Das wird man ja mal noch sagen dürfen.

Die Geschichte der Meinungsfreiheit ist eine Geschichte voller Mißverständnisse. Eines der aktuell bevorzugten Mißverständnisse beruht darauf, daß offenbar viele annehmen, Meinungsfreiheit bedeute, die eigene Meinung unwidersprochen äußern zu dürfen.
Das bedeutet sie eben nicht. Meinungsfreiheit bedeutet eben auch die des Andersdenkenden und als Bestandteil einer mehr oder weniger offenen Gesellschaft gehört der Austausch von Argumenten, der Meinungswettstreit zu dieser Freiheit dazu. Welchen Zweck sollte sie auch sonst haben? Wer Selbstbestätigung will, kann sich ja vor einen Spiegel stellen. Natürlich kann niemand dazu gezwungen werden, tatsächlich über Einwände nachzudenken oder gar sich von Tatsachen verwirren zu lassen, mithin also schlicht auf der eigenen Sicht der Dinge zu beharren, ganz egal, ob das Sinn macht – es entspricht aber nicht unbedingt dem Konzept, auf dem die Idee der Meinungsfreiheit beruht.
Ich habe hier im Blog ja gelegentlich meiner Sorge Ausdruck gegeben, daß die sogenannte “Neue Rechte” mit ihren zum Teil subtilen Methoden massiv unterschätzt werden. Wie weit diese mit ihren Argumentationsstrukturen bereits im gesamtgesellschaftlichen Diskurs angekommen sind, ist der eigentlich erschreckende Befund der unsäglichen Sarrazin-Debatte. Einer der Kernpunkte ist nämlich die Behauptung, böse, von Althippies kontrollierte Systemmedien würden die Meinungsfreiheit untergraben, indem sie ein Meinungskartell bildeten, in dem nur eine bestimmte Denkrichtung erlaubt sei.
Der Applaus für Thilo S. von Rechtsaußen kam also keineswegs einfach nur deshalb, weil seine Thesen so schön ins Weltbild passen, sondern durchaus auch deshalb, weil er sich ganz hervorragend eignet, eben jene These vom Meinungskartell zu stützen. Daß jemand, der seit Jahren in nahezu allen Medien präsent ist, in den letzten Wochen eine Anwesenheitsliste in Fernsehtalkshows hatte, um die ihn so mancher beneiden dürfte, kurz: Der eine Bühne bereitet bekam, um seine Meinung ausgiebig kundzutun, daß dieser also in seiner Meinungsfreiheit beschnitten sein soll, scheint mir absurd. Noch viel absurder finde ich allerdings, daß das auch noch funktioniert.
Daher bin ich äußerst dankbar für diesen Kommentar Robert Misiks, der in die Kategorie: “Artikel, die ich geschrieben hätte, könnte ich so schreiben.” fällt.

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P.S. Mein Lieblingskommentar zu Sarrazin stammt immer noch von Ben Wettervogel, der nach einem Beitrag zum Thilo im Morgenmagazin das Wetter anmoderierte mit: “Morgen werden 17 Grad, das wird man ja wohl noch sagen dürfen.”

