David Mitchell: Utopia Avenue

Die Generation des Summer of Love, die in den späten Sechzigern jung waren, gilt heute nicht mehr als eine Generation, die aus dieser Welt einen besseren Ort machen möchte (Stichwort Boomer). Sie ist die Generation, gegen die die heutige Jugend aufbegehrt.

Das tut sie zu Recht, wie jede andere Jugendgeneration vor ihr – und möglicherweise sogar mit noch größerer Berechtigung. In Utopia Avenue erzählt David Mitchell die Geschichte einer Band, die sich aus dem Londoner Untergrund der späten Sechziger an die Spitze der weltweiten Charts arbeitet. Es ist die Zeit nach dem Hippie-Sommer, musikalisch wird viel experimentiert, die Labels sind auf der Suche nach der nächsten Erfolg versprechenden Musikströmung.

Die vier kongenialen Bandmitglieder werden von einem findigen Manager entdeckt, zusammengebracht und mit dem notwendigen Glück tatsächlich zum Erfolg geführt. Es ist ein kurzer Höhenflug, nicht einmal zwei Jahre sind der Band vergönnt, nur zwei Alben erscheinen. Das ist keine sehr unwahrscheinliche Geschichte in dieser kometenreichen Zeit des Popmusikgeschäfts.

David Mitchell hatte im von Bryan Adams besungenen Sommer wahrscheinlich noch keine six-string, denn er wurde im fraglichen Jahr ja erst geboren. Es handelt sich also – und das erscheint mir wichtig – um kein Erinnerungsbuch. Hier versucht nicht ein alter Mann seine Jugend wiederaufleben zu lassen, als er noch viril war und überhaupt – naja, ihr kennt diese Art Literatur…

Nein, Mitchell gelingt in diesem Roman eine mitreißende Erzählung von Träumen und Alpträumen, von Aufstieg und Absturz – vor allem aber von Musik. Seine vier Bandmitglieder, jedeʔr mit eigenen Dämonen kämpfend, sind überzeugend gestaltete Persönlichkeiten. Es lässt sich bei ihrem Aufstieg nicht vermeiden, dass sie (Pop-)Größen ihrer Zeit begegnen. Das ist dann amüsant und gelungen, wenn sie eher beiläufig geschehen – wie die Szenen mit dem jungen David Bowie, der ihnen in Kabelträgerjobs begegnet und von seinen Lebensträumen erzählt. Enervierend wird es allerdings, wenn sie auf der Höhe ihres Ruhmes immer noch jedes Mal aus dem Häuschen geraten, weil sie Zappa, Joplin oder Lennon begegnen. Vor allem aber wirken die so Porträtierten sehr gekünstelt – Mitchells Stärke, seine Protagonistʔinnen glaubwürdig zu zeichnen, verlässt ihn hier angesichts der Notwendigkeit, die Promis mit ihren überlieferten Bildern in Einklang zu bringen. Gerade diese Begegnungen verdeutlichen sehr stark, warum es eine kluge Entscheidung war, die Geschichte einer fiktiven Band zu erzählen.

Die ganz große Stärke liegt aber in der Beschreibung der Musik von Utopia Avenue. Jaspers Gitarrenriffs, Deans Bassläufe, Elfs Pianostücke und Gesangsparts, Griffs Schlagzeugspiel, der ganze Sound dieser Band – es wird so lebendig in Mitchells Worten. Wenn er Konzerte schildert, habe ich das Gefühl, dabei zu sein, in die Stimmung einzutauchen, ja, die Musik und das Publikum geradezu zu spüren.

Es sind diese athmosphärischen Bilder, die den Roman besonders machen und über die Schwächen des Plots und der erwähnten Begegnungen mit Zeitgrößen hinweghelfen. Und ja, ich habe mir am Ende gewünscht, es hätte diese Band wirklich gegeben. Diese Band großartiger Musikerʔinnen, die zusammen etwas schaffen, das die Zeit überdauert, die einem sexistischen Fernsehmoderator das Studio zerlegen, die mit ihrer Musik reifen und wachsen. Ja, ich hätte furchtbar gerne ihre Musik gehört und so ließ mich die Lektüre am Ende etwas wehmütig zurück.

