Gesuino Némus: Süße Versuchung

Telévras ist ein Bergdorf auf Sardinien und weit weg vom Rest der Welt. Durch die knapp bemessene Infrastruktur sogar überraschend weit weg vom Meer – selbst die letzte Buslinie steht auf der Kippe, damit wäre man dort endgültig unter sich. Die Ankunft des suspendierten Inspektors Marzio Boccinu, dem mit einer Mischung aus Neugier, Skepsis und Gastfreundschaft begegnet wird, bringt eine Kette von Ereignissen in Gang, die das scheinbar so wohlgeordnete Dorfleben gehörig durcheinanderwirbeln.

Gesuino Némus schildert die eigenwilligen und stolzen Dorfbewohner als Menschen, die in einer abgehängten Gegend der Welt nach Wegen suchen, mit den auch auf sie wirkenden Änderungen der Lebensumstände umzugehen. Dabei werden die Hoffnungen je nach Charakter und Eigeninteressen auf Dorffeste, neue und alte Mythen, Fernsehshows, Tourismusvereine oder Gefängnisneubauten gesetzt. Und wie so oft, so verbergen sich auch hier unter der scheinbar harmlosen Oberfläche von Mord bis Korruption allerlei Abgründe.

Mitgerissen hat mich in diesem Roman aber weniger die Krimihandlung als vielmehr Némus‘ beeindruckende literarische Erzählkraft – er zeichnet vielschichtige Figuren und stellt sie und ihren Ort so plastisch dar, ich meinte regelrecht in diesem Dorf zu wohnen. Was mich im Verlagstext eher abgestoßen hat, nämlich die Beschreibung »die Bewohner des Dorfes, mit ihren schrulligen Gewohnheiten und verqueren Ansichten«, zeigt sich tatsächlich vielmehr als empathische und lebensnahe Charakterzeichnung und hat mich sehr für dieses Buch eingenommen.

Buchdetails:
Gesuino Némus: Süße Versuchung (=Ein-Sardinien-Krimi 2). Aus dem Italienischen von Juliane Nachtigal. Original-Titel: Ora Pro Loco. Eisele Verlag München 2022. ISBN 978-3-96161-132-4, Paperback, 16,99 € als ebook 13,99 €
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Oliver Pötzsch: Das Mädchen und der Totengräber

Im ausgehenden 19. Jahrhundert schwappte gerade mal wieder eine Ägyptomanie-Welle über Europa. Dieses Mal standen Mumien besonders hoch im Kurs. Gerade gut betuchte Damen und Herren trafen sich zum gemeinsamen Mumienauswickeln – was ein Spaß. Allerdings sollte dabei die Mumie auch wirklich alt sein, sonst wird aus dem Spektakel schnell ein Fall der Leichenschändung.

Und das war auch in Wien, trotz des sehr eigenen Verhältnisses der dortigen Stadtbevölkerung zum Tod, strafbar. Leopold von Hertzfeld, nicht gerade heißgeliebter Kollege der Wiener Ermittlungsbehörden (redet Hochdeutsch, hat neumodische Ansichten und Methoden, stammt aus einer jüdischen Bankiersfamilie und ist obendrein noch Liebling des Chefs), interessiert bei der im Kunsthistorischen Museum gefundenen Mumie allerdings nicht das Auswickeln, sondern das Einpacken – denn der aufgefundene Körper gehört zu einem vermissten Professor und seine Todesumstände sind keineswegs eindeutig.

»Das Mädchen und der Totengräber« ist der zweite Fall für Leopold von Hertzfeld, Julia Wolf und Augustin Rothmayer – aber problemlos ohne Kenntnis des ersten zu lesen. Neben reichlich Lokal- und Zeitkolorit bietet Pötzsch einen verwickelten Kriminalfall, der nicht ganz so einfach zu durchschauen ist. Seine Protagonist:innen sind klar, aber nicht plump, gezeichnet und bieten Identifikationspotential. Gerade Julia Wolf, deren prekäre Lage bei ihr zu Prioritäten, Wünschen und Bedürfnissen führt, die nahezu inkompatibel mit ihrern gesellschaftlichen Möglichkeiten sind, wird in diesem Band zu einer zentralen Figur und Handlungstreiberin. Dass Pötzsch diese Gelegenheit ergreift und uns hier nicht das drölfigste Paar präsentiert, das durch unerschütterliche Liebesbande vereint den Unbillen ihrer Zeit mutig entgegensteht, ist eine echte Wohltat.