Das Ende einer Liebe

Zunächst sei gesagt: Mit gebrochenem Herzen formuliert es sich schlecht, ich bitte also um Vergebung, sollte dieser Beitrag der gewohnten Brillanz und des üblichen Ésprit entbehren.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann es begann, nach meiner Erinnerung muß es irgendwann 1997 oder 1998 gewesen sein, als ich mich zu meinem ersten Zeitungsabonnement entschloß.
Eine Tageszeitung gehörte meiner Überzeugung nach einfach dazu, wenn man sich als politisch denkender Mensch, noch dazu mit dem einen oder anderen Ideal im Kopf, Ernst nehmen möchte.
Nach Durchsicht diverser verfügbarer Zeitungen (so ein Unizeitschriftenlesesaal ist eine feine Sache) samt frustrierender Leserlebnisse, die ich auf einer Geburtstagsfeier mitteilte, wurde ich auf “die tageszeitung” aufmerksam gemacht.
Nun, was soll ich sagen, es war Liebe auf den ersten Blick.
Ich vermag heute natürlich nicht mehr genau zu eruieren, was mich seinerzeit so faszinierte (ihr Äußeres war es jedenfalls nicht 😉 ), aber die taz sprach Themen an, die anderswo unausgesprochen blieben, die taz widmete gerne auch mal mehrere Seiten einem Thema, wenn es ihr wichtig schien (und zwar vollkommen unabhängig davon, ob das Thema auch in anderen Medien grade wichtig war), sie hatte einen journalistischen Stil, der Freude beim Lesen machte. Und ich hatte immer das Gefühl,
die Autoren hatten wirklich etwas zu sagen und sie kannten sich auch aus, wenn sie sich äußerten. Es gab sogar Plattformen für Leute, die ganz eindeutig anderer Meinung als die Redakteure und erst Recht der LeserInnen waren (sehr schön dazu).
Außerdem habe ich, und das gilt bis heute, noch keine besseren Satireseiten einer Tageszeitung gelesen, als in der taz (gibt es überhaupt Tageszeitungen mit mehr als einer Seite, mit überhaupt einer ganzen Seite?).
Kurz: Es war eine ganz andere Art, Zeitung zu machen. Und irgendwie war es auch mehr, als einfach eine Zeitung zu lesen (sehr schön dazu)
Nun, zugegeben, die taz war immer eine recht kostspielige Geliebte, mehr als 3 Jahresabonnements habe ich mir im Laufe der Jahre nicht leisten können, aber Unabhängigkeit und Anspruch haben ihren Preis.

Doch ich habe im Laufe der Jahre nie mehr eine andere Zeitung gekauft, wenn es keine taz gab, kaufte ich lieber keine Zeitung (wär ja noch schöner, Holtzbrinck und Springer verdienen auch ohne mich genug Geld).
Aber, wie das so ist, wir alle verändern uns. Und auch die taz hat sich allmählich vom linksalternativen Projekt zum mittelständischen Medienunternehmen entwickelt.
Das ging natürlich schleichend und über viele Jahre hinweg blieben die meisten der Dinge, die ich an dieser Zeitung geschätzt habe, erhalten.
Als es dann im Zuge des 30. Geburtstages der taz hieß, man wolle sich ganz anders präsentieren, schwante mir nichts Gutes und die Äußerungen Peter Unfrieds auf einer Leipziger Veranstaltung machten mich noch unruhiger. Und, was soll ich sagen?
Das neue Layout zum Geburtstag übertraf alles, was ich befürchtet habe. Man feierte sich dort allen Ernstes für ein Layout, daß die MZ schon vor 10 Jahren hatte und das derartig nichtssagend ist, daß ich zum allerersten Mal die taz am Kiosk SUCHEN mußte. Ich mußte die noch nie suchen, die stach immer heraus.
Die Antwoert, die dann irgendwann einmal aus Herrn Unfrieds Feder auf die durchaus kontroversen Reaktionen kam, war ein derart enttäuschendes Mainstream-Manager-Geschreibsel(Veränderungen irritieren oft, man muß sich dran gewöhnen, dann wird das schon und überhaupt die meisten finden das sehr schön – was man eben so sagt), die Artikel wurden immer seichter, immer oberflächlicher, immer mehr neon-like, daß ich sogar Langeweile empfand.
Nun, und endgültig das Aus war dann der Weggang Bascha Mikas, die durch eine Dame ersetzt wird, die genauso gut bei der Financial Times oder der Welt oder sonst irgendeinem Blatt schrieben könnte – und die auch genau solches unverbindliches, oberflächlich-anbiedernders Zeug schreibt.

Eine Ahnung davon bekommt ihr vielleicht, wenn ihr einfach das Interview mit Bascha Mika lest und im Vergleich dazu den Antrittsartikel ihrer Nachfolgerin.

Das ist nicht die Zeitung, für die ich immer und überall geworben habe, das ich nicht die Zeitung, die ich immer und überall verteidigt habe, das ist nicht die Zeitung, die ich immer und überall mit Stolz gelesen habe. Das ist eine Zeitung wie alle anderen auch. Und so werde ich sie wohl auch in Zukunft behandeln, wie eine unter vielen.

Wahrscheinlich ist die taz deswegen noch immer keine schlechte Zeitung, aber kann man so etwas lieben?
Und mit leisem Bedauern trete ich aus dieser Genossenschaft, zu deren Mitgliedschaft in meinen Augen immer Herz gehört, aus.