Es ist wieder an der Zeit, ein paar Bücher vom Nachttisch zu räumen. Dieses Mal drei Bücher, bei denen es in unterschiedlicher Weise um unsichere Wahrheiten geht und die Bilder, die wir uns von uns selbst oder von anderen machen.
Vigdis Hjorth: Die Wahrheiten meiner Mutter
Johanna kommt nach Jahrzehnten in ihre Heimat zurück. In eine Heimat, deren Offizielle sie mit einer Retrospektive ehren, in der aber ihre Familie sie ablehnt. Insbesondere ihre Mutter verweigert jeden Kontakt. Nun ist sie selbst keine junge Frau mehr, ihr Mann verstorben, ihr Sohn ausgezogen und sie versucht, die Gräben zu überwinden. Immer wieder versucht sie neue Wege, sich ihrer Mutter zu nähern, den festen Panzer der Ablehnung zu durchbrechen. Doch dieser Panzer besteht aus Wahrheit. Aus der Wahrheit, die ihre Mutter entwickelt hat, ganz eigene Erzählungen, die sich von Johannas eigenen massiv unterscheiden.
Ich habe die Ambivalenz aus dem Wunsch, die Mauern niederzureißen und sich selbst aber weder aufzugeben noch leiden zu wollen, jederzeit klar spüren können. Die schlichte, aber emotional tiefe Sprache hat mich begeistert. Die Redundanz ohne Entwicklung machte das Werk schwer zu ertragen – und das ist wahrscheinlich werkimmanent, aber es fiel mir schwer, bis zum Ende dranzubleiben.
Buchdetails:
Vigdis Hjorth: Die Wahrheiten meiner Mutter : Roman [OT: Er mor død] ; aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023, 398 Seiten, ISBN 978-3-10-397512-3 ; als Hardcover 24 € ; als Taschenbuch 15 € ; als ebook 12,99 € ; als Hörbuch 19,95 €
Zoë Beck: Memoria
Harriet rettet eine Frau vor einem Brand – und anschließend ist nichts mehr wie vorher. Aus ihr nicht verständlichen Gründen tauchen Fragmente in ihren Erinnerungen auf, die nicht zu ihren Erinnerungen passen. Stück für Stück bricht ihre eigene Geschichte auseinander.
Was macht das mit einem Menschen, wenn er sich auf seine eigenen Erinnerungen nicht verlassen kann? Harriet zumindest nimmt das nicht hin und beginnt nachzuforschen. Eine nicht ganz ungefährliche Idee, denn es gibt Gründe…
Zoë Beck, the Queen of Near Future-Thriller, schont auch dieses Mal ihr Publikum nicht, Unzuverlässige Erinnerungen treffen auf undurchsichtige Figuren, technische Möglichkeiten und skrupellose Machenschaften. Die Spannung entsteht dabei nicht allein durch den Plot, eine der erschreckendsten Erkenntnisse beim Lesen ist: Das alles könnte genau so geschehen – und vielleicht geschieht es schon.
Buchdetails
Zoë Beck: Memoria : Thriller ; Suhrkamp Verlag Berlin 2023, 280 Seiten ; ISBN 978-3-518-47292-7 ; als Paperback 16,95 € ; als ebook 14,99 € ; als Hörbuch 20 €
Tom Hillenbrand: Die Erfindung des Lächelns
Leonardo da Vincis Mona Lisa ist von Legenden umrankt, wozu auch die Legende gehört, es sei vor seinem Diebstahl aus dem Louvre 1911 nahezu unbekannt gewesen. Wie das mit Legenden so ist, so ist auch das natürlich ebenso unrichtig wie nicht ganz falsch. Vor 1911 war die Mona Lisa noch nicht das Überbild, der Übermythos, zu dem das Gemälde heute geworden ist.
Es gibt kaum eine prominente Persönlichkeit aus der Zeit, die nicht mit dem Diebstahl in Verbindung gebracht wurde. Tom Hillenbrand webt aus den unzähligen Legenden und Gerüchten ein Panorama der flirrenden, nervösen Zeit am Ende der Belle Epoque. Mich haben die zahlreichen realen Personen etwas gestört, es hatte ein bisschen was von Name-Dropping – für mich war das unnötig und lenkte etwas ab, weil es einen Fokus verschiebt. Der Roman wäre auch ohne dieses Panoptikum gelungen. Aber meine persönlichen Befindlichkeiten sollen nicht schmälern, dass dieser Roman ein dichtes Portrait der Endzeit des langen 19. Jahrhunderts zeichnet und die Stimmung mindestens einiger Gesellschaftsschichten einfängt und nachempfinden lässt.
Buchdetails
Tom Hillenbrand: Die Erfindung des Lächelns : Roman, Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln 2023, 503 Seiten, ISBN 978-3-462-00328-4 ; als Hardcover 25 € ; als Taschenbuch 16 € ; als ebook 12,99 € ; als Hörbuch 25 €