Wie überhaupt die Entwicklung der Figuren spannend und spannungsreich ist und so eine gute Ergänzung zum dramatischen Geschehen der Kriminalhandlung darstellt. Mich hat dieser historische Krimi sehr gut unterhalten, mir scheint der Zeitgeist überzeugend eingefangen, er liest sich gut weg und ich freue mich auf Band 3.

Buchdetails:
Oliver Pötzsch: Das Mädchen und der Totengräber (=Ein Fall für Leopold von Hertzfeld 2). Ullstein Berlin 2022. ISBN 978-3-86493-166-6, Paperback, 16,99 €, als ebook 10,99 €
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Michael Peinkofer: Die Welt der Orks

Die Orks Balbok und Rammar sind Könige auf einer Insel, auf der ihre Herrschaft von niemandem in Frage gestellt wird. Und so könnten sie ein bequemes Leben führen – also zumindest ein solches, das den Ork-Definitionen von »bequem« entspricht. Aber wie das so ist: Das Universum hat andere Pläne. Sturm, Donner und ein mächtiges Beben erschüttern die Insel. Während Rammar das Ganze auf sich beruhen lassen will, treiben Neugier und Sorge Balbok dazu, unbedingt nachzuschauen, ob da nicht Kuruls Keule vom Himmel gefallen ist. Und damit fängt der ganze Schlamassel an.

Michael Peinkofer schreibt hier mit geübter Hand ein klassisches Fantasy-Abenteuer mit allem, was dazu gehört: Ein Jüngling auf Aventüre, bärbeißig-liebevolle Mentoren, dunkle Zauberer, bösartige Unterdrücker, hinterhältige Antagonist:innen, Drachen und unscheinbare Bewohner:innen, die ungeahnte Fähigkeiten in sich entdecken.

Doch auch wenn hier die Konventionen des Genres an keiner Stelle verlassen werden: Peinkofer versteht sein Handwerk und so ist es ein echtes Vergnügen, den Helden auf ihrer unfreiwilligen Reise zu folgen. Seine Charakterzeichnungen sind mitreißend, seine Helden sympathisch und das Setting der geradlinigen Orks, die sich um die komplexen Strukturen der Gesellschaft, in die sie unversehens geraten, keinen Deut scheren, sorgt immer wieder für äußerst komische Situationen.

Dieses Buch war ein großes Vergnügen, ich wurde wunderbar unterhalten.

Buchdetails:
Michael Peinkofer: Die Welt der Orks. Knaur München 2022. ISBN 978-3-426-22775-6. 431 Seiten, Paperback, 16,99 €, als ebook 14,99 €
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Alex Reeve: Der Mord in der Rose Street

London im ausgehenden 19. Jahrhundert: Das ist ein literarisch reizvoller Ort und dementsprechend reich bevölkert mit Literatur aller Genre ist er denn auch. Alex Reeve siedelt dort seine historische Kriminalreihe um Leo Stanhope an. »Der Mord in der Rose Street« ist Teil 2, allerdings der erste, der mir in die Hände fiel. Es gibt zwar verschiedene Verweise auf den ersten Fall, aber die Unkenntnis desselben hindert Verständnis und Lesefluss überhaupt nicht.

Leo Stanhope hat es nicht leicht: Da seine Familie – für das viktorianische England nun keineswegs untypisch – Schwierigkeiten damit hat, dass die geliebte Tochter sich als Mann identifiziert, muss er weit unter den materiellen Verhältnissen seines Standes leben und verdient sich seinen Lebensunterhalt sehr mühsam. Dass er unversehens ins Visier einer Mordermittlung gerät, ist dabei nicht hilfreich.

In seinem wendungsreichen Krimi, der unter Mittellosen und Revolutionären ebenso wie unter Reichen und Mächtigen spielt, gelingen Reeve ein paar interessante Charakterstudien – ohne das hier jetzt zu hoch hängen zu wollen. Aber seine Figuren sind plastisch und bei aller notwendiger Typisierung keineswegs eindimensional. Gerade das besondere Beziehungsgeflecht, in dem Stanhope sich bewegt, einem Netzwerk, das er zum Überleben braucht, bei dem zu große Nähe aber sofort auch Gefahr bedeutet, das ist gut herausgearbeitet. Überhaupt: Wie die besondere Gefahr, in der sich Stanhope (hier ganz klassisch Detektiv wider Willen) permanent befindet, immer spürbar bleibt, ohne vordergründig zu werden, das ist geschickt gemacht. Mir brachte es die kontraintuitive Erkenntnis, dass gerade die prüden Beschränkungen der viktorianischen Sexualmoral, die zu einer gezwungenen Zurückhaltung in der Öffentlichkeit führten, Freiheiten ermöglicht haben könnten.

