Neues aus der Wrobelei: Der Newsletter

Es ist ein hochspannender Prozess, der da seit ein paar Jahren beobachtet werden kann: Ein Rückzug ins Digital-Private. Wichtige Inhalte werden nicht mehr öffentlich auf bekannten sozialen Medienplattformen publiziert, sondern im geschützten Raum der Abonennten. Das gilt natürlich nicht erst, seit wir wissen, dass Hirse-Hitler seine Fans über Telegram anschreibt.

Die Renaissance des email-Newsletters ist schon länger zu beobachten und nimmt zunehmend Fahrt auf. Was ihr schon allein daran erkennt, dass so ein Late-Adopter wie ich jetzt damit anfange (wahrscheinlich kurz bevor ich mir ein TikTok-Konto zulege 😉 )

Jedenfalls: Drüben bei Substack (auf diese Plattform hat mich die wunderbare Berit Glanz mit ihrem nicht weniger wunderbaren Projekt »Phoneurie« gebracht) gibt es in Kürze »Neues aus der Wrobelei«.

Und darum soll es gehen:

Nicht erst seit dem Wiedererstarken des verdeckt und offen auftretenden Faschismus in Deutschland und Europa, wendet sich der Blick ein Jahrhundert zurück, in die gescheiterte Republik von Weimar.

Was ich hier versuchen möchte: Die Gegenwart ein wenig durch die Linse des Werks von Kurt Tucholsky und seiner Rezeption zu betrachten. Ich glaube, dass es spannend sein kann, heutige Rückgriffe mit dem Blick des Zeitgenossen zu kontrastieren. Oder heutige Debatten ähnlichen Debatten aus dem »Babylon Berlin« gegenüberzustellen. Und sonst interessante Dinge mit Tucholsky- oder Weltbühnenbezug, die mir so begegnen. 🙂

Der Titel »Neues aus der Wrobelei« ist freilich selbst bereits Referenz. Die Nicht-Tucholsky-Referenz überlasse ich dabei Suchwilligen. Die andere sei kurz erläutert:

Ignaz Wrobel war eines der 5 PS, seiner fünf Finger an einer Hand, in Kurt Tucholskys Schaffen. Seinen Ignaz Wrobel, benannt nach dem ungeliebten Mathematik-Lehrbuch und dem hässlichsten Vornamen, den er sich denken konnte, beschreibt er so:

Wrobel, einen essigsauern, bebrillten, blaurasierten Kerl, in der Nähe eines Buckels und roter Haare [aus: Start, 1927]

Und so sind denn auch viele der Texte, die er unter diesem Pseudonym veröffentlichte: Grantelnd, mosernd, die Schlechtigkeit der Menschen anklagend. Aber eben auch: Aufklärerisch, moralisch unbeirrt, bitter-ironisch.
Mit 16, als ich das erste Mal durch die Raddatz-Ausgabe durch war*, wäre Ignaz Wrobel kein Pseudonym gewesen, mit dem ich mich irgendwie hätte identifizieren wollen oder können.

Ein paar Jahrzehnte und Kompromisse mit der Welt später, fühle ich mich ihm doch deutlich näher. Schlußendlich aber soll Tucholskys Charakterisierung des Satirikers als Leitspruch über diesem Projekt stehen:

Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an. [aus: Was darf die Satire?, 1919]

Ich plane derzeit 1-2 Newsletter je Monat, los geht es Ende November 2020. Bis dahin, tell your friends!

*was hier nur als Zustandsbeschreibung verstanden werden soll, nicht als fishing for compliments, ich war nicht sozial eingebunden und Bücher waren sozusagen meine Freunde, da sind 10 Bände keine allzu ausufernde Beschäftigung – mal ganz davon abgesehen, dass die Jugend aufgrund ihrer kurzen Lesebiographie eine Phase zu sein scheint, in der noch so viel neu und aufregend ist, dass erstaunliche Lesetempi entstehen, ich jedenfalls habe nie wieder so viel »weggelesen« wie zwischen 14 und 18

Eine Woche in ungelesenen Büchern (2)

Auch letzte Woche fielen mir wieder Bücher in die Hand, die ich aus verschiedensten Gründen bemerkenswert fand und ohne die ich die geneigte Leserschaft nicht in die nächste Woche gehen lassen möchte:

Im Marketing gilt ja derzeit Storytelling als Heilsbringer, weil auch die Damen und Herren dort inzwischen mitbekommen haben, dass Menschen gerne Geschichten hören (was passiert, wenn Marketingmenschen Geschichten erzählen, lässt sich ja an der durchaus grenzwertigen Telekom-Kampagne zu Magenta 1 erkennen…).

