Bücher nur für Elitepartner?

Vor nun doch schon einem knappen Monat stieß ich auf diesen Tweet, in dem Katharina Herrmann ihrem Ärger über den Buchmarkt bzw. den Literaturbetrieb Luft machte:

Nun sind ihre Vorwürfe nicht ganz von der Hand zu weisen: Aktuelle Bücher sind nicht so ohne weiteres in einem immer weiter diversifizierenden Medienbudget [Rundfundgebühren (18€), Videostreaming (10€), Audiostreaming (10€), Internetzugang (29€) – und da ist noch kein Buch gekauft, da war man in keinem Kino, in keinem Konzert, bei keiner Lesung] unterzubringen. Und ein Buch wie Obamas Memoiren mit 42 € schon gleich gar nicht. Das können sich nur Menschen mit entsprechendem Einkommen leisten. Doch selbst ohne ein solches Werk: Wieviel Literatur ist überhaupt drin? Es ist schwierig, ein Werk unter 20 € auf den Markt zu bringen. Da dürfte für einen Großteil der hiesigen Bevölkerung kaum ein Buch pro Monat drin sein.

Und ja, es gibt genug Literaturbetriebsnudeln, die nicht mehr wissen, was es bedeutet ein Buch zu kaufen. Ich habe das in meiner Kleinstverlegerzeit auch selbst erleben dürfen, dass Menschen mit großem Namen, deren Monatsverdienst dem Gegenwert nicht nur eines Buchprojektes entsprechen dürfte, kostenlose Leseexemplare anforderten – ohne dann aber wenigstens ihre Reichweite für eine Rezension zu nutzen. Das dürfte kein Einzelfall sein. Genauso wie es im Buchhandel zahlreiche Kollegʔinnen gibt, die mit zum Teil unverfrorener Selbstverständlichkeit LEX anfordern, ganz ohne das jeweilige Buch lesen, ver- oder einkaufen zu wollen. Und so weiter und so weiter, die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Belassen wir es aber bei der Feststellung: Ja, das gibt es und ja, das ist durchaus verbreitet. Trotzdem sind die Ladenpreise nicht der richtige Ansatz, um das Problem der Zugänglichkeit zu lösen.

EXKURS: Warum ich den Preis für keinen Wucher halte. überspringen

Was liegt denn hier vor? Doch wohl ein Geschäft, eine kapitalistische Institution, ein Gewerbe. Das Buch ist Ware. Gegen diesen Satz sträuben sie sich alle noch immer.

Kurt Tucholsky, Der Deutsche Buchhändler, in: Die Schaubühne, 08.01.1914, Nr. 2, S. 31.

Und sie sträuben sich auch über 100 Jahre später noch. Trotzdem ist er wahr. So ein Buch muss sich rechnen. Nun sind die Einkaufskosten bei Obama massiv. Barack und Michelle Obama erhielten etwa 65 Millionen Dollar von Penguin Random House. Dieses Geld muss wieder reinkommen. Denn die üblichen Kosten entstehen ja weiterhin. Es ist im internationalen Buchgeschäft durchaus üblich, dass im Wettbeewerb um Lizenzen auch die eigenen Konzerntöchter mitbieten müssen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Penguin Deutschland für die deutsche Ausgabe eine erhebliche Summe an die US-Kollegen zahlen durfte. Um nun auch noch das zeitgleiche Erscheinen zu ermöglichen, dürften die Übersetzungskosten ebenfalls nicht unerheblich gewesen sein.

Ich kenne die internen Zahlen natürlich nicht, aber schon allein vor diesem Hintergrund dürfen wir annehmen, dass die Stückkosten weit über allem liegen, was im Verlag üblicherweise aufgerufen wird. Besonders schmal ist der Band auch nicht, das schlägt nicht nur auf die Druckkosten, sondern natürlich auf alle Herstellungskosten inkl. der Übersetzung (die üblicherweise nach Umfang bezahlt werden).

Jetzt dürfen wir ohne weiteres vermuten, dass Obamas Memoiren alles sein dürfen, aber gewiss kein Minusgeschäft. Die Memoiren sind zum Erfolg verdammt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass hier auch ein Ladenpreis von sagen wir mal, 35 € machbar wäre. Das Problem dabei: Die Zielgruppe wüchse dabei gar nicht mal erheblich. Die Zahl derer, die das Buch kaufen würden und für die 35€ nicht zu viel sind, 42 € aber schon, ist gar nicht mal so groß. Will sagen: Es ist absolut nachvollziehbar, dann die Marge zu erhöhen. Und man hatte damit Recht.

