Singt von Hoffnung

Der erste Weltkrieg gilt, durchaus nicht zu Unrecht, als »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«. Dieses Schlagwort allerdings suggeriert in der allgemeinen Wahrnehmung leicht, dieser Krieg mit all seinen Ausmaßen wäre über die heile Welt des »langen 19. Jahrhunderts« hereingebrochen.

Dem ist freilich nicht so, wie jedes historisches Ereignis hat auch der erste Weltkrieg eine lange Vorgeschichte und ist letzlich auch nur das Ergebnis eines langen Prozesses.

Ein Konflikt, der bereits 60 Jahre vor dem Ausbruch des Weltkrieges Pate stand, war der Krimkrieg.

Ich würde an dieser Stelle gerne einen elaborierten Text darüber schreiben, warum und wieso die Krim erneut in den Mittelpunkt eines eurasischen Krieges geraten könnte – und warum das nicht geschehen wird.

Kann ich aber nicht. Zum einen, weil mir die Kenntnisse fehlen (ich bin nicht in der Lage, in dieser undurchsichtigen Gemengelage zu einer klaren Analyse zu kommen und traue denen, die das von sich behaupten nicht, da mir gleichzeitig die Kenntnisse fehlen, um Quellen zu überprüfen*) und zum anderen, weil ich einigermaßen paralysiert bin.

Ich habe Angst vor dem, was dort noch kommen mag. Das macht mich etwas hilf-, rat- und sprachlos.

So bleibt mir vorerst nur zu hoffen. Zu hoffen, dass der Traum mancher Träumer doch kein Traum bleibt.

»Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
Imagine all the people living life in peace.«

Was damit zusammenhängen könnte, dass ich im Russisch-Unterricht seinerzeit den Fokus eher auf die Verbesserung meiner Doppelkopf-Qualitäten als auf die Verbesserung meiner Russisch-Kenntnisse legte). So ist das mit den Prioritäten….

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Der neue Sarrazin

Thilo Sarrazin, Treuhandmanager, Bahnvorstand, Finanzsenator und zuletzt Vorstandsmitglied der Bundesbank, vor allem aber: professioneller Falsch- und Unverstandener, hat ein neues Buch vorgelegt.
Wahrscheinlich wird sich auch dieses wieder hervorragend verkaufen und wahrscheinlich wird er auch dieses Mal wieder auf unzähligen gut besuchten Pressekonferenzen erzählen, wie sehr er in seiner freien Meinungsäußerung unterdrückt wird.
Für all jene, die noch zögern, ob sich eine Beschäftigung mit seinem neuen Werk lohnt, sei auf diese ausführliche, erschöpfende und das Für und Wider angemessen würdigende Vorabrezension hingewiesen:

Graphitti-Blog

(via Graphitti-Blog)

Mit dem Holzhammer

Nach dem Angriffskrieg der USA gegen den Irak sah sich Neil Young gezwungen, mit Crosby, Stills und Nash die alten Lieder wieder auszupacken und erneut durchs Land zu touren, um den Menschen die Idee nahezubringen, dass Kriege beginnen nur so mittel ist. Die Dokumentation dazu heißt nicht zufällig »Déjà Vu«.

Ich habe Hannes Wader ungefähr zu der Zeit in einem Auftritt gesehn, bei dem er auf mich den Eindruck machte, als hätte er gedacht, nach fast dreißig Jahren »Es ist an der Zeit« nicht mehr singen zu müssen.

Die Ereignisse in Schneeberg (und nicht nur die, sie mögen hier exemplarisch stehen) lassen mich erkennen, dass wir offenbar auch in der Frage des Zusammenlebens in diesem Land wieder ganz von vorne anfangen müssen. Dass wir wieder an einem Punkt stehen, an dem wir ernsthaft erklären müssen, »dass ›fremd‹ kein Wort für ›feindlich‹ ist«.

Nun gut, wenn es denn sein muss, dann müssen wir das mit den feineren Argumentationen eben lassen und den Holzhammer wieder herausholen:

Ergänzend sei noch auf einem maßgeblichen und großartigen Text des Hausheiligen verwiesen, der fordert, den Begriff »Heimat« nicht preiszugeben, dort ist zum Beispiel zu lesen:

Und nun will ich euch mal etwas sagen:
Es ist ja nicht wahr, dass jene, die sich ›national‹ nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock, noch der Oberstudienrat, noch die Herren und Damen des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir sind auch noch da.
Sie reißen den Mund auf und rufen: »Im Namen Deutschlands … !« Sie rufen: »Wir lieben dieses Land, nur wir lieben es.« Es ist nicht wahr.[…]

Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitliebende aller Grade; man hat uns mitzudenken, wenn ›Deutschland‹ gedacht wird … wie einfach, so zu tun, als bestehe Deutschland nur aus den nationalen Verbänden.
Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.