Alles in allem eine angenehme Krimilektüre, kurzweilig und gerne gelesen.

Buchdetails:
Alex Reeve: Der Mord in der Rose Street (=Ein Fall für Leo Stanhope 2). Knaur München 2022. ISBN 978-3-426-52825-9, 416 Seiten, Paperback, 12,99 €, als ebook 9,99 €
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Chevy Stevens: Tief in den Wäldern

Cover-Abbildung zu Chevy Stevens, Tief in den Wäldern

Teenager Hailey hat schwere Schicksalsschläge hinter sich. Nach dem Unfalltod ihres Vaters ist sie Vollwaise und zieht bei ihrem Onkel ein. Dessen Familie scheint die wahr gewordene Vorstadtidylle zu sein: Häuschen, Hausfrau, Kind, Garten und der Vater ist Polizist – in welchem Umfeld sollte sie wohl besser aufgehoben sein und zur Ruhe kommen können als dort?

Doch schnell tun sich Abgründe auf, der scheinbar so makellose, umgängliche Polizist entpuppt sich als kontrollsüchtiger Manipulator, der offenbar die ganze Kleinstadt im Griff hat. Dass in der Umgebung regelmäßig junge Frauen spurlos verschwinden, macht es für die nach Selbstbestimmung und Freiheit suchende Hailey nicht einfacher, ihrem Vormund etwas entgegenzusetzen. Wohin sie auch geht – er scheint immer da zu sein. Nur mühsam gelingt es ihr, Bindungen zu anderen Menschen aufzubauen oder zu halten – und als sie schließlich selbst verschwindet, eskalieren die Ereignisse.

Idyllische Kleinstädte als Orte des Grauens – das ist ein gängiger Topos in der Spannungsliteratur. Dementsprechend schwierig ist es, da eigene Akzente zu setzen, wenn nicht wiederholt werden soll, was schon tausendmal geschrieben und gesagt wurde.

[Wobei dagegen nichts zu sagen wäre, seit Jahrtausenden lieben es die Menschen, dieselben Geschichten immer wieder erzählt zu bekommen, es ist überhaupt nicht verwerflich, diesem Konzept treu zu bleiben. Und unter uns: Wer behauptet, als einziges Leseinteresse »das völlige Neuartige« zu haben, dem begegne ich mit großer Skepsis. Als ob niemand einfach mal eine Geschichte hören oder lesen möchte, ohne dabei der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, auch nur ein Iota näher zu kommen. Irgendwann muss das Gehirn ja auch mal ausruhen und entspannen – und wobei ginge das besser als bei einer Geschichte, bei der wir sofort wissen, wer Gut und Böse sind und wie es ausgehen wird…]

Chevy Stevens erzählt aus verschiedenen Perspektiven, wobei die Erzählfäden sich immer wieder abwechseln, was eine reizvolle Spannung erzeugt, das hat mir sehr gefallen. Geradezu körperlich spürbar wird bei ihr die Athmosphäre von Cold Creek, dieser kleine Ort im Nordwesten Kanadas, in dem die einzigen Fremden die rastenden Trucker sind, wo jede:r jede:n kennt und jede:r von jede:m abhängig ist – mit dem geradezu allmächtigen örtlichen Polizeichef, der immer freundlich, immer jovial, immer verbindlich auftritt und doch jederzeit die Szenerie beherrscht. Diese gedrückte Stimmung, in der niemand frei zu atmen scheint, alle permanent auf der Hut sind, aber schicksalsergeben meint, dass dies so sein müsse und nichts gefährlicher wäre, als daran zu rühren: Das fängt Chevy Stevens hervorragend ein.

