stehen kann, hört die Gemütlichkeit, aber auch der Dienst auf.

[in: ‘Dienstlich’. Werke und Briefe: 1913, S. 108. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 570 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 1, S. 119-120) (c) Rowohlt Verlag]