*

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aus: Tucholsky, Werke und Briefe: 1929. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 7197-7198. Digitale Bibliohtek Berlin, 1999 (vgl. Tucholsky-GW Bd. 7, S. 314)

Pan y circo

Wenn das Brot knapp wird, braucht es halt mehr Spiele.

Der nächste ist ein junger, aufgeregter Herr, der wie ein Bajazzo aus seinem Stall herausgepurzelt kommt. Er macht den Leuten viel zu schaffen, und das soll er ja wohl auch. Er zerstößt das Pferd, das ihm sein Vorgänger leichtverwundet zurückgelassen hat, zu einem bösen Klumpen, der Picador fällt herunter, es geschieht ihm aber nichts. Der Stier zerquält ein Pferd, so daß es sich schon nach dem ersten Stoß nicht mehr erheben kann – und da liegt es. Ich kann genau das Auge sehen, das große, sanfte Auge. Das Auge versteht nicht. Es sagt: »Warum? warum?«

*

In Spanien ist sowas jetzt national geschütztes Kulturgut. Und man möchte daraus ein UNESCO-geschütztes Kulturgut machen.

Die Beschreibung stammt aus: Kurt Tucholsky, Stierkampf in Bayonne. in: Werke und Briefe: 1927. Tucholsky: Werke, Briefe, Materialien, S. 4742. Digitale Bibliothek, Bd. 15, Berlin 1999. (vgl. Tucholsky-GW Bd. 5, S. 15)
Der ganze Text ist bei textlog.de nachzulesen.

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Alice? Wer ist eigentlich Alice?

Ich halte es für ein beredtes Zeichen für den Zustand unserer Gesellschaft, dass hierzulande Alice Schwarzer für eine wichtige Feministin gehalten wird (und indem man sie dafür hält sie natürlich dementsprechend auch eine ist). Betrachtet man die Fähigkeit, gesellschaftliche relevante Breitenwirkung zu erzielen, ist sie vielleicht sogar die einzige.
Das ist aber höchst gefährlich, denn Alice Schwarzer vertritt ein Denkmodell, das unbedingt Widerspruch bedarf, und zwar besonders von progressiver Seite (siehe hierzu z.B. Seeliger, 2010).

Zur von ihr aktuell (und ganz zufällig pünktlich zum Erscheinen ihres neuen Buches) initiierten Aktion zur Abschaffung der Prostitution kommt jetzt genau dieser Widerspruch, sachlich, klar, nüchtern und doch entschieden.

Sonja Dolinsek erläutert sehr präzise, warum und wieso der Appell von Schwarzer und ihren prominenten MitunterzeichnerInnen unsäglich, wenn nicht sogar unerträglich ist – auf jeden Fall aber kontraproduktiv. Und ganz nebenbei seziert sie Schwarzers Denken und offenbart die zugrundeliegenden Denkmuster, die mit Denkmodellen kompatibel sind, von denen wir uns eigentlich verabschiedet haben wollten.

Also los, Sonja Dolinsek lesen.

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Mimosen und Macht

Die SPD hat wieder mal einen Austritt zu verzeichnen. Soweit, so normal.
Yasmina Banaszczuk, 28 jahre alt, tritt nach drei Jahren aus der SPD aus, weil sie sich unverstanden und ausgebrannt fühlt. Weil ihr Vorsitzender nicht auf sie hört und weil ihre differenzierten und feinen Vorschläge keine Wirkung haben und nicht beachtet wurden. Zumindest habe ich das jetzt so verstanden, aber da kann sich die geneigte Leserschaft ja auch einen eigenen Eindruck verschaffen (bemerkenswerter Weise übrigens bekam die Sache erst dann richtig Fahrt, als stern.de darüber berichtete – Irrelevanz klassischer Medienhäuser sieht auch anders aus, aber das ist ein anderes Thema).
Dazu zwei Fragen: Sie gibt nach drei Jahren auf, weil sie als Hamburger JuSo vom Parteivorsitzenden nicht ernst genommen wird? Ernsthaft? Dann war die Idee, in eine Partei einzutreten möglicherweise nicht die richtige Idee. Oder zumindest ihre Vorstellungen äußerst naiv.
Diesen Aspekt behandelt allerdings Julia Seeliger in ihrer bekannt erfrischenden, direkten Art ganz ausgezeichnet. Eine Kostprobe:

Parteipolitisches Engagement ist strukturell krank! Kann man sagen. Der ganze Rest, Kapitalismus, Krieg und Patriarchat und Freie Kameradschaften und Missbrauch und Sportvereine und Familien und Ödipus und Goethe und Kleingärtenvereine und Nachbarn, die sich bei der Hausverwaltung beschweren, diese ganzen Übel – die sind aber auch nicht gesund.

Julia Seeliger (Wikipedia) spricht aus ihrer Perspektive, aus zehn Jahren Parteieerfahrung bei den Grünen und sie hat wenig freundliche Worte übrig:

Da hat der Siggi einfach mal den Finger in die Wunde gelegt und die SPD-Mädchen lassen sich davon wütend machen. Noch ein paar Begriffe: Selbstüberschätzung, Egozentrismus, mangelnde Kritikfähigkeit, Netzgemeinden-Gehype, Irrelevanz. Traurige Wahrheit: der Sommer der Netzsperren ist schon drei, vier Jahre vorbei und es ist nicht gelungen, die Energie ins Jetzt zu überführen, auch weil die Netzbewegung strukturell kaputt ist. Vielleicht wurden aber auch Fehler gemacht. Vielleicht wurden Fehler gemacht, die strukturell sind. Zum Beispiel, dass im Internet besonders viele Arschlöcher mitreden bzw. mit sich selbst reden. Könnte ja sein?

um anzuschließen mit:

Fragezeichenmödchen meldet sich zu Wort zu einem weiteren Bereich: dem parteipolitischen Angajemang. Internetmödchen, du willst, dass sich dir alle Türen öffnen? Nach nicht mal zwei Jahren?

KullerZeit! ROFL! ROFL! ROFL!

(großartig!)
Aber ehe ich weiter schreibe, sei der geneigten Leserschaft die Lektüre des ganzen Textes empfohlen.

[Raum für Lektüre]

Wieder da?
Gut, dann hier meine zweite Frage: Ich denke, dass Frau Seeliger vollkommen recht hat – und ist das nicht vielleicht doch ein Problem? Sollte Politik nicht vielleicht doch anders gehen? So, dass engagierte, eifrige und empfindliche Menschen dort etwas zu sagen haben und nicht einfach verschreckt werden? So, dass geistige Gesundheit kein Ausschlusskriterium ist? Und wenn ja, wie soll das gehen?

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Die Unfehlbaren

Ich habe das Drama um die nun zurückgetrene Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke nicht verfolgt, mehr als die zufällig in meine Wahrnehmung gespülten Informationsbruchstücke kenne ich nicht.
Bis ich nun vor wenigen Tagen auf ihre Rücktrittsrede stieß. Darauf gestoßen wurde ich durch Antje Schrupp, die dazu meinte, sie habe von Kiel keine Ahnung, neige aber dazu ihr zu glauben.
Nach der Lektüre ging es mir ähnlich. Vielleicht passt das alles zu sehr ins Bild, vielleicht inszeniert sie hier ein Abschlussbild, das nur zum Ziel hat, sich mit einem Knall zu verabschieden und die anderen als böse dastehen zu lassen. Dazu müsste ich jetzt wohl doch tief in die Kieler Kommunalpolitik eintauchen – allein, alles, was ich zum Funktionieren unseres politischen Systems lese, sehe und höre, lässt mich Frau Gaschkes Darstellung für glaubwürdig halten.
Doch selbst wenn ich irre: Das ist die beste politische Rede in deutscher Sprache, die ich seit langem gelesen habe: Welch fulminante Breitseite gegen die testosterongesteuerten Politik- und Medientypen, die unseren Politikbetrieb prägen und deuten, welch grandiose Attacke gegen einen Politikbetrieb, der aus Angst nicht mehr entscheidet, unsinnige Kompromisse schließt, wo es Prioritäten zu setzen gilt: Kurz, der nur noch Partei und Amt, aber keine Sache mehr kennt.
Doch genug geschwärmt, auf zur Lektüre.