Kurz: So wie der Markt strukturiert ist und funktioniert, sind 42 € ein nachvollziehbarer Preis. Und auch ganz generell muss fairerweise festgehalten werden, dass die Preise für Bücher sich seit Jahrzehnten weit hinter der Inflationsrate entwickeln (hier mal eine Auswertung von 2019 und eine längere Studie von 2015).

Allerdings ist das Ergebnis gesellschaftlich wohl kaum befriedigend. Denn der Markt regelt das mal wieder auf seine ganz eigene Art: Mit Exklusivität. Dein Budget gibt keine 42 € her? Ja, tut mir leid, dann kannste halt nicht mitreden. Das kann nicht unser Anspruch sein.

Als hochzivilisierte Gesellschaft haben wir aber bereits eine funktionierende Idee entwickelt: Bibliotheken. Und hier müssen wir ansetzen.

Sie wollten nicht bevormundet sein. Sie wollten allein dem Käufer empfehlen und raten. Überhaupt seien sie es, denen die Kulturförderung obliege.
Sie liegt ihnen ob. Erfüllen sie ihre Obliegenheit? Nein.
Es klafft der Zwiespalt, Geld verdienen zu müssen und Kultur fördern zu wollen. Das Geldverdienen erschweren sie sich – das ist ihre Sache; die Kultur auf dem Büchermarkt wird durchaus nicht gefördert – das ist unsre Sache.

Kurt Tucholsky, Der Deutsche Buchhändler, in: Die Schaubühne, 08.01.1914, Nr. 2, S. 31.

Der deutsche Buchhandel beansprucht für sich eine Sonderstellung, die ihm politisch auch gewährt wird. Sei es die Buchpreisbindung, seien es Buchhandlungs- und Verlagspreise oder sonstige Förderungen. Insbesondere die Autorʔinnenförderung durch Stipendien und Preise sei hier erwähnt, denn von den Buchverkäufen können nur sehr, sehr wenige Autorʔinnen leben (sehr wohl aber so mancher Verlag und eine doch immer noch erkleckliche Anzahl Buchhandlungen).

Gleichzeitg weigert sich die Branche aber, Bibliotheken ihre Arbeit zu ermöglichen. Deren gesellschaftliches Aufgabenspektrum ist vielfältig, die Zugänglichmachung von Literatur und Wissen steht aber weiterhin im Zentrum. Im 21. Jahrhundert, in dem nun wirklich der größte Teil der relevanten Erzeugnisse digital erscheinen, wäre diese Aufgabe nun äußerst leicht zu erfüllen.

Statt aber hier in den Bibliotheken wichtige Partner zu sehen (Bibliotheksnutzerʔinnen können Multiplikatorʔinnen sein, sind nicht selten zudem auch ganz erhebliche Buchkäuferʔinnen, Bibliotheken selbst sind wichtige Begegnungsorte, an denen Zielgruppen passgenau angesprochen werden können etc. etc.), schaffen es die Verlage, sie sich zu Gegnern zu machen. Ein nicht geringer Teil der Energie, die Bibliotheken in OpenAccess-Bewegungen investieren, speist sich aus Wut und Verzweiflung. Und die Verlage der schönen Literatur verhält sich da nicht wirklich besser als die Wissenschaftsverlage. Anstatt also tragfähige Lösungen anzubieten, werden Lizenzmodelle angeboten, die sich am Kauf eines Printexemplares orientieren und dazu führen, dass Bibliotheken solchen Unsinn anbieten müssen wie das Vormerken auf ein ebook, weil es gerade ausgeliehen ist.

Hier wäre gesellschaftliches und politisches Schwergewicht nötig, um hier endlich Bibliotheken wieder zu ermöglichen, zeitgemäß und angemessen wichtige Werke all jenen zugänglich zu machen, die nicht alles, was sie eventuell interessieren könnte, mal auf Verdacht zu kaufen. Das wäre vor allem deshalb auch zeitgemäß, weil Besitz längst nicht mehr den überragenden Stellenwert im Wertekanon hat. Viel wichtiger sind Verfügbarkeit und Nutzbarkeit. Das ist selbst im trägen Buchhandel angekommen, auch wenn der das nicht so recht zu merken scheint.

Mit ausreichend ermächtigten Bibliotheken könnten wir auch viel leichter Menschen abfangen, ehe sie glauben, eine nur über Fernleihe verfügbare Dissertation wäre inexistent oder youtuber Mike wisse alles viel genauer als der wissenschaftliche Konsens. Stattdessen führen wir wieder Priesterwissen ein.

