The Battle of Lobbyverbände

Ich bin es so Leid, es ist derart ermüdend, dass ich mich immer wieder dazu durchringe, nichts zu schreiben.
Die Debatten um eine notwendige Anpassung der Urheberrechtssituation an das 21. Jahrhundert (die im Wesentlichen ja Debatten um eine Anpassung der Verwertungsrechtssituation ist), drehen sich derart im Kreis und sind derart vom Nichtverstehenwollen der anderen Seite geprägt, dass es wirklich keinen Spaß macht, sich damit zu beschäftigen.*
Eine Winzigkeit in diesem ganzen Themenkomplex ist dabei das sogenannte Leistungsschutzrecht für Presseverleger, das ich für eine unfassbare Dummheit halte.
Allerdings auch nicht für mehr. Umso mehr stieß mir nun auf, dass in meine Timelines seit einiger Zeit regelmäßig bezahlte Google-Links, vulgo: Werbe-Anzeigen, gespült wurden, die mich aufforderten, »mein Netz zu verteidigen«

Und da muss ich jetzt einmal sagen: Wie bitte?

Es geht beim Leistungsschutzrecht einzig und allein um Geschäftsmodelle, um die Frage, ob Suchmaschinenanbieter Lizenzgebühren zahlen müssen, wenn sie auf Verlagsangebote verlinken.
Das ist nicht ganz trivial, aber »mein Netz«? Es geht doch wohl eher um Googles Netz. Google möchte gerne ein Maximum an Informationen zur freien Verfügung haben, weil deren Geschäftsmodell darauf beruht – und nicht, weil sie so große Fans der Meinungsfreiheit sind.
Und hallo? Die Informationsfreiheit ist in Gefahr? Weil im schlimmsten Falle Google etwas zahlen muss? Kleiner haben wirs nicht? Ein Konzern, der im abgelaufenen Jahr 10 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat (und damit nur etwas weniger als beispielsweise die gesamte Buchbranche an Umsatz erwirtschaftet) will mir also erzählen, dass wegen ein paar zu erwartender Lizenzgebühren die Informationsfreiheit in Gefahr steht. Logisch.
Nur, liebe Damen und Herren bei Google: Das Netz kümmert sich nicht um große Namen. Die Namen der Gescheiterten sind Legion: Compuserve, GeoCities, Lycos, AOL, Altavista – die waren alle mal total wichtig fürs Netz. Dachten sie.
Bedroht ist nicht das Netz, schon gar nicht »Mein Netz« – bedroht ist eure Gewinnspanne. Und das ist etwas ganz anderes.

Dasselbe gilt natürlich auch für die Presseverleger, die mindestens die Pressefreiheit, wenn nicht gleich die ganze Demokratie in Gefahr sehen. Und im Gegensatz zu Google haben die keine so nette PR-Abteilung und schaffen es tatsächlich, in einem David-vs.-Goliath-Setting als die Bösen dazustehen, obwohl sie (Springer hin oder her) gar nicht die Goliaths sind. Es ist kein Zufall, dass das Wort »Qualitätsjournalismus«, einst als Kampfbegriff für die eigene Sache geprägt, heute weitgehend ironisch von der Gegenseite verwendet wird. Was ja auch der Hausheilige dieses Blogs bereits vor 94 Jahren anmerkte:

Der Zustand ist eben der, daß aus Annoncengeschäft und Nachrichtenübermittlung jene
üble Mischung herauskommt, die sich heute Presse nennt.

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Noch einmal zum Abschluss also: Ich halte das Leistungsschutzrecht für einen Irrweg. Aber für keinen Grund, mich vor den Karren eines Riesenkonzerns spannen zu lassen, dessen Interessenlage sich in nichts, in rein gar nichts von der Interessenlage von Springer & Kollegen unterscheidet. Mir macht die Entwicklung durchaus Sorgen, aber zum einen könnte ich mich ja auch irren und wir erleben mit dem Leistungsschutzrecht die Renaissance der deutschen Presselandschaft und zum anderen: Wenn sich ein paar Konzerne darum streiten, wer von wem warum Geld zu bekommen hat, so ist das nicht meine Sache. Und schon gar nicht »mein Netz«.


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P.S. Noch ein paar Anspieltipps für all jene in der geneigten Leserschaft, die noch einen Einstieg in die Thematik suchen. Ich verlinke nur solche Beiträge, von denen ich glaube, dass sie einigermaßen ideologiearm der Sache nähern:
Zunächst natürlich der Wikipedia-Eintrag zum Thema, nicht übermäßig ergiebig, aber vielleicht für ganz grundsätzliche Verständnisfragen, worum es überhaupt geht, ganz nützlich.
Stefan Niggemeiers Artikelserie zum Thema. Im Laufe der Jahre schon etwas gewachsen, aber in gewohnter Niggemeier-Erklärbär-Qualität.
Und für alle, die es ganz genau wissen wollen, die viel beachtete Stellungnahme des zuständigen Max-Planck-Instituts.

*»Man könnte den Menschen gradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört.« schreibt der Hausheilige in Der Mensch
**aus: Sozialisierung der Presse. in: Werke und Briefe: 1919. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien. Digitale Bibliothek Bd. 15, S. 1612 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 2, S. 220)