#auflaufenlassen

Die Wahl ist vorbei.
Es war eine in vielerlei Hinsicht deprimierende Wahl. Pia Ziefle hat dazu einige sehr gute Worte gefunden*.
Zwei Kostproben:

Während in den Medien wochenlang die bekannten Politikdarsteller*innen aller Parteien zu sehen gewesen sind, die brav ihre Rollen gespielt haben, außer Steinbrück, der noch am Wahlabend sowas von erleichtert aussah, dass er nicht Kanzler werden muss, hatten die AfD-Anhänger*innen die Schlacht in den facebook-Kommentaren und den Foren der etablierten Zeitungen ausgerufen. Kaum ein Artikel blieb unkommentiert, kaum ein Posting unter 100 Kommentaren. Kostet keine müde Mark, erreicht Millionen Leser*innen.

und:

Diese Wahl hat sehr deutlich gemacht, was für ein dummes, neidisches Volk wir sind, und wie ekelhaft wir in unseren überheizten Wohnungen mit den vollen Kühlschränken voller Fertigfraß geworden sind.

Ich wünsche mir, dass die Union ihren Wahlsieg bezahlen muss mit einer Minderheitsregierung. Ich wünsche mir, dass SPD und Grüne beide standhaft bleiben, und die Koalition verweigern. Wollen wir doch mal sehen, wie wir dann in ein oder zwei Jahren bei den Neuwahlen entscheiden werden.

Im Wesentlichen ist es das schon, was ich meine.

Wir haben eine Frau gewählt, deren Politikstil verheerend ist. Dieser Stil mag in die Zeit passen, er mag auch zu diesem Volk passen.
Den Grünen wurde, nicht ganz zu Unrecht, wie Julia Seeliger hier unter anderem kurz darlegt, »Nannypolitik« vorgeworfen. Gewählt haben die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eine »Mutti-wirds-schon-richten«-Politik. Eine Politik, die »unaufgeregt« genannt wird und doch bloß sedieren möchte.
Angela Merkel hat keinerlei Gegenspieler mehr. Innerparteilich schon lange nicht, außerhalb der Partei auch nicht. Das ist kein Zufall. Das ist System. Bei Sascha Lobo las ich das hübsche Wortspiel, Frau Merkel beherrsche die hohe Kunst des K.O.alierens. Und das scheint es mir zu treffen. Was die CDU gerade sucht, sind keine Partner, sondern Steigbügelhalter. Die auch in der Journaille verbreitete Mär, es wäre ein Koalitionspartner wichtig, um ein inhaltliches Korrektiv zu bilden, hat sich in den letzten 8 Jahren doch als klar illusorisch erwiesen. Es ist in einer Koalition mit Angela Merkel nicht möglich, inhaltliche Schwerpunkte gegen sie zu setzen. Das mag so in Ordnung sein, immerhin ist die die Kanzlerin, aber die Auswirkungen sind verheerend, wie SPD und FDP ja nun schmerzlich lernen mussten. Beide Parteien werden noch heute für Entscheidungen und nicht umgesetzte Ankündigungen abgestraft, die weitgehend der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin anzulasten ist. Einer Kanzlerin, die ohne mit der Wimper zu zucken Minister, langjährige Weggefährten und Koalitionspartner fallen lässt, sobald sie das Gefühl hat, sie würden ihr schaden (ich sage nur »vollstes Vertrauen«). Dass sie dies in einer Endgültigkeit schafft, die ihresgleichen sucht, spricht für ihre Fähigkeiten als Machtpolitikerin. Aber die Konsequenz daraus für alle anderen sollte dieselbe sein, die auch König Friedrich August III. zog, als man für ihn untragbare Dinge verlangte: »Nu da machd doch eiern Drägg alleene.«**
Und dabei geht es erst in zweiter Linie darum, die koalierende Partei vor Schaden zu beschützen, nein, ganz im Gegensatz zu Schäubles staatstragender Behauptung, man müsse jetzt im Interesse des Landes mit der CDU zusammenarbeiten, ist es vielmehr gerade im Interesse dieses Landes, dass einer solchen Machtpolitik, die von keinerlei inhaltlicher Ausprägung mehr getragen wird, entgegengewirkt wird. Wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Staates eine solche Politik wollen, dann sollen sie sie wählen. Dann aber richtig. Bitte, dann wählt doch Frau Merkel eine absolute Mehrheit. Aber dann muss sie und ihre Partei wenisgtens endlich offensichtlich und offenkundig für ihre Politik einstehen. Eine Koalition von Merkels Gnaden dient eben gerade nicht dem Staatsinteresse, sondern ausschließlich dem Interesse ihrer Partei. Wer so konsequent und so nachhaltig alles und jeden wegbeißt, der soll zusehen, wie er alleine klar kommt. Das wäre soziale Gerechtigkeit***. Es ist Zeit, das zurückzugeben, was Angela Merkel und die armseligen Figuren, die sie noch neben sich duldet, austeilten. Es ist Zeit, sie auflaufen zu lassen.

