Dolchstoßlegende

Ich bin sehr gespannt, wie lange der Februar noch Februar heißt. Es bestehen zunehmend gute Aussichten, daß er in wenigen Jahren in Plagiatuar oder schlicht Axolotl umbenannt wird. Letztes Jahr die Helene, dieses Jahr also der Karl.
Im Gegensatz zur Frau Hegemann war in Sachen Guttenberg die Frage, ob es sich um ein Plagiat handelt, von Anfang klar und eindeutig beantwortet. Auch wenn ich durchaus nicht jede aufgefundene Stelle, singulär betrachtet, als bewußtes Plagiat bezeichnen würde, die schiere Masse ist derart erdrückend, daß Guttenbergs Beteuerungen, er habe nicht bewußt getäuscht, schlicht unglaubwürdig, vulgo: lächerlich, sind.
Was sich hier in den letzten 2 Wochen abgespielt hat, ist ein bemerkenswertes Lehrstück. Die “Causa Guttenberg” gibt Stoff für einige Qualifikationsschriften im breiten Spektrum der Geisteswissenschaften* her.
Ich möchte daher mal nur einige Punkte herausgreifen, die mir auffielen. Da wäre zum einen der Aspekt des Urheberrechts, der vielleicht auch juristisch spannendste Teil der Angelegenheit.
Noch aus der ersten Aufregung stammt dieser Tweet von @mspro:

mspro

Das ist in der Tat bemerkenswert. Falls jemand sich die Mühe machen möchte, wäre es sehr spannend, herauszufinden, ob es da wirklich Überschneidungen gibt. Trotzdem wäre dies nicht zwangsläufig ein Beweis für kognitve Dissonanz (ein Phänomen übrigens, das in den letzten 14 Tagen bemerkenswert oft auftrat), denn es muß unbedingt unterschieden werden zwischen künstlerischem und wissenschaftlichen Arbeiten. Kunst nämlich kann, darf und soll einfach behaupten. Das macht ja gerade den Reiz aus. Ein Gedicht, ein Roman, ein Bild – sie können das Wahre, Falsche, Schöne, Häßliche, Gute, Böse, Richtige oder was auch immer repräsentieren. Und zwar völlig begründungsfrei. Selbstverständlich aber sind Künstler referentiell. Ganze Institute leben davon, die Kunstgeschichte nach Traditionslinien, nach Beeinflussungen, nach Gemeinsamkeiten zu durchsuchen. Streng genommen ist die Kunstgeschichte eine Geschichte des Plagiats. Wir nennen das nur anders. Da geht es um Motive, die wandern und Traditionen, in denen die Leute so stehen. Kopieren war sogar Jahrhundertelang überhaupt gar kein Problem. Erst in dem Moment, in dem die originäre Schöpfungsleistung zum Wert, nicht zuletzt eben zum monetären, erhoben wurde, wurde dies zum (juristischen) Problem. Und so bahnbrechend die Idee des Urheberrechts war, um Künstlern eine Möglichkeit zu geben, nur von ihrer Arbeit zu leben und sich so aus der Abhängigkeit von Auftraggebern zu befreien, es muß in Frage gestellt werden, ob die pedantische Suche nach schon einmal verwendeten Phrasen dem künstlerischen Schöpfungsprozeß überhaupt angemessen ist. Sehr schön dazu übrigens die Geschichte des “Amen Break” – ist das nun eine Erfolgsgeschichte oder eher nicht?
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Grießbreifresser

Inwieweit im Kompositum “Qualitätsmedien” tatsächlich zwei sinntragende Nomina verbunden werden, gehört, insbesondere im Netz der Netze, zu den derzeit heiß diskutierten Themen.
Herr Kaliban, auf dessen Beitrag ich im heutigen Fremdcontentbeitrag mal verweisen möchte, bringt die Desillusionierung des kritischen Lesers gewohnt pointiert zum Ausdruck. Möglicherweise bricht den Medienhäusern hier tatsächlich eine komplette Zielgruppe weg, die sich inzwischen Informationen aus anderen Quellen holt. Möglicherweise mühsamer, aber den aufmerksamen Geist befriedigender.

Einen Punkt sehe ich jedoch weiterhin viel zu wenig berücksichtigt. Bei allen kritisierten Medien handelt es sich um Wirtschaftsunternehmen. Daß die sinnentleerte Klickstrecken basteln oder Themen zu Themen machen, die es nicht wert wären und zudem auch noch voneinander abschreiben, weil mit dieser Methode Geld zu verdienen ist, dann, mit Verlaub, muß auch gefragt werden: Was sagt das eigentlich über das Publikum?

Der Hausheilige hätte da eine Antwort:

An das Publikum

O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: »Das Publikum will es so!«
Jeder Filmfritze sagt: »Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!«
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
»Gute Bücher gehn eben nicht!«
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?

So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte . . .
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?

Ja, dann . . .
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser -?
Ja, dann . . .
Ja, dann verdienst dus nicht besser.

in: Werke und Briefe: 1931, S. 513. Digitale Bibliothek Band 15: Tucholsky, S. 8493f. (vgl. Tucholsky-GW Bd. 9, S. 237f.) (c) Rowohlt Verlag