In Sachen Literatur wird uns da kein Markt retten. Das müssen wir schon selbst in die Hand nehmen. Also: Support your local library. Und das meint nicht nur, hol Dir einen Benutzerausweis. Sondern wann immer Zugang zu Werken problematisiert wird: Empfehlt starke Bibliotheken als Lösung. Das ist nicht mal radikal, denn sie haben seit Jahrtausenden bewiesen, dass sie die Lösung sein können.

Disclaimer: Der Autor verdient sein Geld als Buchhändler und war knapp 20 Jahre Verleger in einem Kleinstverlag.

Priesterwissen

Es ist inzwischen wohl kein Geheimnis mehr, dass in den medial besonders häufig erwähnten sozialen Medien wie Facebook oder Twitter keineswegs die dynamische nachwachsende Generation besonders aktiv ist, sondern eher die ältere Hälfte der werberelevanten Zielgruppe.

Dementsprechend populär sind nostalgische Beiträge wie dieser hier:

Manchmal ertappe ich mich dabei, dass in so mancher Nostalgie eine gehörige Portion Eitelkeit steckt.

Meinem Vater gelang es durch intensive Diskussion, mir bereits in sehr jungen Jahren (ich war zwölf) Zutritt zur Universitätsbibliothek zu verschaffen. Zettelkästen waren in der prädigitalen Ära, die diesseits des antifaschistischen Schutzwalls etwas länger andauerte, der übliche Zugriff auf Bibliotheksbestände. Zumindest für Menschen wie mich, die Kontakt zu anderen nicht gerade suchten (für andere war es dann der oder die jeweils nächsterreichbare Bibliothekar_in).

Bisher nur vertraut mit dem durchaus überschaubaren Zettelkastensystem der Stadtbibliothek, öffnete sich mir mit dem Zettelkastenraum der Universitätsbibliothek (zum Teil sogar noch mit Rollen, in denen die Katalogisierungsarbeiten aus dem 18. Jahrhundert nachzusehen waren) eine völlig neue Dimension. Seitdem habe ich eine große Schwäche für Bibliothekssystematiken (weshalb ich auch sehr froh bin, dass mit THEMA letztlich die Bibliotheken über die peinlich ungenauen Buchhandelswarengruppen siegen).

Mit einem Zettelkasten umgehen zu können, verschaffte einem seinerzeit ein gewisses Überlegenheitsgefühl. Auch wenn ich tatsächlich glaube, dass dies und die zum Beginn meines Studiums noch als Befehl im Telnet zu tippenden OPAC-Suchanfragen mir bis heute das effektive Formulieren von Suchanfragen erleichtern, so ist doch unbestreitbar, dass der weiße Google-Suchschlitz die Unterschiede massiv nivelliert hat.

Das traurig zu finden, zeugt doch von einer gewissen Arroganz. Und möglicherweise steckt hier ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis des großen Erfolgs von Nostalgie-Memes.

Der Tag, an dem Marianne Fredriksson meine Prinzipien zerstörte

Bei einem der zunehmend sporadischer werdenden Besuchen (»zunehmend sporadisch«? Mhm.) in meiner Twitter-Timeline spülte mir der Algorithmus diese Frage vor die Augen:

Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Sie ist vor allem deshalb sehr schwer zu beantworten, weil sich die Frage nach der Langeweile durchaus nach der Lesebiographie richtet. Die Binsenweisheit »Leseerfahrungen sind immer individuell.« bezieht sich nämlich durchaus auch auf die eigene Biographie, wie ich bei einer Neulektüre – bzw. beim Versuch derselben – von Karl May schmerzlich feststellen musste. Was für ein grauenhaft langatmiges, moralinsaures Zeug: Und das habe ich mal mit Begeisterung gelesen, ach was, verschlungen.

Will sagen: Es dürfte in meiner Lesebiographie noch etliche Bücher geben, an die ich wunderbare Erinnerungen knüpfe, die ich heute aber wohl grauenhaft langweilig fände. Die herauszufinden bedürfte jedoch eines erheblichen Aufwandes, ich müsste ja meine Lesebiographie wiederholen und ehe ich damit durch wäre, wäre aufgrund der verstrichenen Zeitspanne und der hinzugekommenen Leseerfahrungen eine erneute Lektüre nötig etc. ad infinitum.

Wahrscheinlich war die Frage so aber auch gar nicht gemeint, sondern bezieht sich auf bereits bei der Erstlektüre empfundene Langeweile. Selbst diese Frage ist gar nicht mal so trivial wie sie auf den ersten Blick scheint (wie entscheidet man denn, welches Buch langweiliger war? Gibt es da einen offiziellen Kriterienkatalog? Erstellt man da ein Punktesystem? »Meine Sorgen möchte ich haben.«) und doch gibt es für mich eine klare Antwort:

Marianne Fredriksson, Hannas Töchter.