Jedenfalls werde ich jetzt erstmal meine Cream-CDs raussuchen und mich in eine andere Zeit und Welt tragen lassen.

Buchdetails:
David Mitchell: Utopia Avenue. Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Hamburg 2022, 747 Seiten, ISBN 978-3-498-00227-5, 26 €, als ebook 19,99 €
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Noch immer: War Is Over (If You Want It)

»So this is Christmas / And what have we done?
Another year over / and a new one just begun.«

In der Tat, es ist ein weiteres Jahr vergangen und erneut darf ein jeder in sich gehen und grübeln, was er oder sie im letzten Jahr so getrieben hat. Für heute möchte ich aber die geneigte Leserschaft in ihrer besinnlichen Stimmung das Weihnachtsfest genießen lassen.

And so this is Christmas
For weak and for strong
For rich and the poor ones
The world is so wrong
And so Happy Christmas
For black and for white
For yellow and red ones
Let’s stop all the fight

Den kompletten Text gibt es hier.

Ich wünsche der geneigten Leserschaft eine besinnliche Weihnachtszeit.

Weiterhin: War is Over (If You Want It)

»So this is Christmas / And what have we done?
Another year over / and a new one just begun.«

In der Tat, es ist ein weiteres Jahr vergangen und erneut darf ein jeder in sich gehen und grübeln, was er oder sie im letzten Jahr so getrieben hat. Für heute möchte ich aber die geneigte Leserschaft in ihrer besinnlichen Stimmung das Weihnachtsfest genießen lassen.
Und da wir ja seit dem 21.12. in einer völlig neuen Ära leben und nun endlich alles ganz anders wird, sei auf diese Zeilen noch einmal besonders hingewiesen:

And so this is Christmas
For weak and for strong
For rich and the poor ones
The world is so wrong
And so Happy Christmas
For black and for white
For yellow and red ones
Let’s stop all the fight

Den kompletten Text gibt es hier.

Ich wünsche der geneigten Leserschaft eine besinnliche Weihnachtszeit.

Hannes Wader. Aus Gründen.

Und schon morgen soll ein großer Sturm aufkommen
Und auch and’re wagen es herauszuschrei’n
Was sie beleidigt, alle Furcht vergessend
Und keinem bricht der Sturm das Zungenbein
Doch ihre Schreie packt er und die werden
Dann überall im Land zu hören sein.

Den ganzen Text gibt es hier.

Assoziationen überlasse ich wie immer ganz der geneigten Leserschaft, es sei einzig noch youtube-Nutzer Der05er zitiert:

Hannes Wader hören bedeutet für mich, die Hoffnung zu haben, dass die Menschheit noch nicht ganz verblödet ist.


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Immer noch: War Is Over. If You Want It.

“So this is Christmas / And what have we done?
Another year over / and a new one just begun.”

In der Tat, es ist ein weiteres Jahr vergangen und erneut darf ein jeder in sich gehen und grübeln, was er oder sie im letzten Jahr so getrieben hat. Für heute möchte ich aber die geneigte Leserschaft in ihrer besinnlichen Stimmung das Weihnachtsfest genießen lassen. Die allfällige Moralpredigt folgt dann in einer Woche. 😉
Allerdings scheinen mir diese Zeilen des alljährlich empfohlenen Weihnachtsleides im Jahr 2010 einer besonderen Erwähnung zu bedürfen:

And so this is Christmas
For weak and for strong
For rich and the poor ones
The world is so wrong
And so Happy Christmas
For black and for white
For yellow and red ones
Let’s stop all the fight

Den kompletten Text gibt es hier.

