Das Buch zum Sonntag (8)

Ich empfehle der geneigten Leserschaft für die heute beginnende Woche zur Lektüre:

Franz Schuh: Memoiren

Franz Schuh, geboren 1947, ist Lehrbeauftragter an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, einem breiteren Publikum aber wohl eher bekannt mit seinen Arbeiten als Essayist (etwa in der Zeit). Auf ihn aufmerksam geworden bin ich 2006, als er den Preis der Leipziger Buchmesse für Sachbuch und Essayistik erhielt (der so bedachte Sammelband unklaren Genres heißt “Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche“) und ich das Vergnügen hatte, einen großartig misanthropischen Österreicher auf dem Podium zu erleben.
Neben dieser Konstante österreichischer Gedankenwelt gibt es bei Franz Schuh, den ich, da ich aus einem nicht näher zu beschreibenden inneren Zwang heraus eine Kategorie finden muß, als Kulturphilosoph bezeichnen möchte, einige erhellende Ansichten über den Zustand unserer Welt zu entdecken. In einem gelungenen Essay folgt der Leser freudig den Gedanken(wirrungen) des Autors – und genau das ist meine Leseerfahrung bei Franz Schuh.
Im heute empfohlenen Buch, das den Untertitel “Ein Interview gegen mich selbst” trägt, beantwortet Schuh Fragen, die ihm entweder im Laufe der Jahre gestellt worden oder die er sich selbst stellt. Welchen Sinn das macht? Lesen wir mal rein:

Ich hatte plötzlich die Idee, einige der Fragen, die mir im Laufe der Zeit gestellt wurden, zu sammeln, um sie neu zu beantworten. Außerdem nehme ich die Chance wahr, mir selbst Fragen zu stellen, die nun zusammen mit den Fragen der anderen einen Dialog ergeben. Ich spiele mit dem Prinzip von Frage und Antwort – das heißt, ich nehme alle Fragen so, als ob ich sie selbst gestellt hätte, und alle Antworten so, als ob ein Fremder sie gegeben hätte. Und dann wieder umgekehrt: Als hätte mir wer anderer diese Fragen gestellt, und ich würde sie selbst beantworten. Im Interview als einer gründlichen, gleichwohl fiktiven Selbstbefragung entseht unter anderem die reizvolle Situation: Wer ist stärker? Ich oder Ich?
Aber ich will zugeben, dass es nicht diese Kokettereie, diese altbekannte Paradoxie der Selbstbespiegelung ist, die die “Memoiren” hier ins Leben ruft. Es ist der mich prägende Hang zur gesprochenen Sprache. Seit ich denken kann, habe ich mit diesem Denken die größten Glücksmomente in der freien Rede erlebt. Im Interview, der schriftlichen Fassung der Möglichkeit, seine Gedanken beim reden zu verfertigen, wird einiges von diesem Glück bewahrt. Das Sammeln der Fragen und das Stellen der neuen Fragen war eine Art Memorieren, ein Rekapitulieren des Fragwürdigen. Viel mehr in diesem Sinne als in dem von Lebenserinnerungen heißt das Buch “Memoiren”.

(S. 8f)

Neben seinem stilistischen Können gibt es einen anderen Punkt, weswegen ich Schuh gerne empfehle: Er nimmt die Kultur in ihrer Gänze Ernst. Schuh schließt aus seinen Betrachtungen die Massenkultur, hier insbesondere das Fernsehen, nicht aus, sondern ein. Es gibt beim ernsthaften Nachdenken über die Kultur, die in und für Massenmedien entsteht, einiges zu entdecken (Schuh, bekennender Trash-Anhänger, zu “Big Brother” u.ä. : “Die waren mir – ganz ohne Ironie – zu intelligent. Da sind konstruktive Intelligenzen am Werk, die eine inszenierte Realität auf der Ebene der Alltagsrealität halten wollen. Dass man ein Konstrukt für ein Nichtkonstrukt halten soll, dass man das Alltägliche zu einem Vorzeigemodell umdeutet (das wiederum in den Alltag Eingang findet), ist ein hochkünstlerisches Prinzip.”, S.13).
Ich könnte hier noch etliche weitere Stellen zitieren, die erhellende Schlaglichter auf die Frage nach dem Glück oder dem Verhältnis von Erinnern und Vergessen oder ganz anderen Themen werfen, aber das geneigte Lesepublikum möge dies selbst entdecken. 😉

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