Marianne Fredriksson gehörte zu den Überflieger-Bestsellerautorinnen der späten Neunziger Jahre und wurde von unglaublich vielen Menschen gelesen. Ganz eng lassen sich die Zielgruppen dementsprechend nicht fassen, aber: Männer Anfang 20 gehörten eher nicht dazu. Ich war allerdings ein Mann Anfang 20, vor allem jedoch noch recht frisch in dem Betätigungsfeld, das tatsächlich mein Beruf werden sollte. Frisch das Studium abgebrochen, gerade die erste Vollzeitstelle im Buchhandel angenommen, war ich hochmotiviert nun mir alles anzueignen, was wichtig sein könnte.

Vor allem jedoch glaubte ich, man müsse als Buchhändler doch alles lesen, was man verkaufen will. Immerhin: Das Buch wurde derartig oft und offenkundig begeistert gelesen: Da musste doch was dran sein.
Und ich brachte das eherne Prinzip mit, kein Buch vor dem Ende abzubrechen. Beides gilt seit »Hannas Töchter« für mich nicht mehr.

Ich habe mich durch dieses Buch gequält, zum ersten Mal bewusst empfindend, was es bedeutet nicht Zielgruppe zu sein. Und ich muss sagen: Es hat sich nicht gelohnt. Weder persönlich noch beruflich. Für keine Sphäre brachte die durchgehaltene Lektüre eine Erkenntnis, die sich nicht bereits nach wenigen Seiten eingestellt hätte. Seitdem beende ich Bücher, wenn ich das Gefühl habe, unnötig Lebenszeit zu verlieren und lasse mir meine Lektüre nicht mehr von der Bestsellerliste diktieren. Im Ergebnis bleibt die bittere Erkenntnis: »Hannas Töchter« hat mein Leseverhalten beeinflusst wie kein anderes Buch. Es schmerzt, diese Zeilen zu schreiben.

Zum Schluss noch ein Exkurs:

Ich glaube andererseits aber, dass beide Prinzipien richtig sind, es gibt nur einfach einen Punkt, an dem man sich davon verabschieden sollte. Es ist vielleicht eine Art des Erwachsenwerdens. Zum einen der berufliche Aspekt: Wer in den Buchhandel einsteigt, zumal noch als tatsächlich junger Azubi, sollte sich tatsächlich auch zu Genreliteratur zwingen. Es ist wichtig, mal gelesen und verstanden zu haben, wie verschiedene Arten von Literatur funktionieren (und das meine ich wirklich so: Die Masse der verkauften Bücher sind Produktionen und nicht der Audruck des Weltschmerzes gequälter Künstlerseelen). Das ist wichtig, um vernünftig beraten zu können. Hat man das aber gelernt, ist es Zeit sich davon frei zu machen und seine Zeit für die Bücher zu verwenden, die tatsächlich gelesen werden müssen, um sie empfehlen zu können.
Zum anderen der persönliche Aspekt: Mein bevorzugtes Beispiel aus der eigenen Lesebiographie ist da  Der Name der Rose: Es lohnt sich, durchzuhalten. Das Fundament, das Eco baut, ist wichtig, um nachher in den vollen Genuss zu kommen. Man muss das nicht ein Leben lang goutieren, aber die Erfahrung, dass es lohnenswert sein kann, auch mal langweilig scheinende Passagen zu akzeptieren und durchzuhalten, halte ich für wichtig. Wichtig deshalb, weil meiner Meinung nach diese Fähigkeit eine Hilfe ist, wenn es darum gehen soll in Lektüre mehr zu sehen als eine nette Unterhaltungstätigkeit. Dann kann es hilfreich sein, dem Autor, der Autorin gegenüber gnädig zu sein und das Buch nicht bei der ersten Passage, die nicht mehr mitreißt, gelangweilt in die Ecke zu hauen. Man könnte was verpassen. Ich glaube freilich, dass dies eine Frage der Erfahrung ist: Irgendwann ist man in der Lage zu erkennen, ob der Autor, ob die Autorin noch mit Überraschungen aufwarten kann (sei es in der Handlung, sei es stilistisch) oder nicht. Aber bis dahin finde ich es einen schönen Anspruch, einem Buch immer noch eine Chance zu geben. Man weiß ja nie…

P.S. Meinem Exkurs folgend, würde das bedeuten, dass Marianne Fredriksson mich zu einem erwachsenen Leser gemacht hat. Das ist ja noch gruseliger. Das wollen wir mal ganz schnell vergessen.