Ich wünsche der geneigten Leserschaft eine besinnliche Weihnachtszeit.

Re: Gachmurets dritte Kulturwoche: Musik

Musik: Zupfgeigenhansel

UPDATE 21.09.2010: Und der zweite Beitrag aus dem Februar (Erstpublikation am 02.02.2010).

Die Sechziger und Siebziger Jahre sind musikalisch von einer großen Folkwelle geprägt, die auch Deutschland erreichte. Hier wurde das Thema “Volkslied” wieder neu interpretiert, es gab eine Wiederentdeckung alter Schätze, das Genre wurde aus dem Klammergriff von Schlagerindustrie und Schulmusikunterricht befreit. Tatsächlich gab es auf einmal ein breites Publikum, das bereit war, zuzuhören – die Singer-Songwriter hatten hier sozusagen die Schneise geschlagen.
Kurz: Der Zeitgeist war bereit.

Ein kleiner Exkurs noch:
Die Idee, daß es sehr viel mehr kreative Quellen gibt als die öffentliche Wahrnehmung weismachen will, scheint mir gerade heute höchst aktuell. Was dem einen die kanonisierte Volksliedvermittlung, sind dem anderen die Qualitätsmedien. Kreativität breiter Volksschichten gibt es nicht erst seit dem 21. Jahrhundert mit seinen Blogs, Onlinemagazinen und sozialen Plattformen. Die gab es schon immer. Und ebenso wie in allen Jahrhunderten früher wird es auch weiterhin großartige Werke geben, die nie beachtet werden und verschütt gehen, um vielleicht dereinst ausgegraben zu werden – zum Erstaunen späterer Generationen. Gut, back to topic.

Für mich persönlich verbindet sich mit “Volkslied” zwangsläufig der seltsam harmonische Klang dieses Duos, handelt es sich dabei doch um eine ganz frühe Prägung (ich höre die nun schon seit gut und gerne 20 Jahren). Sie haben eine Frische und ein Einfühlungsvermögen, das ich so nirgenwo sonst wieder gehört habe (und Nein, liebe Liederjan-Fans, auch bei denen nicht 😉 ). Den Revoluzzer von Mühsam, zum Beispiel, könnte ich nicht vorlesen – die Melodie wäre zu prägnant im Kopf. Dabei geht es hier nicht um schönen Gesang im Sinne von technischer Reinheit, denn Volkslieder sind ja Lieder des Volkes. Und das hat keine BelCanto-Ausbildung. Es geht darum, ein Lied zu singen, seine Stimmung zu spüren und auszudrücken. Und das machten Zupfgeigenhansel in meinen Augen perfekt. Eine derart frische, lebendige Interpretation wünschte ich mir bei so etlichen anderen Darbietungen populärer Musik.

Zupfgeigenhansel interpretieren den Begriff “Volkslied” denn auch etwas weiter als dies der akademische Diskurs tun würde, nicht selten finden sich vertonte Gedichte oder Texte aus dem Untergrund der nationalsozialistischen Zeit darunter. Die Themenvielfalt reicht mithin von den üblichen lüsternen Mönchen und Pfarrern über naive Bauerntöchter und frustrierte Soldaten (hier mal mit Musik) bis zu sehnsüchtigen Kindheitserinnerungen (ganz wunderbare Interpretation übrigens, die Heines großartige Kunst, im romantischen gewande böse zu spotten, hervorragend herüberbringt.) oder dem Suchen nach Hoffnung in dunkler Zeit.

Unglücklicherweise sind nicht allzu viele Tonbeispiele online auffindbar (also, zumindest für mich nicht), so daß einige meiner liebsten Stücke (wie eben das Heine-Lied) hier ungespielt bleiben müssen.
Aber, es genügt doch, um einen Eindruck zu bekommen und die unliebsten Stücke sind es auch nicht, die ich gefunden habe.
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