Das Buch zum Sonntag (50)

Für die morgen beginnende Woche empfehle ich der geneigten Leserschaft zur Lektüre:

Terry Pratchett: Der fünfte Elefant

Zugegeben, ein Geheimtipp ist Sir Terry Pratchett nun gerade nicht. Aber es soll ja Menschen geben, die um alles, was auch nur annähernd nach “Fantasy” aussieht, einen großen Bogen machen. Keineswegs immer zu Unrecht, in diesem Falle allerdings schon.
Genretypisch hat Pratchett eine eigene Welt entworfen, im vorliegenden Falle handelt es sich um die Scheibenwelt, die so heißt, weil es sich bei ihr um eine Scheibe handelt,m die von vier Elefanten getragen wird, welche auf dem Rücken einer Schildkröte stehen – was weit weniger seltsam wirkt, wenn man sich beispielsweise mit indischen Mythen beschäftigt.
Was ich aber an Pratchett mag, sind seine Figuren, die durchaus mit Tiefe überzeugen, seine Dialoge und sein geistreicher Stil. Das ist beste britische Literaturtradition, für die ich ja bekanntermaßen eine Schwäche habe. Noch viel stärker als bei historischen Romanen, besteht in der phantastischen Literatur die Möglichkeit, die hiesige, zeitgenössische Welt genauestens unter die Lupe zu nehmen.
Und genau das macht Pratchett exzellent. Ich lese seine Romane geradezu als satirische Rundumschläge, bei denen niemand ungeschoren bleibt. Da werden menschliche Schwächen ebenso aufs Korn genommen wie die Merkwürdigkeiten der ach so hoch entwickelten menschlichen Zivilisation.
Zum Auftakt mal eine Szene, die Oscar-Wilde-Lesern vertraut sein könnte:

In einem nicht weit entfernten Schloss blätterte Lady Margolotta stumm in einer Ausgabe von Twurps Adelsverzeichnis.
Es war kein besonders gutes Nachschlagewerk für die Länder auf dieser Seite der Spitzhornberg, wo das Standardwerk Der große Almanach hieß – darin nahm Lady Margolotta vier Seiten ein.* Aber es leistete wertvolle Dienste, wenn man wissen wollte, wer in Ankh-Morpok eine Rolle spielte.
Inzwischen steckten Dutzende von Lesezeichen in dem dicken Buch.[…]
Wen würde Vetinari schicken?
Lady Margolotta erhoffte sich wichtige Hinweise von seiner Wahl. Entsandte er vielleicht jemanden wie Lord Rust? Oder Lord Selachii? Dann würde sie weit weniger von ihm halten. Nach dem, was sie gehört hatte – und Lady Margolotaa hörte viel -, konnte das diplomatische Korps von Ankh-Morpok den eigenen Hintern nicht einmal mit einer Karte finden. Natürlich war es sehr nützlich für einen Diplomaten, dumm zu wirken, bis er einem die Socken klaute, aber Lady Margolotta hatte einige Botschafter von Ankh-Morpok kennen gelernt, und ihrer Meinung nach konnte niemand so gut schauspielern.[…]
Sie zögerte und zog dann den Klingelzug über dem Sarg. Igor erschien erneut, auf typische Igor-Art.
“Die tüchtigen, jungen Männer beim Nachrichtenturm sind noch wach, nicht wahr?”
“Ja, gnä´ Frau.”
“Lass unserem Agenten eine Mitteilung zukommen. Er soll alles über Kommandeur Mumm von der Wache herausfinden.”
“Ift er der Diplomat, gnä´ Frau?”
Lady Margolotta legte sich hin. “Nein, Igor. Er ist der Grund für Diplomaten. Bitte schließ den Deckel.”

* Bei Vampiren wachsen die Namen immer mehr in die Länge. Es hilft ihnen, sich während der langen Jahre die Zeit zu vertreiben.

(S. 37f.)*

Wir sehen, eine sympathische, distinguierte Dame aus altem Adel, nicht ohne Einfluß, der ein Polizist in diplomatischer Mission geschickt wird. Die Szenen mit beiden sind wahre Höhepunkte. Es gibt einige liebenswerte Figuren in Pratchetts Universum, der immer wieder in eigenartige Situationen geratende Sam Mumm gehört sicher dazu. Mein erklärter Favorit aber, und ich vermute stark, damit nicht allein zu sein, ist Tod. Eigentlich ist es ein ziemlich billiger Trick, Abstracta zu personifizieren, aber wie Pratchett den Tod gestaltet, das ist einfach zu köstlich.

GUTEN MORGEN.
Mumm blinzelte. Eine große, in einen dunklen Umhang gehüllte Gestalt saß plötzlich im Boot.
“Bist du der Tod?”
ES LIEGT AN DER SENSE, NICHT WAHR? DEN LEUTEN FÄLLT IMMER DIE SENSE AUF.
“Sterbe ich?”
VIELLEICHT.
Vielleicht? Du erscheinst, wenn jemand vielleicht stirbt?”
JA. DAS IST JETZT GANZ NEU. WEGEN DES UNSICHERHEITSPRINZIPS.
“Was ist das denn?”
ICH BIN NICHT SICHER.
“Ein sehr nützlicher Hinweis.”
ICH GLAUBE, ES BEDEUTET, DASS JEMAND VIELLEICHT ODER VIELLEICHT AUCH NICHT STIRBT. NATÜRLICH BRINGT ES MEINEN TERMINKALENDER VÖLLIG DURCHEINANDER, ABER ICH VERSUCHE, MODERN ZU SEIN.

(S. 303)

Tod hat es wirklich nicht leicht. Nie. In einem anderen Roman nimmt er Urlaub und läßt sich von seinem Azubi vertreten – ihr macht euch keine Vorstellungen…

Wahrscheinlich bringt die Lektüre Pratchetts uns der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält auch nicht näher. Aber ich bin sicher, es hilft, einige Dinge klarer zu sehen:

Hier sind die Dinge anders, Herr. Erst vor 10 Jahren wurden Gottesurteile durch Gerichtsverfahren abgelöst, und nur deshalb, weil man herausfand, dass Anwälte viel scheußlicher sein können.

**

Wie wichtig der Wort- und Sprachwitz Pratchetts ist, läßt sich übrigens sehr gut an den Verfilmungen erkennen, in denen all die vielen Seitenhiebe und Nebenbemerkungen (Pratchett setzt stark auf Fußnoten, nicht ganz so exzessiv wie Moers oder gar Stauffer, aber doch in erheblichem Ausmaß) schlicht verloren gingen.

Zum Abschluß noch der gewohnte Hinweis auf die

lieferbaren Ausgaben.

*zitiert nach: Pratchett, Terry: Der fünfte Elefant. Goldmann TB München 2002
** ich habe die Stelle nicht wiedergefunden. Aber sie ist drin. Sachdienliche Hinweise nehme ich gerne entgegen.

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