Wie so oft, so sind auch hier die Gamer schon viel weiter. Einen sehr spannenden Eindruck macht da auf mich der Band

Cover New Level

Thomas Böhm (Hrsg.): New Level, der sich mit dem Verhältnis von literarischem Erzählen und den Erzählstrukturen in Computerspielen beschäftigt – soweit ich das verstanden habe. Die Autorenliste liest sich jedenfalls vielversprechend, und damit meine ich nicht nur die Schriftstellerseite (auch wenn ich da tatsächlich mehr Namen einordnen kann: Wladimir Kaminer, Monika Rinck, Alban Nikolai Herbst, Ulrike Daesner, Sasa Stasinic und und und – die Liste ist durchaus bemerkenswert). Thomas Böhm hat ja das Internationale Literaturfestival Berlin kürzlich verlassen und schon allein dieses Projekt verdeutlicht, welch ein Verlust das ist. Besonders freue ich mich ja auf den Beitrag von Grit Schuster (siehe hierzu auch das Interview im Rahmen der Buchrezensionen auf WDR3). Hier sage ich mal, auch wenn ich noch keine Zeile gelesen habe: Das Buch lohnt sich. Definitiv.

Weit weniger tiefschürfend dürfte es bei

Cover Katze Internetstar

Patricia Carlin: Wie Sie Ihre Katze zum Internet-Star machen zugehen. Ganz im Gegenteil, es dürfte sich wohl alles in allem um einen grandiosen Spaß eher kurzer Haltbarkeitsdauer handeln, aber wer einen Ratgeber mit dem Titel »How to Tell If Your Boyfriend is the Antichrist (And If He Is, Should You Break Up with Him?)« schreibt, verdient Vertrauen.

Das Internet ist ja möglicherweise nicht nur eine Modeerscheinung, die wieder vergeht. Ganz im Gegenteil, mit dem Internet der Dinge scheint eher die nächste Stufe anzustehen (übrigens, und das finde ich an Umbruchszeiten immer sehr spannend, während da draußen Menschen sehr gut ohne Mobiltelefon und bargeldloses Zahlen klar kommen). Cyborgs sind wir vermutlich selbst schon lange und während ich mich noch an diesen Gedanken zu gewöhnen versuche, stolperte ich über dieses Buch (das offiziell erst morgen erscheint):

Cover Pschera Internet der Tiere

Alexander Pschera: Das Internet der Tiere. Da bin ich doch einmal sehr gespannt – zum einen, weil mir die Naturwissenschaften immer etwas fremd sind (faszinierend, aber fremd) – und zum anderen, weil mich interessiert, wie Ausnutzung der Tiere unser Verhältnis zu ihnen inniger werden lässt. Denn der Gedanke, mehr Kenntnis würde zu mehr Achtung führen, scheint mir doch angesichts des momentanen Zustandes der Mensch-Tier-Beziehung etwas zu naiv. Mag mich da aber auch irren.

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Gachmuret feat. Der Hausheilige live

UPDATE: Es gibt einen Live-Mitschnitt meines Versuches, aus Frank Fischers Südharzreise vorzutragen:
http://www.blog.de/srv/media/dewplayer.swf?son=http://data9.blog.de/media/695/7450695_98f24dff86_a.mp3
Ausschnitte aus: Südharzreise
Dieser Mitschnitt ist auch auf youtube zu bewundern.
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Nur eine kurze Durchsage:
Am 21. November bin ich bei der Lesebühne von Frédéric Valin und Jan-Uwe Fitz eingeladen und darf dort lesen. Weitere Infos zur Veranstaltung finden sich auf der Seite von Read on, my dear. Ick bin stolz wie bolle.

Vortragen werde ich natürlich Texte des Hausheiligen dieses Blogs, Dr. Kurt Tucholsky. Und ich werde das eine oder andere Kapitel aus Frank Fischers Südharzreise zum besten geben.

Wer mag, darf gern vorbeischauen.