Und wenn es dann Neuwahlen gibt und die CDU eine absolute Mehrheit bekommt – nun bitte, dann haben wir es wenigstens nicht anders gewollt.

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Dass sie gute Worte zu finden vermag, überrascht an sich natürlich nicht, immerhin ist sie Schriftstellerin. Aber nicht alle Schriftstellerinnen finden auch treffende Worte zur Lage der Nation. 😉
Ja, ich weiß, das Zitat ist nicht belegt, aber es ist einfach zu schön und passt so gut zu ihm. Und hey, wir feiern immer noch den Thesenanschlag Luthers, der inzwischen als widerlegt gilt, insofern…
ich weiß übrigens nicht, wieso der Begriff »sozial« derart pervertiert wurde, dass er sich auf ökonomische Verhältnisse bezieht. Ob sich jemand sozial oder asozial verhält, hat doch nichts damit zu tun, wieviel Geld er besitzt. »Sozial schwach« ist doch nicht, wer wenig finanzielle Mittel hat, sondern wer »ich« denkt, wo »wir« zu denken wäre.

Die bösen Nichtwähler

Morgen ist es also mal wieder soweit:
Es sind vier Jahre rum, auf einmal ist die Meinung der Bürger wieder furchtbar wichtig und so werden diese denn auch von durch Werbeagenturen gnadenlos optimierten und nahe an die Nullaussage geführten Kampagnen umworben. Da hat sich nicht viel geändert, es sei daher noch einmal auf die Plakate-Rundschau aus dem Landtagswahlkampf 2009 verwiesen verwiesen. Es ist erstaunlich, wie wenig Unterschied das macht.
Eines allerdings scheint mir 2013 nun doch neu zu sein, nämlich das zunehmende Nichtwähler-Bashing. Ich bilde mir ein, dass in früheren Wahlgängen doch die Frage, wie man sie zum Wählen motivieren klönnte, twas mehr im Vordergrund stand. Jetzt aber tendiert das doch eher in Richtung Beschimpfung. Als ob es keine guten Gründe gäbe, nicht wählen zu gehen. Ich jedenfalls kann es sehr gut nachvollziehen, wenn sich jemand aus guten Gründen weigert, für etwas zu sein, von dem er oder sie nicht überzeugt ist. Denn das Kreuz auf dem Wahlzettel ist j aimmer eine Entscheidung für jemanden. Und wenn keine der angebotenen Optionen akzeptabel ist, halte ich es für absolut zulässig, die Zustimmung zu verweigern. Schließlich werden sich hinterher alle hinstellen und behaupten, soundsoviele wären von ihrer Politik überzeugt und hätten ihnen einen Auftrag erteilt. Da spielen Differenzierungen wie »Ich wähle die unter großen Bauchschmerzen, weil alle anderen noch schlimmer sind.« keine Rolle. natürlich kann es sein, dass Menschen nicht wählen, weil sie zu bequem oder zu faul sind. Das scheinen mir aber weit weniger zu sein als das gemeinhin behauptet wird. Die meisten Menschen, die nicht wählen gehen, wählen deshalb nicht, weil das Politiktheater, das ihnen geboten wird, sie nicht mehr überzeugt. Weil sie den Eindruck haben, dass dort etwas grundlegend falsch läuft.
Um nur mal einen Aspekt herauszugreifen: ich empfehle der geneigten Leserschaft einmal, sich die Lebensläufe der Regierungsmitglieder anzuschauen und zu überprüfen, wie viele von denen jemals einer realen Arbeit nachgegangen sind. Der Anteil der Politiker, die schon einmal etwas anderes gemacht haben als Politik, nimmt stetig ab. Das wird zunehmend ein Verein, der Leute heranzüchtet, die nichts anderes kennen als diesen nach seinen eigenen Regeln funktionierenden Betrieb. Und Inzucht war schon immer problematisch.