Es ist logisch, dass es dann die junge Hailey ist, die aufbegehrt, die ausbricht – sie, die keine Bindung mehr hat, die alles verloren hat und die ihre Ohnmacht erlebt, aber nicht bereit ist, sie hinzunehmen. Es hat mir sehr gefallen, dass hier einem scheinbar übermächtigen Schurken keine übermächtige Heldin gegenüber gestellt wurde. Sondern eine Jugendliche, die verzweifelt ist, aus ihrer Verzweiflung Mut schöpft, die aber auch nicht loslassen kann und die trotz allem Grenzen hat, die sie nicht überschreiten kann.

Es braucht eine Figur von außen, um diese geradezu gordisch verknotete Gemeinschaft auseinanderzutreiben und zu erlösen. Geübte Leser:innen werden von der Auflösung nicht überrascht sein, aber der Krimiplot steht – zumindest in meiner Lesart – hier auch nicht im Mittelpunkt. Sondern die vielfältig verwobenen Machtstrukturen, die Gewalt gegen Frauen ermöglichen und die Täter schützen.

Buchdetails:
Chevy Stevens: Tief in den Wäldern. Aus dem Englischen übersetzt von Maria Poets. Fischer Scherz Frankfurt am Main 2022. 461 Seiten, Paperback, 16 €, als ebook 4,99 €
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Anthony Horowitz: Der Tote aus Zimmer 12

Susan Ryeland ist eine ehemalige Lektorin. In ihrem Berufsleben betreute sie einen eigenwilligen, aber erfolgreichen Krimiautor. Dieser ist aber inzwischen tot und ihr Lebensmittelpunkt hat sich nach Kreta verlagert, wo sie mit ihrem Lebensgefährten ein mehr oder weniger gut gehendes kleines Hotel betreibt.

So weit, so Klischee. Auffällige Parallelen zwischen einem Roman ihres einstigen Star-Autors und dem tatsächlichen Verschwinden einer jungen Frau in England führen sie dorthin zurück und nun soll sie den Fall aufklären – denn immerhin entstand der Roman kurz nach dem Aufenthalt des Krimi-Autors am Ort des Geschehens und die handelnden Figuren sind nur mühsam kaschierte Abbilder des Personalensembles vor Ort.

Horowitz ist ein geübter Kriminalautor, er weiß, wie man Fälle konstruiert und er steht unstrittig in der Tradition des klassischen englischen Kriminalromans. Das wird auch in diesem Roman offenkundig, er legt falsche und echte Fährten aus, reichert das Geschehen häppchenweise mit Details an und hält auf diese Weise alles in der Schwebe. Und natürlich wird Susan Ryeland die großzügige Unterstützung zunehmend versagt, je mehr unangenehme Fragen sie stellt und lieber unter dem Teppich gehaltene Geheimnisse ans Tageslicht holt. Dass der von der Familie favorisierte Täter dabei immer weiter entlastet wird, stützt ihre Position auch nicht gerade…

Horowitz baut noch eine Ebene ein, indem er den Roman »Atticus unterwegs« selbst, den seine Protagonistin damals lektorierte, in Gänze präsentiert. Das gibt den zusätzlichen Reiz, dass nun die Anspielungen, deren Kenntnis ja das Spezialwissen von Susan Ryeland sind, auch von den Horowitz-Leser:innen nachvollzogen werden können.

Mich allerdings hat das nicht überzeugt, ich empfand das eher als ermüdend. In Krimis, die nicht auf einen rasanten Plot ausgelegt sind, kann der besondere Reiz natürlich im Miträtseln liegen. Hier aber flutet Horowitz das Geschehen geradezu mit möglichen Anhaltspunkten, so dass ich nach einer Weile aufgegeben habe, hier noch etwas zusammenpuzzeln zu wollen. Das war auch nicht unbedingt nötig, denn tatsächlich ist die Auflösung keine echte Überraschung und nach der Lektüre von knapp 600 Seiten eher enttäuschend. So sehr ich den Reiz der Idee des Krimis im Krimi nachvollziehen kann – gelungen ist es hier nicht.

Buchdetails:
Anthony Horowitz: Der Tote aus Zimmer 12 (OT: Moonflower Murders). Aus dem Englischen von Lutz-Werner Wolff. Insel Verlag Berlin 2022. 596 Seiten, ISBN 978-3-458-64287-9, 24 €, als ebook 20,99 €
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Charlotte McConaghy: Wo die Wölfe sind

Inti Flynns Biographie ist stark geprägt durch Verlust- und Gewalterfahrungen. Wirkliche Sicherheit und Geborgenheit fand sie nur in der Natur – und bei ihrer Schwester. Es ist so gesehen auch kein Wunder, dass sie Wildbiologin wird.