Auch wenn ich zu einem anderen Schluss komme, aber wenn Menschen, die noch vor wenigen Jahren auf die Straße gegangen sind, um unter Einsatz ihrer Unversehrtheit für ein Recht auf freie Wahlen zu kämpfen, jetzt zu Hause bleiben und verzichten, dann sollte das ein Signal sein, darüber nachzudenken, ob hier nicht etwas grundlegend falsch läuft.

Wir dachten unter kaiserlichem Zwange
an eine Republik … und nun ists die!

schrieb Kurt Tucholsky in »Ideal und Wirklichkeit«.
Dass die Lösung nicht in Appellen und noch mehr Plakaten und noch mehr Wahlständen liegt und auch nicht in der Beschimpfung von Nichtwählern als miese Demokraten, die bequem geworden sein und ihre Freiheit nicht zu schätzen wüssten. Nein, hier wäre mal eine gründliche Supervision oder zumindest mal eine Selbstreflexion angebracht. Möglicherweise macht ihr ja etwas grundlegend falsch, liebe PolitikerInnen. Think about it. Wenn ihr das noch könnt.

Zum Abschluss seien noch zwei Beiträge zum Thema empfohlen, zum einen der grundlegende Tucholsky-Text »Ein älterer, aber leicht besoffener Herr«, leicht gekürzt, aber unschlagbar vorgetragen von Gerd E. Schäfer:

Und natürlich, die nicht weniger grundlegende, aber doch weniger feingeistige Southpark-Folge »Wähl oder stirb«

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Merkt ihr nischt?

Ich habe mir bereits vor einiger Zeit abgewöhnt, den Verlautbarungen diverser Politiker Gehör zu schenken. Mir fehlt die Muße, unter all den Paraphrasen und Euphemismen mühsam das hervorzugraben, was gemeint sein könnte – wenn denn etwas gemeint ist.
Als allerdings einigermaßen politisch interessierter Mensch und nach der Erfahrung, dass die Dechiffrierer auch nicht ganz frei von Eigeninteressen sind, lässt es sich jedoch manches Mal nicht vermeiden, doch zur Quelle vorzustoßen und genauer zu schauen, was die Darsteller des Politikzirkus von sich geben.

So durften wir also in den letzten Tagen erfahren, dass Dank der heldenhaften Tätigkeit unserer Sicherheitskräfte und mit Unterstützung unseres Brudervolkes die hinterhältigen Pläne einiger vom imperialistischen Ausland gesteuerter feindlicher Elemente zum Sturz unserer demokratischen Ordnung vereitelt werden konnten.

Jedenfalls, wenn ich das richtig verstanden habe.

Nahezu gleichzeitig sah ich einen Bericht über begeisterte Eltern, die von den Möglichkeiten des Digitalen Klassenbuchs überaus erfreut waren, gibt es ihnen doch die Möglichkeit, jederzeit genauestens darüber informiert zu sein, wann sich ihr Kind wo wie aufge- und verhalten hat.

Und da frage ich mich doch: Merkt ihr nischt?

Mir jedenfalls ist klar, warum sich so ertaunlich wenig Protest regt: Die Leute finden das toll, der aufgeklärte, freiheitsliebende, aufrechte und kritische Citoyen ist eine Chimäre, ein Trugbild, ein Märchen. Es gibt ihn nicht. Oder zumindest nicht in ausreichender Anzahl.
Es bleibt nur noch festzuhalten, dass der Terror gewonnen hat, der Elfteseptember das Mahnmal des Abschieds von der Freiheit ist, denn diese haben wir aus purer Angst aufgegeben und finden das toll.

Falls unsere Kinder einmal fragen, warum Systeme wie die DDR so lange funktionierten: Eben genau darum: Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht zu fürchten. Und betroffen sind immer nur die anderen. Damit kann man offenkundig einen Staat machen.

Und die Bürger nicken.
Behaglich nicken sie, zufrieden, dass sie leben,
und froh, die Störenfriede los zu sein,
die Störenfriede ihrer Kontokasse.
Wo braust Empörung auf? Wo lodern Flammen,
die Unrat zehren, und sie heilsam brennen?
Die Bürger nicken. Schlecht verhohlne Freude.
Sie wollen Ordnung – das heißt: Unterordnung.
Sie wollen Ruhe – das heißt: Kirchhofsstille.

Kurt Tucholsky: Eisner. in: Die Weltbühne, 27.02.1919, Nr. 10, S. 224, wieder in: Fromme Gesänge.

Siehe hierzu auch das maßgebliche Buch zum Thema.

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