Nach Schottland kommen Inti und ihre Schwester schwer versehrt – weniger körperlich, als vielmehr seelisch. Ihre Schwester spricht nicht mehr und verlässt auch das Haus nicht. Es lässt sich schnell erahnen, dass ein schwer traumatisierendes Erlebnis dahinter stecken muss. Eines, das Inti den letzten Rest Glauben an die Menschheit gekostet hat – keine gute Voraussetzung, um schottische Schäfer von den Vorteilen einer Wolfsansiedlung zu überzeugen. Dementsprechend schlecht kommt das Projekt denn auch an. Und erwartungsgemäß dauert es nicht lange, bis Angriffe auf Schafe und Menschen dem Konto der Wölfe zugeschlagen werden.

Charlotte McConaghy hat ein ausgesprochenes Talent dafür, Natur so zu beschreiben, dass es fesselt. Die Szenen, in denen Inti Tiere beobachtet oder mit ihnen interagiert gehören zu den stärksten Passagen des Romans. Nicht weniger beeindruckend sind ihre Schilderungen der vielfältigen Auseinandersetzungen, sie kann Szenen so schildern, dass ich geradezu körperlich gespürt habe, wie Macht und Gewalt einen Schauplatz eingenommen haben. Wenn sie beschreibt, wie Männer sich vor Inti aufbauen oder wie die Kneipenstimmung kippt – das ist sehr eindrücklich. Und das ist dementsprechend stellenweise auch nur schwer auszuhalten und könnte zum Beispiel Opfer häuslicher Gewalt gerade wegen der literarischen Stärke dieser Schilderungen stark triggern.

Allerdings fällt sie immer dann ab, wenn sie innere Monologe schreibt, ihre Protagonistin Geschehenes oder gesellschaftliche Realitäten analysieren lässt. Ich finde sie da nicht sehr überzeugend, das ist überraschend schlicht und eindimensional und will mir nicht so recht zu dieser empathischen, intelligenten und klarsichtigen Protagonistin passen. Es ist sicher dem stark fokussierten Ansatz dieses Romans geschuldet – aber ich hätte mir auch die anderen Figuren etwas weniger holzschnittartig gewünscht.

Aber das soll niemandem vom Lesen dieses sehr einfühlsamen Werkes abhalten.

Buchdetails:
Charlotte McConaghy: Wo die Wölfe sind (OT: Once There Were Wolves). Aus dem Englischen von Tanja Handels. S. Fischer Frankfurt am Main 2022. 429 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-10-397100-2, 22 €, als ebook 18,99 €
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Klaus-Peter Wolf: Ostfriesisches Finale

Dauerbestsellerautor Klaus-Peter Wolf und sein Figurenensemble muss an dieser Stelle wohl niemandem mehr vorgestellt werden – und falls doch: Fangen Sie am besten vorne an, denn dieses hier ist Band 3 eines Spin-Offs, ist als Einstieg also naturgemäß ungeeignet. 😉

Ich muss gestehen, ich bin etwas ratlos angesichts des großen Erfolges Wolfs Krimiserien. Ich finde in diesem Roman nichts, was ihn an irgendeinem Punkt aus der Masse des Genres heraushebt. Die Figuren sind holzschnittartig bis plump gezeichnet, der Plot ist hanebüchen, fast bis zur Groteske überzogen. Gleichzeitig kann ich mir schwer vorstellen, dass es sich um Satire handeln könnte, dafür fehlt mir der Ansatzpunkt.

Es gibt immer wieder einige Szenen, denen ich eine gewisse Komik nicht absprechen möchte, aber dieses permanente Suhlen in der Durchschnittlichkeit, um nicht zu sagen: Dämlichkeit des Personals bei gleichzeitiger plumper Freude an der Brutalität verdirbt mir die Lesefreude gänzlich.

Alles in allem: Hier wird so ziemlich jedes böse Klischee über Regionalkrimis erfüllt.

Buchdetails:
Klaus-Peter Wolf: Ostfriesisches Finale (=Rupert Undercover 3). Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 2022. 459 Seiten, kartoniert. 13 €, als ebook 9,99 €
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